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Sprach-KI made in Europe Was ist OpenGPT-X?

Von M.A. Jürgen Höfling Lesedauer: 4 min

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Sprachmodelle wie „GPT-3“ revolutionieren unser gesamtes menschliches Zusammenleben, ja das Wesen unseres Menschseins. Zeit, dass aus Europa nicht nur exzellente Experten in diesem Bereich kommen, sondern dass der alte Kontinent auch die Notwendigkeit eigener KI-Modelle auf diesem Feld erkennt. Jetzt geht es um „OpenGPT-X“.

In Zukunft interagiert der Mensch mit humanoiden Maschinen
In Zukunft interagiert der Mensch mit humanoiden Maschinen
(Bild: von Gerd Altmann auf Pixabay)

Wirklicher Mensch oder (bloß) humanoider Automat? Wurde eine solche Fragestellung in den letzten Jahrzehnten fast nur in fiktionalen Medien abgehandelt - ein bekanntes Beispiel ist der Roman „Do Androids Dream of Electric Sheep?“, von Philip Dick, auf dem die Blade Runner-Filme beruhen beziehungsweise davon inspiriert sind - so ist sie seit ein paar Jahren in der gesellschaftlichen Wirklichkeit angekommen.

Sprachproduktionssysteme wie GPT-3 erzeugen mittlerweile natürlich-sprachliche Strukturen (Sätze, Paragrafen, Artikel oder womöglich auch ganze Romane), die menschliches Weltverständnis sowie menschliche Denk- und Formulierungsstrukturen in geradezu verblüffender Weise widerspiegeln. Auf das GPT-3-System kann über eine kostenpflichtige API zugegriffen werden. Unter anderem erhält man über diese Schnittstelle eine Schalttafel, mit der Länge, Vielfalt, Eigenwilligkeit, Ironie-Ebene und weitere Parameter der „Text-Temperatur“ gesteuert werden können.

Dadurch lassen sich mit der Maschine Dialoge führen, die von zwischenmenschlicher Kommunikation in der Regel nicht zu unterscheiden sind. Das System verfügt neben dem syntaktisch-semantischen Regelapparat einer bestimmten Sprache über ein ungeheuer umfangreiches Vokabular, das auch Redensarten, übertragene Sprachverwendung, Sprichwörter und Fachtermini enthält.

Das ist aber nur die Basis. Der Clou ist die oben erwähnte „Text-Temperatur“. Hinter diesem Begriff stecken die eigentlichen Feinheiten des Textverstehens von GPT-3, durch die das System „humanoid“ wird. Es kann Frotzeleien von ernsthafter Rede ebenso unterscheiden wie Ironie und andere „Meta-Verwendungen“ von Sprache. Dass das manchmal auch schiefgehen kann, sagt nur sehr bedingt etwas über die Qualität des Sprachproduktionssystems aus, sind doch Missverständnisse ein häufiges und sehr typisches Merkmal auch zwischenmenschlicher Rede.

Sprung-Innovation im Bereich geistiger Tätigkeiten

Was hat das alles mit dem OpenGPT-X-Projekt zu tun, um das es in diesem Erklärstück geht? Nun ja, Sprachproduktionssysteme wie GPT-3 sind Grundlage für eine gewaltige Sprunginnovation („Disruption“) im Bereich geistiger Tätigkeiten, deren wirtschaftliches und gesellschaftspolitisches Momentum andere Sprunginnovationen, etwa in der Fertigungstechnik oder der Halbleitertechnik noch deutlich übertreffen dürfte.

Journalisten, Rechtsanwälte, Ärzte, Banker Schriftsteller, ja auch Politiker sollten sich darauf einstellen. Es werden deren Berufe und viele andere nicht nur umstrukturiert, sondern das Mensch-Sein als solches wird „dekonstruiert“.

Gleichzeitig findet diese Entwicklung im Moment aber hauptsächlich in der asiatischen und (US-)amerikanischen Wissenschafts-Community statt. Nicht dass es in Europa kein Potenzial gäbe, das ist aber in hohem Maße bei Google, Apple und Co. engagiert. Damit gefährdet Europa nicht nur seine Wirtschaftskraft, sondern auch seine geistigen und ethischen Werte und seine digitale Souveränität.

