Jüngst beim Eco - Verband der Internetwirtschaft: Praxis trifft Politik Das Energie-Effizienzgesetz: Ein Gespenst geht um in der Datacenter-Branche ...
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Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst eines deutschen Energie-Effizienzgesetzes. Es scheint fast so, als hätten sich in Anlehnung an dieses etwas verfremdete Klassiker-Zitat alle Mächte des alten Europa zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet: der Papst und der Zar, der Lobbyverband GDA bis hin zu serösen Branchenvertretungen der ITK-Branche wie Eco und Bitkom.

Dabei ist derzeit noch gar nichts entschieden. Es liegt noch nicht einmal ein erster offizieller Entwurf für ein Energie-Effizienzgesetz vor. Grund aller Aufregung ist ein lediglich durch Indiskretion an die Öffentlichkeit „geleakter“ vorläufiger Referentenentwurf (siehe: Inoffizieller EnEfG-Entwurf; Geleakter Gesetzentwurf zur Energie-Effizienz erhitzt die Gemüter).
Laut Pressestelle des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BWKM) befindet sich der Gesetzentwurf derzeit noch in der Ressortabstimmung. Auch wichtig zu betonen: Alle Regelungen und Vorgaben dieses geplanten Gesetzes sollen nur für neue Rechenzentren gelten, alle Bestandsrechenzentren bleiben sowieso außen vor.
Um die aktuelle erhitzte Diskussion wieder etwas zu versachlichen, hat der Eco - Verband Internetwirschaft e.V. dankenswerterweise Ende Februar zum Talk mit Branchenvertretern und Politikern über „Das Energie-Effizienzgesetz und seine Bedeutung für den Digitalstandort Deutschland“ geladen. Erfreulich auch, dass die Beauftragte für die digitale Wirtschaft und Start-ups im BMWK Anna Christmann (MdB, Bündnis 90 / Die Grünen) es über eine halbe Stunde verspätet noch gerade eben schaffte, sich per Livestream zuzuschalten und ihren Impulsvortrag mit der Position der Bundesregierung zum EnEfG zu halten:
In ihrem Impulsvortrag sagt Christmann: „Ich weiß, wie kontrovers die Themen Rechenzentren und Energie-Effizienz derzeit diskutiert werden, und möchte hier die Gelegenheit nutzen, die Herangehensweise der Bundesregierung noch einmal kurz darzustellen.“ In dieser Runde sei allen klar, dass die weitere Digitalisierung auch eine Zunahme der Rechenzentren mit sich bringen werde, „was wir auch wollen!“ setzt sie hinzu.
„Wir sehen das Ganze als eine doppelte Transformation, in der wir stecken: Einerseits haben wir die Klimaschutzaufgaben, andererseits aber auch die weitere Digitalisierung aktiv zu gestalten. Diese beiden Dinge verträglich zusammenzubringen ist ausdrücklicher Wunsch seitens der Bundesregierung. Das bringt uns aber auch vor die Herausforderung, dies klug zu tun. Und dafür sind Rechenzentren natürlich an der einen oder anderen Stelle ein wichtiger Baustein und aus meiner Sicht aber auch ein gutes Beispiel, wie es gelingen kann.“
Zur Veranschaulichung: Viele Menschen sähen, wenn es um Energie-Effizienz geht, primär den zunächst eher niedrigen Stromverbrauch moderner smarter Geräte, aber nicht die ganze Infrastruktur, die dahinter steckt. Christmann. „Die Datacenter stehen halt nicht unbedingt dort, wo ich jeden Tag unterwegs bin.“
Dies veranschauliche, wie groß und wie wichtig die Aufgabe sei, die Potenziale von Rechenzentren auch zu nutzen. Dabei sei es ganz wichtig, auch an einem Strang zu ziehen. Prinzipiell liege es angesichts der hohen Strompreise in Deutschland auch im Eigeninteresse der Rechenzentrumsbetreiber, effizient zu sein und damit Energie und Kosten einsparen zu können.
