Vom erhofften Licht am Ende des Quantentunnels PlanQk-Messe 2021: „Quanten-Boost für die Optimierung“

Von M.A. Jürgen Höfling

Anbieter zum Thema

Wenn es um Optimierungsaufgaben geht, dann ist mittlerweile die Hoffnung auf das Quantencomputing nicht weit. Das wurde vor Kurzem in der Optimierungs-Session der virtuellen Messe der „PlanQK“-Community deutlich.

Optimierungsaufgaben und Quantencomputing: Der Tunneleffekt erweckt große Hoffnungen.
Optimierungsaufgaben und Quantencomputing: Der Tunneleffekt erweckt große Hoffnungen.
(Bild: Bild von Pete Linforth auf Pixabay)

Ganz gleich ob es sich um Zugfahrpläne, die mit vorgeschriebenen Wartungsintervallen im Einklang stehen müssen, handelt, oder um möglichst flexible Schichtpläne in einer großen Uni-Klinik, ob es um die Optimierung von Netzkosten in einem landesweiten Energienetz geht oder um den zeitoptimierten Durchlauf von Werkstücken auf einer Kette von Bearbeitungsmaschinen: Mathematisch lassen sich alle vier Fallbeispiele als mehr oder weniger komplexe Optimierungsaufgabe formulieren.

Auf der kürzlich als Online-Veranstaltung durchgeführten Messe des Forschungs- und Entwicklungsverbunds PlanQK (Plattform und Ökosystem für Quantenunterstützte Künstliche Intelligenz) war die Vorstellung entsprechender Lösungen einem eigenen Teilforum unter dem Titel „Quanten-Boost für Optimierung“ gewidmet. Immer im Hinterkopf der Diskussionsteilnehmer*innen war dabei die Frage: lässt sich der Optimierungs-Algorithmus mit einem Quantencomputer seinerseits optimieren, wobei als Quantencomputer der Wahl in diesem Forum in allen Vorträgen Bezug auf den Quanten-Annealer der kanadischen Firma D-Wave Systems genommen wurde.

Adiabatischer Quantencomputer als Spezialist für Optimierung

Das adiabatische Theorem der Quantenmechanik besagt (sehr vereinfacht ausgedrückt), dass in einem quantenmechanischen Mehrteilchen-System die Zeit, die die Elektronen für einen Übergang zwischen zwei Energieniveaus benötigen, so kurz ist, dass bei der Zustandsänderung der Elektronen die Bewegung der (sehr viel langsameren) Atomkerne in der energetischen Rechnung vernachlässigt werden kann. Das heißt, es findet wegen der Kürze der Zeit während der Zustandsänderung kein Wärmeaustausch statt, deshalb „adiabatisch“, wörtlich: „ohne dass Wärme aus dem System geht“.

Das gängigste Anwendungsbeispiel für das Theorem ist die so genannte Born-Oppenheimer-Näherung, die als „vereinfachte Schrödingergleichung“ nicht nur in der physikalischen Chemie breit genutzt wird, sondern als Vorlage für allgemeine kombinatorische Optimierungsprobleme dient.

Der an dem adiabatischen Theorem der Quantenmechanik und auf „adiabatische Quanten-Algorithmen“ ausgerichtete Quantenrechner-Typ der Firma D-Wave spielt insofern seine Stärken bei Problemen aus, für die es potenziell viele brauchbare Lösungen gibt und bereits irgendeine beliebige davon — sprich ein lokales statt eines globalen Minimums der Zielfunktion-— ein zufriedenstellendes Resultat darstellt. Zur Erklärung: Der Begriff „Zielfunktion“ steht für die eine brauchbare Lösung der Optimierungsaufgabe. Und ein lokales oder relatives Minimum ist das Minimum, das einem gegebenen Punkt auf der Kurve am nächsten liegt. Das Minimum über den gesamten Untersuchungsbereich heißt absolutes oder globales Minimum.

Während das Finden einer lokalen Lösung in vielen Fällen relativ einfach ist, ist das Finden eines absoluten Minimums von ganz anderem mathematischem Kaliber, nämlich eine Nuss, die schwer zu knacken ist. Man hofft, dass die Nutzung des Tunnel-Effekts der Quantenmechanik das Problem leichter machen könnte: bildlich gesprochen, dass man auf dem Weg vom lokalen zum globalen Extremum nicht über Berg und Tal der Kurve gehen muss, sondern direkt durch einen Quanten-Tunnel.

