Ein transformativer Wachwechsel Nicht das erste Rodeo: Stühlerücken bei HPE

Von Anna Kobylinska und Filipe Martins* |

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In der HPE-Konzernzentrale kommt man sich vor wie auf einem Hauptbahnhof während der Stoßzeiten – das hat noch nicht mal mit der geräumigen Lobby etwas zu tun, sondern mit dem hektischen Kommen und Gehen der Führungskräfte. Passend zum Getümmel hat HPE jetzt Anfang November sein fünf Jahre altes „Proiant“-Portfolio in der Generation 11 aufgefrischt.

Das neue HPE-Hauptquartier in Spring, Texas, ist einen Katzensprung von der Metropole Houston entfernt.
Das neue HPE-Hauptquartier in Spring, Texas, ist einen Katzensprung von der Metropole Houston entfernt.
(Bild: HPE)

Mit HPE Proliant Gen11 geht das Versprechen eines Rundumglücklich-Angebots „as-a-Service“ nach rund drei Jahren endlich in Erfüllung. Einen ersten Vorgeschmack darauf bekamen die Nutzer mit der Cloud-optimierten Serverplattform „ProlLiant Gen11 RL300“ auf der Basis der ARM-Architektur, mit der HPE im Juni 2022 in Las Vegas in die Offensive ging.

Das Fazit des Autorenduos

HPE ist kein Platz, um sich auszuruhen. Das Unternehmen bietet seinen Mitarbeitern zwar sehr viele Möglichkeiten, aber andererseits kann es auch sehr anspruchsvoll und fordernd sein. Und so dreht sich das Personalkarussell bei HPE vielleicht auch schneller als anderswo.

Der Weg für HPE Greenlake zu einer erfolgreichen Enterprise-Cloud ist noch ziemlich weit.

HPEs Vormarsch in das „cloudifizierte“ Rechenzentrum

Im Proliant Gen11 RL300 setzte HPE auf eine Cloud-native ARM-CPU von Ampere Computing. Das besondere Highlight der Architektur ist die Unterstützung für „OpenBMC“, einen Firmware-Stack für den BMC-Chip. Diese Technologie ermöglicht die Verwaltung der Proliant-Hardware mit Tools, die bei Cloud-Anbietern und Hyperscalern im Einsatz sind, auf der niedrigsten Ebene. (Der Baseboard Management Controller ist ein spezialisierter Serviceprozessor auf der Hauptplatine, der den physischen Zustand von Hardware-Komponenten mithilfe von Sensoren überwacht und aus der Ferne steuern kann; er ist Teil der IPMI-Schnittstelle).

Ein Blick auf „HPE Proliant rl300 Gen11“, eine Cloud-native, Hyperscale-freundliche Server-Architektur.
Ein Blick auf „HPE Proliant rl300 Gen11“, eine Cloud-native, Hyperscale-freundliche Server-Architektur.
(Bild: HPE)

Das Proliant-Portfolio von HPE umfasst Compute, Sicherheit, Betrieb, Cloud und Workload-Optimierung und soll eine „intuitive Cloud-Erfahrung, sichere und vertrauenswürdige Compute-Umgebungen, und arbeitslastenoptimierte Plattformen“ in greifbare Nähe rücken lassen.

Das Kerngeschäft von HPE stottert – zwar im Gleichschritt mit den Versorgungskletten, aber immerhin. Der Umsatz im Geschäftsbereich „Compute“ (Hardware) fiel etwas gegenüber dem Vorjahr. Die Aktie hat in diesem Jahr bereits rund ein Fünftel an Wert verloren – doch zum Teil tatsächlich unverschuldet: Allein der Wegfall von Russland als Absatzmarkt kommt HPE mit 1 Milliarde Dollar teuer zu stehen. Mehr als die Hälfte der Aktien halten institutionelle Anleger.

Die HPE-Transformation von dem hardwaregetriebenen Geschäftsmodell zu einem Service-zentrischen Modell rund um „HPE Greenlake“ kann für die Investoren nicht schnell genug über die Bühne gehen. Das Price-to-Earnings (PE) Ratio liegt mit mageren 5,15 (also knapp über 5) deutlich niedriger als bei IT-Unternehmen vergleichbarer Größe. Üblich sind zweistellige PE-Werte. Cisco hat beispielsweise 15,80 (dreimal so viel) und IBM hat mit 22,72 sogar viermal so viel.

