Mit RISC zum allgegenwärtigen Rechenzentrum Wird ARM ein Teil von Nvidia?
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Die Gerüchteküche brodelt: ARM Limited, Lizenzinhaber der gleichnamigen Chip-Architektur, geht anscheinend unter den Hammer. Nvidia hat gerade dieses Jahr die Bargeldreserven auf einen soliden zweistelligen Milliardenbetrag aufgestockt und an der Übernahme auch schon Interesse bekundet.

ARMs Portfolio reicht von Chips für Smartphones bis hin zu Recheneinheiten für HPC. Die Mehrheit der mobilen Endgeräte auf dem Markt nutzt Prozessorkerne in ARM-Architektur. ARM-Chips werkeln nicht zuletzt neulich sogar im schnellsten Supercomputer der Welt, „Fujitsu Fugaku“ ebenso wie in zahllosen Embedded-Devices, von Satelliten-Kommunikationssystemen zu Steuerungselektronik der Industrie 4.0. Zu den Lizenznehmern von ARM zählen Marktakteure wie Samsung, Qualcomm, Huawei und neuerdings die Amazon-Tochter Annapurna Labs, ein Schwesterunternehmen des Hyperscaler AWS.
„ARM-Prozessoren gibt es echt überall“, schmunzelt James Hamilton, Distinguished Engineer bei AWS. Er sieht darin einen Vorteil, denn: „Nichts treibt die Preise so stark nach unten wie Skaleneffekte“, beobachtet er. „Nichts“ finanziere R&D zur Entwicklung leistungsstarker Server-Prozessoren so nachhaltig wie Skaleneffekte. Nichts fördere die Entstehung von Ökosystemen an Entwicklungswerkzeugen schneller als Skaleneffekte eben, führt Hamilton weiter aus. „Skaleneffekte ziehen Anwendungsentwickler an“, urteilt er schlussfolgernd.
Skaleneffekte in Hyperscale könnten ARMs Technologieportfolio für Marktakteure wie NVIDIA umso schmackhafter machen.
Voll um-ARM-t?
Selbst Nvidia nutzt ARM-Chips seit Jahren, zum Beispiel in SoCs der „Tegra“-Familie für mobile IoT-Endgeräte. Nvidia hat ARM-Kerne inzwischen unter anderem auch für autonome Fahrzeugtechnologien lizenziert und nutzt diese zusammen mit den eigenen GPUs für maschinelle Bilderfassung (Machine Vision).
Mit der Unterstützung von ARM-CPUs in seinen HPC-Lösungen machte Nvidia erstmals auf der International Supercomputing Conference im vergangenen Jahr (SC19) Schlagzeilen. Im November stand die versprochene Referenzdesignplattform für GPU-beschleunigte ARM-Server Nvidias Partnern zur Verfügung. Die avisierten Workloads reichen von Simulationen über KI, High-Performance-Storage bis hin zu Exascale-Supercomputing in Umgebungen von Edge bis zu Hyperscale-Clouds.
ARM, Ampere, Cray, Fujitsu, HPE, Marvell und andere reihten sich prompt an, um auf Basis der Referenzarchitektur eigene ARM-Systeme zu stricken. Die Initiative hat bereits die ersten Früchte getragen.
Um die Vision einer GPU-beschleunigten universell anpassungsfähigen ARM-Plattform zu verwirklichen holte Nvidia führende Linux-Distributoren mit ins Boot: Canonical, Red Hat (IBM) und Suse sind im Nvidia-ARM-Ökosystem alle vertreten.
Zum Jahresende gab NVIDIA seinen gesamten Stack von KI- und HPC-Software für ARM frei, darunter Kronjuwelen wie „Nvidia CUDA-X“, HPC-Bibliotheken, GPU-beschleunigte KI-Frameworks sowie Compiler und Profiler. Noch deutlicher könnte die Aussage wohl kaum werden.
„Das Zusammenspiel aus CUDA-beschleunigtem Computing von Nvidia und der Energie-effizienten CPU-Architektur von Arm dürfte der HPC-Gemeinde einen Schub zu Exascale verleihen“, freute sich seinerzeit Jensen Huang, Nvidia-Gründer und -CEO.
Seit der Übernahme von Mellanox Ende April 2020 konnte sein Unternehmen insgesamt in zwei Dritteln aller TOP500-Supercomputer der Welt Einzug halten. Acht der zehn schnellsten Supercomputer der Welt nutzen entweder GPUs des Herstellers und/oder Infiniband von Mellanox oder beides. Zum Vergleich: Als separate Wirtschaftseinheiten kamen die beiden Unternehmen noch vor rund zwei Jahren (2018) lediglich in jedem zweiten Supercomputer der TOP500-Liste zum Zuge (230 von 500).
Die Verbreitung von Infiniband hat seit der Akquisition von Mellanox durch Nvidia sprunghaft zugenommen. Zwischen November 2019 und Juni 2020 hat sich die Anzahl von Supercomputern mit HDR InfiniBand (mit 50 Gigabit pro Sekunde (Gbit/s) in beide Richtungen) auf der TOP500-Liste nahezu verdoppelt. (Derzeit sind es 141 Systeme.) Weitere 164 nutzen Ethernet von Nvidia/Mellanox.
