Energieversorger und Datacenter stehen an einem Wendepunkt Rechenzentren sind mit Power-to-Heat eine Ressource der Zukunft

Autor Ulrike Ostler |

Rechenzentren sind die weltweit am schnellsten wachsende Energieverbraucher. Bald schon beanspruchen sie 4 bis 6 Prozent des weltweit erzeugten Stroms. Zugleich werden sie zu immer größeren Wärme-Erzeugern, da die Technik gekühlt und die Wärme abgeführt werden muss. Derweil dekarbonisiert sich die Energie-Industrie und das Netz wird instabiler. Wie die Branchen voneinander profitieren können thematisiert ein Bericht der SDIA; Vattenfall ist hier jüngst Mitglied geworden.

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Datacenter absorbieren Strom nicht einfach in rauen Mengen, sondern verwandeln ihn in Wärme. Sie können als Energiespeicher fungieren, und auch sonst gibt es viele positive Effekte auf die Energienetze von morgen; man muss sie nur erkennen und wollen.
Datacenter absorbieren Strom nicht einfach in rauen Mengen, sondern verwandeln ihn in Wärme. Sie können als Energiespeicher fungieren, und auch sonst gibt es viele positive Effekte auf die Energienetze von morgen; man muss sie nur erkennen und wollen.
(Bild: ©sdecoret - stock.adobe.com)

Die Digitalisierung verspricht eine Neuausrichtung der Wirtschaft auf Daten und Berechnungen, aber die digitale Wirtschaft von morgen wird auf den Schultern der heutigen elektrischen Infrastruktur aufgebaut sein. Schon heute benötigen die Rechenzentren in Deutschland jährlich in etwa so viel Strom wie die Stadt Berlin, berichtete jüngst das „Handelsblatt“ und Videostreaming verschlinge weltweit so viel Strom wie alle Haushalte in Deutschland, Italien und Polen zusammen.

Zugleich bewegen sich die Energieversorger sich in Richtung Nachhaltigkeit. Der Bericht Sustainable Digital Infrastructure Alliance (SDNIA) beschreibt in ihrer aktuellen Untersuchung „The Utility of the Future - Where digital and energy infrastructure combine“, beschreibt zum einen die Herausforderungen, vor denen die Energieversorgungsunternehmen stehen, die auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind.

Zum anderem entwickelt sich die digitale Wirtschaft schnell, und die digitale Infrastruktur entwickelt sich von einem Luxus zu einer Notwendigkeit. Max Schulze, Vorstandsvorsitzender der SDIA, sagt: „Wir glauben, dass Rechenkapazität im 21. Jahrhundert die Position einnimmt, die Elektrizität im 20. Jahrhundert hatte”.

Die künftigen Energienetze erfordern große Flexibilität

Autor ist der leitende Analyst Mohan Gandhi. Er zeigt darüber hinaus die Potenziale auf, die sich aus einer engeren Zusammenarbeit zwischen digitaler Infrastruktur und dem Energiesystem in Bereichen wie Stromflexibilität, Fernwärme, Standort und gemeinsame Betriebskompetenzen ergeben. Denn bisher seien noch wenige in der Lage, die enormen industriellen und gesellschaftlichen Chancen zu erkennen, die sich ergeben, wenn zwei grundlegende Anforderungen des digitalen Zeitalters zusammenkommen. (Ausgeklammert werden allerdings Entwicklungen an der Edge.)

Die Energienetze der Zukunft benötigen definitiv mehr Flexibilität. Und: In dem Maße, in dem die intermittierenden erneuerbaren Energien weiter in den Stromerzeugungsmix eindringen, wird sie zudem wertvoller, zumal es nur unzureichenden Speicherkapazitäten gibt.

Das Energienetz von gestern habe überwiegend nur eine ausreichende Erzeugung erfordert, so Gandhi. Das Netz von morgen aber bedeutet nicht nur Energie-Mix und eine entsprechende Ausbalancierung, sondern eine schnelle Reaktion auf wechselnde Nachfrage. Erzeugung, Verbrauch, Speicherung und die Migration von Energie sind die entscheidenden Faktoren für eine Ausgewogenheit und damit Verfügbarkeit.

In modernen Rechenzentren wird rund ein Drittel der abgerufenen Energie für die Kühlung der IT und weiterer Datacenter-Technik verwendet. Der Rechenbedarf ist zumeist in Metropolen lokalisiert; deswegen wird die Wärme oft in den Städten erzeugt. Dort aber wächst auch der Fernwärmebedarf am schnellsten und die Abwärme könnte dort am effizientesten wiederverwertet werden.

