Post-Blei und Post-Lithium: Energiekonzepte für Rechenzentren Nachhaltige Energiespeicher für Datacenter
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Die Kontinuität der Energieversorgung ist die Achillesferse eines Rechenzentrums. Doch der großflächige Ausbau von 5G führt zu massivem Anstieg des Energiebedarfs auch von Datencenter. Die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen bringt zusätzliche Unsicherheit ins Spiel. Aber es gibt Licht im Tunnel: Fortschritte in der Entwicklung nachhaltiger Energiespeicher.

Erneuerbare Energien – Wind- und Solarenergie, Wasserkraft und Biomasse – dominieren erstmals im laufenden Jahr die Stromerzeugung mit einem Anteil von beinahe 53 Prozent an der Gesamtproduktion. Doch dieser Rekord hat eine Schattenseite: Er setzt die Stabilität der Versorgungsnetze unter Druck.
Deutschland ist bei der Versorgungszuverlässigkeit nach wie vor Weltspitze. Manche Metriken nehmen jedoch rapide ab. Zur Gewährleistung unterbrechungsfreier Energieversorgung kommen Rechenzentren um präventive Maßnahmen nicht umhin.
Die „smarte“ Elektrifizierung
Die zunehmende Bedeutung erneuerbarer Energiequellen wie Windkraft- und Photovoltaikanlagen erhöht den Anteil von fluktuierenden Einspeisern an der Energiezufuhr in das elektrische Netz. Auf der anderen Seite nimmt der Bedarf fluktuierender Energieverbraucher (wie Elektroauto-Flotten), welche kurzfristige Ausgleichsenergie mit teils hoher Engpassleistung benötigen, ebenfalls zu.
Beide diese Entwicklungen führen zu kurzfristigen Engpässen, welche die Netzfrequenz unter Druck setzen und Versorgernetze leicht destabilisieren könnten. Zum Abdecken der hohen Engpassleistung bedarf es massiver zentraler Hochleistungsspeicher, die vorzugsweise im Verteilnetz angesiedelt und an ein Gleichspannungssystem angeschlossen sein sollten.
Doch den Energieversorgern fehlt anscheinend die nötige Puste. „Der Ausbau der Stromnetze ist in den letzten Jahren (...) leider nicht so vorangekommen, wie es für den Erfolg der Energiewende notwendig wäre“, so Bundesminister Peter Altmaier über den Ausbau der deutschen Stromnetze. Die Ursachen dafür seien vielfältig und zum Teil auch regulatorischer Natur. Damit die Stromversorgung sicher und bezahlbar bleibe, bedürfe es mehrerer Tausend Kilometer neuer Stromtrassen.
Die Schere
Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage klafft inzwischen immer stärker auseinander.Der Stromverbrauch sämtlicher Rechenzentren in Deutschland liegt derzeit bei schätzungsweise 15 Terawattstunden (TWh). Laut einer Studie des Stromversorgers E.ON SE wird der Energiebedarf der deutschen Rechenzentren infolge von 5G zwischen Anfang 2020 und 2025 um 3,8 TWh steigen – genug, um alle 2,5 Millionen Einwohner der NRW-Großstädte Köln, Düsseldorf und Dortmund ein Jahr lang zu versorgen.
Der Energiebedarf werde zum Teil über Importe gedeckt, während überschüssige hiesige Leistung auf Grund unzureichender Versorgungsinfrastruktur seit Jahren im Nichts verpuffe, bejammert Altmaier mit Verweis auf Windstrom von der norddeutschen Küste. Vorhandener Windstrom könne in vielen Fällen nicht genutzt werden, weil es an notwendigen Leitungen fehle, erläutert der Bundesminister weiter. Bis 2030 sollen dennoch neue Offshore-Windparks mit einer Kapazität von rund zwölf Gigawatt entstehen; einige Erzeuger sollen für das Privileg sogar noch vorab Gebühren zahlen.
