Datenaustausch in der Smart Factory Standardisierter Datenfluss vom Edge bis zur Cloud
Die Idee der Smart Factory funktioniert nur dann, wenn sich Daten und Anwendungen unterschiedlicher Hersteller integrieren und mit Cloud-Services aller Art verknüpfen lassen. Doch daran hapert es noch. Abhilfe können zwei Standards schaffen: OPC UA und die DIN SPEC 92222.
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Vernetzten Produktionsumgebungen, also der "Smart Factory", gehört zweifellos die Zukunft. Ein zentrales Element von solchen intelligenten Infrastrukturen sind Assistenz-Dienste von Drittanbietern. Dazu gehören beispielsweise Dienste wie die proaktive Wartung (Predictive Maintenance) und die bedarfsorientierte Abrechnung von Fertigungskapazitäten (Pay per Use).
Laut einer Studie des Digitalverbandes Bitkom entwickeln bereits 37 Prozent der deutschen Fertigungsunternehmen solche Pay-per-Use-Modelle. Mehr als drei Viertel der Firmen gehen davon aus, dass Industrie 4.0 nicht nur die Abläufe in den Fabriken verändert, sondern komplette Geschäftsmodelle.
Doch damit sich solche Ansätze realisieren lassen, ist eine standardisierte Kommunikation zwischen den Komponenten einer vernetzen Produktionsumgebung erforderlich. Dazu zählen neben den Maschinen auch Edge Devices, die nahe am "Shop Floor" platziert sind. Außerdem müssen IT-Systeme und Anwendungen mit einbezogen werden, etwa eine ERP-Software (Enterprise Resource Planning) oder Lösungen, die für die Analyse von Maschinendaten zuständig sind. Eine wichtige Rolle spielen Cloud-Plattformen. Sie stellen nicht nur Business-Anwendungen wie ERP bereit, sondern auch digitale Services der Hersteller von Sensoren, Aktoren und Werkzeugmaschinen.
Heterogenität als Herausforderung
Doch diese Vielfalt hat ihre Schattenseiten. So nutzen OEMs und Anbieter von Maschinen und Anlagen unterschiedliche Cloud-Plattformen. Neben etablierten Cloud-Computing-Anbietern wie etwa AWS, Microsoft und Fujitsu können Unternehmen die Cloud-Lösungen von Automatisierungs- und IIoT-Spezialisten (Industrial Internet of Things) nutzen. Hinzu kommt, dass in einem Fertigungsunternehmen meist Gateways und Maschinen unterschiedlicher Hersteller im Einsatz sind. Das erschwert das Zusammenspiel der Komponenten und das Datenmanagement.
Eine durchgängige "Ende-zu-Ende"-Digitalisierung auf der Fertigungsebene ist meist nicht vorhanden. Vielmehr entstehen komplexe Multi-Cloud-Umgebungen – mit proprietären Datenformaten, Anwendungen und Transportprotokollen. Diese Heterogenität erschwert es, eine Smart Factory aufzubauen und Services wie Predictive Maintenance und Condition Monitoring (Zustandsüberwachung) zu nutzen.
Die Lösung: Standards
Einen Ausweg eröffnen zwei Spezifikationen: Die OPC UA (Open Platform Communications Unified Architecture) und die DIN SPEC 92222 Reference Architecture for Industrial Cloud Federation.
Die OPC UA ist ein Standard, der OT-Entitäten (Operational Technology) beschreibt. Er besteht aus einer serviceorientierten Architektur (SOA) und Informationsmodellen, die ein System und dessen Fähigkeiten definieren. Dies können eine speicherprogrammierbare Steuerung (SPS) oder ein Sensor sein, aber auch eine Produktionsmaschine oder ein Roboter. Für jede Komponente sind in dem Modell Statusvariablen hinterlegt, außerdem Daten zu allen zulässigen Verfahren und Protokolle, über die auf diese Systeme zugegriffen werden kann.
Ein Vorteil ist, dass sich mithilfe von OPC UA komplexe Informationsmodelle austauschen lassen. Das gilt für Instanzen, aber auch für Meta-Daten (semantische Ebene). Dadurch wiederum können OPC-UA-Komponenten mit Software-Instanzen in einer Cloud kommunizieren, etwa einer Anwendung, die den Zustand einer Maschine überwacht oder eine Machine-Learning-Applikation.
