Neuorientierung bei IBM Power aus?
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Was IBM neulich so im Sinne hat, raubt manchem Anwender den Schlaf. Der CEO Arvind Krishna stellt die Weichen auf KI-Containerisierung und segelt ins Ungewisse.

An die vielen Richtungswechsel bei Big Blue haben sich Branchenbeobachter beinahe schon gewöhnt. Mit dem neuen CEO, Arvind Krishna, stehen auch schon wieder Entlassungen in unbekanntem Umfang auf dem Programm. IBMs rund 352.600 starke Belegschaft sitzt wie auf heißen Kohlen.
„Während all die Cloud-Anbieter neue Stellen [um die Wette] ausschreiben, entlässt IBM einfach darauf los,“ wundert sich Ivan Feinseth, Chief Strategist, Tigress Financial Intelligence und CIO bei Tigress Financial Partners.
Blau gemacht?
IBM hat (vorerst noch) eine grundsolide Bilanz mit 153,4 Milliarden Dollar an Vermögenswerten und 133,3 Milliarden Dollar an Verbindlichkeiten vorzuweisen. Doch der Umsatz schrumpft, zuletzt um 3,1 Prozent im Jahr 2019 – Grund genug für eine neue Kurskorrektur. Doch je größer das Schiff, umso aufwändiger die Aufgabe.
IBMs Neuorientierung liegt in den Händen von Arvind Krishna, einem erfahrenen Branchenveteran, der zuletzt in der Cloud- und kognitiven Sparte des Unternehmens mit der Übernahme von Red Hat die Weichen auf Wachstumskurs stelle. Zuvor soll Krishna zur Entwicklung drahtloser Konnektivität beigetragen und IBMs Cyber-Sicherheitsgeschäft gegründet haben. Als General Manager der Entwicklungs- und Fertigungsorganisation der IBM Systems and Technology Group leitete er die Strategie des Konzerns für datenzentrische Systeme und förderte die industrieweite Akzeptanz offener und gemeinsamer Technologiestandards.
Unter seiner Leitung legte das Information Management-Geschäft von IBM in knapp dreieinhalb Jahren (zwischen August 2009 und Dezember 2012) um 50 Prozent zu.
Kein Power in der Cloud
Alte Liebe rostet nicht und doch scheint es, als ob Krishna keine Hemmungen hätte, alte Zöpfe gnadenlos abzuschneiden. Der Support für „IBM Cloud Virtual Servers“ für „VPC on Power“ endet am 22. August 2020, gab IBM am 2. Juni bekannt. Der Cloud-Betreiber möchte zum Stichtag alle noch laufenden Instanzen auf der Power-Plattform nicht „nur“ herunterfahren, sondern zwangsweise löschen.
„Wir leiten unsere Bemühungen um IBM Cloud Virtual Server für VPC on Power auf das bestehende Angebot für IBM Power Systems Virtual Server um“, hieß es in einer Mitteilung. Der Letztere der beiden Dienste soll seit seiner Markteinführung vor rund einem Jahr im Juni 2019 „eine erhebliche Nachfrage“ verzeichnet haben.
Im Rahmen von IBM Power Systems Virtual Servers können Unternehmen die Betriebssysteme „AIX“, „IBM i“ und (über das BYOL-Modell) das nun hauseigene „Red Hat Enterprise Linux„ sowie „Suse Linux Enterprise Server“ einspannen (zur Transformation bei Suse siehe auch den Bericht „SUSECON Digital 2020. Simplify, Modernize, Accelerate“). IBMs Power Virtual Servers können über den Direct Link-Dienst auf IBM Cloud-Ressourcen zugreifen.
Umgewidmet
IBM positioniert „Power9“ als eine Lösung für kognitives Computing. Das Unternehmen möchte das Power-System „AC922“, eine Training-optimierte Ausführung der Plattform für Datenanalyse, KI- und HPC-Workloads, für die lokale Bereitstellung in Client-Rechenzentren weiterhin anbieten sowie über Partnerunternehmen wie Cirrascale und Nimbix an Kunden vermieten.
Die Power-Systems-Plattform hatte 2018, nach einer mehrjährigen Flaute, Rekordergebnisse eingefahren. Laut Analysten von IDC hat IBM im laufenden Jahr 2020 ein ebenfalls rekordverdächtigtes Wachstum in Höhe von satten 16,3 Prozent vorzuweisen – wohlgemerkt in einem Markt, der insgesamt um 0,2 Prozent schrumpfte.
