Nachhaltige Rechenzentren - eindringliche Appelle, Gehversuche, diverse Wege Ziel: Kein Kohlendioxid, null Emissionen, kein Abfall

Autor / Redakteur: lic.rer.publ. Ariane Rüdiger / Ulrike Ostler

Die Datacenter-Branche erkennt inzwischen die Relevanz von nachaltigem Wirtschaften. Zum jährlichen „Earth Day“ veranstaltete die „Datacenter World Frankfurt“ eine hochkarätig besetzte Online-Tagung. Fazit: Konsequent grüne Rechenzentren sind möglich und sinnvoll, erfordern aber Anstrengungen.

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Die Rechenzentrumsbranche erkennt allmählich, dass sie mehr für die Umwelt tun muss als bisher.
Die Rechenzentrumsbranche erkennt allmählich, dass sie mehr für die Umwelt tun muss als bisher.
(Bild: Silvertouch)

Das Bekenntnis: „Ein guter PUE-Wert allein reicht nicht mehr, wir müssen handeln. Und das ist auch durchaus möglich. Selbst, wenn das bei einigen Themen durchaus herausfordernd ist.“ So lassen sich die diversen Panels und Interviews im Rahmen des „Net Zero & Sustainable European Datacenter Summit“ anlässlich des jährlichen Earth Day am 22. April zusammenfassen.

Passend zum Thema hatte die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) just am Tag zuvor einen Dringlichkeitsaufruf gestartet. Inhalt: Die Lage sei schlimmer als die Stimmung, nun müssten wirklich alle ran und ihren Teil zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen - auch die noch so junge und erfolgsverwöhnte Rechenzentrumsbranche. Daran ließen die Referenten der Green-IT-Online-Veranstaltung keinen Zweifel.

Gesamter Datacenter-Lebenszyklus auf dem Prüfstand

Dabei geht es um den gesamten Lebenszyklus eines Rechenzentrums: von der Standortwahl über den Bau bis zum Betrieb, von den verwendeten Geräten samt Software sowie Herstellung bis letztlich zur Entsorgung beziehungsweise Weiternutzung. Insgesamt, so betonte Susanna Kass, sei es absolut möglich, Rechenzentren mit Zero Carbon, Zero Emissionen und Zero Waste zu bauen, zumindest aber mit komplett grüner Energieversorgung. Darunter müssten weder Leistung noch Zuverlässigkeit leiden.

Kass arbeitet seit 30 Jahren in der Datacenter-Industrie. Unter anderem war sie COO bei Ebay, forschte und beriet beim Bau nachhaltiger Rechenzentren. Inzwischen ist sie für die UN mit der Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele beschäftigt. Ihr Job: Sie pflegt die Kontakte zum privaten Sektor und hier besonders zur Tech- und Telekommunikationsbranche.

IT muss Strom sparen

Die IT selbst müsse sparsamer im Energieverbrauch werden, betonte Béla Waldhauser, CEO Telehouse & KDDI und Sprecher der Datacenter Group im Branchenverband der Internetbranche, Eco: „Wir müssen endlich die 75 Prozent des Stromverbrauchs in Rechenzentren senken, die durch die IT selbst verursacht werden!“ Das gelte trotz Einsparungen, die die IT in anderen Wirtschaftsbereichen ermögliche, wenn sie nicht durch Mehrverbrauch gleich wieder kompensiert werden.

Marketing-Instrument: Mit diesem Rechner können „Azure“-Kunden kalkulieren, wie viel Kohlendioxid Cloud-Services gegenüber einem Service aus dem eigenen Rechenzentrum einspart.
Marketing-Instrument: Mit diesem Rechner können „Azure“-Kunden kalkulieren, wie viel Kohlendioxid Cloud-Services gegenüber einem Service aus dem eigenen Rechenzentrum einspart.
(Bild: Microsoft)

Dabei kann Software helfen, die mit dem Ressourcensparsamkeit im Blick programmiert wird. Eric Riedel, Senior Vice President Engineering bei IT Renews: „Facebook konnte durch Einführung einer neuen Programmiersprache und so genannter Hip-Hop-Virtual Server den Hardwarebedarf für dieselbe Menge an Apps um 80 Prozent senken.“ Im Bereich „grüne Software“ gibt es in Deutschland erste Ansätze mit einem vom Umweltbundesamt konzipierten „Blauer-Engel“-Label für Software.

Rechenzentrumsbau: Viele Sparpotentiale

Herbert Radlinger, technischer Leiter bei NDC-Garbe, einem Spezialisten für Datacenter-Immobilien, verwies darauf, dass der Bau der Rechenzentrumsimmobilie zu wenig berücksichtigt werde. Gerade der gern verwendete Beton glänzt durch hohen Energie-Aufwand und nutzt zudem den inzwischen knapp werdenden Sand. „Ein Drittel des Kohlendioxidausstoßes von Rechenzentren steckt heute im Bau“, bestätigte Alberto Ravigni von der italienischen Infraprime diese Sicht.

Ein anderes und hierzulande bislang mit wenig praktischen Konsequenzen diskutiertes Thema ist die Nutzung der Abwärme, für die in Deutschland vor allem Fernwärmenetze und regulatorische Maßgaben fehlen. Energieberater Staffan Reveman: „In Schweden sind die Hälfte der Haushalte an die Fernwärme angeschlossen, in Deutschland nur 15 Prozent.“

Ein Rechenzentrum ist keine Insel

Ole Kjeldsen, Microsoft-CTO für Dänemark und Island ergänzte, dass es in Dänemark inzwischen bei Datacenter-Verhandlungen vor allem darum gehe, ein Rechenzentrum sinnvoll in die umgebende städtische Infrastruktur samt Wärmeversorgung einzubetten. Sonst sei das Streben nach einer Baugenehmigung aussichtslos.

