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Der Gegenentwurf zum traditionellen digitalen Paradigma Was ist ein Quantencomputer?

Von Jürgen Höfling Lesedauer: 7 min |

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Ist ein Quantencomputer mächtiger als ein traditioneller digitaler Höchstleistungsrechner? Im Prinzip ja, aber eigentlich ist er vor allem sehr anders.

Beim Quantencomputer sind die Nullen und Einsen etwas schräg.
Beim Quantencomputer sind die Nullen und Einsen etwas schräg.
(Bild: frei lizenziert: Gerd Altmann / Pixabay)

Anders als ein traditioneller Computer, der rechentechnisch auf diskreten Bitfolgen aus 0 und 1 aufbaut, rechnet ein Quantencomputer mit „grauen“ Bitwerten, sprich Zuständen, die sich irgendwo zwischen 0 und 1 befinden. Die Zustände werden dabei als Überlagerung (Superposition) aus zwei Basiswerten verstanden. Mathematisch wird ein solcher Quantenzustand mithilfe der so genannten Wellenfunktion beschrieben.

In der Praxis bedeutet das, dass im „Rechenwerk“ eines Quantencomputers viele Rechenwege gleichzeitig durchlaufen werden, so dass man das Ergebnis als eine Art Interferenzmuster interpretieren kann. Genauer: durch den Superpositionszustand kann der Quantenrechner mithilfe eines einzigen Quantengatters den Zustand aller möglichen Input-Bitfolgen in einem Schritt in sämtliche Output-Bitfolgen verwandeln. Das ist der inhärente Parallelismus des Quantencomputing.

Quanteneffekte, die für Quantencomputer genutzt werden

Für die Herstellung von Quantenregistern eignen sich im Prinzip alle quantenmechanischen Systeme, die zwischen zwei gegensätzlichen Zuständen umschalten können. Mittlerweile wird in der wissenschaftlichen und industriellen Forschung mit schätzungsweise 15 bis 20 verschiedenen Effekten experimentiert, die sich für den Bau eines praktisch einsetzbaren Quantencomputers eignen könnten. Das Spektrum reicht von Ionenfallen und supraleitenden Drähten über den atomaren Spin und neutrale Atome bis hin zu Quantenpunkten, Defektelektronen (NV-Zentren) und Photonen.

Zu einigen der eben genannten Quanteneffekte seien hier noch einige Details hinzugefügt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit und thematische Ausgewogenheit).

Bei Photonen wird zum einen mit Einzelphotonen gearbeitet (derzeit der Normalweg), zum anderen spekuliert man aber auch über Rechner auf der Basis von „Lichtpaket-Zuständen“, bei denen alle Eigenschaften des Zustands eines Pakets aus Photonen für die Rechnungen benutzt werden. Die Erzeugung von rechentechnisch nutzbaren Quantenzuständen in einem solchen Projekt ist aber derzeit ungeklärt.

Photonenrechner können in der Regel bei Normaltemperaturen betrieben werden, lediglich die Detektoren benötigen Temperaturen im Bereich von 2,5 Kelvin. Auch Quantenrechner auf Defektelektronenbasis lassen sich bei Normaltemperaturen betreiben.

Ganz anders ist die Lage bei Quantenrechnern auf der Basis von Supraleitungsdrähten oder „eingefrorenen“ Ionen (Ionenfallen). Beide Quantenrechner-Typen haben das Problem der Kühlung. Beide benötigen kostspielige und technisch aufwendige „Tiefstkühlschränke“ (Kryostaten), um zu funktionieren. Aber auch hier sind Entwicklungen in Richtung „Normaltemperatur“ im Gange.

Jenseits der Kühlproblematik gilt: Die Gatter-Rechenzeiten der Suprastromer bewegen sich mittlerweile im Nanosekundenbereich, während beispielsweise Ionenfallen-Rechner nur im Mikrosekunden-Bereich Gatter-Operationen abarbeiten können. Andererseits sind Ionenfallen-Rechner aber bei den Kohärenz-Zeiten gegenüber Suprastromern um Längen besser (mehrere Sekunden gegenüber einigen Mikrosekunden). Für komplexere Algorithmen eignen sich insofern Ionenfallen-Rechner im Prinzip besser. Letztlich kommt es beim Vergleich sehr stark auf die spezielle Struktur eines Algorithmus an.

