Rittal feiert den 55sten und seinen Gründer Vom Gehäusehersteller zum Systemanbieter

Kristin Rinortner |

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Vor 55 Jahren wurden die ersten Kompaktgehäuse in Rittershausen produziert. Damit läutete Rittal die Ära standardisierter Schaltschranksysteme ein.

Schaltschranktechnik: Die Schaltschrank- und IT-Rack-Systemplattform TS 8 ist heute Basis für die branchenübergreifende Systemarchitektur „Rittal – Das System.“.
Schaltschranktechnik: Die Schaltschrank- und IT-Rack-Systemplattform TS 8 ist heute Basis für die branchenübergreifende Systemarchitektur „Rittal – Das System.“.
(Bild: Rittal)

Wer heute elektronische Komponenten in Schaltschränke einbaut, erwartet eine Vielzahl von Standardlösungen, die ihm die Montage erleichtern und ein Maximum an Sicherheit bieten. Das war nicht immer so. Noch vor einigen Jahrzehnten gab es nur einfache „Blechkästen“, die in Sonderanfertigung hergestellt wurden. Der erste Standard für die Serienfertigung wurde vor 1961 von Rudolf Loh – dem Gründer von Rittal – erfunden und auf den Weg gebracht. Heute ist das Unternehmen ein weltweit führender Systemanbieter für Schaltschränke, Stromverteilung, Klimatisierung, IT-Infrastruktur sowie Software & Service.

Die Rudolf Loh KG, Elektrogerätebau – später Rittal – wurde am 1. April 1961 von Rudolf Loh gegründet. Neben dem damals schon bestehenden Unternehmen Hailo-Werk, das mit Haushaltsgeräten im Konsumgütermarkt etabliert war, sollte ein zweites Standbein in der Investitionsgüterindustrie geschaffen werden.

Dabei rückte der Bau von Schaltschränken in den Blickpunkt. Bis dahin hatte die elektrotechnische Industrie diese selbst gefertigt oder in externen „Blechwerkstätten“ herstellen lassen. Diese Einzelanfertigungen waren teuer, ihre Lieferzeiten lang und die Qualität schwankte. Die Idee des Vertreters eines nahegelegenen Elektrogroßhandels, Schaltschränke in Großserie zu bauen und als Standardprodukt anzubieten, schien Rudolf Loh deshalb aussichtsreich. Irene Gilbert-Loh (†2015), die damalige Ehefrau des Gründers, erinnerte sich: „Wir wollten Schaltschränke in Serie fertigen. Unglaublich! Die damalige Fachwelt lachte über dieses Unterfangen.“

Umstieg auf große Serien

Doch das Paar hielt an der Idee fest. „Mein Mann hatte noch sehr genau die Serienfabrikation von Ford in Amerika studiert und hatte gute Erfahrungen bei Hailo gemacht. Auch hatte er bei meinem Vater gesehen, dass man Stühle erfolgreich in Serie bauen kann“, führte Irene Gilbert-Loh weiter aus.

Der erste konkrete Bedarfsfall ließ auch nicht lange auf sich warten. Noch am gleichen Tag gab Loh die Serienfertigung von je zwei flachen Wand- und Standgehäusen frei: Dies war die Geburtsstunde des Schaltschranks als Serienprodukt. Weiterentwicklungen dieses „allerersten“ Typen, die Rittal in Großserie produzierte, hat das Unternehmen übrigens noch heute unter der Bezeichnung „AE“ im Programm.

Auch der Slogan von damals besitzt weiterhin Gültigkeit: „Den Schaltschrank, den Sie morgen brauchen, haben wir bereits gestern gebaut und heute schon abrufbereit am Lager stehen“. Die schnelle Verfügbarkeit von Produkten ist seit Beginn eines der Stärken von Rittal.

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Schneller, besser, überall – Ideen umsetzen

Im Jahr 1969 vollzog Rittal wichtige Schritte auf dem Weg zum Weltunternehmen. Zum einen ist es das Jahr der Umfirmierung in die Rittal-Werke Rudolf Loh KG, nach dem Unternehmenssitz „Ritterhausen im Dietzhöltstal“. Zum anderen das einer weiteren signifikanten Erfindung: der des Reihenschaltschranks. Der erste modulare „RS“-Schaltschrank in Gerüstbauweise wurde vormontiert ausgeliefert. Als Zubehör gab es Verbindungsrahmen, Lochschienen, Trenn- und Seitenwände sowie gelochte Winkelprofile. Für den Anlagenbauer ergaben sich durch den RS enorme Vorteile beim individuellen Ausbau.