Die Unterstützung des Konzerns von Arm CPUs verspricht der HPC-Industrie einen neuen Weg hin zu Energie-effizienten Exascale-Supercomputern und bezahlbaren KI-Workloads. Inwiefern sich das Potenzial tatsächlich ausloten lässt, hängt nicht zuletzt vom Schicksal der ARM Ltd. ab.
In Ungewissheit
Der stolze Besitzer der britischen Arm Ltd. ist derzeit die japanische Softbank Group aus Tokio mit ihrem rund 100 Milliarden Dollar schweren Wagniskapitalfonds Vision Fund, dem größten seiner Art weltweit. ARM Ltd. gehört zur Softbank seit dem Jahre 2016.
Der koreanisch-japanische Gründer und Geschäftsführer des Softbank-Konzerns, Masayoshi Son, ist immer für eine Überraschung gut. Softbank kaufte ARM für 32 Milliarden Dollar als eine Investition in das Internet der Dinge. Seitdem liegt Son auf der Lauer; Insidern zufolge ist seine Unternehmensgruppe im Zusammenhang mit der Corona-Krise allerdungs in Zugszwang geraten. Softbank musste sogar einen Teil seiner Alibaba-Anteile abstoßen.
Gerüchten zufolge soll Goldman Sachs beauftragt worden sein, um rund 41 Milliarden an Vermögenswerten zu liquidieren. ARM zählt zu den Hauptkandidaten für den Verkauf oder für ein IPO. (Letzteres könnte spätestens im Jahre 2021 stattfinden und wäre mit erheblichen Risiken verbunden.)
Bald geht es möglicherweise Schlag auf Schlag. Einen Käufer zu finden dürfte doch gar nicht so schwierig sein. Aber: Mindestens ein Kandidat hat schon abgesagt.
Weg von Intel x86 und hin zu ARM
Mit der geplanten Migration weg von Intel und hin zu eigenen Chipsätzen in ARM-Architektur hielt Apple seine Entwickler seit Jahren in Atem. Als Tim Cook auf der WWDC 2020 den definitiven Abschied von Intel verkündete, ging Intel-CEO Bob Swan und seinem Management-Team sicherlich ein kalter Schauer über den Rücken. Apples Signalwirkung für die Branche gilt als legendär.
Einem Bericht von Bloomberg zufolge soll ARM Ltd. ein Übernahmeangebot an Apples Chefetage unterbreitet haben. Trotz des dick gefüllten Tresors und einer Marktkapitalisierung von zuletzt 1,6 Trillionen Dollar soll es Apple abgelehnt haben. Das Unternehmen wollte sich möglicherweise den Zorn der Regulierungsbehörden nicht zuziehen.
Auch Microsoft hat ja schon einmal vorbeugend mit ARM-Technologie in der portablen Laptop-Reihe Surface das Wasser getestet. In Redmond sitzt die Furcht, einen neuen Trend zu verschlafen, nach dem Smartphone-Fiasko tief wie ein schmerzhafter Stachel. Nicht einmal das operative Geschäft mit Datencenter blieb von dem Sentiment verschont.
Microsoft nimmt gerade den „Ampere Altra“-Prozessor auf der Basis der Plattform „ARM Neoverse N1“ auf die Probefahrt in Azure. Redmond hat ja auch schon bereits OpenJDK, das quelloffene Java, nach Windows 10 auf ARM64 portiert – ein sicheres Zeichen, dass es um die Integration der ARM-Plattform in Microsofts Technologieportfolio ernst bestellt ist.
Das große Dafür und ein Aber
Doch für kaum ein Unternehmen hängt so vieles von dem Schicksal der ARM-Technologie ab wie für Nvidia. Die Technologie von ARM würde nicht zuletzt auch die Wettbewerbsfähigkeit von Nvidia im Rechenzentrum gegenüber Intel und AMD auf ein neues Niveau heben und den Markt für Halbleiter grundlegend verändern. Im Übrigen: Nvidia hat erstmals im laufenden Monat die Marktkapitalisierung von Intel übertroffen.
Der Intel-Rival AMD hat eigene GPUs im Köcher und selbst Intel tüftelt an Grafikchips, die bereits Ende 2021 oder Anfang 2022 erhältlich sein könnten. Die Kontrolle über ARM würde für Nvidia eine Möglichkeit schaffen, neue Systemarchitekturen auf der Basis eigener RISC-CPUs zu entwickeln und zu lizenzieren.
ARM würde zum Konzern nicht nur sein IP-Portfolio, sondern auch ein neues Geschäftsmodell beitragen. ARM investiert in R&D mit dem Ziel, die resultierenden Technologien an andere Unternehmen im Rahmen eines Partner-Ökosystems zu lizensieren – kostenpflichtig, versteht sich. So braucht sich ARM - anders als derzeit Nvidia – mit der Herstellung der betreffenden Produkte nichts selbst die Finger zu bekleckern.
Ein Zusammenschluss der beiden Unternehmen könnte jedoch auch nach hinten los gehen. Viele der Mitbewerber von Nvidia nutzen nämlich ARM-Patente; der eine oder andere namhafte Lizenznehmer könnte da kalte Füße kriegen.
* Das Autorenduo Anna Kobylinska und Filipe Pereira Martins arbeitet für McKinley Denali Inc. (USA).
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