Das Windcloud 4.0-Datacenter in Nordfriesland Wo ein Rechenzentrum CO2-absorbiert, wachsen Algen
Algen sind ein stark nachgefragtes Naturprodukt und bauen zudem CO2 ab. Das Windstrom-versorgte, EN-50060- und „Blauer Engel“-zertfizierte Rechenzentrum von Windcloud 4.0, das am 28. August in Nordfriesland eröffnet wurde, besitzt auf dem Dach eine Algenfarm. Grüner geht ein Datacenter kaum.
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„Die vergangenen vier Monate waren wie ein Rausch“, bekennt Wilfried Ritter, Geschäftsführer von Windcloud 4.0. Solange hat es gedauert, bis Rechenzentrum und ein Gewächshaus besonderer Art gebaut und offiziell eröffnet werden konnten.
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Interview mit dem Geschäftsführer von Windcloud 4.0
Wilfried Ritter: Die Vision eines CO2-absorbierenden Rechenzentrums wird wahr
Ganz neu anfangen brauchte das Unternehmen nicht. An dieser Stelle auf dem „Greentec Campus“ in Enge-Sande stand schon ein Datacenter, allerdings gerade einmal mit sechs Racks gefüllt. Das Erweiterungsgebäude verfügt über 24 Racks, so dass das Rechenzentrum eine IT-Leistung von 60 Kilowatt bieten kann.
Das ist nicht viel für heutige Maßstäbe, und trotzdem dürfte das Datacenter Ruhm erlangen. Denn die etwa 35 Grad warme Abwärme aus dem Datacenter heizt die auf dem Dach befindliche Zuchtstation. Hier wachsen Algen, derzeit Chlorella und Spironella, in dem für sie besonders angenehmen Wohlfühlklima. Dazu gehört auch, dass sie CO2 konsumieren können; sie benötigen das Kohlenstoffdioxid für ihr Wachstum. Das heißt: Sie gedeihen und verbessern dadurch die Luftqualität und zwar im Verhätnis 1:2 – 1 Kilogramm Mikroalge bedeutet 2 Kilogramm CO2. Zum Vergleich: Im Schnitt fallen bei einem mit dem Auto gefahrenen Kilometer 140 Gramm Kohlenstoffdioxid an, erläutert Novagreen-Geschäftsführer Rudolf Cordes.
Er ist kein Neuling in der Algenproduktion. Für Aufmerksamkeit sorgte unter anderem das Projekt „Aufwind“. Es ging um nachhaltiges Kerosin aus Algenöl. Im Jahr 2013 hatte sich ein Konsortium aus zwölf Partnern gefunden, darunter die EADS Deutschland GmbH und die OMV Deutschland GmbH, das die ökonomische und ökologische Machbarkeit der Produktion analysieren und demonstrieren wollte. Das Verbundprojekt im Pilotmaßstab von 1.500 Quadratmetern, das 2016 abgeschlossen wurde, hatte ein Gesamtvolumen von über 7 Millionen Euro und wurde vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) über seinen Projektträger, der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR), mit 5,75 Millionen Euro unterstützt.
Das Ergebnis ist schnell zusammengefasst: Machbar, aber viel zu teuer (hier der Abschlussbericht).
Heute generieren Tochterunternehmen der in Vechta ansässigen Novagreen lieber Produkte, die in vergleichsweise kleinen Mengen verkauft werden können, wie „Lüttge“-Nahrungsergänzungsmittel der Evergreen-Food GmbH, einer Tochterfirma von Novagreen. Einer der größten Abnehmer der Algen sei ein amerikanischer Hersteller von Produkten für Bodybuilder, verrät Cordes.
Um sie zu verkaufen, züchtet Cordes die Algen quasi in einem Reinraum-Labor selbst. Dafür braucht er die Schläuche, die er seit rund 12 Jahren verwendet und deren Anlagen er seither stetig verbessert hat. Diese Schläuche bilden die „Brüterei“, sagt er. Darin befinden sich die „Babyalgen“. Sie schützen die Algenzucht vor Verunreinigungen, die vorkommen könnte, weil die Spirolina-Algen auch ohne Zutun eines Labors in der umgebenden Natur vorkommen.
Zu Beginn sind nur einige Schläuche grün, weil mit den Algen gefüllt. Doch da die einzelnen Segmente miteinander verbunden sind, verbreiten sie sich mit der Zeit. Dann werden damit flache Erntebecken gefüllt. Diese Arbeit übernehmen derzeit 14 Vertragsbauern, die in einer Genossenschaft organisiert sind. Etwa zwei Mal pro Woche kann geerntet werden – je mehr Sonne die Algen bekommen desto häufiger und länger im Jahresverlauf.
Wenn die Algen den Erntebecken entnommen werden, haben sie eine „Konsistenz wie Nutella“, beschreibt Cordes, der sich seit 34 Jahren mit der Zucht beschäftigt, den grünen, etwas fischig riechenden Schlamm. Danach muss dieser getrocknet werden – auf etwa 10 Prozent Restfeuchte. Deswegen besitzt die Anlage auf dem Rechenzentrumsdach neben den Schläuchen und einem 6 x 12 x 3 Meter großen Becken, das im Übrigen adiabatische Eigenschaften mitbringt, auch eine Trocknungsanlage. Danach muss der getrocknete Schlamm gemahlen werden, der Anwendungszweck bestimmt wie granular.
