Datacenter in der Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main Standortfrage - Rechenzentrumsbauer zieht es in den Speckgürtel

Amsterdam, London oder Frankfurt am Main: Neue Rechenzentren werden weniger häufig in der City selbst, sondern im Umland errichtet. So weichen auch an Deutschlands führendem Rechenzentrumsstandort Frankfurt am Main Bauherren und Co-Locator vermehrt nach Rüsselsheim und Hattersheim (E-Shelter), auf das Großauheimer Kasernengelände bei Hanau (Zenium) oder ins benachbarte Offenbach auf die andere Mainseite aus, wo der lokale Energieversorger EVO im Rahmen eines Joint Venture derzeit ein neues Areal bebaut.

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Das E-Shelter/NTT-Rechenzentrum „FRA4“ in Hattersheim
Das E-Shelter/NTT-Rechenzentrum „FRA4“ in Hattersheim
(Bild: NTT)

Auch der Computerriese IBM betreibt seit mehreren Jahren im angrenzenden Eschborn ein Rechenzentrum für die Deutsche Bank. Im mittelhessischen Limburg hat die OVH ihren Neubau marketingtechnisch „Fra1“ getauft – sprachlich ähnlich geschickt wie der Flughafen „Frankfurt-Hahn“ im rheinland-pfälzischen Hunsrück.

Welche Gründe sprechen für diesen Trend? Und vor allem: Wo liegen die Risiken für die Anwender, beispielsweise wenn sich ein Co-Location-Anbieter kilometerweit vom zentralen De-CIX-Knoten in Frankfurt mit seinen schnellen Internet-Zugängen entfernt?

„Es gibt im relativ kleinen Frankfurt mittlerweile nur noch wenig Flächen, auf denen überhaupt neue Rechenzentren gebaut werden können. Die Stadt läuft quasi voll“, benennt Ulrich Terrahe, Geschäftsführer der DC-CE Rechenzentrumsberatung, einen der gewichtigsten Gründe, warum auch vor Ort ansässige Branchengrößen im Umland nach geeignetem Gelände für Erweiterungsbauten suchen oder gar der Goethestadt gänzlich den Rücken kehren wollen.

Immer mehr Umwelt- und Lärmschutzauflagen

Auch die behördlichen Auflagen verschärfen sich immer mehr: Durch die Verdichtung der Rechenzentren in der Stadt machen sich Schallbelästigungen der Anwohner durch startende Diesel bemerkbar, Grenzwerte werden immer enger gezogen und müssen von den Betreibern eingehalten werden … Terrahe: „Für Datacenter-Bauer wird es daher immer schwieriger, diese in den vergangenen Jahren deutlich erhöhten Auflagen auch zu erfüllen. Unternehmen müssen immer mehr Geld in die Hand nehmen und kommen damit teilweise an ihre Grenzen, es um-setzen zu können.“

Ins Umland zu gehen, sei die einzige Lösung, die in der angespannten Situation in Frankfurt am Main weiter helfen wird, sagt Ulrich Terrahe, Geschäftsführer der der DC-CE-Rechenzentrumsberatung.
Ins Umland zu gehen, sei die einzige Lösung, die in der angespannten Situation in Frankfurt am Main weiter helfen wird, sagt Ulrich Terrahe, Geschäftsführer der der DC-CE-Rechenzentrumsberatung.
(Bild: CD-CE RZ-Beratung)

Jüngstes Beispiel hierfür: Die neue BImSch-Verordnung 44 (Bundesemissionsschutzgesetz), die Notstromdiesel mit einer Leistung von über einem Megawatt neu eingruppiert hat und damit strenger behandelt, als dies noch vor dem Stichtag 30.06.2019 der Fall war. Der Berater schlussfolgert: „Aufgrund der bereits hohen Rechenzentrumsdichte im Stadtgebiet wirken sich Grenzwerte und Regularien deutlich stärker aus als im Umland.“

Blick über den deutschen Tellerrand: Im Datacenter Hotspot Amsterdam beispielsweise wurde zwischenzeitlich sogar ein Baustopp für neue Rechenzenten erlassen. Über Umweltauflagen und die Einspeisung von Abwärme für Wärmenetze soll Entlastung für Umwelt und Bewohner geschaffen werden. Terrahe: „Dieser ‚Worst Case‘ ist bis auf Weiteres in Frankfurt nicht zu befürchten. Nichtsdestotrotz haben sich die Auflagen noch einmal verschärft.“

Übertragungs- und Latenzzeiten – ein gefühltes Thema

Wie steht es nun mit den oftmals ins Feld geführten Übertragungs- und Latenzzeiten, die als einer der größten Pluspunkte für den Standort Frankfurt am Main gelten? „Das ist teilweise ein gefühltes Thema. Wichtig ist, welche Datacenter-Anwendungen bereitgestellt werden müssen. Daraus leiten sich dann notwendige Latenzen und vor allem die Anbindung an das Datennetz in entsprechender Bandbreite ab“, analysiert Terrahe.

