ERP on premises oder hybrid SAP-Kernsysteme wandern nur selten in die Cloud

Von Jürgen Frisch |

Anbieter zum Thema

Das Kernsystem im eigenen Haus oder bei einem Outsourcing-Unternehmen, und Satellitenmodule in der Cloud – dieses Architekturmodell dominiert aktuell bei SAP-Anwendern. Da die Planungen für die Migration auf „SAP S/4HANA“ in eine ähnliche Richtung laufen, dürfte das in den kommenden fünf bis zehn Jahren so bleiben.

SAP-Software kann nahezu uneingeschränkt in Public Clouds, in Private Clouds, gemanaged, on premises und im eigenen Rechenzentrum laufen. Doch die Kundschaft entscheidet sehr selten für den reinen Public-Cloud-Betrieb.
SAP-Software kann nahezu uneingeschränkt in Public Clouds, in Private Clouds, gemanaged, on premises und im eigenen Rechenzentrum laufen. Doch die Kundschaft entscheidet sehr selten für den reinen Public-Cloud-Betrieb.
(Bild: Yabresse - stock.adobe.com)

Ausschließlich im hauseigenen Rechenzentrum ist aktuell lediglich eine Minderheit von SAP-Anwendern unterwegs: „Die meisten Unternehmen haben auch Cloud-Produkte im Einsatz, etwa Line-of-Business-Lösungen wie „SAP Ariba“, „SAP Success Factors“ oder Module für Analytics, Marketing und Kundenbetreuung“ berichtet Ingo Biermann, der seit 20 Jahren beim IT-Dienstleister Mindsquare AG als SAP-Berater aktiv ist. „SAP S/4HANA als digitaler Kern läuft lediglich bei 10 Prozent meiner Kunden in der Cloud.

Diese Einschätzung bestätigt die Zahlen der diesjährigen Frühjahrsumfrage der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe DSAG, nach denen die SAP S/4HANA Cloud bislang eine untergeordnete Rolle spielt. Lediglich 6 Prozent der befragten DSAG-Mitglieder setzen SAP S/4HANA als Private Cloud-Lösung ein, und 2 Prozent als Public Cloud-Lösung.

„Da sich heute immer noch viele Unternehmen bei der Migration auf SAP S/4HANA für ein On-Premises-Szenario entscheiden, werden viele dieser Systeme auch noch in fünf oder zehn Jahren in dieser Betriebsvariante laufen“, berichtet Ingo Biermann, der seit 20 Jahren beim IT-Dienstleister Mindsquare AG als SAP-Berater aktiv ist. „Erst dann werden die Unternehmen sich möglicherweise anders entscheiden.“
„Da sich heute immer noch viele Unternehmen bei der Migration auf SAP S/4HANA für ein On-Premises-Szenario entscheiden, werden viele dieser Systeme auch noch in fünf oder zehn Jahren in dieser Betriebsvariante laufen“, berichtet Ingo Biermann, der seit 20 Jahren beim IT-Dienstleister Mindsquare AG als SAP-Berater aktiv ist. „Erst dann werden die Unternehmen sich möglicherweise anders entscheiden.“
(Bild: Mindsquare)

Eine hybride Systemlandschaft ist demnach bei SAP-Kunden das aktuell dominierende Architekturmodell. In der Cloud laufen dabei Lösungen wie Ariba für den Einkauf oder Success Factors für Human Resources oder die SAP Sales Cloud und die Marketing-Cloud.

„Wenn heute Unternehmen ein Talent-Management-System neu einführen, wird der Inhouse-Betrieb bei den Planungen keine große Rolle mehr spielen“, berichtet Biermann. „Auch, wenn in diesen Funktionsbereichen signifikante Release-Wechsel stattfinden, geht der Weg ohne lange Diskussionen in Richtung Cloud.“ Weitere SAP-Lösungen, die laut Biermann häufig in die Cloud wandern, sind die Business Technology Platform und die Integration Suite, sowie mobile Anwendungen.

Für die SAP bleiben On-Premises-Systeme strategisch

Im Gegensatz zu Microsoft, wo die aktuellen Nachfolger der früheren ERP-Systeme „Dynamics NAV“ und „Dynamics AX“ heute in der Praxis ausschließlich in der Cloud laufen, ist für SAP der On-Premise-Systembetrieb weiterhin strategisch. Diese Aussage haben die Walldorfer erst kürzlich auf dem Jahreskongress der DSAG im Oktober bestätigt. SAP-Anwender, die auf eine Inhouse-Strategie setzen, brauchen demnach in den nächsten Jahren keinen Strategiewechsel ihres ERP-Lieferanten befürchten.

Die große Änderung, die in der SAP-Welt in den kommenden Jahren ansteht, ist der Wechsel von SAP ERP oder der SAP Business Suite auf das Nachfolgeprodukt SAP S/4HANA. Dieser Wechsel muss bis 2027 vollzogen sein, denn dann endet offiziell die Wartung für die Altsysteme. Da bei dieser Migration die Systeme komplett umgebaut werden, richtet sich der Blick auch auf das Betriebsmodell.