Nicht zu vergessen ist in dem Quantencomputer-Zoo ein Exot, nämlich der adiabatische Quantencomputer oder Quanten-Annealer. Im Gegensatz zu den anderen Quantencomputer-Ansätzen, bei der der Rechenprozess aus einer bestimmten Abfolge von Quantengattern besteht, werden beim adiabatischen Quantencomputer die Berechnungen über kontinuierliche Wechselwirkungen zwischen den Qubits durchgeführt.

Der auf dem adiabatischen Theorem der Quantenmechanik aufbauende Rechnertyp wird heute vor allem für Optimierungsaufgaben in verschiedensten Szenarien eingesetzt, das heißt zur schnellen Identifizierung lokaler und globaler Minima. Ein globales Minimum ist im Sinn der Quantenphysik ein Punkt mit möglichst niedrigem Energieniveau. Diese Interpretation wird im Rahmen des adiabatischen Quantenrechners dann auf andere Fragestellungen, vor allem Optimierungsprobleme im Organisations- und Logistikbereich, verallgemeinert.

Qubits sind kein Zustand, sondern eine Aktion

Die Input- und Output-Bitfolgen beim Quantencomputer, auch Quantenbits, kurz Qubits genannt, sind allerdings nicht mit den Bitfolgen in einem traditionellen digitalen Computer vergleichbar, auch wenn die Begriffe dies suggerieren. Denn ohne geeignete Mess- und Auslese-Impulse (vorzugsweise Laser oder Mikrowellen) ist der Quantenrechner ein rechentechnisches Nichts. Entsprechende Steuer- und Auslese-Einheiten bestehen aus hochpräziser Messtechnik.

Wenn beispielsweise die oben genannte Superposition gemessen wird, erhält man lediglich den einen der Zustände, aus denen sie sich zusammensetzt. Darüber hinaus handelt es sich bei dem Messergebnis nicht um einen deterministischen Wert, sondern nur um eine Wahrscheinlichkeitsangabe.

Und wenn man nicht schnell genug misst, erhält man noch nicht einmal das, weil die Stabilität der Qubits, die sogenannte Kohärenzzeit, sich in der Regel maximal im Bereich von Mikrosekunden bewegt. Deshalb sind die Recheneinheiten der Quantenrechner mit großen Fehlern behaftet, die durch geeignete Maßnahmen (zum Beispiel mit so genannten Cat-Qubits) herausgerechnet werden müssen.

Verschränkungsoperation: alle möglichen Lösungen auf einen Schlag

Superposition ist nur einer der quantenphysikalischen Zustände, die in Quantencomputern dafür genutzt werden, Rechenoperationen durchzuführen. Ein anderer interessanter quantenphysikalischer Zustand für das Quantenrechnen ist die „Verschränkung“. Dabei stehen zwei weit voneinander entfernte Teilchen so miteinander in Verbindung, dass sie ihren Zustand, zum Beispiel den Spin, einander angleichen, etwa durch den Austausch von Photonen als Vermittler.

In einem Quantencomputer kann man sich verschränkte Qubits als eng miteinander verbundene Objekte in einem Quanten-„Rechenregister“ vorstellen. „Eng miteinander verbunden“ heißt, dass die verschränkten Qubits beispielsweise 'informationsmäßig' auf demselben Level sind. Der Verschränkungszustand wird durch einen Programmierbefehl erzeugt, der an den jeweiligen Quantencomputer angepasst ist.

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Als Ergebnis des Programmierbefehls enthält das Quantenregister alle möglichen Lösungen der programmierten Aufgabe zugleich. Beim Auslesen erhält man mit großer Wahrscheinlichkeit die gewünschte Lösung. Ein traditioneller Computer muss dagegen zu diesem Zweck alle Lösungswege separat nacheinander durchrechnen.

Das zeigt einmal mehr die inhärente Parallelität des Quantencomputers. Allerdings darf man einige (gewaltige) Herausforderungen, die bei dieser Operation zu überwinden sind, nicht unterschlagen. Die Verschränkung ist sehr instabil, man hat nur ein paar Mikrosekunden Zeit, um diese massive Parallelität auszunutzen. Und zweitens muss sich das jeweilige Problem für diese Art von Parallelität eignen.

Quantencomputer sind analoge Rechner

Ähnlich wie bei einem herkömmlichen digitalen Rechner auf Halbleiterbasis spricht man auch beim Quantencomputer (zumindest bei den meisten Varianten in diesem Bereich) von Quantengattern, aus denen sich größere Recheneinheiten ergeben, die spezielle Algorithmen verarbeiten können. Begriffe wie Quantenbit, Quantengatter oder Quantenalgorithmen sind im Grunde nur eine Anspielung an die digitale Welt und können funktionsmäßig sowie vor allem ablauftechnisch nur sehr bedingt mit den Elementen aus der digitalen Welt gleichgesetzt werden.