Mohan Gandhi, Head of Research & Policy at SDIA, sagt: „Während Strom und Computing Power (Kapazität für die Bereitstellung digitaler Services) bereits heute extrem wichtige Ressourcen für unsere moderne Gesellschaft sind, wird Letzterer nicht immer der entsprechende Stellenwert zuerkannt. Dies wird sich zunehmend ändern.“
Mohan Gandhi, Head of Research & Policy at SDIA, sagt: „Während Strom und Computing Power (Kapazität für die Bereitstellung digitaler Services) bereits heute extrem wichtige Ressourcen für unsere moderne Gesellschaft sind, wird Letzterer nicht immer der entsprechende Stellenwert zuerkannt. Dies wird sich zunehmend ändern.“
(Bild: SDIA)

Laut Gandhi soll es auch Regierungen geben, die erkennen, dass der Wärmesektor, der in einigen Regionen der Welt für mehr als ein Drittel aller CO2-Emissionen verantwortlich sein kann, ebenfalls dekarbonisiert werden muss, um die im EU-Plan für 2050 festgelegten CO2-Reduktionsziele zu erreichen. Für den Fernwärmeversorger könnte der Vorteil nicht nur im Verbrauch von „freier/wenig CO2“ Energie, nämlich aus der zurückgewonnenen Wärme aus Rechenzentren, sondern auch mit Preissenkungen einhergehen.

In einem gemeinsamen Positionspapier von Energie-Effizienzverband für Wärme, Kälte und KWK e. V. (AGFW), des Branchenverbands Bitkom und SDIA heißt es im Verweis auf das Borderstep-Institut: 2018 verbrauchten deutsche Rechenzentren 14 Terawattstunden (TWh) Strom. Prognosen gehen von einer Steigerung auf 16,4 TWh im Jahr 2025 aus, was einem Anteil von über 3 Prozent am gesamten deutschen Stromverbrauch 2018 entspräche.

Zugleich stellt das Papier ebenfalls heraus, dass das Potenzial an verfügbarer und für Wärmenetze nutzbarer Abwärme aus Rechenzentren groß ist. „Moderne Rechenzentren mit Tausenden von Serverschränken verfügen über elektrische Anschlussleistungen von 10 bis 50 MW, vereinzelt bis über 100 MW. Der in einem Rechenzentrum verbrauchte Strom wird dabei vollständig in Wärme umgewandelt, welche unter Nutzung von Großwärmepumpen zu etwa 70 Prozent wieder nutzbar gemacht werden kann.“

Die Forderungen von AGFW, Bitkom und SDIA

Rechenzentren seien langfristige und nachhaltige Infrastrukturen, die im Regelfall für 20 bis 30 Jahre an einem Standort betrieben werden. Perspektivisch würden sie als Wärmequelle für Wärmenetzsysteme kontinuierlich interessanter. Das liegt auch an der Abschaltung der KWK-Kohleanlagen. Zum anderen sei bei Rechenzentren in Zukunft mit einer weiteren Steigerung der Energiedichte pro Quadratmeter und – bei Umstellung der Kühltechnik – mit höheren Temperaturen der Abwärme zu rechnen, wodurch tendenziell mehr und qualitativ hochwertigere Abwärme genutzt werden könne.

Die Verfasser der Stellungnahme wandeln diese Voraussetzungen in politische und wirtschaftliche Forderungen um: Für Deutschland müsse seine ambitionierten Klimaziele auch in Zeiten der Corona-Pandemie erreichen, etwa durch eine konsequente Umsetzung der Wärmewende mit einer Transformation der Wärmenetze. „Dafür sind neben den entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen auch wirtschaftliche Anreize erforderlich. In Bezug auf die Nutzung von ohnehin verfügbarer Abwärme in Wärmenetzsystemen würde aber bereits eine sachgerechte Definition innerhalb des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes (KWKG) einen großen Schub bewirken.

