Wer Clean-IT will, muss messen, messen, messen Energieverbrauch von Hard- und Software in der Diskussion
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Wie kann man den Energieverbrauch von Hard- und Software genau messen? Worauf kommt es dabei an? Ist jeder Verbrauch gleich zu bewerten? Mit solchen Fragen befasste sich ein Panel auf der diesjährigen „Clean-IT“-Tagung des Hasso-Plattner-Instituts für digitales Engineering in Potsdam.

- Welche Energie verbraucht eine Hard- oder Software genau?
- Und steht das in einem gesunden Verhältnis zum Einsatzzweck?
- Was genau wird über den gesamten Stack verbraucht, wenn eine bestimmte Aufgabe digital gelöst wird?
Knifflige Fragen, für die es heute oft noch keine klare Antwort gibt. Das zeigte sich auch auf einem Panel während der diesjährigen Clean-IT-Tagung des Hasso-Plattner-Instituts für Digitales Engineering in Potsdam. Die Panelisten tauschten sich unter der Moderation von Professor Tilman Rabel, HPI für Digitales Engineering, miteinander aus.
Einig war man sich unter den hochkarätigen Experten jedenfalls über eines: Messen ist zukünftig unabdingbare Pflicht überall da, wo digitale Systeme betrieben werden. Die größten Potenziale für Einsparungen vermutet dabei Professor Felix Biessmann, Chair for Data Science am Einstein Center Digital Future, Berlin, bei der Modellentwicklung, insbesondere den Iterationen. „Hier werden schon die Voraussetzungen des Modells oft falsch gewählt.“
AI braucht die richtigen Parameter
Das bestätigte auch Professor Hakan Grahn, Lehrstuhl für Computer Science des Blekinge Institute of Technology. Es komme bei Maschineller Intelligenz entscheidend darauf an, womit man sie füttere. „Die Wahl der richtigen Parameter verringert den Verbrauch um 80 bis 85 Prozent.“
Kilian Veit-Ditlmann, Deputy Team Lead für Policy & Advocacy bei der NGO Algorithm Watch beklagte vor allem Intransparenz. „Man tappt im Dunkeln darüber.“
Biessmann forderte bei der Modellerstellung deshalb mehr Dokumentation und mehr Automatisierung. Grahn verlangte eine Instrumentierung von Software und Cache.
Messungen sind möglich, aber nicht immer erwünscht
Jens Gröger, Senior Researcher am Ökoinstitut Freiburg, setzte dagegen, selbst Messungen an komplexen Systemen wie etwa Internet-Apps seien nicht sehr kompliziert. So könne man recht genau feststellen, wie viel eine Stunde Video-Streaming oder ein Gigabyte Online-Storage verbrauchten.
Allerdings würden entsprechende Daten nicht herausgegeben, obwohl Firmen sie für ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung brauchen. So einfach sei es nicht, widersprach Biessmann. Schließlich liefen viele Apps in virtuellen Runtimes. Das erschwere genaue Messungen.
Die Politik hilft nicht
Kilian Veit-Dietlmann, Deputy Team Lead for Policy und Advocacy beim gemeinnützigen Unternehmen Algorithmwatch, meinte, es gebe Energiemess-Tools für die meisten AI-Applikationen. Die Energiemessung wäre am schwersten bei Apps, bevor sie auf den Markt kommen. Auch die Politik unterstütze entsprechende Messbedarfe nicht.
Dietlmann hält es zudem für hilfreich, die Begriffe nachhaltige AI und AI für Nachhaltigkeit getrennt zu betrachten. Der erste Begriff beschreibt die Nachhaltigkeit einer AI-Software, der zweite Nachhaltigkeitseffekte von AI-Lösungen, die auf anderen Feldern auftreten, weil sie mit AI optimiert werden.
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65 Prozent der Daten werden nie genutzt und 15 Prozent sind alt
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Gröger bestätigte das und bezog sich auf den Verhandlungsprozess zum im September verabschiedeten Energie-Effizienzgesetz (EnEfG): „Im Entwurf des Energie-Effizienzgesetzes war eine Verpflichtung der Anbieter von Rechenzentren oder digitalen Services enthalten, Verbrauchsdaten an die Kunden herauszugeben. Das wurde wegen intensiven Lobbying der Digitalbranche wieder gestrichen.“ Biessmann dagegen will nicht unbedingt mehr Regulierung, aber die öffentliche Förderung von Open-Source-Mess-Tools.
