Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity im Griff Die neue Rolle der Enterprise Architekten
Enterprise Architekten sind in Unternehmen gefragt. Allerdings haben sich die Anforderungen an deren Rolle in den letzten Jahren stark gewandelt. Sie sind heute Berater und Sparringpartner für IT und Business – eine Rolle, die umfangreiches Wissen voraussetzt.
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Der Begriff Enterprise Architektur Management (EAM) ist für Uwe Weber, Managing Partner der Detecon International GmbH und Botschafter des Cross-Business-Architecture Lab e.V., zu eng gefasst: „Es ist heute vielmehr eine Informationsarchitektur, ein komplettes Ecosystem, das zu managen ist.“ Damit muss sich auch der Architekt ein neues Image verpassen: „Weg vom Kontrolleur, der Prozesse und Standards definiert und hin zum Enabler.“
EAM: Kein leichter Job in einer VUCA-Welt
Für Architekten kommt das einem Spagat gleich: Sie müssen für die Einhaltung der Grundwerte, Stabilität der IT-Landschaft, Compliance und Nachhaltigkeit sorgen und gleichzeitig neuen Anforderungen wie kurzen Innovationszyklen bei Produkten, Technologien und Geschäftsmodellen gerecht werden. Für Weber steht fest: „In Zeiten der Digitalisierung sind agile Ansätze nötig – nicht nur in der Software-Entwicklung, sondern auch im Business und in der Architektur.“
Die IT muss an Tempo zulegen – dass gelte auch für die Enterprise Architecture. „In dieser schnellen und komplexen VUCA-Welt, also einer Welt, die gekennzeichnet ist durch Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity, ist EAM das einzige Mittel, um Strukturen und Transparenz zu schaffen.“
Heutige Enterprise-Architekten fungieren als Schnittstelle zwischen IT und Business: Sie haben einen Blick für Geschäftsprozesse und Businessmodelle sowie für die Belange des Gesamtunternehmens, ohne Innovationen oder agile Entwicklungen auszubremsen. Gleichzeitig formulieren sie Leitplanken, damit übergreifende Themen wie Security oder Cloud Governance und Orchestration berücksichtigt werden und IT und Business effektiv bleiben.
Der Architekt: Ein Teamplayer
Dabei sind sie in vielen Unternehmen direkt eingebettet in die agilen Teams. Sie „bewachen“ keine Quality- oder Architecture Gates mehr, mit denen sie Projekte stoppen können, sondern helfen den Projektteams schon während der Entwicklung, um beispielsweise neue Software-Services Enterprise Ready zu machen.
Die vielschichtigen Anforderungen führen dazu, dass es keine formale Ausbildung zum Enterprise-Architekten gibt, allenfalls Seminare, einzelne Schulungen und Trainings on the Job. In Unternehmen finden sich in dieser Rolle häufig Quereinsteiger, die über langjährige Berufserfahrung als Informatiker und/oder IT-Berater verfügen, aber zunehmend auch Wirtschaftsinformatiker, die in Vorlesungen und Seminaren dezidiert für die Anforderungen eines Architekten ausgebildet werden.
Auf dem Lehrplan steht Architektur-Management beispielsweise seit 2009 am Institut für Wirtschaftsinformatik an der Universität Münster. Der Lehrinhalt: Die Vermittlung von Erkenntnissen und Methoden einer ganzheitlichen Sicht auf Informationssysteme. Der grundlegende Anspruch: Den Studierenden die Notwendigkeit von Architekturen für eine effektive Planung und Steuerung komplexer Organisationen sowie Methoden zu deren Management zu vermitteln.
„Das Interesse von angehenden Wirtschafsinformatikern an den Veranstaltungen ist relativ hoch“, sagt Institutsleiter Professor Bernd Hellingrath. Rund 50 Prozent der jährlich ausgebildeten 100 Wirtschaftsinformatiker im Masterstudium belegen EAM. Und niemand habe Probleme, später eine Anstellung zu finden.
Akademische EAM-Seminare: Auch Praxis ist wichtig
Neben dem klassischen Architecting mit Methoden wie „Togaf“ rücken an den Universitäten nun auch weitere Lehrinhalte in den Fokus. „Durch den Motor Digitalisierung geht die Entwicklung in Unternehmen dahin, dass die IT die Geschäftsentwicklung treibt.“ Um an dieser Schnittstelle optimale Arbeit zu leisten, müssen die angehenden Architekten „konkrete Projekte begleiten und in den Umsetzungsteams präsent sein. Sie müssen in den Unternehmensalltag, also ins Feld. Sie brauchen technisches Verständnis und müssen aber auch wissen, wie Geschäftsmodelle in Unternehmen aufgebaut sind“, sagt Hellingrath.
