Quanten mit Mehrwert Quantencomputing wird praxistauglich

Von Anna Kobylinska und Filipe Pereia Martins *

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Die ersten konkreten Anwendungen des Quantencomputing zeigen den praktischen Nutzwert der Quantenüberlegenheit. Vom Design synthetischer Moleküle über „quantenoptimierte“ Flüge bis hin zu adaptiven Lieferketten: Vorreiter wollen sich den Quanten(vor)sprung sichern.

Leistungsträger: „System Model H1“ von Honeywell ist unter anderem bei BMW, Merck, DHL und Accenture im Einsatz.
Leistungsträger: „System Model H1“ von Honeywell ist unter anderem bei BMW, Merck, DHL und Accenture im Einsatz.
(Bild: Honeywell)

Konkrete Anwendungsfälle des Quantencomputing beginnen sich bereits zu materialisieren. Unternehmen optimieren ihre Prozesse und Versorgungsketten, analysieren große (und chaotische) Datensätze, modellieren neue Moleküle, simulieren in Echtzeit komplexe Systeme und nutzen den Quantenvorsprung in der Sensorik, Kommunikation und Materialforschung.

Die meisten aktuellen Projekte in der Quantencomputer-Gemeinde konzentrieren sich darauf, bestehende klassische Algorithmen auf Quantencomputer zu übertragen. Auf der einen Seite suchen Forscher bestimmte Elemente eines bestehenden Algorithmus, die sich auf einem Quantencomputer beschleunigen lassen, auf der anderen Seite entwickeln sie reine Quantenanalogien zu bewährten klassischen Algorithmen. Dazwischen gibt es noch den so genannten hybriden quanten-klassischen Ansatz, der sich beide Arten von Berechnungen zu eigen macht.

Eine der vielversprechendsten Anwendungen des Quantencomputing ist das maschinelle Lernen mit Quanten. Zu den Vorreitern der Disziplin zählen deutsche Autobauer.

Das Fazit der Autoren

Quantencomputing hat noch einen langen Weg bis hin zur breiten Kommerzialisierung, doch konkrete Anwendungsfälle manifestieren sich bereits in der Praxis. Auch einige bereits etablierte Nutzungsszenarien des klassischen Computings könnten durch innovative Quantenchips erst richtig interessant werden.

Von Quanten-ML zur Maschinenintelligenz

BMW hat mit Quanten-Machine-Learning seinen autonomen Fahrzeugen das „Handwerk“ beigebracht. Massive Mengen von Trainingsdaten aus Millionen kompetent gefahrener Streckenkilometern wären erforderlich, um hochgenaue ML-Modelle zu errechnen. Mit Quantencomputing konnte BMW in Zusammenarbeit mit der kalifornischen Quantenalgorithmen-Schmiede QC Ware die Anzahl der tatsächlich erforderlichen Kilometer der Trainingsfahrten senken. QC Ware gilt weltweit als einer der Technologieführer des/der quantenmechanischen/r ML/KI.

Für quantenmaschinelle Lernalgorithmen gibt es bereits unzählige Szenarien, die sich zum Teil auch schon bewähren konnten. Dazu zählt etwa Bilderkennung, -Analyse und -Interpretation mit quantenneuronalen Netzen.

Aufgrund der Art und Weise, wie die Qubits eines Quantensystems miteinander interagieren, kann ein quantenneuronales Netzwerk weitaus mehr Variablen auswerten als ein klassischer Supercomputer.

QC Ware arbeitet aktuell mit Roche an einem Forschungsprojekt zur Optimierung der biomedizinischen Bildanalyse und diagnostischen Bildinterpretation durch maschinelle Lernanwendungen. Im Rahmen des Projekts wollen die beiden Organisationen das Potenzial von quantenneuronalen Netzen für Erkennung und Klassifizierung von Mustern untersuchen.

In Deutschland entsteht im Rahmen des Leuchtturm-Projektes PlanQK eine Plattform und ein Ökosystem für quantenunterstützte Künstliche Intelligenz (Quantum-Assisted Artificial Intelligence), die so genannte QKI.

PlanQK möchte sich praktischen Nutzungsszenarien widmen, vom Scheduling und Dienstplanoptimierung (zum Beispiel durch den Einsatz einer Quantum Boltzmann Machine zum Trainieren eines Neuronalen Netzwerks) über Optimierungen der industriellen Fertigung (mittels QAOA oder Quantum Annealing), Predictive Maintenance (mit einer Quantum-getriebenen Support Vector Machine für Klassifizierungsprobleme), Vorhersagen des Kundenverhaltens (mit modellgetriebenen KI-Ansätzen unter Einbezug von Quantum Reinforcement Learning und dergleichen andere.