Abwärme und Standortfrage im Fokus
Im Grundsatz, so die Beauftragte für digitale Wirtschaft weiter, sollte eine große Einigkeit auch darin bestehen, dass auch die Abwärme, die durch den Betrieb der IT entsteht, besser genutzt werden kann, als das heute in Deutschland weitgehend der Fall ist. Christmann: „Den Willen dazu nehmen wir auch sehr breit wahr.“
Die derzeitige Diskussion ranke sich vor allem darum, wie man das auch klug so tun könne, ohne die Standortwahl für neue Rechenzentren zu behindern. Die Bundesregierung sei davon überzeugt, dass es richtig und wichtig ist, dass Rechenzentren zukünftig dort entstehen und gebaut werden, wo es Potenziale dafür und besonders gute Standorte für die Abnahme der Abwärme gibt. Gleichzeitig müsse gesehen wer-den, dass unter Umständen trotz einer ursprünglich optimistischen Ausgangslage später kein Abnehmer gefunden wird.
„Und für diese Fälle müssen auch Lösungen gefunden werden. Das kann nicht alleine in der Verantwortung der Datacenter-Betreiber hängen bleiben und muss auch andere miteinbeziehen!“, sagt die BMWK-Beauftragte. Fakt sei aber auch, dass Deutschland verbindlichere Regeln als bisher benötige, um zukünftig zu einer konsequenten Abwärmenutzung zu kommen. Christmann. „Das spiegelt genau die aktuelle Debatte, und ich bin überzeugt, dass wir auch eine gute Lösung finden werden.“
Der Bundesregierung sei bewusst, dass dabei auch die Kommunen eine starke Rolle spielen: Im Dialog mit den Kommunen soll auch mit den potenziellen Abnehmern von Wärme gesprochen und geschaut werden, wie ein guter, gemeinsamer Prozess im Gang kommen kann. Christmann: „Diesen Weg wollen wir mit der Verabschiedung des Energieeffizienzgesetzes auch weiter zusammen gehen.“
Es gelte alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen und zu schauen, welche Rolle jede und jeder spielen kann. Dies sei insgesamt ein kluger Weg: einerseits mehr Verpflichtungen für die Brache beim Bau neuer Rechenzentren einzuführen als heute, andererseits aber auch das Bewusstsein zu schaffen, dass alle Beteiligten daran mitwirken müssen. Christmann: „Auf diesem Weg hoffen wir, eine gute Linie eingeschlagen zu haben, und damit auch Vorreiter bei der Klimaverträglichkeit von Rechenzentren und einer nachhaltigen Digitalisierung zu werden. Das ist unser ausdrückliches Ziel.“
Der weitere Fahrplan zu einem Energie-Effizienzgesetz
Der Gesetzentwurf für das neue EnEfG befindet sich derzeit noch in der zweiten Ressortabstimmung. Christmann. „In den nächsten Wochen wollen wir schauen, wie wir koalitionsintern damit zu einem guten Ergebnis kommen.“
Die Beteiligung der Branchenverbände dazu läuft bereits parallel. Dies sind die finalen konkreten Schritte bis zur Gesetzesverabschiedung durch den Deutschen Bundestag. Christmann geht davon aus, damit „in den nächsten Wochen bis hin zu wenigen Monaten“ zum Ziel zu kommen. Christmann vorausschauend: „Das neue Gesetz wird erstmals eine verbindliche Grundlage beim Bau und Betrieb neuer Rechenzentren herstellen. Am Ende aber muss auch der begonnene Dialog mit der Branche weitergehen.“
Das Schlimmste noch rechtzeitig abwehren?
Dafür, dass letzten Endes alles nicht so heiß gegessen wird, wie derzeit in den Augen manches Branchenvertreters angerichtet, will sich Maximilian Funke-Kaiser, MdB (FDP), einsetzen und in den weiteren koalitionsinternen Abstimmungsprozessen des EnEfG das Schlimmste für die Datacenter Branche noch abzuwenden versuchen.
