Thomas King, CTO des DE-CIX, im Interview Der Deutsche Internet-Austauschknoten - Wo kommt er her? Wo soll er hin?

Autor Ulrike Ostler |

Das Jahr 1995 ist das Geburtsjahr des Deutschen Commercial Internet Exchange (DE-CIX), ein altes Postamt im Frankfurter Stadtteil Gutleut quasi der Geburtsort. Drei Internet Service Provider (ISP) taten sich zusammen - die Dortmunder EUnet Deutschland GmbH, die Xlink GmbH aus Karlsruhe und die MAZ GmbH aus Hamburg –, um in Frankfurt am Main ein (insbesondere von den USA) unabhängiges Peering zu ermöglichen. Wo lagen die Herausforderungen damals - und vor allem heute? CTO Dr. Thomas King gibt Auskunft.

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Die Grafik stammt vom 7. Mai 2020 und zeigt das Verkehrsaufkommen im Internet im Fünf-Jahres-Rückblick.
Die Grafik stammt vom 7. Mai 2020 und zeigt das Verkehrsaufkommen im Internet im Fünf-Jahres-Rückblick.
(Bild: DE-CIX Management GmbH)

Der DE-CIX ist heute vom Verkehrsaufkommen der stärkste Internet-Austauschknoten (IXP) weltweit einer mit den meisten angeschlossenen ISPs. Allerdings war es nicht die erste IXP-Gründung in Deutschland. Wie im „Deutschen Architekturforum“ nachzulesen gründeten Siemens, Bull und ICL 1984 ein gemeinsames Forschungszentrum, die European Computer-Industry Research Center GmbH (ECRC) in München, das 1994 mit “Internet Exchange Service“ (INXS) den ersten kommerziell nutzbaren Internet-Knoten aufgebaut und zugänglich gemacht hatte.

Heute wie früher unscheinbar: Hier im alten Postgebäude begann die Erfolgsgeschichte des weltweit größten Internet-Austauschknotens DE-CIX.
Heute wie früher unscheinbar: Hier im alten Postgebäude begann die Erfolgsgeschichte des weltweit größten Internet-Austauschknotens DE-CIX.
(Bild: DE-CIX)

Der Grund für die Aktivitäten in Deutschland war, dass die ansässigen Provider ihre Daten anfangs nur über zwei Austauschpunkte in den USA tauschen konnten, „MAE EAST“ und „MAE WEST, selbst wenn die aufgerufene Webseite nur wenige Kilometer entfernt gehostet wurde. In seinem Interview (s.u.) sagt DE-CIX CEO Harald Summa, dass das nicht nur langsam, sondern auch teuer war: „Damals war eine Zwei-Megabit-Linie, ich glaube, etwa vier- oder fünfhunderttausend D-Mark, ziemlich teuer …“

Da die ISPs Konkurrenten waren, gründeten sie, um die Neutralität des IXP sicherzustellen, einen Verein , den „eco – electronic commerce forum – Verband der Deutschen Internet Wirtschaft e.V.“, der am 21.6.1995 ins Bonner Vereinsregister eingetragen wurde, wenige Wochen nach Inbetriebnahme der ersten Switches. Hier ging es darum, gegen von der Port-Größe abhängige monatliche Pauschalgebühr Daten auszutauschen.

1999 zog der DE-CIX mit einem Switch in ein neues Rechenzentrum der Firma Interxion an der Hanauer Landstraße in Frankfurt am Main.
1999 zog der DE-CIX mit einem Switch in ein neues Rechenzentrum der Firma Interxion an der Hanauer Landstraße in Frankfurt am Main.
(Bild: DE-CIX)

Der Verein sorgte ab Ende 1995 bis 2003 für den Betrieb der Switches und der dafür erforderlichen Infrastruktur dem Eco e.V.. Dann übernahm die Tochterfirma Eco Management & Service GmbH, die 2004 in DE-CIX Management GmbH umbenannt wurde und deren einziger Gesellschafter der Eco e.V. war und ist.

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Über Thomas King

Dr. Thomas King erwarb 2004 einen Master of Science in Informatik und Betriebswirtschaft an der Universität Mannheim und promovierte dort 2008 am Lehrstuhl für Computernetzwerke.
Dr. Thomas King erwarb 2004 einen Master of Science in Informatik und Betriebswirtschaft an der Universität Mannheim und promovierte dort 2008 am Lehrstuhl für Computernetzwerke.
( Bild: De-CIX )

Seit 2018 ist Thomas King Chief Technology Officer (CTO) beim DE-CIX. Er begann aber bereits 2008 als technischer Mitarbeiter und war bis 2010 verantwortlich für den BSI IT-Grundschutz sowie das ISO-27001-Bereitschaftsprogramm.

2010 wechselte er zur 1&1 Internet AG, bei der er als Produktmanager für mobile Anwendungen und Mail zuständig war. 2011 gründete er das Startup Audriga, das einen Service für die automatische Migration von E-Mail-Konten von einem Hosting-Provider zu einem anderen anbot.

