Services und Co-Location Mit HPC nach Island?
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Island sieht sich als erstklassigen Co-Location- und Softwareservice-Standort. Die natürlichen und politischen Voraussetzungen dafür stimmen. Ein neues Unterseekabel, das Anfang des kommenden Jahres in Betrieb genommen wird, lässt die Latenzen noch einmal schrumpfen.

In Deutschland aktive Rechenzentrumsbetreiber sorgen sich um die Beschaffung geeigneter Bauplätze und ausreichend Energie. Solche Probleme sind isländischen Co-Location-Anbietern derzeit fremd – sie wollen ihr Geschäft mit Kunden aus aller Welt ausbauen.
Einige einmalige geologische Faktoren unterstützen dieses Ziel: Durch Island läuft der nordatlantische Rücken oberirdisch. Er ist die Stelle, wo zwei tektonische Platten auseinanderdriften. Weltweit als einziges Land besitzt es außerdem eine Region, an denen heißes Magma aus dem tiefen Erdinneren an Land bis nach oben dringt, einen so genannten Hotspot. Das bedeutet: große Mengen geothermischer Energie und Vulkanismus aber keine großen Erdbeben, wie sie etwa in Kalifornien immer wieder zu erwarten sind.
„Da die Platten pro Jahr einige Zentimeter auseinanderdriften, kann sich keine Spannung aufbauen“, erklärt Einar Tómasson, Head of Energy and Green Solutions bei der Wirtschaftsförderungseinrichtung Business Iceland, der hilft, die Rechenzentrumsbranche des Landes aufzubauen. „Mit dem Vulkanismus wissen wir umzugehen; der digitalen Infrastruktur wird er in der Regel nicht gefährlich.“
Plattentektonik sorgt für nachhaltige Energie - satt
Geothermie versorgt das Land über dampfgetriebene Turbinen zu 30 Prozent mit Strom und über das heiße Wasser direkt mit Heizwärme. Die restlichen 70 Prozent des Strombedarfs steuert heute Hydro-Energie bei.
Wind hat die nordeuropäische Inselrepublik noch nicht einmal angezapft, weil das bislang schlichtweg unnötig war. Derzeit laufen erste Versuche mit zwei Windturbinen. Ergebnis: In dem stets windigen Land sind Effizienzen von mehr als 45 Prozent möglich. Damit liegt eine weitere regenerative Energiequelle mit erheblicher Kapazität buchstäblich in der Luft.
Umstieg auf wissensbasierte Ökonomie
Dazu kommt eine Regierung, die wissensbasierte, kohlendioxidarme und zukunftsträchtige Einkommensquellen wie sie die IT-Industrie bietet, erschließen möchte, erklärt Tómasson. Schließlich soll die gesamte Ökonomie im Konzert mit anderen nordeuropäischen Ländern bereits 2045 komplett kohlendioxidfrei arbeiten.
Auch das kühle Klima tut Rechenzentren gut. Im Juli erreichen die Durchschnittstemperaturen gerade einmal 15 Grad, die Maximaltemperaturen liegen in den mittleren Zwanzigern. Freiluftkühlung ist also möglich. Das bedeutet laut at North gute 30 Prozent weniger Energieverbrauch für dieselben Workloads im Vergleich mit Betrieb in Deutschland.
Zentrale Interessenvertretung
Die isländischen Rechenzentren der Co-Location-Anbieter haben sich in der Vereinigung Datacenters in Iceland unter dem Dach von Business Iceland zusammengeschlossen, um ihre Pluspunkte zu propagieren. Wegen des regenerativen Stroms und der Energie-armen Kühlung haben isländische Rechenzentren eine sehr günstige Kohlendioxidbilanz:
In Frankfurt entstehen pro Kilowattstunde 391 Gramm Kohlendioxid, in Island zehn. „Das zählt, wenn Unternehmen in Zukunft für ihren Ausstoß zahlen müssen,“ sagt Gisli Kr., Chief Commercial Officer beim Rechenzentrumsbereibers Atnorth.
Das 2009 gegründete Unternehmen betreibt derzeit zwei Rechenzentren im Süden von Island und eines in Stockholm. Es baut im isländischen Norden ein drittes, das im Frühjahr 2023 startet. Die isländischen Atnorth-Rechenzentren leisten zusammen 82 kW bei einer PUE von 1,2. Niederlassungen unterhält das 2010 gegründete Unternehmen in Großbritannien, Deutschland und Belgien.
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Atnorth und Nvidia
KI-gestützter Einblicke mit nachhaltigem Datacenter-Betrieb
Die Abwärmenutzung außerhalb der eigenen Bäros ist geplant. Allerdings fehlen dafür noch Kooperationspartner.
Kernanwendung HPC
Wichtigste Anwendung auf den Rechnern in den luftgekühlten, bis 24 Grad warmen 450-Quadratmeter-Datenhallen mit Leistungen zwischen 1,2 und 5 Megawatt sind HPC-Workloads, häufig strömungsdynamische oder AI-Algorithmen. Allerdings müsse sich die Verlagerung nicht auf HPC beschränken. „90 bis 95 Prozent der Applikationen können hier laufen“, ist Gisli Kr. überzeugt.
Meist lohne es sich nämlich aus der TCO-Perspektive, Applikationen so anzupassen, dass sie verzögerungstoleranter und damit resilienter werden. Das sei in der Regel mit vertretbarem Aufwand realisierbar.
DR für isländische Kunden
Ein ähnliches Konzept wie Atnorth verfolgt Borealis. Das Unternehmen besitzt derzeit zwei Rechenzentren in Island, eins davon im 2,5 Autostunden nördlich der Hauptstadt gelegenen Blönduós mit mehr als 25.000 Quadratmeter Whitespace. Das zweite befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft von Atnorth in der Nähe des Flughafens Keflavik.