Erweist sich alle Aufregung im Zuge des „geleakten“ Referentenentwurfs daher als unnötig? Dank der FDP komme am Ende sowieso nur ein weichgespültes Gesetz dabei heraus, das im Sinne des Klimaschutzes niemanden wirklich in die Pflicht nimmt, befürchten auch manche Kritiker. Funke-Kaiser dazu: „Als Mitglied der Freien Demokraten kann ich sagen, dass es uns natürlich auf der einen Seite sehr wichtig ist, dass wir energie-effizient werden, dass wir die Potenziale nutzen, die es in unserem Lande dafür gibt.“
Unspezifisch geht es auch weiter: „Auf der anderen Seite ist es uns natürlich ebenso wichtig, dass wir als Technologiestandort auch in Zukunft weiter bestehen können.“ Und weil es in der Veranstaltung um Rechenzentren geht: „Und da sind Rechenzentren ein ganz wesentlicher Bestandteil. Von daher pochen wir in den Verhandlungen – da ist die letzte Messe noch nicht gelesen – auch darauf, dass wir einen vernünftigen Rahmen bekommen, um beide Ziele in Einklang zu bringen“, das heißt, für die zunehmende Digitalisierung und Datennutzung, die auch in den kommenden Jahren weiter ansteigen wird, hiermit nach Möglichkeit beste Rahmenbedingungen zu setzen. Der FDP-Abgeordnete: „Dazu können die Rechenzentren, aber auch moderne leistungsfähige digitale Infrastrukturen wie Glasfaser, der Mobilfunkstandard 5G u.a. einen Beitrag leisten.“
Auch bei den anschließenden Bemerkungen kam nichts Substantielles: Jetzt gehe es ganz explizit darum, dass am Ende das Energie-Effizienzgesetz so ausgestaltet wird, dass die Rechenzentren ihren Teil zum Klimaschutz beitragen, aber auch nicht abwandern.
Funke-Kaiser nimmt die Argumentation der Branchenverbände auf: : „An dieser Stelle habe ich aktuell Bauchschmerzen, dass wir derzeit überregulieren und am Ende in eine Situation kommen, in der wir überhaupt keine Rechenzentren mehr regulieren müssen, weil wir Gefahr laufen, gar keine mehr zu haben. Das ist auf jeden Fall unsere Verhandlungsposition. Darauf werden wir bei den weiteren Beratungen zum EnEfG pochen, beispielsweise durch die Schaffung von mehr Anreizen statt Verboten energieeffiziente Maßnahmen auch in den Rechenzentren selber zu nutzen. Und ich bin überzeugt, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen werden.“
Gesellschaftskritik und Betrieb eines Kleinstrechenzentrums
Dass sozialistische Gesellschaftskritik und Unternehmertum inklusive der Betrieb eines Kleinstrechenzentrum kein Widerspruch in unserer Gesellschaft darstellen müssen, zeigt die Abgeordnete Anke Domscheit-Berg von der Partei Die Linke. Zusammen mit ihrem Ehemann betreibt sie im brandenburgischen Fürstenberg ein kleines Rechenzentrum mit sechs Serverschränken mit einer Leistung von fünf bis zehn Kilowatt: einerseits, um selbst genutzte Dienste wie die eigene Website, eine Fotodatenbank und den E-Mail-Account unter eigener Kontrolle zu haben, andererseits aber auch als Teil eines Unternehmens, das Dienstleistungen wie die Hinterlegung von Back-ups anbietet. Dabei werden zwei der Serverschränke ausschließlich für eine gemeinwohlorientierte Nutzung verwendet – wie Domscheit-Berg präzisiert, „während der Corona-Krise beispielsweise für Schulen vor Ort und sogar bundesweit, damit Lehrer ihre Videos nicht zwingend auf YouTube hochladen müssen usw.“
Für den Rechenzentrumsstandort Deutschland insgesamt seien in puncto Energie-Effizienz und Klimaschutz in den letzten Jahren durchaus Fortschritte erzielt worden, konstatiert die Linken-Abgeordnete und Rechenzentrumsexpertin. Dies gelte aber in erster Linie für die sehr großen Datacenter.