HPC und KI vor dem Aufbruch zu Exascale

Das Geschäft von HPE mit High-Performance-Computing (HPC) und künstlicher Intelligenz (KI) wuchs im Gegensatz dazu im dritten Quartal 2022 um beeindruckende 12 Prozent. Aber die 830 Millionen Dollar sind für ein IT-Unternehmen dieser Größe ein Tropfen auf den heißen Stein.

Trish Damkroger (@trish_damkroger) bei der Aufzeichnung einer Präsentation über HPC für Intel am 27. April 2021. Rund ein Jahr später trat sie HPE als Chief Product Officer for HPC and AI bei.
Trish Damkroger (@trish_damkroger) bei der Aufzeichnung einer Präsentation über HPC für Intel am 27. April 2021. Rund ein Jahr später trat sie HPE als Chief Product Officer for HPC and AI bei.
(Bild: Trish Damkroger via Twitter)

Um die Chance beim Schopf zu packen, hat HPE den Personalbestand aufgestockt. Im April 2022 wechselte Trish Damkroger, eine leitende HPC-Führungskraft von Intel, zu HPE. Hier entwickelt sie die Exascale-Strategie von HPE als Chief Product Officer der HPC & AI Organization (siehe Artikel „Die Exascale-Hürde ist genommen; schon sind neue Rekorde in Sicht“).

Bei Intel hat Damkroger die Zusammenarbeit mit dem Argonne National Laboratory des US-Energieministeriums in die Wege geleitet. Künftige Generationen von HPC- und KI-Architekturen, die HPE in Partnerschaft mit Intel für den Exascale-Supercomputer „Aurora“ auf der Basis der Architektur „Cray EX“ von HPE entwickelt, gehen eben auf diese Bemühungen zurück.

Vor ihrer Tätigkeit bei Intel war Damkroger stellvertretende Direktorin für Berechnungen am Lawrence Livermore National Laboratory, wo sie eine Gruppe von mehr als tausend Supercomputing-Ingenieuren und Wissenschaftlern leitete.

Im Oktober 2022 hat HPE den langjährigen HPC-Branchenveteran mit SGI-Expertise Bill Mannel zum Chief Technologist für HPC & AI Solution Sales für Nord- und Südamerika ernannt. Zahlreiche weitere Stellen bei HPEs Sparte „HPC and AI Labs“ sind aktuell ausgeschrieben.

HPEs jahrelange Kunden wissen neuerdings nie, wo sie dran sind. Seit dem Umzug von HPE aus Kalifornien nach Texas im Frühjahr des Jahres 2022 müssen sie scheinbar ein Rodeo nach dem anderen ausreiten.

Nicht das erste Rodeo

Erfolgreiche Akquisitionen hat HPE ja sehr viele hinter sich, von SGI, über Simplivity, Nimble Storage, Cray, Cloud Cruiser bis hin zu Aruba Networks (siehe dazu auch den Artikel: „Aruba Networks für verteilte Datacenter“) und darüber hinaus. Sie fügen sich alle mehr oder weniger ordentlich in das HPE-Portfolio, jeweils nach der einen oder anderen Runde Stühlerücken.

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„Cloud Cruiser“ erweitert Greenlake um die Funktionalität für nutzungsabhängige Abrechnungsmodelle. Mit der Integration von Aruba Networks kann HPEs Greenlake auf rund 65.000 Kunden verweisen. Das Unternehmen strebt in diesem Jahr einen wiederkehrenden Jahresumsatz in Höhe von fast 1 Milliarde Dollar bei einem Gesamtvertragswert von 7,7 Milliarden Dollar an. Greenlake soll aktuell mehr als 120.000 Nutzer und mehr als zwei Millionen vernetzter Geräte bedienen.

