IT-Infrastruktur für eine Dschungel-Ökonomie Huawei legt Strategie fest
Die Sonderwirtschaftszone Shengzhen war bis 1979 eine Stadt mit 30.000 Einwohnern an der Grenze zu Hongkong. Heute wohnen dort rund 15 Millionen. Die rasant wachsende Planstadt ist also nicht zufällig der Sitz von Huawei Technologies Co. Ltd., ebenfalls rasant wachsend. Kürzlich fand in Shanghai die „Huawei Connect 2016“ statt, Konferenz und Leistungsshow des 170.000-Mitarbeiter-Konzerns. Die wichtigsten Themen: Cloud und Kooperationen.
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Es ist die erste Huawei-Konferenz dieser Art gewesen, denn die Connect 2016 hat drei bisher getrennte Veranstaltungen in sich vereint: eine Network- beziehungsweise Connectivity-, eine Cloud- und eine Development-Konferenz, eine gute Gelegenheit also, Grundsätzliches über die Strategie des Unternehmens zu referieren.
Gekommen sind mehr als 15.000 Besucher, trotz verschärfter Einreisebedingungen wegen des nahezu zeitgleichen G20-Gipfels in Hangzhou: Zum Beispiel hat der Pass keine Reisen in den Nahen Osten oder Israel aufweisen dürfen oder zu frisch ausgestellt worden sein, sonst hat es kein Visum gegeben.
Im Gegensatz aber zu internationalen Konferenzen in den USA sind die vielen Besucher aus Zentral und Ostafrika aufgefallen, die dort praktisch nicht vertreten sind. Huawei hat in diesen Regionen einige erfolgreiche Smart-City-/Smart-Grid Projekte aufzuweisen. Zum Beispiel habe sich sich Kriminalität in den Straßen Nairobis um 46 Prozent senken lassen, mithilfe eines Smart-Meter-Projekts der Sahara Group in Nigeria reduzierten sich die Arbeitskosten für die Wartung der Anlagen um 90 Prozent.
Die Startbedingungen
Um die Strategie der Unternehmenslenker zu verstehen, ist es wichtig sich vor Augen zu führen, in welcher Geschwindigkeit sich die Megacities wie Shanghai und Shenzhen entwickeln und was es von den Menschen verlangt, mit diesem Wandel Schritt zu halten. Die Technikversessenheit der Chinesen ist schon fast sprichwörtlich. Das Durchschnittsalter in der Zuzugsstadt Shengzhen beträgt 29 Jahre.
Und der Trend zu Megastädten setzt sich fort. Heute leben weltweit rund 50 Prozent der Bevölkerung in Städten; im Jahr 2050 werden 75 Prozent der Weltbevölkerung in Städten zuhause sein.
Von der Gründung bis heute
Huawei gehört zu den erfolgreichsten Unternehmen. Zwar wurde das Unternehmen bereits 1987 von Ren Zhengfei gegründet, mit einem Startkapital von rund 2.800 Euro, unter anderem weiter finanziert von der Deutschen Bank, der City Bank und J.P. Morgen. Doch erst 1997 begann die Eroberung des chinesichen Markts, um genau zu sein, der Telco-Unternehmen in den Städten. Im Jahr 2000 begann die Internationalisierung des Geschäfts mit ersten Verträgen in Russland.
Heute macht Huawei 38 Prozent seines Umsatzes in China, 35 Prozent in Europa, Afrika und dem nahen Osten, 15 Prozent im asiatisch-pazifischem Raum und 11 Prozent in Amerika. In den USA hat Huawei bisher noch nicht wirklich Fuß fassen können. Das Geschäft hier bezieht sich hauptsächlich auf den Verkauf von Smartphones, die jedoch unter einer anderen Marke über den Ladentisch gehen oder über Alibaba und Amazon bestellt werden.
Zu den Channel-Partnern gehören etwa BT, Atos und Arrow ECS, zu den Lieferanten, IBM, Qualcom, Oracle, SAP, Rosenberger OSI, Broadcom und zu den Partnern/Kunden Maersk, Mitsubishi Electric, Foxcomm, Skyhymix sowie ganz viele Telekommunikations-Companies: BT, Bell, PT, SingTel, Telia Sonera, Telefónica und Deutsche Telekom.
