Anschluss verloren? Docker in turbulenten Gewässern
Die Gerüchte zu den Finanzen von Docker reißen nicht ab. In einem geleakten Memo schrieb Dockers neuer CEO, Rob Bearden: „Wir haben uns mit Investoren zusammengetan, um mehr Finanzmittel für die weitere Umsetzung unserer Strategie zu sichern“. Docker befinde sich derzeit „in aktiven Verhandlungen“ mit zwei Investoren und arbeite daran, die endgültigen Bedingungen festzuzurren, hieß es. Bearden stellte daraufhin in den nächsten Wochen „ein vollständigeres Update" in Aussicht. Hat Docker also nur Wochen übrig? Bis dahin könnte das Abwandern von Fachkräften das Schicksal des Unternehmens aber besiegelt haben.
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In diesem Kontext liegt es auf der Hand, warum der CEO seinen Aufruf an die Fachkräfte, „trotz der Ungewissheit“ weiter durchzuhalten, in ein Lob „containerisieren“ musste: um die „Hochverfügbarkeit“ der Arbeitskräfte zu sichern. Daran ist prinzipiell nichts falsch. Außer vielleicht: Wenn ein Kapitän nach dem anderen das (richtungslose) Schiff verlässt, warum soll gerade die Belegschaft da noch bleiben wollen?
Der hohe CEO-Verschleiß
Docker, das Aushängeschild der IT-betrieblichen Effizienz aus dem Silicon Valley, schien eine Zeitlang das ultimative Unicorn. Ein opakes Geschäftsmodell und die anhaltend hohe Popularität seiner Container-Plattform gingen mit regelmäßigen Finanzspritzen von renommierten Venture-Kapitalisten einher (über die Jahre kamen so insgesamt 272,9 Millionen Dollar in neun Runden zusammen). Das Ganze war „off-limits“ für die Kritik Außenstehender.
- Nach vielen KPIs bricht Docker nach wie vor Rekorde der Popularität:
- 105 Milliarden Container-Downloads,
- über 750 Docker Enterprise-Kunden,
- weltweit über 200 Docker-Meetups pro Jahr,
- mehr als 32.000 Github-Stars,
- über 100.000 Projekte von Drittanbietern auf der Basis von Docker,
- 5,8 Millionen „Dockerized“-Apps auf Docker Hub.
Doch Popularität ist nicht gleichbedeutend mit Profitabilität. Das Geschäftsmodell eines IT-Unternehmens steht und fällt mit seiner Fähigkeit bzw. Unfähigkeit, sich die eigene Wertschöpfung auch adäquat von den (hoffentlich glücklichen) Kunden vergüten zu lassen.
In den letzten zwei Jahren schlug sich bereits Dockers dritter CEO, Steve Singh (zuvor von SAP), mit der Aufgabe herum, das Unternehmen in die Gewinnzone zu bringen, und warf schlussendlich das Tuch (er bleibt dem Unternehmen als Vorstandsvorsitzender erhalten). Der Mitgründer Solomon Hykes verließ das Management im vergangenen Jahr, behielt jedoch seine Anteile und einen Sitz im Aufsichtsrat. Hykes war zuletzt die treibende Kraft hinter der Integration von Googles Kubernetes als einer Alternative zu Docker Swarm in Docker Enterprise.
Die marktbeherrschende Popularität verdankt Docker nach wie vor der Community Edition (CE) der Plattform und daran verdient das Unternehmen rein gar nichts. Das ist aber sicherlich noch kein Grund, um die Umsetzung dringend benötigter Sicherheitsfeatures auf die lange Bank zu schieben.
Gerade einmal vor knapp drei Monaten konnte sich Docker dazu aufraffen, die Fähigkeit zum Hardening des Docker-Daemons im Rootless-Modus (vorerst experimentell) zu implementieren. Akihiro Suda führte das Feature auf der DockerCon 2019 vor. Ein Blick auf die Anzahl zahlender Abonnenten veranschaulicht die prekäre Lage:
- Red Hat, Inc./IBM: 1.100
- Docker: 800 (zugegebenermaßen satte 150 mehr als im Vorjahr)
- Rancher Labs: ca. 300 bis 500
- Pivotal (VMware): 145
Mit seinen 500 Mitarbeitern kommt Docker gerade einmal auf einen Brutto-Umsatz in Höhe von 120 Millionen Dollar, also ca. 240.000 pro Person. Dieses Ergebnis liegt viel zu tief unter den Erwartungswerten. Von dem avisierten ROI von 10x ist Docker zurzeit noch weit entfernt.
