Fast so schnell wie ein Quantenrechner Fujitsu bringt den Akzelerator-Chip Digital Annealer 2018 heraus

Autor / Redakteur: Michael Matzer* / Ulrike Ostler |

Fujitsu will mit dem „Digital Annealer“ in der ersten Jahreshälfte 2018 einen Chip verfügbar machen, der nach dem Vorbild der Quantencomputer arbeitet. Die Software kommt von 1QBit Information Technologies. Die Verarbeitungsleistung des Akzelerators soll kombinatorische Optimierungsprobleme in Chemie, Energie-Erzeugung, Logistik und Vermögensverwaltung um ein Vielfaches schneller lösen als herkömmliche Prozessoren.

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Beim Quantum Annealing wird ein Quantentunneleffekt simuliert.
Beim Quantum Annealing wird ein Quantentunneleffekt simuliert.
(Bild: Fujitsu)

Beim dem Chip handelt es sich nicht um einen Quantencomputer, der nur in einem Kryostaten betrieben werden kann. Vielmehr nutzt der Akzelerator einen vom Quanten-Tunnel-Effekt inspirierten Simulationseffekt: das Annealing. Er nimmt quasi eine Abkürzung, um einen zusätzlichen Aufwand zu vermeiden.

Der Digital Annealing Unit Chip.
Der Digital Annealing Unit Chip.
(Bild: Fujitsu)

Das zu lösende Problem wie etwa eine Monte-Carlo-Simulation wird durch Parallelisierung aufgeteilt und in den einzelnen Threads weitgehend simultan bewertet. Dieser Vorgang wird in hoher Anzahl viele Male wiederholt. Gesucht wird das vorher nicht bekannte Optimum eines Wertefelds. Schon das Entfallen der Notwendigkeit einer Vorabprogrammierung liefert einen Leistungsvorteil.

Bei einer Kapazität von 1024 Bits und entsprechend voller Konnektivität (jedes Bit ist mit jedem anderen verbunden) lässt sich eine hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit erzielen. Die Software, die von 1QBit Information Technologies ((http://www.fujitsu.com/global/about/resources/news/press-releases/2017/0516-03.html )) gestellt wird, leitet die Ergebnisse des Algorithmus auf die jeweiligen grundlegenden Rechenmodelle der einzelnen Anwendungsfelder weiter: Logistik, Finanzen, Chemie, Medizin, Energieerzeugung. Die Rechenmodelle können beispielsweise die Ähnlichkeit von Graphen in einem Netzwerk berechnen.

Die Anwendungen

Eines der in der Statistik der kombinatorischen Optimierung beliebtesten Rechenmodelle ist das Problem des Handelsreisenden: Die Aufgabe besteht darin, eine Reihenfolge für den Besuch mehrerer Orte so zu wählen, dass die gesamte Reisestrecke des Handlungsreisenden möglichst kurz und die erste Station gleich der letzten Station ist.

Der Vertreter muss mehrere Faktoren einbeziehen, um die kombinatorische Optimierung seiner Route zu erreichen. „Die Reihenfolge ist wichtig“, so Joseph Reger, CTO von Fujitsu EMEA. Der Digital Annealer optimiere in einer Demo die Strecke von 32 Städten. Was auf den ersten Blick simpel klingt, umfasst allerdings eine immense Anzahl von Möglichkeiten. Nämlich eine Zahl mit 36 Stellen.

Optimaler Reiseweg eines Handlungsreisenden durch die 15 größten Städte Deutschlands. Die angegebene Route ist die kürzeste von 43.589.145.600 möglichen.
Optimaler Reiseweg eines Handlungsreisenden durch die 15 größten Städte Deutschlands. Die angegebene Route ist die kürzeste von 43.589.145.600 möglichen.
(Bild: gemeinfrei: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:TSP_Deutschland_3.png / CC0 )

Praktische Anwendungen dieses Problems „gibt es beispielsweise in der Tourenplanung, in der Logistik oder im Design von Mikrochips“, weiß die Wikipedia. „Noch häufiger tritt es allerdings als Unterproblem auf, wie zum Beispiel bei der Verteilung von Waren, bei der Planung von Touren eines Kunden- oder Pannendienstes oder bei der Genom-Sequenzierung.“ In der analytischen Disziplin „Operations Research“ werden etwa in der Logistik Ladekapazitäten und -verteilungen berechnet, um zugleich auch den Benzinbedarf für die nötige Strecke zu kalkulieren.

