Der Server Idle Coefficient und mehr Nachhaltigkeitsideen für Datacenter aus NL

Autor / Redakteur: lic.rer.publ. Ariane Rüdiger / Ulrike Ostler

Die Niederlande beschreiten einen ganz eigenen, kooperativen Weg dazu, ihre Rechenzentren nachhaltig zu machen. Alle Stakeholder werden an dem Vorhaben beteiligt. Das betreffende Programm heißt „LEAP“.

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Das niederländische Projekt LEAP versucht den Energieverbrauch von Servern durch Energiemanagement und Virtualisierung zu senken.
Das niederländische Projekt LEAP versucht den Energieverbrauch von Servern durch Energiemanagement und Virtualisierung zu senken.
(Bild: Amsterdam Economic Board)

Wie nur sollen Rechenzentren den Sprung nach vorn, in eine nachhaltige Zukunft schaffen? Abschalten scheint keine Lösung zu sein. Denn folgt man den On-Demand-Video-Streams von der Klimakonferenz „COP26“ in Glasgow, wird klar, dass Daten und immer noch mehr Daten nicht nur fürs Wirtschaftswachstum erforderlich sind.

Auch für Meteorologen sind sie unentbehrlich: für rechtzeitige Warnungen vor schwerem Wetter. Für Logistiker, um multimodalen Verkehr mit einem Minimum an Kohlendioxidproduktion zu ermöglichen. Und für Unternehmen: Erst vor kurzem stellte IBM die KI-gestützte Software "IBM Environmental Intelligence Suite" vor. die ihnen helfen soll, sich besser vor Auswirkungen des Klimawandels zu schützen, indem Risiken schnell erkannt und abgemildert oder umgangen werden. Auch ein Modul zur Umweltberichterstattung hat die Lösung.

Ziel von LEAP: Mehr rechnen, weniger verbrauchen

Wenn aus Notwendigkeit also immer mehr gerechnet wird, verwundert es nicht, dass trotz optimierter Datacenter-Infrastruktur und effizienterer IT-Systeme die IT insgesamt doch immer mehr Energie verbraucht. Der Bedarf frisst schlicht alle Einsparungen wieder auf.

Um an dieser Situation etwas zu ändern, wurde in den Niederlanden LEAP gegründet. Dort geht man, möglicherweise gewitzit durch die jahrhundertelange Auseinandersetzung mit den zerstörerischen Kräften des Meeres, einen für deutsche Verhältnisse bislang ungewöhnlichen Weg. Hierzulande mauern sich die einzelnen Interessenträger-Gruppen oft in ihren Vereinigungen ein, lobbyieren und warten mit konsequenten Lösungen, bis der Gesetzgeber handelt. Anschließend beklagen sie ein Zuviel an Regulierung.

Anders in den Niederlanden: LEAP (Lower Energy Acceleration Program) hat nur ein kleines Kernteam, der Rest ist Kooperation. Die Niederländische Vereinigung der Rechenzentrumsbetreiber (Dutch Datacenter Association) unterstützt das Vorhaben.

Kooperation über die IT-Branche hinaus

In LEAP sind nicht nur Datacenter-Betreiber vertreten. Hier kooperieren neben ihnen professionelle Endanwender, TK-Provider, Hardwarehersteller, Vernetzungsspezialisten, Universitäten und Forschungseinrichtungen. Startups und die öffentliche Verwaltung aus der Metropolenregion Amsterdam. In dieser Region häufen sich bekanntlich Rechenzentren, was schon zu einem Baustopp - mittlerweile aufgehoben - führte.

Im Mittelpunkt des Denkens stehen bei LEAP Partnerschaften zwischen dem öffentlichen Sektor und privaten Unternehmen. Die Plattform ermöglicht Zusammenarbeit, Kommunikation und Wissensaustausch.

Optimierung und nachhaltige neue Technologiegeneration

LEAP hat sich mehrere Ziele gesetzt.

  • Die Plattform will erstens den Einsatz der bestehenden Technikgeneration optimieren – etwa durch Energie-Management und Virtualisierung.
  • Zweitens möchte sie den Übergang zu einer nachhaltigen digitalen Infrastruktur befördern. Als deren Kernbestandteile sieht LEAP dabei ein technisch generalüberholtes, digitalisiertes Energiesystem, Vulgo Smart Grid, und eine detaillierte räumliche Planung und Kreislaufwirtschaft.

Server energiesparend konfigurieren: Zehn Prozent sind drin

Um sein erstes Ziel zu erreichen, hat LEAP bereits in mehreren Pilotprojekten erforscht, welche Auswirkungen ein gezieltes Energieverbrauchs-Management auf den Stromverbrauch der IT hat – das betrifft sowohl die Endgeräte als auch die Rechenzentren.

Dabei wurde auch gleich noch ein neuer Parameter erfunden: Der Server Idle Coefficient (SIC). Er setzt die Energie, die verbraucht wird, wenn das System respektive die Prozessoren sich im Leerlauf befinden, ins Verhältnis zum Energieverbrauch während des Abarbeitens von Algorithmen: SIC = E total/ E total - E idle. Je näher der Koeffizient dem Wert 1 kommt, desto effizienter ist der Server.