Dieses praktische Know-how wird an der Uni Münster in der Form von Projektseminaren vermittelt, die meist in Zusammenarbeit mit Unternehmen stattfinden. Dabei soll theoretisches Wissen in unternehmerisches „real live“ überführt werden. Und dabei werde auch deutlich, dass es beim Thema EAM noch viel Handlungsbedarf gebe. Denn oft lernen nicht nur die Studierenden, sondern beide Seiten voneinander: „Viele Unternehmen beschäftigen sich mit EAM erst deshalb, weil wir mit ihnen darüber sprechen“, erklärt Hellingrath.
EAM bei Ergo: Ein bunt gemischtes Team
Für die Versicherungsgruppe Ergo ist EAM schon lange kein Neuland mehr – das Unternehmen nutzt Architektur-Management bereits seit 2011. In diesem Bereich sind 70 Mitarbeiter tätig. „Die Mitarbeiter haben ganz unterschiedliche Ausbildungen und Profile: Das Spektrum reicht vom ehemaligen Programmierer, der seit Jahren für das Unternehmen tätig ist, bis zum Analysten und IT-Berater“, erklärt Daniel Grothues, Leiter Enterprise Architecture, Itergo Informationstechnologie GmbH.
Die Basisschulung angehender Ergo-Architekten erfolgt in einer Art Bootcamp in Präsenzschulungen, so Grothues. Veranstaltet werden sie „von Architekten für Architekten“ – mit Lehrinhalten wie Frameworks, Standards und Templates.
Außerdem sind externe Schulungen sowie die Teilnahme an Tagungen und Seminaren von Interessenverbänden wie dem CBA Lab an der Tagesordnung. Das CBA Lab bietet sogar eigene Trainings für EAM und Transformationsaufgaben an. „Und natürlich ist Training on the Job ein Thema. Erste Projekte erfolgen deshalb oft im Tandem, bei dem ein erfahrener Architekt den Neueinsteiger begleitet“, erklärt Grothues.
Die wichtigsten Einstellungskriterien für ihn sind „der Wille und die Fähigkeit, konzeptionell strukturiert zu denken sowie Kommunikationsfähigkeit, um ergebnisorientierte Gespräche mit den verschiedensten Entscheidungsträgern führen zu können“. Grothues sieht gerade in diesem Punkt ein stark verändertes Anforderungsprofil an Architekten bei ERGO: „Vor fünf Jahren noch waren Architekten primär Experten für technische Detailfragen, die zum Beispiel zentrale Dienstleistungen für die Anwendungsentwicklung – Architekturkomponenten - programmiert haben. Heute sind sie auch Sparringspartner und Berater nicht nur für technische, sondern auch für fachliche Entscheider“ - die zum Teil wenig IT- und Architektur-Know-how haben.“
Kombi-Wissen ist gefragt
Itergo ist Mitglied im Cross-Business-Architecture Lab. Der Anwenderverband widmet sich dem Thema Enterprise Architecture, dem in Zeiten der Digitalen Transformation enorme Bedeutung zukommt.
Karsten Schweichhart, Vorstandsmitglied des Verbandes, in dem in erster Linie Großunternehmen und große Organisationen Mitglied sind, erklärt: „Im Zuge der Digitalisierung verändern sich Aufgaben und Rolle des Enterprise Architecture Mangements sehr stark. Die Betonung liegt viel weniger auf Governance und viel stärker auf Begleitung und Beratung. Enterprise Architekten werden immer stärker zu Lotsen der Digitalen Transformation. Dafür benötigen sie Software- und Business-Skills, aber auch starke analytische und kommunikative Fähigkeiten.“
Miriam Suchet, Leiterin Enterprise Architecture Management der Wacker Chemie AG, stimmt dieser Einschätzung zu. „Im Zuge der Digitalisierungsbemühungen in unserem Haus hat sich die Enterprise Architecture enger mit den Planungen in den Fachbereichen verzahnt. Sie ist heute deutlich strategischer und beratender unterwegs.Sie gibt Impulse.“
Zum Beispiel ist das EAM-Team gerade dabei, ein Technologie-Innovations-Management aufzubauen, um den Fachbereichen mit Hilfe von Innovations- und Technologieradaren zu erklären, welche Technologien für sie in nächster Zeit relevant werden. „Aus Unternehmenssicht hat EAM die Aufgabe, die vielen Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, beherrschbar zu machen und gleichzeitig die IT-Landschaft so flexibel zu gestalten, dass sie die Veränderungen gut mitgehen kann. Dazu gehört auch, Handlungs- und Steuerungsbedarfe aufzuzeigen“, erläutert Suchet die Aufgabe.