OpenGPT-X soll die KI-Datensouveränität für Europa sichern

Mit dem Anfang 2022 begonnenen Forschungs- und Entwicklungsprojekt OpenGPT-X, das unter anderem mit 15 Millionen Euro vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert wird, soll nun unter Federführung zweier Fraunhofer-Institute („Intelligente Analyse- und Informationssysteme, IAIS“ und „Integrierte Schaltungen, IIS“) eine auf der Basis europäischer Werte gebaute „Sprach-KI“ entstehen. Neben den beiden Fraunhofer-Instituten gehören zu dem Gründungs-Konsortium zehn Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Medienbranche.

Neben der Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit soll OpenGPT-X als EU-Projekt auch die Datensouveränität hiesiger Unternehmen und den Datenschutz ihrer Kunden wahren. Das sei eine große Herausforderung, denn wie alle KI-Anwendungen basierten KI-Sprachmodelle auf der Verarbeitung großer Datenmengen, die je nach Kontext auch Unternehmens- und Kundendaten enthielten, so das Konsortium in einer Pressmitteilung letztes Jahr.

„Damit derlei sensible Daten nicht außerhalb von Europa verarbeitet werden, werden die OpenGPT-X-Sprachanwendungen über den dezentralen Cloud-Stack von GaiaX zur Verfügung gestellt, die derzeit nach europäischen Werten und Sicherheitsstandards entsteht. Die neue Sprach-KI soll künftig in drei GaiaX-Domänen bereitgestellt werden, in Mobilität, Finanzwirtschaft und Medien“, heißt es in der Verlautbarung weiter.

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Nur im Verbund lässt sich die Aufgabe stemmen

Auch wenn das alles ein bisschen nach der üblichen „Forschungsprojekt-Antrags-Prosa“ klingt, ist doch zu hoffen, dass bei dem Projekt Substanzielles und Verwertbares für die europäische Industrie herauskommt. Das gilt besonders für die kleinen und mittleren Betriebe, die die europäische und besonders auch die deutsche Industrie anders an in Asien und USA stützen. Diese sollen erklärtermaßen von OpenGPT-X profitieren.

Hoffnungsvoll stimmt den Autor diese Zeilen vor allem, dass mit dem Heidelberger Startup Aleph Alpha und seinem kenntnisreichen und energiegeladenen Chef Jonas Andrulis, einem ehemaligen KI-Teamleiter bei Apple, offenbar eine gute Mischung aus US-amerikanischem Unternehmertum, gemischt mit europäischen gesellschaftspolitischen Werten, im OpenGPT-X-Projekt an Bord sind.

Bislang hätten viele deutsche KI-Applikationen eigentlich nur US-Modelle adaptiert. Aleph Alpha entwickle demgegenüber eigene Modelle von Null aufwärts. Dazu sei einiges an Forschungsarbeit notwendig, die man zusammen mit Partnern durchführen wolle, sagt Andrulis.

Einschätzung vom Experten

Der Heidelberger KI-Spezialist und Unternehmer hebt besonders eine Eigenschaft der „humanoiden“ KI-Sprachmodelle a la GPT-3 hervor, die eine vertrauensvolle Kooperation ungemein erleichtere. Da bei dieser Technologie eine Anlernphase der KI entfalle, seien faktisch keine annotierten Daten notwendig.

Partnerunternehmen könnten insofern die Vorteile einer generalisierenden KI nutzen, ohne im Vorfeld eigene Daten für das Training preisgeben zu müssen. Und auch die Tatsache, dass Aleph Alpha ein deutsches Unternehmen sei, komme dem Datenschutz und der Informationssicherheit entgegen. Andererseits seien diese Modelle rechenleistungshungrig wie kaum eine andere Anwendung, so dass die Rechnerkapazitäten einer Verbundforschung wie sie beispielsweise OpenGPT-X biete, viel Schub für gute Ergebnisse böten.

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