Möglich ist dies, weil das OPC-UA-Modell nur festlegt, wie Clients auf Daten und Methoden auf dem OPC-UA-Server zugreifen. Auf welche Weise der Server diese Daten und Methoden organisiert, ist nicht vorgegeben. Ein Modell kann herstellerspezifische Elemente enthalten. Im Rahmen des OPC-UA-Modells abgerufene Informationen können zur Weiterverarbeitung in einem Edge Gateway gespeichert werden, aber auch in einer zentralen Datenbank oder auf Systemen in einem (Cloud-)Rechenzentrum. Das heißt, es steht ein hoch flexibler Ansatz zur Verfügung.
Seit 2018 stehen für OPC UA so genannte Companion Specifications zur Verfügung, die erste für den Bereich Robotics. Dadurch lassen sich Daten von Robotern einheitlich darstellen, unabhängig vom Hersteller und vom Einsatzstandort eines Systems. Eine vergleichbare Spezifikation steht für Bildanalyse-Systeme zur Verfügung. Bis 2020 sollen für alle relevanten Maschinen und Systeme in der Industrie solche Standards vorliegen. Ein weiterer Trend: In diesen Companion Specifications lassen sich künftig Services hinterlegen. Das macht es für Dienstleister einfacher, einem Fertigungsunternehmen digitale Zusatzservices anzubieten – etwa über Cloud-Plattformen.
Kommunikation mit der DIN SPEC 92222 Reference Architecture for Industrial Cloud Federation
Der zweite Baustein ist eine Referenzarchitektur für die industrielle "Cloud Federation". Die Grundlage bildet die DIN SPEC 92222. Das Ziel ist, eine durchgängige Kommunikation in Industrieumgebungen zu ermöglichen – von der Maschine über Feldgeräte und Edge Devices bis zu Cloud-Applikationen unterschiedlicher Anbieter. Die Spezifikation hat zu diesem Zweck Übertragungsprotokolle und Schnittstellen definiert, über die Maschinen und Edge-Systeme mit der hauseigenen Cloud-Umgebung eines Unternehmens kommunizieren, aber auch mit Cloud-Systemen externer Anbieter. Edge Devices sind Systeme, die auf der Ebene oberhalb von Sensoren, SPS-Systemen und Linienrechnern agieren. Edge-Systeme wie etwa Intelliedge von Fujitsu erfassen in einem Industrial Internet of Things (IIoT) Daten, die solche "Dinge" bereitstellen, also Sensoren; Aktoren und, SPS, verarbeiten diese Informationen und leiten sie weiter.
Die Referenzarchitektur bricht somit "Cloud-Silos" auf, die sich im Industrie-Umfeld herausgebildet haben und die im Rahmen einer Industrie-4.0-Strategie beseitigt werden müssen. Fertigungsunternehmen können daher dank der DIN SPEC 92222 nach Bedarf Cloud-Dienste unterschiedlicher Anbieter einsetzen. Ein Beispiel sind IoT-Services, die Fujitsu über seine Cloud-Plattform bereitstellt, eine weitere Cloud-Speicherressource für die großen Datenbestände, die eine Smart Factory erzeugt. Diese lassen sich in Data Lakes speichern.
Zudem können Industrieunternehmen dank der DIN SPEC 92222 Big-Data & Analytics-Dienste und KI-Anwendungen von einem oder mehreren Cloud Service Providern beziehen. Eine solche Multi-Cloud-Strategie steht derzeit bei vielen Unternehmen auf der Agenda, etwa um die Verfügbarkeit und Ausfallsicherheit von wichtigen Cloud-Diensten zu optimieren. Insgesamt ist davon auszugehen, dass durch die Anwendung dieser Standards viele Analytics-Anwendungsfälle wesentlich bessere ROIs erzielen können beziehungsweise in Zukunft überhaupt erst wirtschaftlich werden.
Kurze Reaktionszeiten gefordert
Allerdings können Cloud-Services nicht alle Aufgaben im Bereich Smart Factory übernehmen. Das gilt vor allem für Anwendungsfälle, die kurze Reaktionszeiten erfordern. Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Hersteller von Premium-Gehäusen für IT-Systeme will die Qualitätskontrolle flexibler und produktiver gestalten. Die Fachkräfte, die bislang eine manuelle Überprüfung der Komponenten durchführten, sollen Unterstützung durch ein Bildanalysesystem erhalten.