Das Jahr 1978 markiert einen weiteren Meilenstein in der Innovationsgeschichte des Unternehmens – diesmal ging es um die Oberflächenbehandlung von Schaltschränken. Stand der Technik war damals die Spritzlackierung, die den Nachteil hatte, dass Hohlräume häufig unlackiert blieben. Das neue Verfahren sah eine Eisenphosphatierung als Vorbehandlung und ein Ende der siebziger Jahre hochmodernes Elektrophorese-Tauchverfahren vor. So etwas gab es nur bei führenden Automobilherstellern. Und noch heute sind hochmoderne Oberflächenbehandlungen ein Alleinstellungsmerkmal der Firma.

Infolge der Industrieautomatisierung wurde in den folgenden Jahren das Produktportfolio ergänzt. Die Geschäftsbereiche Klima- und Stromverteilung kamen hinzu. Anfang der 1980er Jahre wurde eine eigene Geschäftseinheit aufgebaut, die mit Kompressorkühlgeräten und einem umfangreichen Zubehör neue Maßstäbe setzte. Die Entwicklung der ersten Stromverteilungs-Komponenten – kompatibel zu den jeweiligen Schaltschränken folgte bald.

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Aneinander reihen

Ein großer Meilenstein in der Schaltschranktechnik war die Erfindung des Anreihsystems „PS 4000“ im Jahr 1985. Bis heute millionenfach verkauft, wurde er zum Weltstandard. Konnte der RS schon mit Zubehör glänzen, so übertraf ihn der PS 4000 mit gut 60 Komponenten um ein Vielfaches. Es gab Mitte der achtziger Jahre nichts Vergleichbares im Markt.

Welche Möglichkeiten dieser Schaltschrank schon zur damaligen Zeit bot, beweist seine Variante als Datenverteiler, die nur vier Jahre später eingeführt wurde. Ein weiteres Mal kam die Anregung aus der Automobilindustrie. Das Schrankkonzept sollte für die Datentechnik mit entsprechendem Zubehör weiterentwickelt werden. Damit vollzog das Unternehmen den ersten Schritt in ein völlig neues Marktsegment – die Informationstechnologie.

Heute gelten die Herborner als ein führender Anbieter für IT-Infrastrukturen. Dabei umfasst das Produktportfolio neben IT-Racks, IT Cooling oder Stromverteilung auch Überwachungs- und Sicherheitslösungen wie das CMC (Computer Multi Control) und RiZone, eine Software zum Management der IT-Infrastruktur. Zudem können heute Unternehmen mit modularen und standardisierten Container-Lösungen auch sehr schnell ein Rechenzentrum aufbauen, um damit die digitale Transformation von Prozessen voranzutreiben, wie sie für Industrie 4.0, Cloud- oder Big-Data-Projekte benötigt werden.

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Endlich unendlich viele Möglichkeiten

In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde das marktführende System PS 4000 kontinuierlich weiter ausgebaut. 1999 löste das Schaltschranksystem „TS 8“ den PS 4000 aus der Pole Position ab und setzte erneut Maßstäbe. Der Slogan zur Markteinführung lautete: „Endlich unendliche Möglichkeiten“.

Der Kern des Schranks TS 8 ist das 16-fach profilierte, patentierte Vertikalprofil, das nicht nur eine hohe Stabilität, sondern zusätzlich eine zweite Montageebene bietet. Außerdem ist er symmetrisch in Bezug auf das Maßraster, was ein Anreihen in alle Richtungen und damit noch mehr Flexibilität ermöglicht. Es gibt heute kaum eine Anforderung der Gehäusetechnik, die mit dem Schaltschrank TS 8 nicht erfüllt werden könnte.

Zu diesem Bestseller, der heute ein weltweiter Standard und weit über 10 Millionen Mal im Einsatz ist, gehört ein bis ins Detail durchdachter System- und Zubehörbaukasten. «Unsere Kernkompetenz ist das Systemverständnis. Wir machen alles rund um die Konzeption des Gesamtsystems Schaltschrank», sagt Dr. Thomas Steffen, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung bei Rittal.

Die Schaltschrank- und IT-Rack-Systemplattform TS 8 ist heute Basis für die branchenübergreifende Systemarchitektur „Rittal – Das System“. Dieser Baukasten besteht aus aufeinander abgestimmten Gehäusen und Schaltschränken, sicheren Stromverteilungen, energieeffizienter Klimatisierungstechnik, kompletten IT-Infrastrukturen sowie intelligenten Planungs- und Konfigurations-Tools und einem weltweiten Service. Damit lassen sich passgenaue Lösungen für die Energiehauptverteilung, industrielle Automatisierung, Gebäudeinstallation, Netzwerktechnik und Data Center erstellen.

Innovationskraft beweist das Unternehmen beispielsweise auch beim Thema Energie-Effizienz. Bereits seit Anfang der 1990er Jahre steht es ganz oben auf der Entwicklungsagenda.

