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Daten sammeln, zum Mitmachen auffordern und Erfolge demonstrieren - das EU-Projekt Reuseheat Die EU rechnet: Datacenter-Abwärme nutzen ist keine Gewissensfrage, sondern Notwendigkeit
Ist es nicht eine Schande? „Die Wärmemenge, die EU-weit von Energie-Anlagen und -Industrien verschwendet wird, entspricht jener, die derzeit zum Heizen aller Gebäude in Europa gebraucht wird.“ Dass nur wenige Rechenzentren Abwärme in Heizungssysteme oder gar Fernwärmenetze einspeisen, ist bekannt. Jetzt ist der Beitrag den Datacenter zur Nah- und Fernwärme leisten könnten, Teil des EU-Projekts „Reuseheat“.
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In Europa betrug der Gesamtenergieverbrauch von Rechenzentren im Jahr 2007 noch 56 Terawattstunden pro Jahr (TWh/Jahr). Doch bis 2020 wird der Bedarf voraussichtlich auf 104 TWh/Jahr ansteigen. Streaming, das Internet of Things oder ganz allgemein die Digitalisierung erfordert schlichtweg mehr IT und damit mehr Rechen-, Rechenzentrumskapazität mehr verschwendete Hitze und, da Wärme Energie bedeutet, Energieverschwendung im gigantischen Ausmaß. Effizienzgewinne im Datacenter durch bessere Kühlanlagen, Eco-Modi in USV-Analgen und Prozessoren können den Anstieg nicht wesentlich bremsen.
Neben einer kleinen Anzahl von extrem großen Rechenzentren mit IT-Lasten von 5 Megawatt (MW) gibt es auch Hunderttausende von mittelgroßen Unternehmensrechenzentren mit IT-Lasten zwischen 500 Kilowatt (kW) und 5 MW sowie noch mehr kleine Rechenzentren mit IT-Lasten unter 500 kW in ganz Europa. So gibt beispielsweise ein mittelgroßes Rechenzentrum mit 1 MW IT-Auslastung 3.700 MWh Wärme-Energie pro Jahr in die Atmosphäre ab (entspricht rund 0,46 MWhth Abwärme/MWh Strom, der vom Rechenzentrum verbraucht wird). Dies würde zu 48 TWh/Jahr potenzieller Abwärme führen, die in Zukunft von Rechenzentren genutzt werden könnte.
Das Projekt Reuseheat
Das Projekt Reuseheat, das von der Europäischen Union im Rahmen des Programms „Horizon 2020“ gefördert wird, widmet sich der Nutzung von Abwärme aus Rechenzentren und anderen stadtnahen Energiequellen wie unterirdische Netze, Gewässer, Kanalnetze, kühlende Produktionsprozesse, Verbrennungsanlagen und eben Datacenter, um zu untersuchen und zu demonstrieren, wie sich diese in Fern- und Nahwärme nutzen lässt. Die Ziele des Reseheat-Projekts beziehen sich somit auf die Dekarbonisierung des europäischen Heiz- und Kühlsektors, der derzeit 50 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in Europa ausmacht, und insbesondere auf die städtische Dimension des Heizens und Kühlens, da 84 Prozent der europäischen Bürger bis 2050 voraussichtlich in städtischen Gebieten leben werden.
Das Projektteam
16 Partner aus ganz Europa bilden das Reuseheat-Team. Die Koordination hat die schwedische Non-Profit-Forschungseinrichtung IVL übernommen. Zu den Partnern gehört Euroheat & Power, ein internationales Netzwerk für Fernwärme Kühlen in Europa. Die zugehörige „DHC+ Technologieplattform“ ist die europäische Drehscheibe für Forschung und Innovation im Bereich Fernwärme und -kühlung. Im Projekt Reuseheat leitet DHC+ die Kommunikations- und Verbreitungsaktivitäten.
Zum Team zählt auch die London School of Economics and Political Science, eine der weltweit führenden sozialwissenschaftlichen Universitäten, die das Centre for the Analysis of Time Series (CATS) betreibt. Im Projekt hat CATS die Aufgabe, die langfristige Nachfrage, die rechtlichen Rahmenbedingungen, das Engagement der Nutzer und das Risiko-Management zu analysieren.