Im gleichen Zeitraum musste sich der Umsatz- und stückzahlenstärkste Server-Anbieter Dell mit einem 13-prozentigen Rückgang abfinden und HPE/H3C gar eine 18,7-prozentige Schrumpfkur hinnehmen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren schaffte es der Blaue Riese unter die ersten fünf größten Server-Anbieter, nicht zuletzt dank der Rückendeckung seiner beiden chinesischen Partner Inspur und Lenovo, die ebenfalls auf die Power-Architektur setzen.
Das Schicksal der Power-Plattform könnte dennoch bald besiegelt sein.
Power aus?
IBMs Ausstieg aus dem Hardwaregeschäft zieht sich wie ein Kaugummi. Im ersten Schritt ging IBMs damals immer noch profitable PC-Sparte für 1,75 Milliarden Dollar im Jahre 2004 an die im Westen noch völlig unbekannte chinesische Lenovo. Die Entscheidung stieß intern auf erbitterte Kritik. Als Begründung nannte die IBM-Chefetage die Notwendigkeit, sich auf die Enterprise-Kunden besser einzustellen.
Gut ein Jahrzehnt später, im September 2014, ging IBMs x86-Server-Abteilung für 2,1 Milliarden Dollar unter den Hammer und gesellte sich zur PC-Sparte im Hause Lenovo. Nach dem Verkauf der PC- und x86-Server-Sparte an Lenovo musste IBMs Power-Technologie auf Biegen und Brechen Gewinne einfahren. Zu jenem Zeitpunkt war IBM nicht mehr in der Lage, mit seinen Erzrivalen Dell und HP Schritt zu halten. In der Zwischenzeit wurde Dell zu Dell/EMC und HP morphte im Enterprise-Markt zu HPE.
Den Ausstieg aus der Produktion von Hardware hat unter den Big Playern nur IBM gewählt. Sogar der Softwareriese Oracle hatte sich mit dem Aufkauf von Sun Microsystems neben „MySQL“ und „Java“ auch die Sparc-Server-Technologie zugelegt und damit eine eigene Hardwareplattform erworben. Diese Expertise ebnete Oracle wiederum den Weg zur eigenen Cloud.
Zwar besetzt IBM mit „Summit“ (2018) und „Pangea III“ (2019) zwei begehrte Plätze auf der Liste der zehn schnellsten Supercomputer der Welt, aber durchknallender kommerzieller Erfolg blieb bisher aus.
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Die drei Platzhirsche der Public-Cloud-Szene, Amazon mit „AWS“, Google mit der „Google Cloud“ und Microsoft mit „Azure“, können eigene Server-Hardware und Hyperscale-Expertise in globalen Dimensionen vorweisen. IBM ist zwar zum Teil in gleichen Märkten unterwegs, aber leicht angeschlagen. Im vergangenen Jahr musste IBM einen Umsatzrückgang von 3,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 77,1 Milliarden Dollar gegenüber 79,6 Milliarden Dollar im Jahr 2018 hinnehmen.
Der Turnaround-Plan konzentriert sich auf den Ausbau von Diensten rund um künstliche Intelligenz und Cloud Computing. Zu diesem Zweck erwarb der Blaue Riese im Jahre 2019 Red Hat, und ist mit der Entscheidung bisher gut gefahren. Krishna war der Hauptarchitekt der Akquisition.
IBM ließ sich den Zuschlag für die Linux-Schmiede satte 34 Milliarden Dollar kosten. Zum Vergleich: Das Hybrid-Cloud-Geschäft von IBM ist 21 Milliarden Dollar schwer.
Die Integration von „Red Hat OpenShift“ in IBMs Portfolio schreitet seither in Siebenmeilenstiefeln voran. Bereits im Februar hat Red Hat die hauseigene Cloud-Plattform OpenShift im Rahmen des eigenen Entwickler-Ökosystems um Unterstützung der Integration mit „IBM Z“ und „Linux One“ erweitert.
Hut ab!
Die Akquisition von Red Hat durch IBM hat sich für den Konzern auch schon bereits in barer Münze niedergeschlagen. Im Ergebnisbericht für das erste Quartal 2020 stieg der Umsatz der Red-Hat-Sparte, nun als Teil der Abteilung für Cloud und kognitive Software von IBM, um satte 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr, Hut ab. Die Abteilung trumpft mit einer rekordverdächtigten Bruttomarge von 75,4 Prozent (gegenüber relativ respektablen 45,1 Prozent für ganz IBM) und konnte insgesamt um 5 Prozent an Umsatz zulegen.