Wichtige Kürzel: QUBO, qbsolv, Leap

Der Quantenrechner von D-Wave basiert konzeptionell auf dem adiabatischen Theorem der Quantenmechanik und ist quasi durch sein Bauprinzip und die Nähe zur Born-Oppenheimer-Näherung (siehe: Ergänzendes zum Thema) in erster Linie (vielleicht sogar ausschließlich) für Optimierungen geeignet.

Dass alle vier Referenten in der Optimierungs-Session der PlanQK-Messe in Bezug auf den Quantenrechner mit D-Wave arbeiten, hat wohl zum einen mit der Wissenschaftshistorie dieses Quantencomputing-Modells zu tun, zum anderen mit der Tatsache, dass die Kanadier unter anderem mit dem Programm „qbsolv“ eine Software anbieten, mit der sich ein allgemeines QUBO-Optimierungsproblem automatisch in mathematisch „besser verdaubare Häppchen“ aufteilen lässt.

„QUBO“, ausgeschrieben „Quadratic Unconstrained Binary Optimization“ ist ein kombinatorisches Optimierungsverfahren, das sich unter anderem gut zur Modellierung von Aufgaben in der Verkehrsfluss-Steuerung eignet. Alle vier Referenten der Session stellten eine Problemlösung dar, die im weitesten Sinn hier einzuordnen ist.

Das Programm qbsolv von D-Wave ist auf den hauseigenen Quantenrechner zugeschnitten. Dieser sucht mehr oder weniger selbstständig für die gestellte Aufgabe ein optimales Ergebnis. Darüber hinaus bietet D-Wave mit der Cloud-Lösung „Leap“ für Anwender einen unkomplizierten Zugang in die Quantenrechner-Welt.

DB SysteL: Optimierung bei der Zug-Disposition

Eine QUBO-Optimierung für ein Tableau aus Zugfahrplänen, Wartungsintervallen, zielgenauer Verfügbarkeit von Wartungspersonal am Wartungsort, Minimierung von Leerfahrten etc. präsentierte Dr. Matthias Koch von DB Systel, dem IT- und Telekommunikationsdienstleister der Deutschen Bahn.

Angesichts von rund 300 Zügen, die die Deutsche Bahn im Fernverkehr betreibt (zumindest in Nicht-Pandemie-Zeiten), ergibt mit den oben genannten Parametern und zusammen mit vielen Neben- und Randbedingungen (beispielsweise „gefahrene Kilometer müssen kleiner sein als das Wartungsintervall“ oder „Bestimmte Fahrten dürfen sich nicht überlappen“) ein umfangreiches Gleichungssystem als Input für die Optimierungsrechnung.

Hier spätestens kommen Erkenntnisse der Quantenmechanik und des Quantencomputings ins Spiel, indem beispielsweise rechnerisch der Tunneleffekt nachgebildet wird und ein schneller Weg von einem relativen zu einem absoluten Minimum gefunden wird. DB Systel verwendet in diesem Zusammenhang offenbar auch die „Hybrid-Solver-Lösung“ von D-Wave Leap, bei der die bislang möglichen 5.000 binären Freiheitsgrade (Qubits) der Quantum Processing Unit von D-Wave aufgebohrt werden, um größere Variablenmengen verarbeiten zu können.

Planerio: Dienstplan-Optimierung im Gesundheitswesen

Nicht weniger umfangreich war das Tableau an Parametern inklusive Rand- und Nebenbedingungen, das Stephanie Troppmann vom Münchner Start-up Planerio für den Use Case „Dienstplan-Optimierung im Gesundheitswesen“ in ihrem Vortrag präsentierte. Troppmann erklärte, welche Bedingungen im Modell nicht „verhandelbar“ sind („eine Mitarbeiter*in kann nur eine Schicht zur gleichen Zeit übernehmen“ oder eine Mitarbeiter*in kann nur eine Schicht übernehmen, für die sie qualifiziert ist) und welche Bedingungen flexibel gehandhabt werden können (eine Mitarbeiter*in tritt die Schicht eine Stunde später an, um das Kind in die Kita bringen zu können “, dafür wird die Schicht des Vorgängers angepasst). Derzeit arbeiten Troppmann und ihre Kollegen bei Planerio aber noch mit einem starren Planungsmodell, die Schichtlängen „atmen“ also noch nicht.