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Quantencomputer ziehen ins Rechenzentrum ein

Quantencomputer ziehen ins Rechenzentrum ein

Rechenzentren und Forschungseinrichtungen weltweit, angeführt von Pionieren wie dem Leibniz Rechenzentrum (LRZ), tüfteln fieberhaft an der Integration von Quantenprozessoren mit klassischen Systemen. Ein wahrer Goldrausch um den Quantenvorteil und die Quantenüberlegenheit ist ausgebrochen.

Es ist unser erstes eBook (Mai 2023) zum Quantencomputing überhaupt und die Inhalte sind spannend. Laura Schulz, Leiterin der Abteilung Quantum Computing und Technologien am LRZ, liefert zum Beispiel Einblicke in die Praxis und in den Stand der Forschung. Ihre Expertise wird zum roten Faden durch die verschiedenen Aspekte der Integration von klassischer IT und den Quantencomputern.

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So ist beispielsweise ein Quantengatter weniger ein technischer Baustein als eine im zeitlichen Verlauf auf ein Quanten-Register angewendete „Aktion“.

Letztlich sind Quantencomputer, ganz egal auf welchen Quanteneffekten (siehe Kasten) sie aufsetzen, in ihrem technischen Aufbau analoge Rechner, denen mit Begriffen wie Qubits, Quantengattern und Quanten-Algorithmen eine digitale Metaebene „übergestülpt“ wird, zum einen, um sie für Informatikerinnen und Informatiker vertrauter zu machen und zum anderen, um das Zusammenspiel mit klassischen Digitalrechnern im Bereich Höchstleistungsrechnen zu vereinfachen.

Quanten-Überlegenheit ist nicht zuletzt eine sehr philosophische Sache

Noch einmal: gegenüber traditionellen Supercomputern zeichnen sich Quantenrechner, seien sie nun tatsächlich betriebsbereit oder nur theoretisch vorstellbar, durch ihre inhärente Parallelität aus. Letztere ist kein spezielles Architekturdesign wie bei traditionellen Parallelrechnern, sondern ergibt sich aus Quanteneffekten wie Verschränkung oder Überlagerung sozusagen von selbst.

Schon am Anfang der Überlegungen zu einem Quantencomputer war deshalb das Thema Quantenüberlegenheit (Quantum Supremacy) ein ständiges Begleitmotiv der Entwicklung. Und mit quantenrechner-basierten Algorithmen zur schnellen Faktorisierung von Primzahlen (Peter Shor) oder zum kompletten Durchsuchen einer Datenbank mittels einer einfachen Prüfroutine (Lov Grover) wurden schon vor einigen Jahrzehnten Rechenaufgaben formuliert, die für traditionelle (Super-)Rechner unlösbar, für Quantenrechner dagegen ein relativ leichtes Spiel sind.

Freilich sind wir auch heute von Quantenrechnern mit einer Kapazität, die den Shor- oder Grover-Algorithmus lösen können, noch weit entfernt. Trotzdem oder wohl eher gerade deswegen bleibt das Thema Quantenüberlegenheit virulent.

Wie vertrackt dieses Thema ist, haben wir an anderer Stelle auf diesem Portal im Detail dargestellt (siehe Link weiter oben). Nur so viel hier: letztlich geht es im sogenannten Sycomore-Experiment darum, dass der Quantenrechner bei einem Zufallszahlen-Experiment weitaus näher am „echten Zufall“ ist als ein traditioneller Höchstleistungsrechner. Das liegt schlicht an der Basis-Architektur eines jeden Quantenrechners.

Echte Zufallszahlen können ab einer bestimmten Größe der Ziffernfolgen nur aus einem Quantenrechner stammen, so das Argument. Ihre „Zufallsqualität“, wenn man das so nennen will, ergibt sich daraus, dass sie sozusagen das Abbild physikalischer Abläufe sind, die in der quantenphysikalischen Interpretation der Welt bekanntlich Wahrscheinlichkeitsabläufe sind.

Die Überlegenheit von Quantenrechnern gegenüber traditionellen digitalen Rechnern ist insofern nicht in erster Linie an numerischen Werten festzumachen als an der Art, wie sie funktionieren. Quantenrechner sind überlegen, weil sie den physikalischen Gesetzen näher sind.

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