Abwärmenutzung geht aber auch anders, wo Wohnbebauung als Abnehmer fehlt: Der norwegische Datacenter-Betreiber Green Mountain arbeitet derzeit in mehreren Projekten daran, das Wasser n den Becken großer Onshore-Fischfarmen mit der Abwärme aus Rechenzentren zu erwärmen. An ähnlichen Konzepten arbeitet auch das deutsche Startup Windcloud.

Rechenzentren als Netto-Energie-Erzeuger

Microsoft möchte laut (Ole Kjeldsen) mit jedem seiner „170 bis 180- Rechenzentren bald netto mehr Energie erzeugen als verbrauchen. Bei neuen Standorten sind daher Themen wie nachhaltige Versorgung mit Strom aus eigenen Erzeugungsanlagen, Abwärmeverwertung und ein positiver Energiebeitrag bereits Pflicht. „Es wird ein hartes Stück Arbeit, auch die älteren Rechenzentrumsstandorte so zu gestalten“, meint der Manager, „aber das ist nun mal das Ziel.“

Der Umweltbilanz des Rechenzentrums dient auch die Sekundärnutzung von IT-Equipment. Doch die steckt noch in der Anfangsphase. John Laban von der OCP-Stiftung fördert die Weitervermarktung ausrangierten OCP-Hyperscaler-Equipments. Seine Leistung reicht für normale Ansprüche an ein Rechenzentrum meistens gut aus. „Die Hälfte der Zeit verbringen wir damit, uns mit real nicht vorhandenen Hindernissen zu befassen, die andere Hälfte damit, für reale Hindernisse zusammen mit den potentiellen Anwendern Lösungen zu finden“, berichtet er.

Dass nur neue Hardware Energie-Einsparungen bringe, sei eine Fehleinschätzung, bestätigt Astrid Wynne, Nachhaltigkeitsverantwortliche bei Techbuyer, einem Lieferanten von Second-Use-IT-Produkten. Gerade habe man zusammen mit Wissenschaftlern eine Studie erarbeitet, die anhand detaillierter Lebenszyklusanalysen belege, dass sich eine insgesamt positive Energiebilanz genauso gut oder sogar besser mit älterer Hardware erreichen lässt.

Energie-Effizienz versus Datenschutz

Über die Notwendigkeit einer grünen Stromversorgung im Rechenzentrum wird kaum noch ernsthaft diskutiert, grüner Strom wird selbstverständlich. es fragt sich nur: Woher? Neben Solar und Wind spielt dabei wohl, so meinten mehrere Referenten, in Zukunft die Brennstoffzelle mit Wasserstoff als Energielieferant eine wichtige Rolle.

Das Thema Energie zeigt aber auch, wie sich Werte gegenseitig im Wege stehen können: Kjedsen berichtete, dass Microsoft schon lange als wichtigstes Kriterium für die Standortwahl besonders auf stabile Temperaturbedingungen, also keine starken Schwankungen zwischen Sommer und Winter, achte. „Durch stabile Temperaturen sparen wir direkt Energie.“

Deshalb sei Dublin besonders günstig: Dort ist es im Sommer kühl, im Winter eher warm und es weht fast immer Westwind. Das dortige Microsoft-Rechenzentrum ist so ausgerichtet, dass auch der Wind kühlen hilft.

Hyperscaler-Rechenzentren wie dieses - im Hintergrund der eigene Windpark - sind relativ energie- und ressourcensparend.
Hyperscaler-Rechenzentren wie dieses - im Hintergrund der eigene Windpark - sind relativ energie- und ressourcensparend.
(Bild: Microsoft)

Die europäische Datenschutzregulierung erzwinge, so Kjedsen, nun andere Prioritäten. Man baue deswegen 24 neue, energetisch betrachtet suboptimal lokalisierte Rechenzentren in Mitteleuropa. Dort herrschen über Jahr relativ hohe Temperaturschwankungen.

Neue Organisation Cedaci will Austausch zu Datacenter-Nachhaltigkeit fördern

Weil bei der Ergrünung der Rechenzentrums- und IT-Branche alles hochkomplex und voneinander abhängig ist, braucht es viel Kommunikation für langfristig befriedigende Lösungen. Davon ist jedenfalls Deborah Andrews, Associate Professor an der South Bank University London überzeugt.

Deshalb hat sie Cedaci (Circular Economy for the Datacenter Industry) gegründet. Die Organisation versteht sich als breite Kommunikations- und Austauschbörse zur Förderung der umfassenden Nachhaltigkeit von Rechenzentren und ist für alle Interessierten offen. Zu den Mitgliedern gehören derzeit neben Anbietern von Second-Use-IT-Produkten Beratungsunternehmen, Fachjournalisten, wissenschaftliche Institutionen wie das Wuppertal Institut und professionelle Elektronik-Recycler.

Die nächste Welle: die Edge

Eile ist bei der Ergrünung der Datacenter-Branche geboten. Denn die nächste Welle der Datacenter-Expansion rollt bereits.

Carsten Baumann, bei Schneider Electric Direktor für strategische Initiativen: „Schon 2035 wird der Energieverbrauch aller Edge Datacenter so groß sein wie der klassischer Rechenzentren, danach größer.“ Deshalb müsste diese neue Komponente der weltumspannenden IT-Infrastruktur unbedingt von Anfang an resilient, effektiv und nachhaltig gestaltet werden.

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