Die Spirolina-Trockenpräparate enthalten durchschnittlich, wie sich in Wikipedia nachlesen lässt, 59,78 Prozent Proteine, 20,2 Prozent Kohlenhydrate, 4,06 Prozent Fette und 5,47 Prozent Mineralstoffe. In den Proteinen sind alle essentiellen Aminosäuren enthalten. Außerdem sind β-Carotin – eine Vorstufe des Vitamin A –, B-Vitamine und Vitamin E enthalten sowie in hohen Konzentrationen Calcium, Eisen und Magnesium. Relativ hoch ist der Anteil an B12; allerdings etwa nur zu 20 Prozent vom Menschen verwertbar. Allerdings lässt sich aus Spirolina ein intensiver blauer Farbstoff gewinnen, der heute gerne zum bio-konformen Einfärben von Lebensmitteln und in der Kosmetik verwendet wird.
Die Algen finden sich also nicht nur in Nahrungsergänzungsmitteln wieder, sondern etwa auch in einer Creme, die gegen Herpes helfen soll. In Chlorella, eine Gattung von Süßwasseralgen, hingegen, die Novagreen ebenfalls züchtet, lässt sich ein sehr hoher Gehalt an Vitamin-B12-Gehalt erzeugen (bis zu 415 μg pro 100 Gramm) So sind die Algen insbesondere bei Veganern und Personen beliebt, die sich vegetarisch ernähren, da die Algen Vitamin B12 enthalten.
Da die Produktion nicht ohne Energie funktioniert, hat Cordes schon immer nach Synergiemöglichkeiten gesucht, zum Beispiel Landwirte, die eine Biogasanlage betreiben sind eine attraktives Modell. Die Kombination mit einem Rechenzentrum findet er smart, weil die Abwärme genau die Temperatur zur Verfügung stellt, die dem Wachstum der Algen förderlich sind und er die Chance sieht, die Ernten über den Winter auszudehnen.
Läuft es für die Algenfarm gut, können Windcloud 4.0 und Novagreen die Zusammenarbeit ausbauen. Das Gelände, das weitere Rechenzentren aufnehmen soll, ist bereits beschafft. Der Greentec-Campus in Enge-Sande sowie das Areal in Bramstedt besitzt leerstehende Bunker der Bundeswehr. In Enge-Sande sind das Kuppelbauten, die mit Erdreich bedeckt sind, aber über ebenerdige große Ein- und Ausgänge verfügen. Zwischen den Bunkern ließen sich die Erntebecken einrichten.
Das EN50600-konforme Rechenzentrum
Die Glasfaserleitungen müssen nur für die Gebäudeanschlüsse gelegt werden, das Gelände selbst wird über einen Ring versorgt. Die Energie für den Betrieb des jetzigen Rechenzentrums wird zu 98 Prozent aus Windkraft gewonnen. Das wird auch bei der Nutzung der Bunker auf dem Campus so bleiben, kündigen die Betreiber an. Denn die beiden nordfriesischen Windcloud-4.0-Standorte Enge-Sande und Bramstedt liegen in unmittelbarer Nähe zu den größten Windparks Deutschlands.
Jenseits der Algenfarm auf dem Dach entspricht das Windcloud-4.0-Rechenzentrum heutigen Standards. Es wird nach der EU-Norm EN 50600, VK3, vom TÜV Nord, (Tüvit) zertifiziert, um so Standards für die Verfügbarkeit und Sicherheit zu garantieren. Außerdem ist man bereits UBA-Siegel „Blauer Engel“ angegangen.
Das Rechenzentrum bietet Co-Location und Cloud-Dienstleistungen. So pendeln auf dem Greentec Campus selbstfahrende Busse, die ebenfalls per Windrad-Power aufgeladen werden. Nebenbei bemerkt: Ein voll beladener Linienbus fährt mit einer Windradumdrehung etwa 10 Kilometer weit. Pro Selbstfahrer fallen pro Tag rund 4 Terabyte an Daten an, die zehn Jahre gespeichert werden müssen. „Wir haben hier eine echte Kreislaufwirtschaft“, begeistert sich Marten Jensen. Der Wind erzeugt Strom, der die Fahrzeuge bewegt und das Rechenzentrum arbeiten lässt. Die Busse erzeugen Daten, die wiederum ins Datacenter fließen, das dann wieder Wärme-Energie erzeugt, die Algen wachsen lässt, die CO2 schlucken und gegebenenfalls selbst wieder Energie liefern.“
Die RZ-Dienstleistungen
Zum Angebot von Windcloud gehört zudem „Managed Nextcloud“ inklusive Datenschutz nach deutschem und europäischem Recht. Außerdem bietet das Unternehmen über „VMware vCloud Director“ Zugriff auf ein virtuelles Datacenter. Die virtuellen Maschinen und containerbasierte Applikationen lassen sich über eine einzige Plattform betreiben.
Der Bau und die Inbetriebnahme binnen vier Monate war für alle Beteiligten Corona-bedingt keine Kleinigkeit. Die Geschäftsführer Wilfried Ritter und Stephan Sladek bedanken sich bei allen Projektpartnern „nicht zuletzt für das große Engagement der bei Bau und Betrieb beteiligten Unternehmen wie der Dierck Firmengruppe“.
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