Seit 2014 leitete er die Forschung & Entwicklung beim DE-CIX zurück und wurde 2016 in die neu geschaffene Position des Chief Innovation Officer am DE-CIX befördert.

Frankfurt am Main und der DE-CIX scheinen eine Einheit zu bilden; hier sind die Co-Location-Betreiber. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit diesen?

Thomas King: Eigentlich gab es Co-Location von Anfang an. Selbst der Keller des Postgebäudes mit den drei 'eigenen' Leitungen war angemietet. Der Verkehr damals bewegte sich vielleicht im Megabit-Bereich. 1999 zog der DE-CIX mit einem Switch in ein neues Rechenzentrum der Firma Interxion an der Hanauer Landstraße in Frankfurt am Main um. Interxion beschäftigte sich damals mit der Vermittlung von Telefonminuten.

2003 zog der DE-CIX zusätzlich ins Rechenzentrum der Telecity Group (jetzt: Equinix). 2012 basierte die technische Infrastruktur des DE-CIX Frankfurt auf einer sternförmigen Topologie und war bereits auf insgesamt 32 Rechenzentren in der Stadt verteilt. Die Co-Locator waren E-Shelter (heute: NTT), Equinix, Level(3), Itenos, Interxion (heute: Digital Realty), New Telco,, Global Switch, Keppel DC, Maincubes und Telehouse.

Während des Jahres 2018 fand der größte Umzug in der Geschichte von DE-CIX statt. Dabei wurden etwa 15 Kilometer Glasfaserkabel verlegt und die Anschlüsse von 450 Kunden während des laufenden Betriebes migriert. Der neue Hauptstandort befindet sich auf dem Campus Kleyerstraße in Frankfurt-Gallus.

Die Herausforderungen dürften sich stark verändert haben.

Hat schon einmal einer ausgerechnet, auf wie viele Kilometer die Datacenter-Verkabelung des De-CIX kommt?
Hat schon einmal einer ausgerechnet, auf wie viele Kilometer die Datacenter-Verkabelung des De-CIX kommt?
(Bild: www.holtgreve.org)

Thomas King: Die größte Anforderung hat zu jeder Zeit darin bestanden, zu verstehen, wohin sich der Bedarf entwickelt. Als es losging, wurden bald danach die ersten physischen Güter über das Internet angeboten. Jetzt besteht die Schwierigkeit darin, zu verstehen, wohin uns die Digitalisierung bringt.

Früher gab es Kupferkabel, heute sind die Fasern einer Glasfaserverbindung dünner als ein Haar. Was für ein Fortschritt waren 1, 10, 200 Megabit. Seit dem 21. März 2019 bieten wird als weltweit erster Internet-Knoten 400-Gigabit-Ethernet-Ports an.

Die Internet-Protokolle haben sich weiterentwickelt - obwohl, vielleicht nicht so sehr wie man glauben könnte: Noch immer verwenden die Kunden hauptsächlich IPv4; IPv6 ist zwar längst da, doch wenig verbreitet. TCP/IP als solches werden wir auch noch eine ganze Weile sehen. Im Moment erobert der Standard die IoT-Welt.

Allerdings wurden früher einfache Switches verwendet; jetzt aber Multiprotokoll-Router mit eigenem MPLS-Netz beziehungsweise VPLS. Mithilfe von Virtual Private LAN Service (VPLS) werden lokale Netzwerke über Wide Area Networks (WANs) verbunden. Der Service ist somit ein Schicht-2-Dienst, der auf dem Multiprotocol Label Switching (MPLS) basiert und erlaubt Ethernet-basierte Multipoint-Verbindungen.

Früher brauchte es einen Administrator, heute haben wir Selfservice und einen 24x7-Support, 80 Router und 50 Devices zum Beleuchten der Fasern allein in Frankfurt. Dazu kommen Management-, Monitoring- und Steuerungssysteme, Redundanzen, APIs für das Bestellen und Anpassen von Interconnection-Services.

Seit 2018 setzen wir Patch-Roboter ein. Damals waren wir weltweit die ersten; mittlerweile haben wir drei davon. Die Maschine übernimmt das Umstecken von Kabeln, so dass zur Einrichtung neuer Verbindungen keine Techniker vor Ort mehr notwendig sind.

Nur an den Frankfurter Standorten?

Thomas King: Na ja, schon. Die kosten eben ein paar Euro. Im Juli 2019 haben wir am Standort DE-CIX FRA 2 und FRA 6 (Interxion) zwei "Nokia SR14" installiert, beide mit einer Kapazität von bis zu 648x100GE-Zugangs-Ports. Zugleich wurden auch unsere beiden neuen Roboter, „Sir Patchalot“ und „Margaret Patcher„“ installiert und in Betrieb genommen. Dafür mussten 1.000 Fasern an die neu installierten Patch-Roboter angeschlossen werden.