Tatsächlich gehört die verstärkte Nutzung von Abwärme aus Rechenzentren seit Ende 2019 durch die Veröffentlichung der Energie-Effizienzstrategie 2050 zu den erklärten Zielen der Bundesregierung und ist im Nationalen Aktionsplan Energie-Effizienz enthalten. Doch nun sehen AGFW, Bitkom und SDIA einen „dringenden Bedarf, die Definition von Abwärme in den anstehenden Änderungen des KWKG anzupassen, um die Nutzung von Abwärme aus Rechenzentren als klimaneutrale und nachhaltige Energiequelle im Rahmen der neuen Regelungen des Referentenentwurfs § 7a KWKG, sowie der innovativen Kraft-Wärme-Kopplung (iKWK) zu forcieren.“

Angebot und Nachfrage

Doch die Nutzung Datacenter-Abwärme, ist nur eine Möglichkeit der Zusammenarbeit. Dazu gehört die Unterpufferung der Netze mithilfe der USV-Anlagen beziehungsweise Netzersatzanlagen in den Rechenzentren. (DataCenter-Insider berichtete mehrfach, zum Beispiel:„Win-win: Master+ und Notstromaggregate helfen den Stromnetzen, der Anbieter spart; Das erste Energiewende-Rechenzentrum steht in Essen“)

Angebot Nachfrage beziehungsweise Bedarf und Reaktion sind die Stichworte für eine weitere Möglichkeit. Netzbeschränkungen, teure Speicher, der Abschied von fossilen Brennstoffen erfordern einen größeren Anteil dieses Mechanismus. Die Möglichkeiten IT-Lasten hin und her zu verschieben oder zu migrieren, sind laut Gandhi eine effektive Form der Energie-Erzeugung, des Energieverbrauchs und der -Lagerung.

So können in Zeiten der Überstromversorgung die IT-Lasten hochgefahren werden und bei Unterversorgung vermindert werden. Diese Form des Ausgleichs trage zur Stabilisierung eine zunehmend instabilen Netzes bei, sowohl international als auch lokal, so der Analyst. Derzeit verfügt Europa über eine Kapazität im Bereich Nachfrage und Reaktion von etwa 20 Gigawatt (GW). Die Europäische Kommission schätzt aber das Gesamtpotenzial auf 100 GW und prognostiziert einen Anstieg auf 160 GW im Jahr 2030.

Rechenzentren seien prädestiniert für eine solche Zusatzaufgabe, zum einen weil sie an Zahl und an Größe zulegen, aber auch, weil ein Großteil der IT-Last durchaus Verzögerungen zulässt. Für Gandhi ist die Win-Win-Situation für alle Beteiligten offensichtlich: Es ergeben sich sekundäre Einnahmequellen für die Datacenter-Betreiber, und sie können einen vollständig erneuerbaren Strommix ermöglichen. Nationale Regierungen erfüllen ihre Ziele im Bereich der erneuerbaren Energien sowohl im Wärme- als auch im Stromsektor, und lokale Behörden liefern ihren Einwohnern billigere, erneuerbare Energie.

Thorsten Möller, bei Vattenfall zuständig für die 'Strategische Entwicklung', sagt dazu: „Computing Power folgt in einer Wertschöpfungskette genau auf Elektrizität, ähnlich wie Wasserstoff. Dessen “Produktion” bietet die dringend benötigte Flexibilität für die Integration von erneuerbaren Energien. Für uns als Versorger ist es an der Zeit, einen Schritt in der Wertschöpfungskette nach oben zu gehen, da wir hier klare Wettbewerbsvorteile haben um Erfolgreich auf diesem Gebiet zu sein. Der Bericht beschreibt diese innovativen Chancen ausführlich.”

Standortwal und Personalausstattung

Darüber hinaus ergeben sich Synergien im Bereich Standortwahl und personelle Ausstattung. Laut Gandhi sehen sich Hyperscaler dem Druck ausgesetzt, Dienste mit geringer Latenz bereitzustellen und deswegen näher an die Städte heranrücken. Doch der Zugang zu Standorten mit Strom, Glasfaseranschluss und Platz für potenzielle Erweiterungen wird immer schwieriger. Und auch die Zahl der Co-Location-Rechenzentren steigt.

Gleichzeitig besitzen Energieversorger häufig Grundstücke in den Städten oder darum herum, gerade da wo die Nachfrage nach Co-Location am stärksten ist und eine Integration mit Fernwärmenetzen am ehesten möglich. Rechenzentren erfordern Standorte, Energieversorgungsunternehmen besitzen diese Standorte. Diese Synergie wird durch die Tatsache, dass die Energieversorgungsunternehmen im nächsten Jahrzehnt alle städtischen Kohlekraftwerke räumen werden, noch günstiger.

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