Jetzt Newsletter abonnieren

Täglich die wichtigsten Infos zu RZ- und Server-Technik

Mit Klick auf „Newsletter abonnieren“ erkläre ich mich mit der Verarbeitung und Nutzung meiner Daten gemäß Einwilligungserklärung (bitte aufklappen für Details) einverstanden und akzeptiere die Nutzungsbedingungen. Weitere Informationen finde ich in unserer Datenschutzerklärung.

Aufklappen für Details zu Ihrer Einwilligung

In dieser Konstellation lässt sich die Optimierungs-Zielfunktion mit QUBO gut beschreiben, sogar ohne Einsatz von Schlupfvariablen (slack variables). [Anmerkung: mit solchen Hilfsvariablen lässt sich unter bestimmten Bedingungen die Rechnung vereinfachen, ohne dass das Ergebnis allzu sehr verzerrt wird.]

Derzeit sei das Tableau der Schichtpläne leider noch zu klein, um Quantencomputing einsetzen zu können, führte Troppmann aus, gab aber eine Schätzung ab: So meinte sie, dass man mit 5.000 Qubits (also 5.000 binären Freiheitsgraden beim adiabatischen Quantenrechner) die Besetzung von 105 Schichten darstellen könne. Ganz allgemein benötige Planerio aber mindestens 16.000 Qubits, um die Mehrzahl seiner Kunden „quantenrechnerisch“ sínnvoll bedienen zu können.

d-fine: Netzkosten-Optimierung in Zeiten der Energiewende

Eine Minimierung der Netzkosten über die Zeit ist das Optimierungsziel, das Benjamin Obert von d-fine in seiner Präsentation vorstellte. Den kontextuellen Rahmen bilden die Herausforderungen der Energiewende in Deutschland und Europa. Relevante Parameter bei der Lösung des Optimierungsproblems sind laut Obert Energieleistung, Lastfluss und Leistungsbilanz.

Man könne auch Ein- und Ausschaltvorgänge der Kraftwerke in das Modell aufnehmen. Bei der Lösung spielen Diskretitieren und der QUBO-Ansatz die entscheidende Rolle. Auch bei dieser Aufgabe kann laut Obert „Tunneln“ eine Möglichkeit sein, bessere Lösungen zu finden. Man sei dabei, „das Tunneln“ mit Quanten-Annealern, also in erster Linie dem D-Wave-Ansatz, zu simulieren.

Fraunhofer Fokus: Durchlaufdauer von Werkstücken minimieren

Der zeitoptimierte Durchlauf von Werkstücken in einer Kette von Bearbeitungsmaschinen war der Use Case, den Cristian Grozea vom Fraunhofer Institut Fokus in seinem Vortrag vorstellte. Das „Job-Scheduling-Problem“ bestand konkret darin, dass vier Werkstücke auf jeweils drei Werkzeugmaschinen bearbeitet werden sollten. Überschneidungen an einer bestimmten Maschine sind naturgemäß nicht möglich, Wartezeiten sind nicht erwünscht, jedenfalls keine langen. Das ganze Tableau enthält auch hier wieder die Aufgabe, die Dauer der gesamten Verarbeitungszeit zu minimieren.

Fermis Goldene Regel gibt Hoffnung

Tunneln ist auch hier die Quantenrechner-Lösung, die einem von irgendeinem lokalen Minimum zum absoluten Minimum bringen soll. Aber Tunneln ist im Quantencomputing leichter gedacht und gesagt als rechentechnisch umgesetzt.

„Was verhindert eigentlich, dass man nach dem Hineintunneln in das globale Minimum nicht auch gleich wieder heraustunnelt“, war eine der Fragen aus dem virtuellen Publikum in diesem Forum. Matthias Koch von DB Systel wagte eine Antwort: Das verhindere wohl Fermis goldene Regel, die sehr vereinfacht und umgangssprachlich ausgedrückt, besagt, dass dann, wenn die Temperatur geringer wird, kein höheres Energieniveau erreicht werden kann. Mit anderen Worten: Tunneln ist in der Regel offenbar eine Art Einbahnstraße und das ist in diesem Fall eine absolut gute Nachricht.

Artikelfiles und Artikellinks

(ID:47317406)