Disruptionspotenzial für Quantencomputing Was ist ein Quantentunnel?
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Der so genannte Tunneleffekt ist in der Quantenphysik der große Magier und hat schon viele technische Spitzenprodukte hervorgebracht. Auch für das Quantencomputing ist der Quantentunnel ein großer Hoffnungsträger.

Was soll man davon halten, wenn im Minigolf-Parcours der Golfball scheinbar mühelos auf der anderen Seite der Bahnrampe landet, obwohl die Schlagenergie ganz offensichtlich nicht ausreichen konnte, um diese „Potenzialbarriere“ zu überwinden. Vielleicht gibt es ja einen Tunnel mitten durch die Rampe.
Ein solcher Tunnel wäre eine gute „Erklärung“ für den „energetischen Zaubertrick“. Dummerweise ist dieser Tunnel aber nirgends zu sehen.
Teilchen jenseits der Potenzialbarriere
Für Zauberei ist in der modernen Physik grundsätzlich die Quantenmechanik zuständig. Und Fälle, bei denen Potenzialbarrieren eher mysteriös und gegen unsere Intuition überwunden werden, gibt es beileibe nicht nur auf dem Minigolf-Parcours. Um solche Fälle einer experimentell nachweisbaren Überschreitung von Potenzialbarrieren nachzuvollziehen, bei deren Erklärung die klassische Physik scheitert, bezieht man sich auf die für die Quantenmechanik fundamentale Differentialgleichung von Herrn Schrödinger, die nach Interpretation ihres Schöpfers angibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich ein Teilchen in einem bestimmten Bereich aufhalten kann.
Der Wert dieser Gleichung wird aber auch innerhalb oder jenseits der Potenzialbarriere nie Null. Insofern gibt es eine womöglich geringe, aber von Null verschiedene Wahrscheinlichkeit, dass Teilchen jenseits der Barriere auftauchen, also beispielsweise dort ein Strom fließt, wo er eigentlich in klassisch-physikalischer Denkweise nicht fließen dürfte. Diese Ströme nennt man – Nomen est Omen - Tunnelströme.
Technische Entwicklungen auf Basis des Tunnel-Effekts
Derartige Tunnelströme spielen nur in (sub-)atomaren Bereichen eine Rolle: die Distanzen müssen winzig klein sein, die Zeitabschnitte extrem kurz und die Energiedichten sehr groß. In diesen Gefilden gibt es dann technische Wunderdinge zu entdecken:
- beispielsweise ein Hochfrequenz-Halbleiter-Bauelement namens Tunneldiode, das einen negativen differenziellen Widerstand aufweist, sprich bei dem die Stromstärke bei sinkender Potenzialdifferenz, sprich Spannung, steig.
- oder verschiedene Mikroskop-Typen, die eine Auflösung bis auf atomare Strukturen haben (Feldionen-Mikroskop, Rastertunnel-Mikroskop)
- oder auch Elektronen-Paare (Cooper-Paare), die bei sehr tiefen Temperaturen Tunnelströme erzeugen und damit die Basis von Supraleitungseffekten sind.
- Nicht zuletzt basiert mit dem Flash-EEPROM auch ein Element auf dem quantenmechanischen Tunnel, das jeder von uns im IT-Bereich ständig benutzt.
Tunnelströme erklären viele Naturphänomene
Die Ausnutzung von Tunnelströmen hat nicht nur viele technische Errungenschaften hervorgebracht, sondern diente und dient zuvörderst auch der Erklärung von Naturphänomen, die klassisch-physikalisch nicht erklärbar sind. So hält bekanntlich uns Menschen ein riesiger Kernfusionsreaktor namens Sonne am Leben.
Eigentlich reichen aber Temperatur und Druck auf der Sonne nicht aus, um Atomkerne so fusionieren zu lassen, wie sie es nun einmal tun. Die quantenmechanischen Wahrscheinlichkeiten bezüglich einer Überwindung des Coulomb-Potenzials liefert für diese scheinbare Ungereimtheit indes mit dem Tunnel-Effekt die plausible Erklärung. Gleiches gilt für viele chemische Molekül-Synthesen im interstellaren Raum, deren Ablaufgeschwindigkeit auch bei sehr kühlen Temperaturen durch die Annahme von Tunnelströmen sehr viel besser erklärbar ist.
Auch der Alphazerfall von Atomkernen ist erst durch die Annahme von Tunnelströmen zu verstehen. In klassischer Sichtweise sind die Wechselwirkungen im Kern so stark, dass nichts auseinanderfallen kann. Wenn man aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit ansetzen kann, dass ein Alphateilchen auch mit „eigentlich zu geringer“ Energie“ über die Potenzialbarriere in den scheinbar verbotenen Raum kommen kann, wird der Alphazerfall plausibel.