„Größe ist wichtig“, bestätigt HPEs Geschäftsführe Antonio Neri. HPEs Cloud soll bereits „mehr als ein Exabyte an Kundendaten“ verwalten und rühmt sich einer Kundenerhaltungsrate in Höhe von 96 Prozent. Diese Metrik dürfte für das avisierte Wachstum eine Voraussetzung sein.

Die Greenlake-Rolle

HPE plant, im neuen Geschäftsjahr die Investitionen in Greenlake um etwa 27 Prozent zu erhöhen, enthüllte HPE-Finanzvorstand Tarek Robbiati. Der jährliche wiederkehrende Umsatz von Greenlake dürfte zwischen dem Geschäftsjahr 2022 und dem Geschäftsjahr 2025 mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 35 bis 45 Prozent steigen.

Um dieses Wachstum zu ermöglichen, hat HPE in März 2022 Mac Avancena angeheuert. Als Greenlake VP berichtet er an Alexia Clements, HPEs Vice President of Worldwide Sales and Go To Market für die HPE Greenlake Cloud Services.

In seiner vorherigen Position als CIO der kalifornischen Gemeinde Kern County, dem drittgrößten Bezirk im Goldenen Bundesstaat, hatte sich Avancena für Effizienz stark gemacht und einen rekordverdächtigen Auftrag um die On-Premises-Implementierung von Greenlake Cloud-Diensten beauftragt.

Dank der Greenlake-Implementierung konnte die Gemeinde erhebliche Kosteneinsparungen und Produktivitätsvorteile realisieren. Der mehrere Millionen Dollar teure Greenlake-Vertrag soll die Kosten für Datenspeicher über die Laufzeit von vier Jahren insgesamt um satte 42 Prozent gesenkt haben mit einer gleichzeitig um 63 Prozent höheren Kapazität. Zuvor musste die Gemeinde für die steigenden Speicherkosten jährlich 40 Prozent mehr Budget einplanen.

Der Wechsel zu HPE bescherte Avancena auf Linkedin eine Welle von „High Fives“. Erfreut zeigte sich unter anderem Dan Molina, Co-Präsident und Chief Technology Officer von Nth Generation Systems aus dem kalifornischen San Diego, einem Platinum-Partner von HPE. Gemeinsam hatten sie den schicksalhaften Greenlake-Deal für Kern County unter Dach und Fach gebracht, eine Machbarkeitsstudie für andere erfolgreiche Greenlake-Implementierungen seither.

Mit Avancena hat HPE einen echten Greenake-Verfechter zum VP ernannt, dem die Vorzüge und Schwächen der Plattform bereits bekannt sind. Auch die Integration der Netzwerktechnologie der HPE-Tochter Aruba dürfte Greenlake weiter stärken.

Mit der Akquisition der Cloud-nativen Netzwerkspezialistin Aruba Networks im März 2015 (siehe dazu den Bericht „Aruba Networks für verteilte Datacenter“) kam der Mitgründer, Präsident und Geschäftsführer des Unternehmens, Keerti Melkote, zu HPE – doch nicht für lange. Nach 19 Jahren bei Aruba trat er am 1. Juni 2021 zurück, blieb jedoch dem Mutterhaus HPE bis Jahresende 2021 in einer Beraterrolle erhalten und hat es vermutlich auf die vollen 20 Jahre gebracht.

HPEs CEO Antonio Neri selbst kann auf eine Bilderbuchkarriere zurückblicken, die knapp drei Jahrzehnte allein bei HPE umspannt. Er stieg im Jahre 1995 bei Hewlett-Packard in Amsterdam als ein Call-Center-Mitarbeiter ein.

Die Aufgaben von Melkote als Präsident der Intelligent Edge-Sparte von Aruba hat Phil Mottram übernommen, ein Veteran der Telekommunikationsbranche. Seine Sporen hatte er sich bei Vodafone, AT&T, Sprint, British Telecom und Telstra verdient. Zwei Jahre bevor er zu HPE wechselte, war Mottram Chief Revenue Officer bei der Zayo Group, einem Anbieter von unternehmenskritischen Glasfaserbandbreiten.

Diese Erfahrungen haben Mottram ermöglicht, die Communications Technology Group von HPE auf die Beine zu stellen und sie als Senior Vice President zu leiten. Seine aktuelle Aufgabe besteht jetzt unter anderem darin, Telkos für die 5G-Konnektivität von Aruba und den Open RAN-Stack (Radio Access Network) von HPE Greenlake zu gewinnen.

