Interview mit dem Direktor des RISE ICE Datacenter Professor Minde: „Der Datacenter-Boom hält noch 10 Jahre“
Professor Tor Björn Minde gehört sicherlich zu den interessantesten Köpfen, die die Rechenzentrumsbranche zu bieten hat. Er ist derzeit Direktor von RISE ICE Datacenter, einem relativ neuen Industrieforschungsinstitut in Luleå, das sich auf Rechenzentren konzentriert. Auf dem virtuellen DataCenter Day 2020 kann ihn jeder, der sich anmeldet, kennenlernen. Einen Vorgeschmack liefert das Interview.
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Eigentlich hätte Minde gerne in persona am DataCenter Day 2020 teilgenommen – am 6. Oktober, im VCC, in Würzburg. Doch Corona macht halt vielen Plänen einen Strich durch die Rechnung. Da DataCenter-Insider, wie bisher auch schon, den Event als Medienpartner begleitet, der Referent und Diskutant ein Tausendsassa im Rechenzentrumswesen ist und sich in den jüngsten Trends und Forschungen bestens auskennt – von Energie-Effizienz, Datacenter-Ausstattung und -Monitoring bis zur KI-Forschung und Anwendung, 5 G und auch in der Vorbereitung auf 6G – sollten auch alle Leser, die das Event weder persönlich noch virtuell besuchen können, den Professor kennenlernen.
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Einladung zum virtuellen DataCenter Day 2020
KI, maschinelles Lernen und Selbstoptimierung für Rechenzentren
Übrigens züchtet er gerade mit der DataCenter-Abwärme seines Labor-Rechenzentrums Würmer, die als Hühnerfutter dienen sollen. Das kann eine Kostenreduktion in der Zucht bringen, Unabhängigkeit der Schweden von einem nicht unerheblichen Hühnerfutter-Import, und natürlich eine bessere CO2-Bilanz für künftige Rechenzentren, wenn diese die Forschungsergebnisse nutzen können.
Wie sehen die Rechenzentren, sagen wir, in fünf oder zehn Jahren aus – megagroß, mini in Straßenlaternen, rollend in PKWs und LKWs…?
Tor Björn Minde: Es wird auch in Zukunft ganz viele verschiedene Rechenzentrumstypen geben – alles Cloud und damit ausschließlich riesige Anlagen ist keine Option. Der Grund für die Verschiedenartigkeit liegt zum einen in den diversen technischen End-User-Anforderungen begründet: Video-Streaming, Artificial Intelligence, Virtual Reality, High Performance Computing (HPC), Archivierung, Mobile Computing, … und zum anderen daran, dass die Nachfrage auf allen Ebenen dramatisch steigt.
Meiner Einschätzung nach wird das Wachstum im Datacenter-Markt aufgrund der Digitalisierung in allen Lebensbereichen noch etwa zehn Jahre andauern. Doch dann flaut die Wachstumskurve drastisch ab und wir müssen vielleicht sogar Rechenzentren schließen. Denn neue Computertechnik wird sich so weit entwickelt haben, dass Datacenter, wie wir sie jetzt kennen, in einigen Bereichen obsolet werden.
Doch bis dahin werden wir wegen des Wachstums im Edge-Bereich viele verschiedene Compute-Nodes, Rechenknoten, sehen, von Pico-Station bis zu Hyperscale-Datacenter.
Die alleinige Tatsache, dass Rechenzentren das Segment bilden, dessen Strombedarf am schnellsten wächst, dürfte für weitere Differenzierungen beziehungsweise Ausprägungen sorgen.
Tor Björn Minde: Genau. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass große Städte keine weitere Rechenzentrumsansiedlung mehr wollen, weil sie den Strom, eventuell den Platz, nicht oder nicht schnell genug zur Verfügung stellen können. So wird man direkte Verbindungen zu Gas-Versorgern, Solaranlagen und anderen Energiequellen sehen.
Die Frage ist allerdings was die geplanten Exascale-Maschinen antreiben soll und wo diese stehen können; Spanien, Italien und Finnland haben oder planen solche Cluster, die bis zu 200 Megawatt saugen.
Es gibt jede Menge Initiativen und Ideen, Rechenzentren in eine Kreislaufwirtschaft einzubinden und nachhaltiger wirtschaften zu lassen. Was ist notwendig, damit ein Kunde „Vier Pfund Cloud“ für weniger als ein Kilo CO2, bitte“ bestellen kann. Dazu ein Beispiel: Bald gibt es in einem Berliner „Penny“-Markt, der dank eines Projekts mit Augsburger Forschern, die echten Kosten für 16 Eigenmarkenprodukte ausweist, also neben den üblichen Herstellungskosten auch die Auswirkungen der bei der Produktion entstehenden Treibhausgase und die Folgen von Überdüngung. Ähnliches lässt sich doch für Datacenter-Dienstleistungen ausweisen.