Domscheit-Berg präzisiert: „Die Realität ist aber, dass wir mit 47.000 Rechenzentren mit weniger als 40 Kilowatt (kW) Leistung sehr viele kleine, meist Energie-ineffiziente Data Center haben.“ So lautet dann auch ihre Kritik am „geleakten“ Referentenentwurf, dass Berichtspflichten nur Rechenzentren mit über 100 kW betreffen sollen.
„Wir brauchen viel mehr Transparenz als früher, um auch zu erkennen, wo welche Stellschrauben gedreht werden können“, fordert Domscheit-Berg. Die nötige Transparenz sollte schon aus betriebswirtschaftlichem Eigeninteresse eigentlich für alle Rechenzentren vorliegen, weiß die Betreiberin des Fürstenberger Kleinstrechenzentrums aus eigener Anschauung. Dies gelte noch verstärkt für Kunden, die ihren eigenen CO2-Fußabdruck wiederum ihren Kunden erklären oder selbst CO2-neutral werden wollen. Domscheit-Berg: „Dafür ist es zwingend, auch den CO2-Fußabdruck der eingekauften Datacenter-Dienstleistungen zu kennen.“
Pläne zur Abwärmenutzung stoßen auf Skepsis
Dass Deutschland im Vergleich zu beispielsweise Schweden und anderen nordischen Ländern noch einen riesigen Nachholbedarf in puncto Abwärmenutzung hat, darüber sind sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der vom Eco - Verband Internetwirtschaft organisierten Gesprächsrunde zum neuen Energie-Effizienzgesetz noch weitgehend einig. Bei im Raum stehenden Verpflichtungen allerdings, bis zu 40 Prozent Abwärme abgeben zu müssen, kommt so mancher Unmut in der Branche auf.
Zum Thema gibt es ein Interview von DataCenter-Insider als Podcast-Folge #4: „Das geplante EnEfG: Feigenblätter und Alleingänge - Interview mit Béla Waldhauser, CEO Telehouse Deutschland“
Die Folge #4 der DataCenter-Insider-Podcasts ist auch über Apple und über Spotify abrufbar.
„Sind fünf oder zehn Prozent sofortige Wärmeabnahme an einem Standort wirklich besser als ein Standort, wo eventuell im Augenblick noch gar keine Wärme abgenommen, aber perspektivisch 50 Prozent oder ein noch größerer Teil der Wärmeleistung genutzt werden wird?“, fragt daher auch Günter Eggers, Direktor Public bei NTT Global Data Centers. Offene Fragen wie diese müssten zwingend auf den letzten Etappen im Detail noch geklärt werden.
„Grundsätzlich kann man sagen, dass jedes Abwärmenutzungsprojekt ein individuelles Projekt ist, jedes Rechenzentrum separat betrachtet werden muss“, sagt Eggers. Die konkreten lokalen Bedingungen wie der Ausbau der Wärmenetze, die Zahl potenzieller Abnehmer und auch das Temperaturniveau der Abwärme seien an jedem Standort unterschiedlich.
„Wenn man darüber hinaus überlegt, wie auch bei uns in 50 Jahren Wärme erzeugt werden wird, dann wird das in meinem Verständnis überwiegend aus natürlichen Quellen sein: geothermale Energie, Flusswärme, die Luftwärme und ergänzend dazu eben auch Abwärme aus Rechenzentren“, führt der Unternehmenssprecher weiter aus. Heute noch gängige Vergleiche mit Gasheizkraftwerken würden zunehmend unsinnig.
Last, but not least wird das neue Energie-Effizienzgesetz offenbar auch die öffentlichen Rechenzentren nicht außen vor lassen: Die Latte für den lange Zeit vernachlässigten öffentlichen Datacenter-Betrieb soll höher gelegt werden. Die Rede ist davon, zukünftig weit härtere Kriterien abarbeiten zu müssen als die private Wirtschaft; beispielsweise ein neues Berichtswesen einzuführen und alle Daten der Bundesrechenzentren regelmäßig gemäß den Kriterien des Blauen Engels zu erheben.
Mehr Klarheit in dieser und in allen anderen in Berlin angesprochenen Fragen wird sich wohl erst mit der Veröffentlichung eines ersten offiziellen Gesetzesentwurfs ergeben.
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