Umsatz und Entwicklung
Der Gründer des Unternehmens besitzt rund 1,4 Prozent des Unternehmens, der Rest seit dem 31. Dezember 2014 gehört den Angestellten und Rentnern des Unternehmens. Seit dem gleichzeitigen Rückzug von Gründer Zhengfei aus dem operativem Geschäft leiten drei „Rotation CEOs“ den Konzern: Hu Houkun (Ken Hu), Xu Zhijun und Guo Ping, jeweils für sechs Monate.
Im Vergleich zum Vorjahr ist der Konzern um 14 Prozent gewachsen; der Umsatz belief sich im abgeschlossenen Geschäftsjahr auf 24 Milliarden Dollar. Mindestens 10 Prozent der Einnahmen gehen in die Forschung und Entwicklung. War zu Beginn der Internationalisierung der Preis das schlagkräftigste Argument, sind es heute die Innovationen, das Denken in Lösungen beziehungsweise kompletten Stacks.
Huawei ist die Nr 1 unter den chinesischen Firmen, was die Zahl der Patente angeht, in den USA ist Huawei unter der Top 50 bei den Patenten und in Europa unter der Top 15. Insgesamt kommt Huawei auf 50.377 Patente. Rund 80.000 Mitarbeiter arbeiten in der Forschung und Entwicklung. Das Unternehmen betreibt 16 Forschungsinstitute und 1.500 Labs.
5G kommt
Rund 600 Millionen Dollar plant Huawei für die Entwicklung der 5G-Technik ein, die 2009 begann. Erste Verträge hat der Konzern während der Connect 2016 bekannt gegeben, ab Mitte 2020, so verschiedene Unternehmenslenker, werde sich der RoI für dieses Investment einstellen.
Ein Vehikel der Funktechnik sind die Antennen: Macro, Mini, Pico und Nanozellen, die verschiedene Bandbreiten und Reichweiten unterstützen, was den Telekommunikations-Firmen die Chance eröffnet, dieselben Antennen für ein großes Spektrum und auch beim Wechsel auf neue Standards zu nutzen. Doch beim Wechsel auf 5G hilft das nicht mehr; dann muss neue Hardware her.
Für IoT-Anwendungen jedoch sei 5G überdimensioniert. Da reichten auch GSM-Leitungen, erklären die Experten im weltgrößten Antennen-Testlabor, mit einer 30 - 40 Fußballfelder großen Produktions- und Forschungsanlage in Shengzhen, die nun in Hangzhou ein Pendant bekommt.
Die Digitalisierung brennt auf den Nägeln
Die größte Herausforderung für Huawei selbst und alle Firmen ist auch für den chinesischen Konzern die Digitalisierung. Die aber macht sich fest an:
- den Immer- und Überall-Verbindungen von Menschen und Dingen
- im gemeinsamen Agieren von Mitarbeitern, Kunden, Partnern und Lieferanten
- dem Internet-basierten Betrieb, der auf Big Data und Künstlicher Intelligenz gründet
- automatisierten Geschäftsprozessen und den eingebauten Echtzeit-Entscheidungen, die helfen sollen, den Geschäftsbetrieb effizient und „intelligent“ zu gestalten
- transparenten und zugleich visualisierten Abläufe mit robuster Risikokontrolle
Ein Unternehmen, das sich laut Eric Xu auf dem besten Weg dahin befindet, ist Harley Davidson. Der Motorradhersteller hat seine Produktionslinien miteinander verbunden und die Präzision am Fließband auf Sekunden eingestellt, so dass die 1.200 Komponenten, aus denen ein Motorrad besteht, innerhalb von 89 Sekunden zusammengestellt werden können. Die Zeit nach einer Online-Bestellung bis zur Lieferung verkürzte sich von 21 Tagen auf sechs Stunden.
An dieser kurzen Skizze zeigt sich, welche Rolle die IT einzunehmen hat: IT darf sich nicht länger auf „unterstützende Systeme“ beschränken, sondern Eingang in die Produktion finden, mithilfe von Big Data und Artificial Intelligence (AI), agiler Software-Entwicklung, einer Architektur der eine gemeinsame Plattform und ein gemeinsames Ökosystem zugrunde liegt, automatischem sowie intelligentem Management, immer verfügbaren Kommunikationsverbindungen (siehe: Abbildung 1).