Die Kombi macht´s
Für Enterprise-Architekten sieht sie keinen idealen Ausbildungsweg. Sie können sowohl ein Informatik-Studium als auch ein Wirtschaftsstudium durchlaufen haben. Wichtig sei, dass sie sowohl fachliche Kontexte beherrschen als auch solides IT- und Software-Know-how haben. Je stärker Architekten mit der Fachseite zusammenarbeiten, desto wichtiger werde die fachliche Expertise. Je näher sie an der IT angesiedelt seien, desto bedeutsamer wird natürlich das IT-Wissen.
Die Kombination der Wissensgebiete betrachtet Suchet als ideale Voraussetzung für einen modernen Architekten. Aktuelles Domänen-, Methoden- und IT-Wissen könne zudem durch Weiterbildungen im Job erworben werden. „Das müssen nicht immer lange Grundlagenausbildungen sein, sondern gut auf die Bedürfnisse der Architektur abgestimmte Kurse können sehr wertvoll sein.“ In diesem Zusammenhang verweist Suchet auch auf die Trainings, die das CBA Lab anbietet und die nicht nur für Mitglieder wie die Wacker Chemie zur Verfügung stehen.
Viermal EAM-Training
Der Verband bietet in seinem Trainingsportfolio vier aktuelle Trainings an. Sie werden laufend aktualisiert und vor allem in Hinblick auf die Anforderungen der Digitalisierung überarbeitet. Die Schulungen geben einen Überblick über die geschäftsgetriebene IT-Transformation und Service Orientierte Architekturen (SOA), sie beschäftigen sich mit ihrer fachspezifischen Definition und Planung sowie mit ihrer technischen Implementierung und mit der Digitalisierung von Geschäftsmodellen.
Alle Schulungen werden als Inhouse und On-Site-Trainings angeboten. „Diese Trainings sind in der Praxis erprobt und haben unter anderem den Vorteil, dass sie sich an den Bedarfen orientieren, die die Architekten der CBA-Mitgliedsunternehmen formuliert haben. Inzwischen richten sich die Trainings nicht nur an Architekten und ITler, sondern auch an Fachseiten, die ihre digitalen Gestaltungen zunehmen mit EAM Methoden und Denken erfolgreicher machen“, erklärt Schweichhart vom CBA Lab.
Der Architekt: Portfoliomanager und Motivator
Für den EAM-Experten Weber von Detecon steht fest: „Der ideale Architekt unterstützt dabei, eine Unternehmensstrategie konkret zu machen, indem er sie mit handfesten Lösungen im Portfolio abbildet. Und er kontrolliert auch deren Umsetzung.“ Die Basis dafür ist kein IT-, sondern ein fachliches Thema: nämlich Information. Informationsarchitektur ist für Weber deshalb das neuere Paradigma für die Enterprise Architektur. Sie muss den Datenaustausch so gewährleisten, dass alle Mitspieler im Ecosystem die für sie wichtigen Informationen erhalten.
Das bedeutet auch: Keine Produktsilos mehr. „Früher haben sich verschiedene Manager um Architekturen gekümmert. Das war meist zum Scheitern verurteilt, weil das Überblickswissen fehlte. Es entstanden Redundanzen in der Software und Inkonsistenzen in den Daten“, so Weber. Der Informationsarchitekt von heute kümmert sich dagegen um eine dezentrale Ausrichtung und etabliert Architekturverständnis im Unternehmen in der Breite: „Architectural Thinking“.
Das Ziel: Entscheidern im Prozessdesign, der Organisationsentwicklung und der Geschäftsmodellentwicklung soll ein gemeinsames Verständnis für „zweckmäßige“ Architektur vermittelt werden. Die innovationstreibenden Bereiche eines Unternehmens werden damit in die Lage versetzt, im Rahmen ihrer Projekte eigenständig Architekturentscheidungen/-bewertungen treffen. Diese Entscheidungen müssen allerdings kontrolliert werden und mit dem Architekturrahmen – als dem „großen Ganzen“ - vereinbar sein.
Dies erfordert ein kollektives Verständnis von Unternehmensarchitektur und eine Verankerung des EAM in der DNA des Unternehmens. „Mitarbeiter dazu motivieren, eine digitale Kultur zu leben – das ist eine sehr wichtige Aufgabe für einen Architekten“, so Weber.
Und wenn er eine Stellenbeschreibung für die Personalabteilung formulieren müsste? Seine Antwort: „Wir suchen einen Enterprise Architekten, der analytisch denken, beraten, moderieren und mit Menschen umgehen kann. Er sollte über fachliche Prozesskompetenz in der jeweiligen Domäne verfügen und das digitale Plattformgeschäft beherrschen. Auch Veränderungs-Management darf kein Fremdwort für ihn sein.“
* Christoph Witte ist freier Journalist aus München.
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