Interview mit dem Leiter der Abteilung CASE IT bei Daimler “Wir kennen die Vorteile von Open Source”
In jedem Mercedes steckt quelloffene Software - und zwar nicht zu knapp. Vlado Koljibabic, Leiter CASE IT bei Daimler, erklärt im Interview mit Torben Stephan*, warum er auf Open Source setzt.
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Ende März fand in Singapur der FOSSASIA Summit 2018 statt. Die Organisation entwickelt Open-Source-Software und -Hardware. Partner ihres diesjährigen Events war immerhin Daimler. Der deutsche Automobilkonzern schickte den Leiter der Innovationsabteilung CASE IT, der erstaunliches über Open Source bei Daimler zu berichten wusste.
Wofür genau steht CASE eigentlich?
Koljibabic: CASE steht für Connected, Autonomous, Shared & Services und Electric. Das umfasst im Grunde alle Felder, die wir als disruptiv ansehen. Die Themen sollen uns bei der Transformation vom Fahrzeug-Produzenten zum Mobilitätsdienstleister unterstützen. Wir brauchen diesen Wandel, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein.
Wie viel Open Source steckt denn eigentlich in einem aktuellen Mercedes?
Koljibabic: Wir nutzen FOSS schon seit vielen Jahren. In jedem Mercedes-Benz liegt eine CD, auf der die Lizenzen zu finden sind, die zu der Open Source Software in unseren Fahrzeugen gehören. Allein die Mercedes me App beinhaltet sieben OSS-Lizenzen, weil unsere Entwickler natürlich die Vorteile von Open Source kennen.
Welche wären das?
Koljibabic: Ich muss nicht alles neu erfinden: Nutze die Dinge sinnvoll wieder und trage dazu bei Standards zu entwickeln, die für mehr Effizienz im gesamten System sorgen.
Daimler ist Mitglied der Initiative „Automotive Grade Linux“, die von der Linux Foundation ins Leben gerufen wurde. Werden da nicht genau solche Standards definiert?
Koljibabic: Absolut. Wir haben auf der FOSSASIA mit der Community über die Möglichkeit gesprochen, offene Standards für Ladesäulen von Elektrofahrzeugen zu definieren. Es hätte aus meiner Sicht durchaus Vorteile so etwas gleich zu Beginn in eine Stiftung zu legen. Dadurch würde der Anstrich einer Parteilichkeit gar nicht erst auftauchen. Andererseits müssen wir als Unternehmen vielleicht auch noch etwas mehr Engagement ins Projekt einbringen, um nach außen deutlich zu machen: Wir machen da mit und meinen das auch ernst.
Worin sehen Sie generell den Vorteil von OSS gegenüber proprietärer Software?
Koljibabic: Konkret sehe ich zwei Dinge: Der Erfinder der Spieltheorie, John Nash, hat gezeigt, dass Zusammenarbeit in vielen Bereichen wirtschaftliche Vorteile für alle bringen kann. Das ist für mich ein ganz wichtiger Faktor für den Erfolg von Open Source. Eins und eins ergibt dann plötzlich drei. Das zweite ist, dass wir bei wiederkehrenden Prozessen – und Automobilbau hat viel mit wiederkehrenden Prozessen zu tun – auf bereits vorhandene Lösungen zurückgreifen können. Und wenn es keine bereits vorhandenen Lösungen gibt, können wir selbst diese Prozesse anstoßen und gestalten.
Wie wird das in anderen Bereichen bei Daimler aufgenommen?
Koljibabic: Das sind natürlich riesige Umwälzungen für unser Unternehmen, weshalb wir kontinuierlich Schritt für Schritt vorgehen. Im ersten Schritt überzeugen wir unsere internen Stakeholder von der Sinnhaftigkeit und dem Wertbeitrag. In den folgenden Schritten werden wir das Thema in konkreten Projekten weiter forcieren. Insgesamt ist der Prozess zur verstärkten Nutzung von OSS angestoßen und strategisch gewollt – Jan Brecht als CIO der Daimler AG steht hinter der Initiative und treibt das Thema maßgeblich.
In welchen Bereichen würden Sie auf gar keinen Fall Open Source einsetzen oder gar den eigenen Code veröffentlichen?
Koljibabic: Beispielsweise in Bereichen mit hoher Wettbewerbsrelevanz. So würde ich beim Thema Autonomes Fahren beispielsweise nicht als erstes auf Open Source setzen. Allerdings würde es mich wundern, wenn es in den nächsten Jahren nicht auch einen Open Source Baukasten in den Bereichen autonomes Fahren, Machine Learning und Artificial Intelligence geben wird, aus dem wir uns bedienen können. Das ist meines Erachtens schon jetzt absehbar.
Was gibt Daimler der Community zurück?
Koljibabic: Wir sind Mitglied in der Linux Foundation und Partner hier bei der FOSSASIA. Wenn die Frage aber in die Richtung geht: „Wo kann man Quellcode von euch sehen?“, dann muss ich aus heutiger Sicht sagen: Bisher haben wir noch keinen Quellcode im Rahmen von Open-Source-Projekten veröffentlicht. Doch wir sehen die Nachfrage der Community und arbeiten daran, auch diesen Baustein umzusetzen.
Anmerkung:
Das Interview ist zuvor erschienen auf seiner Website OpenSourciety.de und als Blogbeitrag für die Open Source Business Alliance.
* Torben Stephan arbeitet als freiberuflicher Journalist in Singapur und Berlin.
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