Das Technologiezentrum Cartif entwickelt F&E-Projekte und unterstützt Innovationen in fünf Wissensbereichen: Industrie, Energie und Umwelt, Bau und Infrastrukturen, Agrarnahrung sowie Gesundheit und Lebensqualität. Im Rahmen des Projekts ist das Zentrum für die „WP1“-Datenbank zur Unterstützung der Ressourcenidentifikation verantwortlich und leitet „WP4“ für die Überwachung und Bewertung von vier Demo-Fällen.
Die Beispielfälle
Für diese hat sich das Projekt vier Städte und Branchen ausgesucht; sie sollen sich in puncto Größe, Klimabedingungen und Energiemärkte unterscheiden: Bukarest, Madrid, Nizza und Braunschweig.
Der Demo-Fall ist in Bukarest das Metro-Netz. Das Bukarester U-Bahn-Netz besteht derzeit aus 71,35 Kilometer Doppelgleisen, vier U-Bahn-Linien und 53 Bahnhöfen. Der Betreiber Metroul strebt die Entwicklung eines Wärmenetzes an, das sich aus der Abwärme der Lüftungsanlage des U-Bahn-Netzes speist. Die Wärme soll entweder im Fernwärmenetz von Bukarest oder in einem separaten Wärmeversorgungsnetz genutzt werden.
Die Elektromotoren der Züge erzeugen bei Beschleunigung, bei konstanter Geschwindigkeit und bei Verzögerung Wärme. Dazu kommt die Wärme durch das Abbremsen und der Wärme-Überschuss durch die Lüftungsanlage des Zuges. Dazu kommen im Sommer die ohnehin erhöhten Temperaturen, schlecht belüftete und tiefe Röhren, die Abwärme der Bahnhofsausstattung sowie der Fahrgäste. Ein Teil der Wärme wird von den Tunnelwänden aufgenommen, der Rest bleibt in der Tunnelumgebung.
So liefert eine unterirdischer Lüftungsschacht einer Station eine Lufttemperatur von 15 bis 27 Grad. Wasser/Wasser-Wärmepumpen erfassen diese überschüssige Wärme und bringen sie dann auf das für die Fernwärme erforderliche Niveau von 75 bis 90 Grad. Die Wärme kann dann direkt in das Fernwärmenetz eingespeist werden. Da die Temperatur in der Nacht sinkt, wird ein Speichersystem implementiert, um die Leistung während der Übergangsphase am Morgen zu maximieren.
In Madrid spielt ein Krankenhausgebäude die Hauptrolle – generell ein verbreitetes städtisches Tertiärgebäude mit lokaler Fernwärme- und Kälteinfrastruktur mit großem Replikationspotenzial. Doch in Südeuropa haben Krankenhäuser haben einen besonders hohen Kühlbedarf während des ganzen Jahres. Zugleich haben sie einen hohen Wärme-Energiebedarf, zum Beispiel für die Prozesswärme, etwa zur Sterilisation und Reinigung. Das das Hospital Universitario La Paz, das größte Krankenhaus vor Ort, ist an ein Nahwärmenetz angeschlossen und versorgt alle Gebäude mit Wärme und Kälte.
In Nizza besteht seit 2011 das Projekt „Grand Arenas“. Das Geschäftsviertel in der Nähe des Flughafens von Nizza Côte d'Azur wird sich auf 49 Hektar verfünffachen und um zwei wichtige Knotenpunkte drehen: ein Kongresszentrum und einen multifunktionalen Tagungsraum. Darüber hinaus gibt es Unternehmen, Geschäfte, Hotels und diverse Wohngebäude, einschließlich Sozialwohnungen.
Zum Konzept gehören Nachhaltigkeitsprojekte. Dazu gehört ein Niedertemperatur-Fernwärmenetz, das sich aus Abwärme des Kanalnetzes speisen soll. In Phase 1, seit Ende 2018 abgeschlossen, wird ein Block von 20.000 Quadratmeter Büro- und Hotelfläche durch einen Nord-Süd-Kanalsammler mit Strom versorgt.