Der Stromverbrauch eines Servers über eine Zeitspanne hinweg – blaue Linie: gesteuert durch die Hardware, orange Linie: gesteuert durch das Betriebssystem. Die dynamische Steuerung durchs Betriebssystem ermöglicht Einsparungen.
Der Stromverbrauch eines Servers über eine Zeitspanne hinweg – blaue Linie: gesteuert durch die Hardware, orange Linie: gesteuert durch das Betriebssystem. Die dynamische Steuerung durchs Betriebssystem ermöglicht Einsparungen.
(Bild: Netherlands Enterprise Agency)

Ergebnis der umfangreichen Untersuchungen: Zehn Prozent Einsparung lassen sich ohne Leistungsverluste realisieren, mit konsequenter Virtualisierung noch mehr. Soll der Energieverbrauch optimiert werden, sollte man sich danach lieber auf softwaregesteuerte Mechanismen im Betriebssystem verlassen als auf die Hardware.

Hersteller liefern Konfigurationsinfos

Außerdem fordert LEAP von Herstellern klare, eindeutige Hinweise darauf, wie sich Hard- und Software so konfigurieren lassen, dass die Systeme wirksam virtualisiert und der Energieverbrauch optimal gemanagt wird. Ein erstes Ergebnis dieser Bemühungen liegt bereits vor: das Happy Flow Manual 1.0 (in Englisch) . Das 20seitige Papier entstand in Zusammenarbeit mit den Hardwareriesen Dell Technologies, HPE, IBM, Red Hat und VMware.

Betreiber von Servern können daraus lernen, wie sie diese Geräte am besten konfigurieren und betreiben, um den Energieverbrauch zu drücken. Inhaltlicher Kern des Papiers sind drei Seiten detaillierte und herstellerspezifische Konfigurationsempfehlungen respektive Links zu entsprechenden Whitepapers des jeweiligen Anbieters.

In einem Anhang werden einige Anwendungsbeispiele vorgestellt, beispielsweise konnte der Amsterdamer Flughafen Schiphol mit Energie-Management zehn bis dreizehn Prozent Energie einsparen. Der Umweltbeauftrage der Nordseekanalregion berichtete gar von 14 Prozent Einsparung. An Version 2 dieser Veröffentlichung wird bereits gearbeitet.

Information über vielversprechende Technologie

Gleichzeitig strebt LEAP danach, innovative Technologien und eine Kreislaufwirtschaft für IT zu etablieren. Dabei stützt sich die Plattform auf drei Wege oder Methoden.

Last (grün) und Stromverbrauch (blau) eines Citrix-Servers: Auch wenn die Last sehr niedrig ist, entstehen im Stromverbrauch relativ hohe Ausschläge.
Last (grün) und Stromverbrauch (blau) eines Citrix-Servers: Auch wenn die Last sehr niedrig ist, entstehen im Stromverbrauch relativ hohe Ausschläge.
(Bild: Netherlands Enterprise Agency)

Erstens erarbeiten die LEAP-Partner aus Forschung und Wissenschaft im Rahmen von LEAP Technology daran, potentielle Investoren über vielversprechende Technologien zu informieren. Das soll die Entwicklung von Projekten mit unterschiedlichem Zeithorizont anstoßen. Als erstes Arbeitsergebnis von LEAP Technology ist eine Innovationsroadmap laufender technologischer Entwicklungen geplant, die dann in den Pilotprojekten eingesetzt werden können.

Energiebewusste verteilte Systeme

Zweitens gibt es „LEAP Distributed“. Hier analysieren die LEAP-Partner TNO-ESI und Alliander, ein niederländischer Betreiber von Gas- und Stromnetzen, wie man Energiebewusstsein in die Architektur von Hardware, Software und Daten integrieren kann. TNO-ESI ist ein niederländischer Forschungsverbund, wobei es sich bei ESI um das ehemalige Embedded Systems Institute handelt.

Die beiden Akteure suchen am Markt Produkte und Ansätze für intelligente verteilte Systeme. Denn diese, so die Annahme, können Energieströme und Energieverbrauch optimieren. Ziel sind verteilte Lösungen, die in eine digitale Infrastruktur integriert werden können.

Innovative Beschaffung

In „LEAP Circular„“ geht es schließlich um innovative Beschaffungsmethoden. Die LEAP-Partner bauen an iner Struktur oder Bewegung, die die Kreislaufführung kritischer Materialien und von Energie befördert. Dazu organisierte LEAP ein Circular Economy LAB zum Thema Datenserver. Der Kauf von Refurbished-Hardware soll dadurch gefördert werden.

LEAP dürfte, auch wenn das Projekt schnelle Erfolge vorweisen kann, ein langes Leben beschieden sein. Denn ein Papier der Niederländischen Unternehmensagentur kommt bei seiner Bewertung der Energiemanagements-Forschung durch LEAP zu dem Schluss, dass das Potential hier noch längst nicht ausgeschöpft sei. Mehr Forschung sei dringend vonnöten.

Zögern und Zaudern sind Tabus

Kompendium: „Nachhaltigkeit im Rechenzentrum"

Nachhaltigkeit im Rechenzentrum
Nachhaltigkeit im Rechenzentrum

Datacenter müssen effizienter werden, nachhaltiger wirtschaften, in eine sektorübergreifende Kreislaufwirtschaft eingebunden werden. Für kann oder könnte, soll oder sollte, darf oder dürfte ist kein Platz im Sprachgebrauch, wenn es darum geht, die Umwelt zu entlasten.

Zögern, Zaudern, Zaghaftigkeit sind Tabus.

Es muss sein, jetzt, und es wird wehtun.
(PDF | ET 21.09.2021)

Lesen Sie im Kompendium unter anderem:

  • ... wie die Europäische DC-Branche die Vorreiter-Rolle anstrebt.
  • ... wie wir von anderen Branchen lernen können.
  • ... wie Rechenzentren nachhaltig und klimaneutral werden können.


    >>> Kompendium: „Nachhaltigkeit im Rechenzentrum“ zum Download
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