Ein schneller Zugang zum De-CIX-Internet-Knoten bietet zweifelsfrei den Vorteil direkter Peer-to-Peer-Verknüpfungen zu vielen Orten in aller Welt. Diese Weiterleitungen sind in Frankfurt gebündelt. Wenn RZ-Betreiber sich hinaus ins Umland begeben, nehmen sie damit auch eine etwas verschlechterte Anbindung in Kauf. Große Co-Location-Anbieter können ihre Dependancen im Umland sehr eng mit ihren angestammten Arealen im Frankfurter Stadtgebiet verknüpfen und anwendungsoptimierte Mischkonzepte anbieten. Terrahe: „In diesen Fällen sind die Auswirkungen eher gering.“

Aus kleinen Anfängen an der Eschborner Landstraße im Frankfurter Stadtteil Rödelheim groß geworden, unterhält die jüngst vom japanischen NTT-Konzern übernommene E-Shelter GmbH auf Frankfurter Gemarkung heute Europas größten Co-Location-Campus. Neben Rechenzentrumsstandorten an vielen deutschsprachigen Datacenter-Hotspots betreibt das Unternehmen seit 2012 auch einen Frankfurter Umlandstandort in Rüsselsheim. Im vergangenen Jahr (2019) kam mit der ersten Ausbaustufe in Hattersheim am Main ein zweiter Umlandstandort hinzu.

Das E-Shelter-Datacenter in Hattersheim verfügt über eine direkte De-CIX-Anbindung.
Das E-Shelter-Datacenter in Hattersheim verfügt über eine direkte De-CIX-Anbindung.
(Bild: NTT)

Zu Beginn standen Anwenderanfragen, neben Rödelheim zusätzlich einen weiteren Standort in der Region Rhein-Main nutzen zu wollen. „Da haben wir geschaut, wo es in der Region überhaupt passende und vor allem risikoarme Grundstücke gibt, die über eine ausreichende Stromversorgung verfügen und auch gut redundant über Glasfaser an den Standort Rödelheim angebunden werden können“, berichtet Volker Ludwig, seines Zeichens Senior Vice President Sales & Marketing EMEA des Geschäftsbereichs Global Data Centers bei NTT, von den Anfängen der Umlandaktivitäten.

Stromnetze in Frankfurt weitgehend ausgelastet

Ein weiteres Argument, vor den Toren Frankfurts in der Region aktiv zu werden, sieht der Senior Vice Presidente in der Infrastruktur. In Frankfurt selbst wird der Strom knapp. Wenn ein Unternehmen in der Stadt wachsen will, muss es zunächst ein Grundstück finden, für das auch zusätzlicher Strom zur Verfügung gestellt wird.

Ludwig. „Das ist im Moment nur an wenigen Stellen möglich, weil die Stromnetze in der Stadt selbst und auch die vorgelagerten Netze gut ausgelastet sind.“ Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage sieht sich das Unternehmen gezwungen, Standorte für neue Rechenzentren auch dort zu suchen, wo noch ausreichend Energie im Netz vorhanden ist und keine unzumutbaren Wartezeiten vorherrschen, bis das Netz gegebenenfalls nachgerüstet ist.

Ludwig: „Der Bedarf besteht ja heute und nicht erst in fünf Jahren. In Rüsselsheim und Hattersheim haben wir ausreichend Strom unmittelbar zur Verfügung.“

In puncto Latenzzeiten sieht der NTT-Experte für die Anwender in den beiden Umlandstandorten gegenüber Frankfurt-Rödelheim keine entscheidenden Nachteile: Neben dem Stammsitz an der Eschborner Landstraße verfügt auch Hattersheim über eine direkte De-CIX-Anbindung. Rüsselsheim wiederum ist über Glasfaserkabel mit Rödelheim verbunden und kann sich daher ebenfalls sehr schnell in das weltweite Datennetz einbinden. Ludwig: „Innerhalb Frankfurts und der Region Rhein-Main ist das Thema Latenz bei normalen Datenverkehr in der Regel unkritisch.“