Für die Migration ihres Kernsystems in die Cloud entscheiden sich auch hier vergleichsweise wenige Unternehmen, wie Biermann berichtet: „Stand heute plant eine signifikante Anzahl von Unternehmen die anstehende Migration auf S/4HANA in einem On-Premises-Szenario im eigenen Rechenzentrum oder bei einem Hosting-Dienstleister. Einen übergreifenden Zug in die Cloud kann ich nicht erkennen.“

Auch bei der Migration dominiert das Zweischicht-Modell

Auch wenn die SAP-Kommunikation den Kunden nahelegt, dass sie auf Wunsch ihr komplettes ERP-System in die Cloud migrieren können, richten sich die Kunden ihre Systemarchitektur offensichtlich nach einem Modell der zwei Ebenen aus: ein stabiles Kernsystem, das inhouse oder bei einem Outsourcing-Partner läuft und dazu einige agile Cloud-Module, die funktionale Erweiterungen liefern. Nachteile haben die Kunden dadurch nicht zu befürchten, denn die On-Premises-Variante und die Private Cloud Edition von SAP S/4HANA sind funktional weitgehend identisch.

Von funktionalen Überlegungen müssen die Unternehmen die Entscheidung über die künftige Betriebsform ihrer SAP-Landschaft also nicht anhängig machen. An erster Stelle sollte bei solchen Überlegungen laut Biermann vielmehr das grundsätzliche Paradigma stehen: „Es geht hier um die Entscheidung, ob ein Unternehmen mit dem Software as a Service-Modell klarkommt, wie es in der Public Cloud zum Einsatz kommt.

Passt die Public-Cloud-Variante nicht zu den fachlichen Anforderungen, folgt daraus ein eigenes SAP-System. Dieses wiederum kann entweder im eigenen Rechenzentrum, bei einem Hosting-Provider oder in der SAP Private Cloud laufen.“ Gegen den Betrieb in der Public Cloud sprechen laut Biermann vor allem individuelle Systemerweiterungen sowie ein Business Case, der den direkten Zugriff des Unternehmens auf das Kernsystem vorsieht.

Jetzt Newsletter abonnieren

Täglich die wichtigsten Infos zu RZ- und Server-Technik

Mit Klick auf „Newsletter abonnieren“ erkläre ich mich mit der Verarbeitung und Nutzung meiner Daten gemäß Einwilligungserklärung (bitte aufklappen für Details) einverstanden und akzeptiere die Nutzungsbedingungen. Weitere Informationen finde ich in unserer Datenschutzerklärung.

Aufklappen für Details zu Ihrer Einwilligung

Produktionsnahe Systeme laufen typischerweise inhouse

Auch die Branche eines Unternehmens hat einen Einfluss auf die Entscheidung über die Betriebsvariante eines SAP-Systems, wie der DSAG-Vorstandsvorsitzende Jens Hungershausen berichtet: „Fertigungsunternehmen halten nach unserer Wahrnehmung produktionsnahe Systeme eher On Premises. Den Gegenpol bilden Finanzdienstleister, die komplette ERP-Systeme in die Cloud migrieren. Dazwischen gibt es eine relativ große Bandbreite. Bei meinem Arbeitgeber, einem mittelständischen Großhandel, betreiben wir das SAP-System im hauseigenen Rechenzentrum. Aus der Cloud nutzen wir einzelne Services zum Thema Integration, um Erfahrung mit dieser Betriebsvariante zu sammeln.“

Der im Herstellermarketing vielfach beschworene Kostenvorteil des Cloud-Betriebs lässt sich laut Biermann eher schwierig berechnen: „Man kann bei der Kostenbetrachtung nicht einfach den Aufwand für die im hauseigenen Rechenzentrum wegfallenden Infrastruktur gegen die Kosten des Cloud-Angebots stellen. Migriert ein Unternehmen in die Cloud, will es strategisch sein gesamtes Rechenzentrum abbauen und sich über eine Komplexitätsreduktion auf breiter Front Luft verschaffen. Das Outsourcing spart idealerweise Kosten für die Pflege der Infrastruktur, die Raummiete, die Personalsteuerung und die Weiterbildung, und dann rechnet sich auch der Business Case.“

Der Fachkräftemangel behindert Rechenzentren

In seiner Zukunftsprognose geht Biermann nicht davon aus, dass Inhouse-Systeme künftig auf breiter Front verschwinden: Da sich heute immer noch viele Unternehmen bei der Migration auf SAP S/4HANA für ein On-Premises-Szenario entscheiden, werden viele dieser Systeme auch noch in fünf oder zehn Jahren in dieser Betriebsvariante laufen. Erst dann werden die Unternehmen sich möglicherweise anders entscheiden.“

Für die Migration zu einem Outsourcer oder in die Cloud spricht laut Biermann möglicherweise der sich verschärfende Fachkräftemangel: „Wenn eine IT-Abteilung trotz aller Anstrengungen keine SAP-Spezialisten bekommt, wird sie überlegen, ob sie das System nicht an einen Dienstleister auslagert.“

Unabhängig von der Fachkräftethematik dürfte sich das heute stark verbreitete mehrschichtige Architekturmodell noch eine ganze Weile halten. Aus der Cloud kommen dabei agile Line-of-Business-Module, die sich bei Bedarf schnell ändern können. Das langfristig stabile SAP-Kernsystem hingegen läuft im hauseigenen Rechenzentrum oder bei einem Outsourcer.

„Für ein betriebswirtschaftliches System mit einer hohen Integrationstiefe ändert niemand das Betriebsmodell von heute auf morgen“, erläutert Biermann. „Diese Systeme haben ein eingespieltes Change-Management und ein hohes Beharrungsvermögen. Genau aus dieser Überlegung heraus ist das Konzept der hybriden Systemarchitektur entstanden.“

(ID:48799134)