Tunneleffekt und „Quanten-Optimierung“
Es liegt auf der Hand, dass man den quantenmechanischen Tunneleffekt auch in den Quantenrechnern nützen will. Immer wieder diskutiert wird diese Nutzung bei Optimierungsaufgaben – Verkehrsflusssteuerung, Finanzoptimierung, Lastflusssteuerung in Energienetzen - , bei denen es unter anderem darum geht, möglichst schnell von einem relativen Minimum einer Zielfunktion zu einem absoluten Minimum zu kommen.
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Vom erhofften Licht am Ende des Quantentunnels
PlanQk-Messe 2021: „Quanten-Boost für die Optimierung“
Während das Finden einer lokalen Lösung in vielen Fällen relativ einfach ist, stellt das Finden eines absoluten Minimums eine harte mathematische Nuss dar. Wenn man hier „tunneln“ könnte, wäre das eine große Vereinfachung der Aufgabe.
Quanten-algorithmisch aufbereitete kombinatorische Optimierungsaufgaben haben eine gewisse Ähnlichkeit mit der so genannten Born-Oppenheimer-Näherung, die als „vereinfachte Schrödinger-Gleichung“ in der physikalischen Chemie weit verbreitet ist. Inwieweit diese Ähnlichkeit dafür genutzt werden kann, den Tunneleffekt auf einem künftigen Quantenrechner technisch umzusetzen, ist allerdings immer noch eine weitgehend offene Frage.
Wie man den Tunneleffekt auslöst
Hardwaremäßig wird man in einem Quantencomputer-Aufbau den Tunneleffekt durch einen Laser auszulösen versuchen. Laserstrahlen sind schließlich in vielen Quantenrechner-Aufbauten das zentrale Steuerungselement.
Forscher am Max-Plack-Institut für Kernphysik in Heidelberg wählten für ein Experiment, bei dem es darum ging, die Zeit zu messen, die Elektronen für das Tunneln benötigen, als Ausgangskonstellation einen Atomkern samt der diesen einschließenden Elektronen. Dieses Konstrukt erzeugt ein elektrisches Feld. „Die Elektronen befinden sich sozusagen am Fuß eines sehr dicken Energiewalls, weswegen die Wahrscheinlichkeit, diesen zu durchtunneln, nahezu null ist. Deswegen sind Atome stabil“, schreiben die Forscher.
Wenn die Physiker allerdings einen kurzen Laserpuls auf die Teilchen einstrahlen, überlagert sich dessen periodisch schwingendes elektrisches Feld mit dem des Kerns. So wird für eine kurze Zeit diese Potenzialbarriere sehr viel weniger breit, sodass die Wahrscheinlichkeit, den Wall zu durchtunneln, für ein gebundenes Elektron sehr viel größer wird. Es entsteht dann ein Tunnelstrom, der von einem Detektor nachgewiesen wird.
Die Messung der Zeitdauer des Tunnelns, um die es in diesem Experiment ging (Thema war also nicht Quantencomputing per se), betrug im Übrigen 180 Attosekunden (das ist ein Milliardstel einer Milliardstel-Sekunde). Die Forscher weisen darauf hin, dass sie mit ihren diversen Versuchsaufbauten und entsprechenden Rechnungen die in der Literatur teilweise vertretene These widerlegen konnten, dass das Tunneln „instantan“, also ohne dass Zeit vergeht, stattfinden kann.
Tunneleffekt und Quantencomputing
Einen direkten Bezug des Tunneleffekts für das Quantencomputing haben die im Folgenden referierten Arbeiten von Forschergruppen in den Niederlanden und in Australien. So haben Physiker an der Technischen Universität Delft und an der University of New South Wales in Sydney mit speziell gereinigtem Silizium beziehungsweise einem Silizium-Isotop bei einer Arbeitstemperatur zwischen 1 und 1,5 Kelvin Qubits über einen Tunnel auslesen können.
In dem Versuchsaufbau flossen die Elektronen zwischen der Steuerelektronik und den Qubits nicht durch einen gewöhnlichen Draht, sondern wanderten fast widerstandsfrei durch einen winzigen Kontakt. Dadurch ließen sich die thermischen Schwankungen und das Hintergrundrauschen unterdrücken.
Quantenmechanische „Tunnelstrategien“ haben also nicht nur in der Mikroskopie und der Halbleiter-Technik viele disruptive Impulse gebracht, sondern werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Architektur von Quantencomputern beeinflussen. Um in der Sprache der Schrödinger-Gleicheung zu reden: diese Disruptionswahrscheinlichkeit ist eindeutig größer Null und deutlich höher als die Wahrscheinlichkeit des Tunneleffekts an sich.
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