Das Unternehmen hat soeben eine weiteres 7000-Quadratmeter-Datacenter, das „Reykjavik Data Center“ (RDC) von der isländischen Nationalbank Íslandsbanki in Reykjavik erworben. Auch bei Borealis wird mit Luft gekühlt, was dank der kühlen Nordluft zu einem Durchschnitts-PUE von 1,03 beiträgt.
Wichtigste Anwendungen sind auch für Borealis HPC und AI, dazu kommen Backup und Disaster Recovery. „So, wie unsere Rechenzentren verteilt sind, bietet es sich an, Blönduós als inländischen DR-Standort zu nutzen“, sagt Björn Brynjulfsson, CEO von Borealis Datacenter.
Borealis setzt auf Co-Location-Großhandel
Vermietet wird an Kunden mindestens eine Viertel-Datenhalle. Wer weniger will, muss einen der bei Borealis eingemieteten Partner einbeziehen. Der Co-Location-Anbieter betreibt in seinen Racks schon heute Leistungsdichten von bis zu 50 kW pro Rack, und zwar noch immer luftgekühlt und im Rahmen der offiziell vorgesehenen Temperaturgrenzen.
Der Nestor unter den Colo-Betreibern in Island ist Verne Global, das kürzlich von D 9 aufgekauft wurde. D 9 Infrastructure betrachtet sich als Spezialist für nachhaltige Digitalisierung.
Das erste Verne-Rechenzentrum in Island entstand schon 2012 auf einem ehemaligen NATO-Standort. Damals fragte ein isländischer Online-Gaming-Anbieter öffentlich, warum er die Rechenleistung für seine Workloads eigentlich im Ausland einkaufen sollte.
BMW: 82 Prozent HPC-Kosten weniger
BMW verlagerte bereits 2012 seine Strömungssimulationen in das Verne-Global-Datacenter in Island. „Der Autobauer hat schon damals verstanden, dass auch die IT den ökologischen Fußabdruck des Unternehmens erhöht. Es spart so zudem 82 Prozent seiner HPC-Kosten“, erklärt Tate Cantrell, CTO bei Verne Global.
Gekühlt wird auch hier am Gerät mit Luft, als sekundäres Kühlmedium dient aber ein kreislaufgeführtes Glykol-Wasser-Gemisch, das auf dem Dach rückgekühlt wird - bei Bedarf auch adiabatisch. Bis zu 50 MW Rack-Dichte sind möglich. Sollten die Kühlkapazitäten irgendwann nicht reichen, weil es ausnahmsweise draußen zu warm ist, wird schlicht die Rack-Dichte etwas verringert.
Reichlich Ausbaukapazitäten
Derzeit sind zwei Gebäude mit 25.000 Quadratmeter Whitespace, aufgeteilt in kleinere Data Halls, in Betrieb. Die Energieressourcen von Verne Global reichen derzeit für 64 MW Stromverbrauch, wobei die noch nicht gänzlich aufgebraucht sind. Derzeit befinden sich zwei neue Gebäude mit sechs und 16 MW im Bau.
Das sei aber nicht das Ende der Fahnenstange. Cantrell verweist auf ein 20 Hektar großes, unbebautes Areal vor dem Zaun – Verne Global verfügt über große zugängliche Entwicklungsflächen.
Ausbaukapazitäten sind bei allen Betreibern reichlich vorhanden – schließlich mangelt es, verglichen mit notorisch energieknappen Standorten in Kontinentaleuropa, Irland und England weder an Energie noch an Platz. Die Einwohnerdichte liegt bei vier Personen pro Quadratkilometer, das Land ist aber mehr oder weniger flächendeckend Glasfaser-vernetzt.
Farice: Islands Draht zur Weltwirtschaft
Dafür verantwortlich ist der staatliche Netzbetreiber Farice, ein staatliches Unternehmen mit nur neun internen Mitarbeitern, das aber die gesamte Glasfaser-Konnektivität der Insel verantwortet. „Wer in jeder Richtung von 1.500 Kilometer offener See umgeben ist, will sich hier nicht auf private Betreiber verlassen,“ sagt Thorvaddur Sveinsson, CEO von Farice. Die Glasfasern sind buchstäblich die wirtschaftlichen Lebensadern, die Island mit der ganzen Welt verbinden.
Dazu gehören neben der umfassenden inländischen Glasfaservernetzung auch mehrere Überseekabel. Ein weiteres, „Iris“, das nach Irland führt, wird im nächsten Frühjahr in Betrieb genommen. Angelandet ist es bereits – nach einer Bauzeit von nur vier Monaten.
Frankfurt ist 17,5 ms entfernt
„Damit können wir die energiearme Datacenter-Metropole Dublin direkt entlasten“, sagt Sveinsson. Denn dort flossen schon 2021 rund 15 Prozent der vorhandenen Energieressourcen in die 70 Datacenter. 2028 sollen es 26 Prozent sein, denn es sind weitere 26 Rechenzentren geplant.
Die Latenzen nach Island sind in Relation zur Entfernung sehr gering. Nach Dublin dauert es mit Iris nur noch 10,5 Millisekunden, nach New York 40 ms (statt bisher 60 ms) nach Frankfurt 17,5 ms. Das sei für die meisten Applikationen genug, und das Island-Modell könne natürlich nicht alle Platzierungsfragen lösen, heißt es unisono.
DIe Wachstumskurve von Farice spricht für sich: Der Datentransport legt pro Jahr um 40 Prozent zu, der Anteil der Datenzentren daran gewinnt überproportional.
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