Tor Björn Minde: Das wird passieren, wenn es entsprechende Gesetze gibt …. Da gibt es schon EU-Bemühungen, wie den „Green Deal“. Allerdings ist der Druck vor allem in der jüngeren Generation zu spüren. Wir haben ja in Schweden mit Greta Thunberg ein Mädchen, das weltweit für ihr Engagement berühmt geworden ist. Letztlich wird es dazu kommen und wir werden viele Modelle, hybride Energiemodelle sehen: Datacenter mit Wasserstoff-Energiequellen, in denen die Abwärme zum Kühlen von Brennstoffzellen genutzt werden, Datacenter verbunden mit Windkraftwerken, die Nutzung der Abwärme für Fern- und Nahwärmenetze, zur Erzeugung neuer Energie, gekoppelt mit Gewächshäusern und, und, und …
Auch für die Kühlung sind an verschiedenen Standorten unterschiedliche Methoden zu befürworten: freie Kühlung dort, wo es kühlt und sauber ist, direkte Serverkühlung mit Wasser oder anderen Flüssigkeiten …. Tatsächlich leben wir in einer Innovationsphase. Das erinnert mit an die Zeit als wir bei Ericsson die ersten Testbeds für den 2. Mobilfunkstandard „Global System for Mobile Communication“ (GSM) installiert hatten. Heute habe ich nahezu jeden Tag mit Firmen zu tun, die neue Kühltechniken vorstellen, insbesondere für den Edge-Bereich.
Das nächste große Ding ist übrigens „Solid State Power“, programmierbare Festkörper-Engergie(speicher). Die Überlegung dahinter: Energie ist dem Fluss der Bits nicht so unähnlich: Es ist ein Fluss von Elektronen, der gespeichert, erzeugt und verbraucht werden kann, der über ein Netzwerk verteilt und schaltbar ist, somit Routing-fähig und aus der Ferne handhabbar.
Doch letzten Endes: Im Augenblick fehlt es an genügend Business Cases, damit sich die Innovationen rechnen …. und gesetzlichen Vorgaben.
Die Bemühungen Rechenzentren Energie-effizienter arbeiten zu lassen, etwa um Kosten zu sparen, haben Fortschritte erzielt, sowohl was den Facility-Bereich angeht als etwa auch durch Virtualisierung. In der Edge, selbst in Edge-Datacenter sind solche Vorteile nur schwer zu erzielen.
Tor Björn Minde: Tatsächlich gibt es von Gartner-Analyst Tom Bittman die These „The Edge Will Eat The Cloud“. Das glaube ich nicht und schon gar nicht, was die Auswirkungen auf Rechenzentren angeht. Im Gegenteil: Edge-Computing wird die Anzahl der Rechenzentren signifikant erhöhen.
Bezogen auf den dadurch steigenden Energiebedarf kann das nur bedeuten, dass sich zwar in den einzelnen Knoten keine so hohe Effizienz, nebenbei bemerkt in allen Belangen, erzielen lässt wie in einem großen Datacenter, doch in der Gesamtbilanz. Große Einrichtungen gehen oft einher mit einer enormen Überversorgung und einer fehlenden Flexibilität bei der Energieverteilung sowie -nutzung.
Das erhöht die Chance zur Adaption einer dynamischeren und verteilten Erzeugung und Speicherung, einer stärkeren Nutzung von Intelligenz und Automatisierung und flacheren, transaktiven Modellen. Anbieter, die auf dem Gebiet der Energieverwaltung und -speicherung tätig sind - ABB, General Electric, Hitachi, Eaton, Siemens, Schneider Electric und Vertiv beispielsweise – beschäftigen sich in einigen Fällen seit Jahrzehnten mit „intelligenteren“ Energie-Technologien, zum Beispiel um Power Distribution Units (PDUs) zu rekonfigurieren. Innovationen kommen auch aus der Elektroauto- und Batterie-Ecke, zum Beispiel von Tesla.
Das wird Auswirkungen auf der Ebene der Versorgungsnetze haben. Aber auch Mikronetze, wie in den Datacenter sichtbar, mit einer ausgereiften Technologie, bringen zunehmend Modelle für ein dynamisches und intelligentes Management von Stromquellen, -speicherung und -verbrauch in den noch jungen Markt. Man spricht auch von Software-Defined Power. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz erhöht die Chancen, sowohl im Großen als auch im Kleinen, mehr aus den vorhandenen Infrastrukturen herauszuholen.
Dazu kommen die intelligenteren Anwendungen. Zum Beispiel lässt sich die Reisetätigkeit reduzieren, wenn das Homeoffice gut ausgestattet ist. Die Datacenter lassen sich in einem Verbund nutzen, so dass nicht immer alle rechnen müssen. Eine Anwendung wird einmal trainiert, da wird viel Strom gebraucht, und zigtausend mal verteilt; hier ist der Strombedarf klein.
Außerdem gibt es neue Anwendungen nicht nur in der IT. Urban Farming ist so etwas. Und hier kommt wieder die Nutzung von Abwärme ins Spiel, etwa für eine Fischfarm. Als ich angefangen habe mich dafür zu interessieren, hat man mich ausgelacht. Derzeit züchte ich übrigens Würmer, bei 35 Grad Abwärme in einer Art „Klima-Box“, für etwa zwei Monate ….
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