An der Produktvielfalt liegt es sicherlich nicht, denn die beliebte Docker Community Edition gibt es in allen erdenklichen Varianten: für AWS, Azure, Fedora, CentOS, Ubuntu, Debian, sogar für den Windows-Desktop und für den Mac. Das einstige Aushängeschild der IT-Betriebseffizienz hat den Anschluss an seine Nutzer verloren. Aufgrund der nur halbherzig umgesetzten Geschäftsstrategie hat Docker die einstige Führungsposition verspielt. Google, den 800-Pfund-Gorilla der IT-Branche, zu unterschätzen, ging auch nach hinten los. Der neue CEO soll es jetzt richten.
Der „Fixer“
Die Nachfolge von Steve Singh durfte der ehemalige CEO von Hortonworks, Rob Bearden, nach Abschluss der erfolgreichen Übernahme des Big Data-Pioniers durch seinen Erzrivalen Cloudera, antreten. Knapp ein Jahrzehnt nachdem Docker bei Y Combinator erste Lebenszeichen von sich gab (rund drei Jahre vor der Vorstellung der ersten Docker-Software), tüftelt das Unternehmen immer noch an seinem Geschäftsmodell. Der hohe „Verschleiß“ an CEOs hat auch sein Übriges dazu getan. Rob Bearden ist nun mittlerweile der vierte im Amt und der dritte seit der Valuierungsspitze in 2017. Unter der Führung seiner Vorgänger hatte das Unternehmen zeitweise eine Marktkapitalisierung von 1,3 Milliarden Dollar erreicht. Davon ist jetzt keine Spur übrig.
Ein Blick auf Beardens belegte Erfolgsgeschichte lässt auf seine nächsten Schritte schließen. Bevor er Hortonworks durch ein IPO zur erfolgreichen Übernahme durch Cloudera führte, lenkte Bearden die technologische Ausrichtung von SpringSource als Präsident und COO gleich vor der Übernahme durch VMware (die Technologie von SpringSource gehört heute Pivotal Software). Zuvor hatte er die erfolgreiche Übernahme von JBoss durch Red Hat (heute IBM) beaufsichtigt und lernte bei Benchmark, einem führenden VC-Finanzhaus in Silicon Valley, die Sprache der Venture-Kapitalisten kennen.
Durch Beardens Karriere, die im Übrigen bei Oracle anfing, zieht sich Java wie ein roter Faden. Bei dem Datenbankgiganten zeichnete Bearden seinerzeit für eine Vertriebsorganisation mit einem jährlichen Umsatz von 1 Milliarde Dollar verantwortlich. Was Beardens Java-lastige Ausrichtung für Docker bedeuten könnte, ist klar. Doch darin liegt auch die Gefahr einer gewissen Einseitigkeit. Bei Googles Cloud-Orchestrierer Kubernetes handelt es sich bereits um eine Cloud-native Lösung der Post-Java-Ära in Go/Golang.
Auch Dockers verbissene Festhalten an Swarm, dem eigenen Automatisierer für das Container-Management führte auf die Dauer dazu, dass Googles quelloffener Orchestrierer seinem Rivalen den Rang ablaufen konnte. Wie sehr Google dem einstigen Unicorn mit Kubernetes die Butter vom Brot nimmt merkt man auch daran, dass Docker letztes Jahr schweren Herzens einlenken und nativen Kubernetes-Support innerhalb seines EE-Frameworks bieten musste. Eine Docker-eigene Kubernetes-Distribution kann die verlorene Zeit nicht zurückdrehen. Auf die Dauer sind Finanzierungsrunden von Investoren kein Ersatz für ein solides Geschäftsmodell.
Ausblick
Beardens bisherigen Karriereschritten nach zu urteilen wird er Dockers quelloffene Ausrichtung beibehalten, den „Verschleiß“ betriebswirtschaftlicher Abläufe reduzieren und mit einer frischen VC-Finanzspritze in Windeseile kommerzielle Angebote entwickeln (bei JBoss und SpringSource waren es vorrangig Beratung und Schulung).
Bearden wäre jedenfalls die geeignete Person, um das Unternehmen an einen Silicon-Valley-Platzhirsch zu verkaufen oder über ein IPO unter den Hammer zu bringen. Seine bisherigen Entscheidungen geben jedenfalls Grund zur Hoffnung, dass er an dem Open-Source-Unterbau der Plattform jedenfalls nicht rütteln wird.
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