Volker Ludwig, ehemals E-Shelter, heute Senior Vice President Sales & Marketing EMEA des Geschäftsbereichs Global Data Centers bei NTT.
Volker Ludwig, ehemals E-Shelter, heute Senior Vice President Sales & Marketing EMEA des Geschäftsbereichs Global Data Centers bei NTT.
(Bild: NTT)

Bleibt bis auf Weiteres die Frage offen: Was tun Rechenzentrumsbetreiber im Umland, die nicht bereits über ein Datacenter in Frankfurt selbst oder eine direkte De-CIX-Anbindung verfügen?

„Noch keine wirklich schlüssigen Konzepte“

Unstrittig ist: Frankfurt am Main verfügt über gute Bedingungen und viel Erfahrung als Rechenzentrumsstandort. Wie stellen sich nun die umliegenden Gemeinden, Städte, Energie-versorger und Netzbetreiber an den neuen Datacenter-Standorten im Großraum Rhein-Main auf, was etwa die Themen Strom- / Kältelieferung, Abnahme von Abwärme und Unterpufferung der Netze durch die Notstromreserven der Rechenzentren angeht?

„Meiner Meinung nach gibt es dort noch keine wirklich schlüssigen Konzepte“, sagt Berater Terrahe. Man mache sich aber schon Gedanken.

Die Stadt Hanau beispielsweise ist dabei, für das neu ausgewiesene Industriegebiet in Großauheim ein Gesamtkonzept zu entwickeln. Leider waren weder die Stadt noch die Stadtwerke Hanau gegenüber DataCenter-Insider zu einer Stellungnahme bereit. Auch beim Energieversorger Kraftwerke Mainz-Wiesbaden haben sich offenbar bereits interne Arbeitsgruppen mit dieser Thematik befasst. Ein Interview oder eine Stellungnahme gegenüber der Fachpresse war dort allerdings genauso wenig zu bekommen wie bei EVO Offenbach oder Syna (EON) Frankfurt.

Immerhin stellt Senior Vice President Ludwig der Stadt Hattersheim am Main mit ihrem umtriebigen Bürgermeister Klaus Schindling bei der Ansiedlung neuer Rechenzentren ein gutes Zeugnis aus: „Hattersheim hatte zwar nur wenig Erfahrung mit Rechenzentren, hat sich aber sehr hilfsbereit gezeigt und uns bei allen Planungsgenehmigungsverfahren sehr gut unter-stützt.“

Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Co-Location-Anbieter im Rahmen seiner Standortauswahl selbst bereits einen erheblichen Teil der Vorarbeiten für die Erschließung des neuen Grundstücks leisten musste, zum Beispiel vorbereitende Gespräche mit den Energieversorgern und Glasfaserbetreibern führen. Auch für die Leiterin der Wirtschaftsförderung der Stadt Eschborn, Dong-Mi Park-Shin, sind Rechenzentren für die Digitalwirtschaft wie Cloud-Systeme, Blockchain, IoT jetzt und in der Zukunft erforderlich und machen den Standort Eschborn mit seinen Unternehmen wettbewerbsfähig.

Standort-Ausblick

Für die Stadt Frankfurt am Main sprechen NTT zufolge bei der Standortauswahl auch weiterhin vor allem die zentrale Lage und die kurzen Wege. Ludwig: „Das ist für viele Anwender sehr wichtig. Deshalb werden wir auch weiterhin Kapazitäten in der Stadt selbst unterhalten. Für Kunden, die bereits über einen City-Standort verfügen und eine Redundanz benötigen, halten wir Kapazitäten im Umland vor.“

Für die DC-CE-Rechenzentrumsberatung ist der von vielen bereits eingeschlagene Weg, neue Data Center vermehrt im Frankfurter Umland – der Metropolregion Rhein-Main – zu errichten – in der Sprache der deutschen Bundeskanzlerin – weitgehend „alternativlos“. Terrahe: Wenn man in der City kein Grundstück mehr, oder nicht mehr zu wirtschaftlichen Preisen bekommt, und das Ziel auch im Speckgürtel erreicht werden kann, ist das eine gute Lösung, die in dieser Situation helfen wird.“

* Harald Lutz ist Fachjournalist und Technikredakteur in Frankfurt am Main.

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