Cloud ist der Schlüssel
Wie kommt man dahin? Jedenfalls nicht über inadäquate Cloud-Fähigkeiten und unzureichend ausgebildete Mitarbeiter, Legacy-Anwendungen, die sich nicht cloudifizieren lassen, Hardware-gebunde IT-Netze, beziehungsweise Anschlüsse, Fragmentierung. Dazu kommen neuartige Sicherheitsbedrohungen.
Cloud ist in diesem Verständnis weit mehr als ein Betriebsmodell für IT. Clouds sind die Voraussetzung für die vielschichtigen Verbindungen und Abhängigkeiten von Menschen und Dingen einer vernetzten, digitalen, globalisierten Welt. Bildeten sich bisher Ökosysteme entlang von Lieferketten aus Abhängigkeiten von Lieferanten und Kunden, können diese nun getrost als unzeitgemäß betrachtet werden.
Rotating CEO Guo Ping setllt das wettbewerbs-orientierte Ökosystem gegen das ökologische (siehe. Abbildung 4ff) . Ein wettbewerbszentriertes System lässt nur ausgewählte Partner zu, schottet sich ab. In der Natur sind Inseln solch abgegrenzte Systeme. In Hawaii etwa leben 20.000+ Tierarten. In Costa Rica aber, einem zugänglichen Gebiet leben mehr als 500.000 Spezies.
Die Dschungel-Prinzipien
Will heißen: In einem Ökosystem, durch die Cloud befähigt, in dem die diversen Unternehmen mit ihren unterschiedlichen Eigenheiten zusammen, statt gegeneinander arbeiten, ist mehr Musik drin, mehr Innovationskraft, mehr Potenzial zum Vorteil aller Beteiligten.
Ping formuliert drei Prinzipien:
1. Ein größerer Kuchen ist besser als ein größeres Stück eines schrumpfenden Kuchens. Die Entwicklung muss sich also abwenden vom Einzelkämpfertum zu einem, von allen gestaltbaren, gemeinsamen Aktionsraum
2. Deshalb ist das Management von Kooperationen wichtiger als das Verwalten von Konkurrenz.
3. Unabdingbar ist es den Erfolg zu teilen. Das ist die treibende Kraft hinter der Evolution des Ökosystems, das Ergebnis seiner erfolgreichen Entwicklung
Partnerschaft mit der Deutschen Telekom
Doch scheint Huawei seine Partner sorgsam zu wählen. Auf der Hausmesse haben Accenture und Infosys die Partnerschaften bekannt gegeben und immer wieder hat das Huawei-Management auf der Connect 2016 die Kooperation mit der Deutschen Telekom hervorgehoben.
Offiziell bekannt gegeben wurde die technische Partnerschaft, beziehungsweise der Cloud-Start, bereits zur CeBIT dieses Jahres - nach nur 12 Monaten der Implementierung mit Huawei und zwei Jahre nach der Entscheidung, dass die Telekom eine bedeutende Rolle im Cloud-Markt spielen will.
Huawei liefert die technischen Grundlagen für die „Open Telekom Cloud“, das B2B-Angebot der Telekom, und entwickelt sie mit T-Systems weiter. Annette Bronder, Director of Digital Division bei der T-Systems International GmbH spricht in diesem Zusammenhang von der „Seidenstraße in die Cloud“.
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Die ersten 100 Tage OTC
Public - und sonst so? Die Open Telekom Cloud
Laut Huawei-Manager Joy Huang haben erst 20 Prozent aller Unternehmen ihr Geschäft in die Cloud verlagert. Doch 2025 werden alle Unternehmen irgendwie in der Cloud vertreten sein und 85 Prozent ihrer Workloads.
Tatsächlich hat Bronder bereits weitere Services für OTC angekündigt: Ab Oktober 2016 will die Telekom Container-Unterstützung allgemein und insbesondere auf Basis der Docker-Engine ankündigen, ab Ende des Jahres sollen SAP-HANA-Unterstützung, HPC-Support und DevOps-Tools folgen. Diese Dienste finden sich auch in den Huawei-Angeboten. Insgesamt hat das Unternehmen zur Connect 2016 genau 31 neue Services vorgestellt (siehe: Abbildung 8).
Doch nur in China bietet Huawei die Cloud-Services selbst an; nur hier betreibt der Konzern eine eigene Cloud. So sieht Huawei in den Telekommunikationsanbietern weltweit wichtige Partner in den Dschungel-Ökosystemen als Anbieter von Clouds, speziell den „Industrie-Clouds“. Partner wie die Telekom brächten jede Menge Erfahrungen aus einer langen gemeinsamen Geschichte mit diversen Branchen mit. Dieses Know-how werde gebraucht.
