Das Projekt Quasim und eine Anwendung: Stanzen mit dem Quantenrechner
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Im Interview erläutert Quantenphysiker Tobias Stollenwerk, der im Sommer vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt ans Forschungszentrum Jülich wechselte, wie das „Quasim“-Projekt Quantencomputer und Metallverarbeitung zusammenbringt.

Die metallverarbeitende Industrie stellt mit mehr als 390.000 Unternehmen und rund 3,7 Millionen Angestellten den größten sekundären Sektor innerhalb der EU dar. Die Zerspanungstechnik wiederum repräsentiert in diesem Bereich eine der wichtigsten Fertigungstechnologien.
Auch zahlreiche deutsche Schlüsselindustrien erwirtschaften einen Großteil ihrer Wertschöpfung am Produkt mittels Zerspanung, wie der Werkzeug- und Formenbau, die Halbleiterindustrie oder der Triebwerksbau. Auf Grund des hohen Stellenwerts der zerspanenden Fertigung sind die betreffenden Unternehmen an einer kontinuierlichen Optimierung von Zerspanungsprozessen hinsichtlich Qualität, Produktivität, Wirtschaftlichkeit und zunehmend auch Nachhaltigkeit interessiert.
Durch die Digitalisierung werden Zerspanungsprozesse von digitalen Zwillingen repräsentiert, was eine durchgängige Planung, Fertigung und Qualitätssicherung ermöglicht. In der industriellen Anwendung werden Modelle und Simulationen basierend auf digitalen Zwillingen aufgrund ihres Rechenbedarfs und dem erforderlichen Expertenwissen für deren Bedienung zumeist ausgeschlossen.
Der Digitale Zwilling als Basis
In Folge werden relevante physikalische Effekte in der industriellen Praxis entweder vernachlässigt oder nur durch grobe Abschätzungen approximiert. Hierunter leiden die Qualität des Digitalen Zwillings und die daraus abgeleiteten Erkenntnisse und Entscheidungen erheblich, was in vielen Fällen zu signifikanten, wirtschaftlichen Nachteilen von Unternehmen führen kann.
Bedingt durch die hohen Qualitätsanforderungen und die zumeist erheblichen Kosten für Ausschüsse, ermöglichen Simulationen es auf Basis Digitaler Zwillinge optimierte Zerspanungsvorgänge zu planen. Diese technologiespezifischen Simulationsmodelle fußen primär auf Modellen aus Analytik, Numerik und zunehmend auch dem Bereich des maschinellen Lernens (ML) (bspw. Neuronale Netze).
Doch insbesondere die Ansätze aus den Kategorien Numerik und ML führen regelmäßig selbst leistungsfähige digitale Infrastrukturen an ihre Grenzen, da sie heute noch auf herkömmlichen Halbleiterrechnern und deren technischer Funktionsweise beruhen. Die resultierenden langwierigen Berechnungszeiten und/oder fehlerhaften Berechnungsergebnisse erschweren bis heute den Transfer vollständiger Industrie 4.0 Rahmenmodelle in die Industrie.
Der erhoffte Vorteil
Erste Untersuchungen zeigen, dass quantenmechanische Funktionsprinzipien entscheidende Vorteile in der Lösung zahlreicher algorithmischer Fragestellungen versprechen, wie vor allem signifikante Beschleunigungen bei numerischen Verfahren und Ergebnisverbesserungen durch „Quantum Machine Learning“-basierte Ansätze.
Das Projekt „QC-Enhanced Service Ecosystem for Simulation in Manufacturing“, kurz: Quasim, greift die Leistungsfähigkeit der kurzfristig angestrebten Quantenrechner auf und entwickelt darauf aufbauend Szenarien für das mittelfristige Ziel des Quantenvorteils für praxisrelevante Anwendungen. Hierfür ist die Verbindung zu Hardware-entwicklung und -analyse unter anderem durch die Teilnahme des Forschungszentrums Jülich (FZJ) zentral, da so Hardwarefähigkeiten und -einschränkungen berücksichtigt werden können und das Potenzial von Quantencomputern früh genutzt wird.
Ziel des Projektes ist die Entwicklung und Erprobung von Algorithmen und Technologien des Quanten Computing (QC) für kritische Simulationsfragestellungen in der Fertigung, die methodische Einbettung in Industrie 4.0- Rahmenwerke als „Quantum-as-a-Service“ (QaaS) und der praxisorientierte Wissenstransfer zur produktionsorientierten Simulation auf Basis von QC. Mit Hilfe unterschiedlicher Algorithmen und Technologien des QC soll in Quasim untersucht werden, ob und wie sich Simulationen von Fertigungsprozessen optimieren und beschleunigen lassen.
Die Projektziele
Im ersten Teil verbindendie BeteiligtenQuantencomputer mit den numerischen Modellen des Frameworks (QC- Numerik-Ansatz); im zweiten Teil des Projekts QC mit den ML-Modellen des Frameworks mit QC (QC-ML-Ansatz). Beide Ansätze sollen mit dem Standardansatz der Ausführung über das Industrial Internet of Things (IIoT) auf Halbleiterrechnern (Baseline) verglichen werden.