Mit dem Digital Annealer möchte Fujitsu beispielsweise die optimale Strahlendosis für die Behandlung von Krebstumoren bei individuellen Patienten errechnen. Auch die Optimierung von Molekülen in der Chemie sowie die Optimierung von Wertpapier-Portfolios im Finanzbereich sind naheliegende Aufgabengebiete eines Digital Annealers.

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Annealer versus Quanten: Vorteile hinsichtlich Preis/Leistung

Die Frage, die sich der Interessent als erstes stellt, lautet also: Welchen Vorteil hinsichtlich der Leistung und der Kosten bietet der Fujitsu-Akzelerator?

Erstens: Die Vorbereitungszeit fällt weg. Das beschleunigt den Einsatz je nach Komplexität des Problems um den Faktor 10 bis 100. Fujitsu Laboratories, die eng mit der Universität von Toronto zusammenarbeiten und dort ein Labor für die Software-Entwicklung betreiben, haben experimentell eruiert, dass das genaue Vergleichen ähnlicher Moleküle mit weniger als 50 Atomen beziehungsweise die exakte Optimierung eines Finanzportfolios von 500 Wertpapieren hinsichtlich der Dauer der Lösungsfindung signifikant beschleunigt werden konnte. Gegenüber herkömmlichen System-Konfigurationen ließ sich die nötige Berechnungsdauer von rund zwei Wochen auf weniger als einen Tag verkürzen.

Zweitens: Das System ist schneller, viel schneller. Fujitsu Laboratories hat das Problem des Handelsreisenden mit immerhin 32 Stationen erst von einem System auf „Intel Xeon-E5“-Basis (3,5 GHz Taktfrequenz), dann von einer Digital Annealer Unit (DAU) berechnen lassen. Das Intel-basierte System benötigte rund 8.000 Sekunden, das DAU-basierte System nicht einmal 0,5 Sekunden. Der Digital Annealer war also um den Faktor 17.000 schneller.

Drittens: Nun müssen nur noch die Kosten stimmen. Für einen Kryostaten benötigt man ein eigenes Labor, das gekühlt und magnetisch abgeschirmt werden muss. Zudem wird geschultes Personal benötigt – oder ein entsprechender Dienstleister wie D-Wave oder IBM. Im Vergleich dazu ist die Anwendung eines Digital Annealers denkbar einfach. Man steckt den Akzelerator auf eine entsprechend vorbereitete Hauptplatine und kann sofort loslegen.

Josep Reger, CTO von Fujitsu EMEA, bei der Präsentation des „Fujitsu Digital Annealer“ .
Josep Reger, CTO von Fujitsu EMEA, bei der Präsentation des „Fujitsu Digital Annealer“ .
(Bild: Fujitsu)

Relevanz für deutsche Firmen

„Auch deutsche Unis können den Chip künftig natürlich nutzen, aber derzeit denkt Fujitsu eher an einen Cloud-Service“, gibt Josep Reger Auskunft. Dass sie Software wie etwa Algorithmen entwickeln, sei kein Problem; denn als Zwischenschritt zwischen einem ihrer Algorithmen und Digital Annealer Software sei lediglich die Transformation auf ein verbreitetes Ising-Modell notwendig, wie es in der Mathematik gut bekannt sei. Allerdings habe 1QBit Information Technologies, an dem neben Fujitsu auch Accenture beteiligt sei, einen gewissen Vorsprung.

* Michael Matzer ist freie Autor und lebt in Stuttgart.

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