Nutzer sollen künftig auf einen Quanten-AppStore zugreifen können, Entwickler auf einfache Weise Quantum-Plattformen nutzen und Spezialisten Konzepte bereitstellen, die Quantum Computing einfach zugänglich machen. Die Initiative wird vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWI) gefördert.

Design synthetischer Moleküle

Menten AI errechnet die nächste Generation von synthetischen Proteinen und Enzymen auf Quantencomputern von D-Wave. Quantenbasiertes maschinelles Lernen soll neue biologisch aktive Substanzen erschaffen, die in der Natur nicht vorkommen und sich daher patentieren lassen. Für die resultierende Kontrolle des geistigen Eigentums können sich allen voran die pharmazeutische und chemische Industrie erwärmen.

Molekulardesign mit D-Wave: Simulation der Faltung synthetischer Proteine auf einem Quantenannealer von D-Wave in einer klassischen Visualisierung.
Molekulardesign mit D-Wave: Simulation der Faltung synthetischer Proteine auf einem Quantenannealer von D-Wave in einer klassischen Visualisierung.
(Bild: D-Wave, Menten AI)

Die Herausforderungen der Skalierbarkeit will das ehrgeizige Startup mit dem hybriden Ansatz des quantenklassischen Rechnens überwinden.

Menten AI arbeitet mit Peptiden, also proteinähnlichen Aminosäureketten. Es sucht synthetische Heteropolymere, welche die Zellmembranen durchdringen und sich in den Zellen mit ganz bestimmten Zielsubstanzen, zum Beispiel gewissen Metallen, verbinden könnten (sofern sich diese Herausforderung nicht bereits zufriedenstellend mit patentierten kleineren Molekülen noch mit Biologika adressieren lässt).

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Menten AI rechnet auch bereits an einem COVID-19-Therapeutikum. Die Forscher des Startups nutzen die „Rosetta“-Software und den Quantenannealer „2000Q“ von D-Wave.

Verwandte Anwendungen umfassen Simulationen der Zerlegung von Rohöl in leichtere Kohlenwasserstoffe, Senkung von Reaktionsbarrieren durch Katalyse und die Erschaffung neuartiger industrieller Werkstoffe durch quantenmechanische Materialforschung. Auch Vorhersagemodelle, etwa der Nachfrage, und die Risiko-Analyse (ob für Finanzinstitute oder das Versicherungswesen) wie auch der Entwurf von Empfehlungssystemen (für den Einzelhandel, das Marketing oder Medien) fallen in diese Kategorie.

„Quantenoptimierte“ Flüge, Preise, Lieferketten...

Der europäische Flugzeugbauer Airbus hat in Zusammenarbeit mit QC Ware die komplexe Problematik der Flugwegoptimierung angepackt, um die Flugdauer und den Kerosinverbrauch zu minimieren sowie gleichzeitig unerwünschte Wetterverhältnisse zu vermeiden.

Das Air Force Research Laboratory (AFRL) erforscht gemeinsam mit QC Ware die Anwendung von Quanteninformationswissenschaften auf die Analyse der Missionsziele unbenannter Flugzeuge anhand der betreffenden Flugbahn in Echtzeit. Zum Einsatz kommt hierbei ein proprietärer Quanten-Maschinenlernalgorithmus von QC Ware.

Deutsche Autohersteller sind mit Quantencomputern bereits seit Jahren bestens vertraut. Volkswagen hat in Zusammenarbeit mit Google eine Vielzahl von Problemen quantenmechanisch untersucht, von der prädiktiven Wartung des eigenen Maschinenparks über die Vorhersage von Preisänderungen auf dem Automobilmarkt bis hin zur Vermeidung von Verkehrsstaus. Volkswagens erstes Projekt begann 2016.

Die resultierende Anwendung zur Routenoptimierung von Taxen in Peking gab es rund ein Jahr später auf der CeBIT zu bewundern. Auf der folgenden CeBIT in 2018 demonstrierte Volkswagen einen hybriden Algorithmus zum Optimieren der Form des Seitenspiegels mit dem Ziel, die Akustik zu verbessern.

Vor zwei Jahren (2019) hatte das Unternehmen den praktischen Nutzwert von Quantencomputing in der weltweit ersten Echtzeit-Präsentation auf die Probe gestellt: Ein Quantenannealer von D-Wave optimierte Busstrecken in Lissabon zur Stau-Vermeidung. Volkswagen nutzte dann diese Erfahrungen unter anderem auch zur Optimierung der eigenen Logistik.

Für seine Optimierungsprobleme nutzt Volkswagen hauptsächlich Quantenannealer von D-Wave. BMW hingegen möchte sich mit Quantencomputern von Honeywell Wettbewerbsvorteile verschaffen. In Zusammenarbeit mit Entropica Labs sucht BMW unter anderem neue Wege, um die verzwickten globalen Lieferketten effizienter und widerstandsfähiger zu gestalten.