Notwendig war zudem, zwischen den Rechenzentren mehrere neue Dark Fibers einzusetzen, die mit mehr als 20 „Infinera Cloud Xpress“-Geräten verbunden sind. Damit entstand eine neue optische Schicht für unsere Verbindungsplattform. Ein solches System kann 1,2 Terabit pro Sekunde pro Dark Fiber verarbeiten, und wir sind jetzt bereit, zusätzliche 20 Tbit an Edge/Core-Verbindungskapazität bereitzustellen.

Edge- und Interconnection klingt nach neuen Aufgaben. Was ist aus dem klassischen Peering geworden?

Blick auf die Interconnection-Plattform des De-CIX.
Blick auf die Interconnection-Plattform des De-CIX.
(Bild: www.holtgreve.org)

Thomas King: Wir bieten diverse Interconnection-Dienste an; so können sich Datacenter über private Verbindungen bei uns zusammenschalten, auch klassisches Peering gibt es noch und noch relativ neu: so genannte direct routes. Unternehmen wie Facebook und Netflix verlangen solche und zahlen auch dafür.

Beim heutigen Peering am DE-CIX tauschen ISPs, Content Provider, Transport Provider und Unternehmen direkt und ohne Umwege und kostenneutral Daten aus. Die Kunden, die einen solchen Hub nutzen, bekommen auf diese Weise redundante, sichere Verbindungen und können die Wege ihres Datenverkehrs kontrollieren und selbst beeinflussen. Zudem impliziert das Peering geringe Latenzen. Für die Kunden zählt zum Teil jede Mikrosekunde.

Ein DDoS Mitigation Provider hat im Zuge der DE-CIX Evaluierung die Internet-Routen untersucht und festgestellt, dass 25 Prozent am DE-CIX verfügbar sind. Mit diesem Viertel schafft der DE-CIX somit eine Verschiebung des IP-Transit Verkehrs zum Peering in dieser Größenordnung.

Im Gegensatz zum IP-Transit ist der Datenaustausch bei diesem Modell also kostenfrei und führt zu einer Kostenreduzierung von bis zu 20 Prozent. Die teilnehmenden Unternehmen müssen dafür im Besitz einer Autonomen System Nummer (ASN) ein.

In Hamburg, Düsseldorf, Berlin oder Karlsruhe und München ist der Traffic bei Weitem nicht so stark wie in Frankfurt am Main.
In Hamburg, Düsseldorf, Berlin oder Karlsruhe und München ist der Traffic bei Weitem nicht so stark wie in Frankfurt am Main.
(Bild: DE-CIX)

Das Stichwort Edge ist schon gefallen. Wie richtet sich der DE-CIX darauf ein?

Thomas King: Erstens: Das Thema Edge ist spannend, insbesondere im Zusammenhang mit 5G. Die Luftschnittstelle mit ihren dedizierten Verbindungen und geringer Latenz wird für ganz neue Anwendungen sorgen.

Zweitens verlangen diese Anwendungen auch von den Rechenzentren und vom Internet-Austauschknoten, näher am Geschehen zu sein. Wir kennen und können die Verteilung mitsamt Hochverfügbarkeit auf verschiedene Standorte und das werden wir ausbauen.

Wir sind in 23 internationalen Metropolen präsent, darunter New York, Marseille, Istanbul, Madrid, Lissabon, Palermo, Kuala Lumpur, Moskau, Chennai, Dallas .... In Deutschland sind wir in Düsseldorf, München, Mannheim, Ludwigshafen seit Ende 2019 auch in Karlsruhe und seit kurzem in Hamburg. Karlsruhe beispielsweise wächst prozentual viel schneller als Frankfurt.

Für mich bleibt erstaunlich, dass ein Verein eine solche Entwicklung schaffen konnte. Ist das eigentlich einmalig?

Thomas King: Tatsächlich ist der Eco immer noch 100prozentiger Eigentümer der DE-CIX Management GmbH. Aber der Amsterdam Internet Exchange (AMS IX) und die London Internet Exchange (LINX) sind ebenfalls nichtkommerzielle Internet-Knoten. Ich würde also von einem europäischen Erfolgsmodell sprechen.

Übrigens arbeiten wir eng mit AMS IX und LINX zusammen.

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Einladung zum SERVICE PROVIDER SUMMIT 2020

So oder so, virtuell oder in der Villa Kennedy in Frankfurt am Main: Am 27. und 28. August 2020 findet der „SERVICE PROVIDER SUMMIT 2020“ statt. Veranstaltet wird er von der Vogel IT Akademie, DataCenter-Insider ist Medienpartner.

Die Keynote um 11:35 Uhr am ersten Konferenztag ist für den DE-CIX reserviert. Darüber hinaus gibt es eine Agenda, die pickepackevoll ist und zahlreiche spannende Themen parat hält.

Wer schon ein VIP-Ticket oder überhaupt Tickets für den ursprünglichen Mai-Termin ergattern konnte, darf sich glücklich schätzen; denn diese behalten ihre Gültigkeit. Andere dürfen sich noch bewerben.

Generell können sich sowohl Aussteller wie Teilnehmer anmelden.

► VIP-Ticket für den SERVICE PROVIDER SUMMIT 2020

 

 

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