Implementierte Services auf QC-Numerik- und QC-ML- Basis (QaaS) werden in das existierende Digital Twin Framework integriert. Dieses öffnet industriellen Endanwendern die Tür zu QC-Anwendungen in einer existierenden digitalen Infrastruktur und treibt die Nutzung von QC im industriellen Umfeld vor. Ergebnisse und grundsätzliche Einsatzmöglichkeiten von QC werden Unternehmen des Maschinenbaus über die exzellenten Industrienetzwerke der Projektpartner in Workshops und Symposien vermittelt.
Gleichfalls werden die Ergebnisse in Standardisierungsprozesse der deutschen Industrie eingebracht. Mit Quasim wird Fertigungsunternehmen vorgestellt, wie QC praktisch eingesetzt werden kann, um mittel- und langfristig Wettbewerbsvorteile zu erkennen und umzusetzen. QUASIM setzt damit einen Meilenstein in der Innovation für den zukünftigen Erfolg des deutschen Maschinenbaus.
Die Anwendung Stanzen
Viele kennen das Problem vom weihnachtlichen Plätzchenbacken: Beim Ausstechen bleibt immer wieder Teig an den Förmchen hängen. Ähnliche Komplikationen treten auch beim Laserschneiden in der Industrie auf.
Quantencomputer könnten hier künftig helfen, den Laser so zu platzieren, dass sich die Blechteile sauber heraustrennen lassen. Im Projekt Quasim will Tobias Stollenwerk vom Forschungszentrum Jülich dafür nun gemeinsam mit dem deutschen Hochtechnologieunternehmen Trumpf erste passende Quantenalgorithmen auf den Weg bringen.
Worum geht es in dem Projekt?
Tobias Stollenwerk: In Quasim wollen wir das Potenzial von Quantencomputern für die Metallverarbeitung untersuchen. Dabei konzentrieren wir uns auf konkrete Anwendungsfälle. Ein Testproblem, das wir mit der Firma Trumpf untersuchen, ist die Entnahme der Teile beim Laserschneiden.
Diese Entnahmeprozesse verlaufen oft nicht optimal, obwohl die Prozesse auch heute schon mithilfe von Computersimulationen optimiert werden. Das hängt damit zusammenhängt, dass die Wärme-Ausdehnung der Bleche – der Laser ist sehr heiß – nur unvollständig in den bisherigen Modellen berücksichtigt werden kann. Die ausgeschnittenen Teile bleiben daher manchmal am Blech hängen.
Die Maschinen müssen dann angehalten werden, um sie zu lösen, was zu unerwünschten Stillstandzeiten führt. Eine Optimierung der Schnittmuster mit Quantencomputing und maschinellem Lernen könnte helfen, die Effizienz und auch die Qualität der Schnitte zu steigern.
Wie weit sind Sie schon?
Tobias Stollenwerk: Heutige Quantencomputer sind trotz der enormen Fortschritte in den letzten Jahren immer noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Momentan geht es darum, die Probleme auf Teilprobleme herunterzubrechen, die ähnliche Charakteristika aufweisen wie die realen Aufgaben und so simpel sind, dass sie sich auf den aktuell zur Verfügung stehenden Quantencomputern mit nur wenigen Qubits lösen lassen. Auf diese Weise wollen wir zu einer Einschätzung gelangen, inwiefern Quantencomputer bei dieser konkreten Aufgabenstellung einen echten Quantenvorteil in der Praxis bieten können.
Und es geht um die Frage, welche Eigenschaften ein solche Quantenrechner haben muss und wie hoch der damit verbundene Entwicklungsaufwand ist. Ein wichtiges Ziel zum Ende des Projektes ist es, eine Abschätzung zu erhalten, welche Quantencomputer-Ressourcen notwendig wären, um einen Quantenvorteil in der Praxis zu erreichen. Bis jetzt haben wir erste Ansätze entwickelt, wie man Quantencomputer zur Beschleunigung von Verfahren des maschinellen Lernens einsetzen könnte, um die Temperaturausbreitung in den Blechteilen zu simulieren.
Welche Rolle spielen Sie bei dem Projekt?
Tobias Stollenwerk: In Quasim arbeiten wir mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) zusammen, das das Vorhaben koordiniert, sowie dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie (IPT), Trumpf und dem Software-Unternehmen Moduleworks in Aachen. Ford und MTU sind als assoziierte Partner ebenfalls beteiligt. Meine Aufgabe besteht in der Koordinierung der Arbeiten auf Seiten des Forschungszentrums Jülich. Meine Kollegen Alessandro Ciani und Sven Danz führen die eigentliche Forschungstätigkeit aus und untersuchen Quantenalgorithmen, welche sich für die Fertigung eignen könnten.
Welche Quantencomputer nutzen Sie in dem Projekt?
Tobias Stollenwerk: Zurzeit simulieren wir die Quantencomputer noch auf klassischen Computern. Das hat den Vorteil, dass wir uns dabei ganz auf die Entwicklung der Quantenalgorithmen konzentrieren können und weniger auf die Eigenheiten aktueller Quantensysteme achten müssen, die ja typischerweise alle noch etwas fehlerbehaftet sind.
Trotzdem berücksichtigen wir jetzt schon die Eigenschaften von echter Quantenhardware, wie sie zum Beispiel im Projekt „Qsolid“ entwickelt wird. Das sind beispielsweise Fehlerraten in speziellen Quantenoperationen und die eingeschränkte Konnektivität der Qubits.
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