Möglich wird das, weil Abwasser, das Wohnungen und Büros verlässt, insbesondere heißes Abwasser, zur kohlenstoffarmen Energiequelle wird. Das Fernwärmenetz enthält ein mit Wärmepumpen ausgestattetes Umspannwerk. Da die Gebäude unterschiedlich genutzt werden, gewährleistet eine Wärmepumpe das Gleichgewicht zwischen Wärme- und Kälteversorgung und Rückführung von einem Gebäude zum anderen.
Darüber hinaus ist ein zusätzlicher Kühlspeicher erforderlich, um eine Balance zwischen Heizen und Kühlen im System zu erreichen. Photovoltaisch thermische Hybrid-Sonnenkollektoren, die sowohl thermische als auch elektrische Energie erzeugen, sind ebenfalls Teil des Konzepts.
Rechenzentrumsabwärme in Braunschweig
In Braunschweig betreibt der lokale Energieversorger für Strom, Wärme, Gas und Wasser, die Veolia-Tochter BS|Energy, ein Fernwärmenetz, das 45 Prozent der Stadt mithilfe von Blockheizkraftwerken versorgt. Dieses, genauer gesagt ein Niedertemperatur-Fernwärmenetz der vierten Generation, soll auch ein neues Wohngebiet mit insgesamt 400 Wohneinheiten versorgen.
Direkt neben diesem Wohngebiet steht ein Rechenzentrum: hoher Kühlbedarf, Erzeugung überschüssige Wärme. Tatsächlich kann damit der Spitzenwärmebedarf und die Grundlast vollständig durch das Abwärmepotenzial des Rechenzentrums abgedeckt werden. Darüber hinaus sorgt ein Anschluss an das bestehende Hochtemperatur-Fernwärmenetz von BS|Energy für Flexibilität im System und das Abdecken von Spitzenlasten.
Aufgrund der niedrigen Temperatur der Wärmequelle wird eine Wärmepumpe zur Erhöhung der Vorlauftemperatur eingesetzt. Gleichzeitig ist es für einen hohen Wirkungsgrad erwünscht, das Temperaturniveau der Versorgung so niedrig wie möglich zu halten. Eine Steuerung, die die Echtzeitdaten der Unterwerke berücksichtigt, steuert die Wärmepumpe (DataCenter-Insider berichtete: Würdig für den Deutschen Rechenzentrumspreis? RZ-Abwärme versorgt 400 Wohnungen.
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Würdig für den Deutschen Rechenzentrumspreis?
Alle Unterwerke sind mit Sensoren ausgestattet, die Daten erfassen und in ein zentrales Leitsystem einspeisen. So ist es möglich, mit maximalem Wirkungsgrad zu arbeiten und auch niedrige Rücklauftemperaturen zu ermöglichen, während dem Kunden Echtzeit-Rückmeldungen zur Verfügung gestellt werden können.
Die heutigen Fernwärmenetze
Bei den Niedertemperatur-Netzen handelt es sich um Netze der sogenannten vierten Generation - 4GDH -, die vermutlich zwischen den Jahren 2020 und 2050 verwendet werden; die Wassertemperatur liegt hier bei 30 bis 70 Grad. In der Regel werden damit Fußbodenheizungen oder Niedertemperatur-Heizkörpern (50 Grad) versorgt.
Diese Generation zeichnet sich zudem durch Montage-orientierte Komponenten und flexiblere Rohrmaterialien aus und wird manchmal auch als „Low Temperature District Heating Networks“ (LTDH) bezeichnet.
In dem Nizza-Beispiel liegt die Temperatur noch niedriger, in einem Bereich zwischen 10 und 30 Grad, wobei die Wärme-Energie lokal mit Wärmepumpen genutzt wird. Diese Netze können als „Heat Sharing Networks“ bezeichnet werden, da die lokalen Wärmepumpen sowohl Wärme einblasen als auch entnehmen.