Der Abgang von Melkote hat in der technischen Vision von HPE dennoch eine Lücke hinterlassen.

Auftragsstau

Im Bereich Compute sei die Nachfrage „robust“, freute sich Tarek Robbiati, Chief Financial Officer von HPE beim Verkünden der Ergebnisse zum Abschluss des dritten Quartals Ende August 2022. Der Auftragsstau sei sequenziell auf einen weiteren Rekordwert herangewachsen und würde das gewöhnliche Niveau „um das Fünffache“ überschreiten.

Nur bedeutet dies im Zeitalter stotternder Versorgungsketten noch lange keinen Vorteil. Immerhin besteht jeder Server aus mehreren Tausend einzelnen Komponenten, deren Fertigung HPE nicht selbst kontrolliert. Verträge zu Vorzugskonditionen sind eine gute Sache, aber Papier ist geduldig.

HPE hat sein Portfolio Cloud-nativ transformiert.
HPE hat sein Portfolio Cloud-nativ transformiert.
(Bild: HPE)

Im September des vergangenen Jahres hat HPE die ehemalige Geschäftsführerin von VMware, Fidelma Russo, als CTO berufen. Dank ihrer „tiefgreifenden Erfahrung in den Bereichen Cloud-Services, Software und Infrastruktur" sei sie eben die richtige Person, um Innovationen voranzutreiben, während sich HPE in ein Cloud-Service-Unternehmen verwandelt.

Fidelma Russo, ehemalige Geschäftsführerin von VMware, ist CTO bei HPE.
Fidelma Russo, ehemalige Geschäftsführerin von VMware, ist CTO bei HPE.
(Bild: HPE)

Guten Nachrichten möchte man ja nicht zuletzt zu der nötigen Reichweite verhelfen. Mit Laura J. Keller hat HPE seit Januar 2022 eine neue Senior-Direktorin für Corporate & Financial Communications. Zu ihren Aufgaben gehört unter anderem auch, unternehmensweit als Gleichstellungsbeauftragte für Fairness am Arbeitsplatz zu sorgen.

Immer noch grün, aber nicht mehr nass hinter den Ohren

HPE möchte Greenlake als die Enterprise-Cloud positionieren und den drei Public-Cloud-Hyperscalern Amazon AWS, Microsoft Azure und Google mit GPC ein Schnippchen schlagen. Anwärter gibt es aber zuhauf. Oracle versucht sich dort schon länger, mehr oder weniger erfolglos. IBM ist ebenfalls ganz vorne mit dabei; nach der Ausgliederung der Kyndryl-Sparte als Managed Infrastructure Services Spin-offs flinker als zuvor.

Oracle und IBM haben zumindest eigene Hardware. Die Rechnung geht offenbar nicht so leicht auf, wenn sämtliche Technik extern eingekauft wird. Oracle kann auf die hauseigene Sparc-Chip-Technologie setzen (an sich ist die Idee nicht schlecht, doch hapert es bei der Umsetzung).

Seit sich IBM zuletzt von seiner Serversparte zugunsten von Lenovo getrennt hatte, hält der Blaue Riese seitdem zumindest an der hauseigenen „Power“-Chiptechnologie und seinen Quanten-Chips fest. Fehlende Cloud-Expertise hat das Unternehmen aber immerhin mit der erfolgreichen Akquisition von Red Hat aus dem Hut gezaubert.

Auf dem Karussell – eigentlich Rodeo – geht es auch bei HPE auf und ab. Und so ist Ed Ellett, zuvor VP & GM des Photonics Business bei HPE, seit 2022 für Dell Technologies tätig. Selbst die HR-Abteilung von HPE blieb vom Leistungsdruck nicht verschont. Val Rupp verließ das Unternehmen für die Online-Handelsplattform Fabric. Tesla hat von HPE einen Justiziar abgeworben.

*Das Autorenduo Anna Kobylinska und Filipe Pereia Martins arbeitet für McKinley Denali Inc. (USA).

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