Die Industrie-Clouds kommen
Tatsächlich betreibt Huawei für Telefónica ebenfalls eine zu OTC ganz ähnliche auf OpenStack basierende Cloud. Am Messestand wurde gar versichert, das Unternehmen vermarkte die Huawei-Angebote lediglich. Der Unterschied zu OTC? Nun, der sei landesspezifisch. Da Huawei mit Telekommunikationstechnik gestartet ist, und das Geschäft weiter vorantreibt, etwa mit 5 G und den Multiband-Antennen, Edge-Rechenzentren - - NAV, VPN, NFV....-techniken kann Huawei hier komplette Technologie-Stacks liefern - Lösungen quasi (siehe auch: Kasten).
Als weitere Schlüsselbranchen haben die Huawei-Verantwortlichen die Medien-Branche, die Banken und Versicherungen definiert. Doch das vertikale Geschäft diffundiert: Smart-Cities, Smart Metering, smart Agriculture, HPC, ....die Automobil-Branche. Eine der spektakulärsten Ankündigungen der Connect 2016 ist die Ankündigung von General Electric (GE) einer eigenen Industrie-Cloud: „Es gibt noch nichts Vergleichbares“, sagt Denzil Samuels, Head of Channels, Alliances, Business Development & Ventures bei GE, „wir sind die ersten und wir haben das Recht dazu.“
Das bedeutet unter anderem: ein eigenes Betriebssystem mit der Bezeichnung „Predix“, Applikationen, auch von Partnern, die das „powered by Predix“ sind, Services Marke „Predix-ready“ und einen Katalog „Predix-Systems“.
Die zweite Ankündigung in diesem Umfeld ist eine Dreiecksbeziehung zwischen Huawei, GE und dem österreichischen Aufzughersteller Schindler, die weltweit rund 1,5 Millionen Aufzüge und Rolltreppen betreiben. Rund 150.000 der Aufzüge sind nun 'connected', also kommunizieren über Sensoren Betriebsdaten. Probleme können so frühzeitig erkannt werden oder gar im Entstehen. Der Erfolg: Die Ausfallzeiten durch Probleme und Reparaturen sind um 90 Prozent gefallen und die OPEX-Kosten fielen um 50 Prozent.
No Applications! Dont't touch data!
Der Huawei-Part in allen Clouds, die durch Partner ins Leben gerufen und betrieben werden, erstreckt sich auf die Lieferung von IT-Infrastruktur. Die Rotating CEOs werden nicht müde zu wiederholen: „Keine Anwendungen!“ und „Don't touch Data'“ (siehe: Abbildung 3".
Ob das nun ein gelungenes Beispiel für ein offenes Ökosystem ist, sei dahingestellt. Huawei selbst setzt bei der Technik auf offene Standards, Open Source. Jim Zemlin, Executive Director der Linux Foundation bestätigt: „Es gibt einfach zu viel Code, als dass eine Firma diesen alleine entwickeln könne.“
Er bezieht sich dabei vornehmlich auf die Linux-Weiterentwicklung selbst, zu der Huawei erheblich beitrage. Rund 59.000 Source-Files im Linux-Kernel werden täglich angefasst und rund 91.000 Codezeilen. Das bedeutet: 10.800 Codezeilen kommen hinzu, 5.300 Zeilen fallen raus und 1.875 werden modifiziert.
Doch Huawei spielt in vielen Communities mit. Das Unternehmen ist Gold Member bei Cloud Foundry und gehört zu den sechs Top-Contributors, ist Gründungsmitglied der Open Container Initiative, Gold member von Cloud/Native /OpenStack und Top-10-Contributor und unter den Top 5 der Hadoop-Contributors, beispielsweise. Wesentliche Beiträge liefert Huawei auch im Xen-Projekt, Open Daylight, ONOS, OPNFV, Openswitch ....
Das ist ganz schön viel Software für ein Unternehmen, das sich „No Applications! Don't touch data“ auf die Fahnen geschrieben hat, eine Entwicklungs-Plattform als Cloud-Service ins Leben ruft und Jahres ein eigenes Software-Entwicklungs-Kit vorstellen will.
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