Barrieren und Hindernisse, die nicht technischer Natur sind
Das Projekt Reuseheat kümmert sich auch um Probleme, Einwände, die nicht technischer Natur sind: in finanzieller, organisatorischer und gesetzlicher Hinsicht. Die folgenden Tabellen liefern ein paar Stichworte
Finanzhindernisse | Lösungsansatz |
---|---|
Eingeschränkter Zugang zu Finanzmitteln und Investitionen | Partnerschaften zwischen öffentlichen und privaten Trägern wie bei ESCO |
Lange Amortisationszeit | Steuerliche Anreize und Vorteile wie Steuererleichterungen, Förderprogramme, zinsgünstige Kredite, Garantiefonds etc. |
Hohe Investitionskosten | Angepasste, dedizierte Geschäftsmodelle und Finanzmodelle |
Fehlende steuerliche Anreize | Bezirksrenovierung statt Einzelsanierung, um Kosten zu senken, Synergien zu schaffen und die Finanzierung zu optimieren. |
Mangelndes Wissen der Finanzinstitute über neue und aufkommende Geschäftsmodelle zur Energieumrüstung | Bildung von Einkaufsgruppen, damit Privatpersonen Rabatte auf Anlagen und Dienstleistungen erhalten können. |
Eigentümerstruktur | |
Getrennte Anreize, was zu mangelnder Motivation der Eigentümer führt | Passgenaue Renovierungspläne und Umsetzung |
Fehlende Garantien für Eigentümer von Mehrfamilienhäusern | Soziale Nachhaltigkeit und Verantwortung über das übergeordnete Ziel stellen und nicht die kurzfristige Rentabilität. |
Fehlende Verwaltung des investierten Geldes bei individualisiertem Eigentum | Langfristiges Eigentum |
Die organisatorischen Hindernisse
Organisatorische Hindernisse | Lösungsansatz |
---|---|
Fähigkeit und Durchführung von Nachrüstarbeiten | Kommunikation und Kommunikation beziehungsweise Einrichtung von speziellen Arbeitsgruppen/Kompetenzgruppen für Kommunikation |
Schwer zu findende Bauunternehmer und Handwerker | |
Lange Dauer der Bauarbeiten | |
Begrenzte Ressourcen innerhalb von Unternehmen (insbesondere KMU) für anspruchsvolle Retrofits | |
Mangelndes Wissen über neue Technologien in spezialisierten Unternehmen | |
Abhängigkeit von Beratern, die zu suboptimierten Systemen führt. | |
Mangelndes Wissen/Kompetenz bei einigen Kommunen/Wohnungsunternehmen, was sich auf die Beschaffungsfähigkeit auswirkt. | |
Kooperationen | |
Mangelnde Koordination zwischen den Gemeindeverwaltungen | |
Interessenkonflikt zwischen Mietern/Kommunen - soziales Anliegen vs. Geschäftsmentalität | |
Eigentümerstruktur | |
Verschiedene Arten von Gebäuden, Eigentum, Demografie ... innerhalb des Bezirks |
Die rechtlichen Schwierigkeiten
Rechtliche Schwierigkeiten | Lösungsansatz |
---|---|
Fehlende Rechtskenntnisse | Unterstützung in Genehmigungsverfahren (Navigation durch die Bürokratie) |
Hohes Maß an Bürokratie | Reduzierung des Bürokratieaufwands |
Unsicherheit über den Regulierungsrahmen und steuerliche Anreize | |
Normative Vorschriften werden nicht eingehalten | |
Starre Interpretationen von Vorschriften | |
Hohe Komplexität der rechtlichen Rahmenbedingungen im Bereich Energie/Infrastruktur | |
Unterschiedliche Gesetzgebung in den verschiedenen europäischen Ländern | |
Steuern |
Mitmachen beim Erstellen von Informationen
Das Projekt Reuseheat fordert relevante Akteure und Interessengruppen, also Rechenzentrumsbetreiber beispielsweise zur Teilnahme an einer Umfrage auf. Diese soll ein sehr Instrument zur Ermittlung des Potenzials städtischer Überschusswärmequellen sein.
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Umfrage bei Rechenzentrumsbetreibern
Die erhobenen Daten werden Teil einer offenen und öffentlichen Datenbank und sollen schließlich dazu beitragen, einen Schritt vorwärts zu gehen, auf dem Weg zu einem nachhaltigeren und dekarbonisierten Energiemodell in Europa. Teilnehmer erhalten bei Bedarf eine kostenlose Pre-Machbarkeitsstudie. Die erste Runde findet vom 15. April bis 15. Juli 2019 statt.
Weiterführende Informationen
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