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Denn nichts ist teurer als kostspielige Produktionsstillstände. Ein paar Naturkatastrophen, ein militärischer Konflikt oder eben eine Pandemie und schon können die globalen Lieferketten ganz schnell ins Stottern geraten oder zeitweise sogar komplett ausfallen.

Die Optimierung von Versorgungsketten stellt eine solch komplexe Aufgabe dar, dass sie konventionelle Supercomputer überfordert. Um das Problem anzupacken hat der bayerische Luxuswagenhersteller bereits mehrere verschiedene Quantencomputer von Honeywell auf die Probefahrt genommen, darunter auch das aktuelle System Model „H1“ mit 10 Qubits. Eben dieses System bescherte Honeywell den aktuellen Weltrekord für das höchste je gemessene Quantum Volume von 512 (eine Metrik ohne Einheit).

„Wir sind begeistert, das transformative Potenzial des Quantencomputing für die Automobilindustrie zu erforschen“ kommentierte Julius Marcea, IT-Leiter für die Regionen APAC und E(E)MEA der BMW Group. Der Konzern wolle „die Grenzen der technischen Leistungsfähigkeit [von Quantencomputing] erweitern“.

System Model H1 von Honeywell verwendet eine fortschrittliche Trapped-Ion-Architektur auf der Basis von zehn vollständig verbundenen Ytterbium-Ionen. Der Trapped-Ion-Prozessor von Honeywell trumpft gegenüber Alternativen mit seiner ungewöhnlichen Robustheit, die sich in einer hohen Wiedergabetreue und geringem Nebensprechen reflektiert. Entropica Labs, ein Quanten-Computing-Startup aus Singapur, entwickelt dafür die Software.

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Auch andere Anwendungen für Quanten-Technik kommen für BMW in Frage, darunter Optimierungen der chemischen Zusammensetzung von Batterien und der geografischen Verteilung von Ladestationen zur Energieversorgung von Elektroautos. Design-Entscheidungen und die Fertigung könnten von Quanten-Berechnungen der Kostenstruktur, Fahrsicherheit, Aerodynamik und Materiallanglebigkeit profitieren.

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In Zusammenarbeit mit dem Quantencomputing-Startup Quantumscape hat sich Volkswagen vorgenommen, die Batterieleistung für Elektrofahrzeuge voraussichtlich bis zum Jahre 2025 zu verdoppeln. Der Markt brauche Batterien, welche sich „schnell aufladen lassen, weniger Platz brauchen, weniger Geld kosten“ und welche den Elektroautos „dieselbe Reichweite geben wie heute [nur] Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren", argumentierte Bill Gates, einer der bisherigen Investoren in Quantumscape, in einer Rede, und stellte gleich die Verschrottung aller aktuellen Autos in Aussicht.

Quantumscape bereitet sich dahingehend für einen Börsengang vor. Das Unternehmen erhofft sich von den Finanzmärkten eine Kapitalspritze in Höhe von einer Milliarde Dollar; die resultierende Marktvaluierung dürfte dann 3,3 Milliarden Dollar erreichen. (Volkswagen ist hier das Schwergewicht; der Konzern bringt es auf eine Marktkapitalisierung von weit jenseits der 100-Milliarden-Marke.)

Auch die anderen deutschen Autobauer wollen mit Quantencomputing auf die Überholspur wechseln, erst recht mit Elektroautos. Daimler fährt zum Beispiel „zweigleisig“: mit IBM und Google. So erforscht eine Daimler-Sparte chemische Reaktionen in Autobatterien auf dem „Sycamore“-Quantenprozessor von Google.

Mit Quanten-Chips zu neuer Wertschöpfung: Anwendungen des Quantencomputings nach Branche.
Mit Quanten-Chips zu neuer Wertschöpfung: Anwendungen des Quantencomputings nach Branche.
(Bild: McKinsey & Company)

Die Anschaffungskosten für einen Quantencomputer liegen derzeit noch jenseits der Reichweite des Mittelstands im Bereich von etwa 10 bis 15 Millionen Dollar. Hinzu kommt jährlich ein Wartungsaufwand in Höhe von mindestens einer Million Dollar.

Den Kauf einer On-Premise-Installation eines voll ausgewachsenen Quantensystems können somit derzeit nur die wenigsten Unternehmen rechtfertigen. Doch Abhilfe ist bereits in Sichtweite. Quantenmechanische Hardwarebeschleuniger wie die Lösungen der deutsch-australischen Quantum Brilliance könnten die Nische füllen (siehe dazu auch den nächsten Bericht in dieser Serie: „Quantencomputer: Stand der Technik“). Ein Markt für Quantencomputing-as-a-Service keimt auch bereits auf.

* Das Autorenduo Anna Kobylinska und Filipe Pereia Martins arbeitet für McKinley Denali Inc. (USA)

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