Es fehlen Rebound-Messungen
Vor allem, so Gröger, fehle es nach wie vor an Tools für die Messung indirekter Effekte. Dazu gehört auch der Rebound-Effekt. Bezogen auf ihn forderte Dietlmann Regulierung. „Wir brauchen ein generelles Cap and Trade als Rahmen.“
Damit ist ein Kohlendioxidpreis und eine sinkende Menge Kohlendioxid, das ausgestoßen werden darf, gemeint. Die sinkende Menge treibt den Preis nach oben und begrenzt dadurch Verbräuche. Gleichzeitig macht sie Einsparungstechnologien oder Verzicht wirtschaftlich lukrativ.
Blauer Engel für Software – Hoffnungsschimmer am Horizont?
Immerhin gebe es den neuen „Blauen Engel für Software“, erinnert Gröger. Er verpflichtet diejenigen, die ihn erwerben wollen, Effizienzmessungen an der Software vorzulegen. Das sei ein erster Schritt.
Fraglich ist nur, wie weit sich dieses Siegel durchsetzen kann. Der „Blaue Engel für Rechenzentren“ war bislang kein durchschlagender Erfolg. Aber immerhin werden Maßstäbe gesetzt. Siegel und Zertrifikate machten aber nur Sinn, wenn „Siegelklarheit“ herrsche, betonte Biessmann.
Mehr Transparenzinitiativen
Gröger verwies weiter darauf, dass es mehr und mehr Transparenzinitiativen gebe. So umfasse die Version 105 des Browsers „Firefox“ einen Energiemesser. „Das Thema wird populärer.“
Biessmann berichtete von einem interessanten Projekt: Sein Institut arbeitet derzeit an einem Projekt für die ökologische Suchmaschine „Ecosia“.
Hier soll ermittelt werden, welchen Ende-zu-Ende-Nettoeinfluss die Suche mit diesem System hat. Es sieht nach einer positiven Bilanz aus, aber das Projekt sei noch unter Review.
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Energie-KPIs messen, verstehen und öffentlich machen
SDIA fordert radikale Transparenz und Innovation in der digitalen Infrastruktur
Blick aufs Energiesystem
Brendan Reichenbach, technischer Berater zur Digitalisierung von Energieystemen bei der International Energy Agency (IEA), lenkte den Blick auf das gesamte Energiesystem. „Nicht alle Energie ist gleich.“
Es komme vielmehr auf Region und Tageszeit an. Damit leitete er zum Thema intelligentes Energienetz über. Reichenbach betonte, dass eine eingebettete intelligente Digitalschicht für ein erneuerbares Energiesystem unverzichtbar sei. Allerdings sei man davon noch sehr weit entfernt.
Die IEA habe drei Szenarien mit insgesamt 50 möglichen Pfaden kalkuliert, die jeweils unterschiedliche Faktoren abbilden. Nur bei Zweien sei man sozusagen auf Linie. Das Thema Digitalisierung und Datacenter gehöre nicht dazu.
Andere KPIs für Datacenter und Software
Jens Gröger, Senior Researcher am Ökoinstitut Freiburg, reklamierte, man müsse erst einmal überall messen, um überhaupt herauszufinden, was wirklich wichtig sei. Denn Datacenter-Infrastruktur brauche andere KPIs als Software, und auch der Einsatzzweck müsse eine Rolle spielen.
Reidenbach forderte eine integrierte Planung digitaler Datencenter und ihrer Umgebung und dafür neue Standards. „Wir verschwenden hier so viel Wärme, die man zurückgewinnen könnte – man könnte ganz Europa damit beheizen!“
Und schließlich ging es um die Frage: Angenommen, alle im DC verwendete Energie sei regenerativ? Wäre man damit automatisch aus dem Schneider?
Die Antwort: Nein; denn schon in der Infrastruktur und den digitalen Komponenten stecken 20 Prozent des Kohlendioxidausstoßes. Dazu kämen Wasserverbrauch, Elektroschrott und Ressourcenverbrauch als Negativpunkte. Man müsse sich also so oder so weiter intensiv mit der Nachhaltigkeitsfrage befassen.
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