Nach Erfahrungswerten von Fujitsu kann die Übermittlung der Bilddaten in ein zentrales Unternehmensrechenzentrum oder ein Cloud-Datacenter und die Bearbeitung der Informationen dort zwei bis drei Sekunden dauern. Das ist zu lang, um spürbare Effizienzgewinne zu erzielen. Eine Lösung sind Edge Devices, die auf dem Shop Floor implementiert werden – nahe an Maschinen und Qualitätssicherungssystemen. Sie übernehmen die Aufgabe, die Bilddaten zu erfassen und auszuwerten. Dafür benötigen sie einen Bruchteil der Zeit, die eine Applikation in einem Cloud-Rechenzentrum benötigen würde, die über WAN-Strecken (Wide Area Network) bereitgestellt wird. Der Transport über ein Corporate WAN ist ein Faktor, der die Antwortzeiten erhöht.
KI-Anwendungen und ältere Maschinen anbinden
Ein weiterer Vorteil von Edge-Systemen, wie etwa dem Fujitsu Intelliedge A700, besteht darin, dass sie als Plattformen für neuartige Anwendungen dienen können, etwa aus den Bereichen KI- und Machine Learning. Solche Anwendungen lassen sich in "Application Sandboxes" implementieren, also in virtuellen Maschinen (VM). Dadurch arbeiten sie unabhängig und sicher getrennt von anderen Applikationen.
Edge Devices sind zudem aus einem weiteren Grund unverzichtbar: In Verbindung mit OPC UA können sie ältere Maschinen "Industrie-4.0-tauglich" machen. Dies wiederum ist wichtig, weil ein Großteil der Maschinen in der deutschen Industrie etwa 20 bis 30 Jahre lang eingesetzt wird. Daher ist es nicht verwunderlich, dass nach Angaben des Digitalverbandes Bitkom nur ein Viertel der Maschinen in deutschen Industriebetrieb "smart" ist. Edge-Systeme wie Fujitsu Intelliedge sind daher unverzichtbar, um den gesamten Maschinenpark für die Smart Factory und industrielle Cloud-Services fit zu machen.
Blick in die Praxis: Demonstrator auf der Hannover Messe
Fachleute können sich auf der Hannover Messe 2019 selbst ein Bild davon machen, wie das Zusammenspiel zwischen Maschinen, Edge-Systemen, zentralen IT-Infrastrukturen und Cloud-Services in der Praxis funktioniert. Fujitsu zeigt auf der Messe zusammen mit Partnern die Implementierung einer solchen Edge-/Cloud-Infrastruktur. Die Grundlagen bilden die Standards DIN SPEC 92222 und OPC UA. Fujitsu stellt im Rahmen des Demoprojekts zudem Edge-Devices und Remote-Services zur Verfügung.
Gezeigt wird, wie die Systeme und Cloud-Umgebungen unterschiedlicher Anbieter mithilfe von DIN SPEC 92222 zusammenspielen:
- Edge-Systeme, die eine OEM Supplier Cloud nutzen, etwa von Microsoft;
- Remote-Services, die über die Cloud-Plattformen von Systemlieferanten bereitgestellt werden. Im Rahmen der Demonstration auf der Hannover Messe 2019 sind dies neben Fujitsu die Unternehmen Festo, Harting, Kuka und Wittenstein, außerdem Cedalo, Device Insight und Expleo.
Anlaufpunkt für Interessenten ist der Messestand von Fujitsu: in Halle 7 / Stand E 16.
Demonstrator in der Lernfabrik in Augsburg
Auch nach Abschluss der Hannover Messe 2019 besteht die Möglichkeit, die Funktionsweise des Demonstrators live zu erleben. Das Projekt ist dann in der Lernfabrik für vernetzte Produktion (LVP) in Augsburg zu sehen. Das LVP ist ein Demonstrations- und Trainingszentrum für cyberphysische Produktionssysteme. Dort werden innovative Industrie-4.0-Lösungen und ihre Einsatzpotenziale gezeigt und "erlebbar" gemacht.
Die Lernfabrik arbeitet eng mit Organisationen wie dem LNI 4.0 (Labs Network Industrie 4.0) zusammen. Dieser Verein unterstützt mittelständische Unternehmen bei der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten. Ein weiterer Partner ist die Plattform Industrie 4.0. Sie vereint Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften und Verbänden, um die vierte industrielle Revolution in Deutschland erfolgreich zu gestalten.
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