Im selben Zeitraum ging der Gesamtumsatz des Konzerns um 3,4 Prozent zurück. Damit hat sich die Talfahrt bei IBM also de facto beschleunigt.
Kommt Zeit, kommt Rat
Krishna verfolgt eine Vision, die er mit dem Leitspruch „Cloud überall, KI wo auch immer“ auf den Punkt bringt (Engl. „cloud everywhere, AI anywhere“). Sie soll IBMs kognitive Technologien unter dem Schirm des Watson-Markenzeichens mit allumfassender Cloud-Technologie verschmelzen. „Watson anywhere“ ließe sich aus seiner Sicht in einer containerisierten Bereitstellung in mehreren Clouds oder on-premises verwirklichen.
Ein zentrales Element Krishnas Vision bildet eine Container-Plattform mit einem Orchestrierer wie Kubernetes, der als eine Abstraktionsebene zwischen containerisierten Anwendungen der Watson-Ebene und der physischen Infrastruktur eines Datencenters oder einer Cloud für die Bereitstellung verantwortlich zeichnet.
Das andere Element der Gesamtvision von IBMs kognitives Computing mit Watson, aufgebrochen in die drei Grundelemente: „Watson Studio“, „Watson Machine Learning“ und „Watson Open Scale“. IBM möchte dieses Angebot um weitere Dienste erweitern.
Die primäre Infrastrukturplattform soll in der Anfangsphase Red-Hat-Container-Plattform OpenShift bilden, doch das ultimative Ziel bestünde darin, Watson in jeder Laufzeitumgebung bereitzustellen. Die rund acht Millionen Entwickler starke Red-Hat-Gemeinde soll IBM den Weg dahin ebnen. Zum Vergleich: An der Online-Veranstaltung „IBM Think Digital 2020“ Anfang Mai 2020 sollen über 90.000 Zuschauer teilgenommen haben.
In diesem Online-Event stellte IBM unter anderem „Watson AIOps“, eine KI-Lösung auf der Basis von Red Hat OpenShift zur Echtzeit-Diagnose von IT-Anomalien. Watson AIOps ist von Grund auf für hybride Bereitstellungen konzipiert worden. Wo auch immer die Software läuft, kann sie für IBM Gewinne einfahren.
Die „Privatisierung“ der Public Cloud
Ende Juni haben Red Hat und IBM eine Zusammenarbeit mit SAP angekündigt. Das Ziel der Initiative bestehe darin, SAPs gemanagte Services in On-Premises-Umgebungen via containerisierte Kubernetes-Cluster in Hyperscale bereitzustellen. Unternehmen sollen so die Möglichkeit bekommen, SAPs öffentliche Cloud-Plattform im eigenen Rechenzentrum auszuführen. Validierte private Bereitstellungen der „SAP Cloud Plattform“ sollen sich mit Hilfe unterstützender Dienste von Red Hat OpenShift in die übrige Unternehmens-IT reibungslos einbinden lassen.
„Die Integration des Open-Source-Projekts „Gardener“ von SAP und die neuen Virtualisierungsfunktionen von Red Hat OpenShift zählen zu den unverzichtbaren Komponenten, um eine reibungslose und skalierbare Bereitstellung vor Ort zu gewährleisten", sagt Chris Wright, CTO bei Red Hat.
Dank der OpenShift-Virtualisierung sollen Unternehmen die verwalteten Services von SAP „auf einer sichereren, dedizierten virtuellen Infrastruktur hosten“ und gleichzeitig „das Identitäts-Management und die Service-Erkennung von OpenShift“ verwenden, um „eine sauberere Integration in vorhandene Systeme zu erreichen“. Für Betriebsteams werden verwaltete Services so zu einem weiteren OpenShift-Workload, welcher mit Hilfe vertrauter Kubernetes-Primitive und -Tools implementiert, gewartet, provisioniert und konsistent überwacht werden könne, so Wright.
Die Vision befindet sich erst noch in frühen Stadien der Implementierung. In den Genuss der neuen Plattform kommen vorerst nur Hand verlesene „Early Adopters“. Die anderen Interessenten müssen sich in Geduld üben.
* Das Autorenduo Anna Kobylinska und Filipe Pereira Martins arbeitet für McKinley Denali Inc. (USA).
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