Quantensprung für mehr Wirtschaftlichkeit

So stellte Rittal als erster Großserienhersteller alle Schaltschrank-Kühlgeräte auf FCKW-freie Kältemittel um, noch bevor es der Gesetzgeber forderte. Es folgte die Einführung einer innovativen Nanobeschichtung für die Wärmetauscherlamellen von Kühlgeräten, die leistungsmindernde Staubablagerungen dauerhaft vermeiden. Unter der Bezeichnung „Blue e+“ brachte Rittal 2015 eine komplett neue Kühlgerätegeneration auf den Markt – ein Quantensprung in der Wirtschaftlichkeit.

Um die Energie-Effizienz deutlich zu erhöhen, setzt die Firma erstmals auf ein innovatives, patentiertes Hybridverfahren. Neben der deutlich höheren Energie-Effizienz von durchschnittlich 75 Prozent gegenüber bisherigen Kühllösungen punkten die Geräte auch bei Flexibilität, Sicherheit und Handling. Der Systemanbieter für Schaltschranktechnik unterstreicht damit erneut seinen Anspruch als Technologieführer für System-Klimatisierung.

Daten, Software und Prozesse für Industrie 4.0

Auch bei der Diskussion um die Zukunft der industriellen Fertigung setzt das Familienunternehmen aus dem hessischen Herborn Maßstäbe. Gemeinsam mit seinem Schwesterunternehmen Eplan, einem führenden Software-Spezialisten für mechatronisches Engineering, investiert das Familienunternehmen immens in die Bereitstellung von hochwertigen Produktdaten, die eine zentrale Rolle bei Wertschöpfungsprozessen nach Industrie 4.0. spielen – und genauso wichtig sind wie das reale Produkt selbst.

„Daten sind für Maschinen-, Steuerungs- und Schaltanlagenbauer der Treibstoff für den Ingenieursalltag. Sie sind entscheidend für Entwicklung, Konstruktion, Fertigung und Inbetriebnahme“, erklärt Uwe Scharf, Geschäftsbereichsleiter Produkt-Management bei Rittal. So müssen Produktdaten in den unterschiedlichsten Formaten zur Verfügung stehen.

Dazu gehören etwa Planungsdaten für M-CAD- und E-CAD-Systeme, aber auch kaufmännische Daten, die für Einkauf und Logistik von großer Bedeutung sind. Entscheidend ist eine möglichst hohe Durchgängigkeit der Daten entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Planung bis zur Inbetriebnahme. Nur so ist es möglich, die Daten für alle Schritte nahtlos zu verwenden. So bietet Rittal gemeinsam mit den Schwesterunternehmen Cideon und Eplan heute zukunftsweisende Lösungen für integrierte Wertschöpfungsketten im Steuerungs- und Schaltanlagenbau. Im Fokus stehen durchgängige Engineering-Tools, standardisierte Systemtechnik sowie automatisierte Bearbeitungsmaschinen, die einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, Wertschöpfungsketten zukünftig noch effizienter zu realisieren.

Mit dem neuen Geschäftsbereich Rittal Automation Systems erweitert das Unternehmen seit 2015 sein umfangreiches Programm für den Steuerungs- und Schaltanlagenbau. Damit steht ein umfassendes Ausrüstungsprogramm für den professionellen Werkstatt-Betrieb zur Verfügung – von manuellen Werkzeugen bis zur vollautomatisierten Maschinentechnik.

Investition am Standort Deutschland

Neben der permanenten Weiterentwicklung des Produktportfolios investieren die Herborner als größtes Unternehmen der inhabergeführten Friedhelm Loh Group in den nächsten Jahren im großen Stil am Produktionsstandort in Haiger, Hessen. Bis 2018 soll dort das weltweit modernste Produktionswerk für Kompaktgehäuse entstehen und die Edelstahl- und Schwarzblechproduktion auf neuen Maschinen starten.

Vor 55 Jahren wurden die ersten Kompaktgehäuse in Rittershausen produziert und galten als die Innovation schlechthin. Jetzt soll die Erfolgsgeschichte von Haiger aus fortgeschrieben werden – mit Industrie-4.0-Strukturen als Basis für hocheffiziente Produktions-, Logistik- und Kommunikationsprozesse. Mit der Großinvestition in den neuen Produktionsverbund bekennt sich Rittal klar zum Standort Deutschland – und zur Region: „Das ist die größte Investition in der Unternehmensgeschichte“, so Dr. Friedhelm Loh, Vorstandsvorsitzender und Inhaber der Friedhelm Loh Group, zu der auch die Firmen Stahlo und LKH gehören.

Die Friedhelm Loh Group ist mit 18 Produktionsstätten und 78 Tochtergesellschaften international erfolgreich. Sie beschäftigt über 11 500 Mitarbeiter und erzielte im Jahr 2015 einen Umsatz von rund 2,2 Milliarden Euro. Zum achten Mal in Folge wurde das Familienunternehmen 2016 als Top Arbeitgeber Deutschland ausgezeichnet.

Hinweis: Der Artikel erschien im Original in derElektronik Praxis

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