Zusätzlich ist die Energiebranche infolge der Corona-Krise mit ihren geplanten Investitionen ins Hintertreffen geraten. Laut einer Analyse der Internationalen Energie-Agentur (IEA) werden Aufwendungen in Energie-Effizienzmaßnahmen dieses Jahr voraussichtlich um 10 bis 15 Prozent sinken.
Fossile Energiequellen seien laut Angaben der Internationalen Energie-Agentur von den Corona-Lockdowns besonders stark betroffen und hätten einen Rückgang um bis zu 30 Prozent verzeichnet. Erneuerbarer Strom werde in Zukunft die einzige Energiequelle sein, welche derartigen Krisen standhalten könne, urteilt die IEA.
Erneuerbare Energiequellen sind weniger vorhersehbar als konventioneller Strom. Die zeitweilig überschüssige Produktion muss gespeichert werden. Heute ist genau das aber teuer. Was die Stromversorger nicht auf die Reihe kriegen, müssen die Rechenzentren „ausbaden“, indem sie entweder selbst zu Erzeugern werden oder dank eigener Energiespeicher die nötigen Leistungsreserven in Eigenregie aufbauen.
Das Rechenzentrum als Brennstoff-Tankstelle
Mit dem Einsatz von Wasserstoff-Brennstoffzellen zur Notstromversorgung in Rechenzentren hat Microsoft kürzlich einen Durchbruch verzeichnet. Dem Unternehmen gelang es, eine Reihe von Servern mit Energie aus 250 Kilowatt (kW) starken Brennstoffzellen, dem bisher größten solchen System auf der Welt, ganze 48 Stunden kontinuierlich am Laufen zu halten. Microsoft hofft, bald auf die lästigen Dieselgeneratoren verzichten zu können.
„[Diesel-Generatoren sind nun mal teuer“, beobachtet Mark Monroe, leitender Infrastruktur-Ingenieur bei Microsoft, und fügt gleich hinzu: „99 Prozent ihrer Lebensdauer sitzen die einfach nutzlos da“. Pflegeleicht sind sie anscheinend auch nicht. „Wir fahren die jeden Monat einmal hoch, um sicher zu sein, dass sie auch wirklich anspringen, und einmal pro Jahr lasten wir sie testweise an den Anschlag aus (...)“, enthüllt Monroe. Der Betrieb und selbst die Instandhaltung von Diesel-Generatoren ist nun mal alles andere als „grün“ – anders als etwa im Falle von Wasserstoff-Brennstoffzellen, fügt Monroe gleich hinzu.
Ein mit Brennstoffzellen ausgestattetes Rechenzentrum mit einem eigenen Wasserstoffspeichertank und einem Elektrolyseur ließe sich in das Stromnetz integrieren, um Lastausgleichsdienste bereitzustellen, überlegt Monroe. In Phasen des Hochbetriebs eines Wind- oder Solarparks würde dann der Elektrolyseur einspringen, um Wassermoleküle in Wasserstoff und Sauerstoff aufzusplitten und so Energie als Wasserstoff zu speichern.
Nachnutzung
In Zeiten hoher Nachfrage ließe sich aus den Wasserstoffbrennstoffzellen wieder Energie schöpfen. So könnte Microsoft auch wieder Strom in das Netz einspeisen. An einem so ausgestatteten Rechenzentrum könnten Langstreckenfahrzeuge anhalten, um ihre Tanks kurz mal eben mit Wasserstoff aus 'grünen' Energiequellen zu befüllen, überlegt er weiter.
Kurzfristigen Notfallbedarf würde Microsoft bereits heute aus Batterien abdecken, nämlich jene 30 Sekunden zwischen einem Netzausfall und dem Abschluss des Einschaltvorgangs der Dieselgeneratoren. Fortgeschrittenere Batterien könnten längere Zeitspannen überbrücken, aber hielten auch nicht beliebig lange aus. Dann kommen nämlich bald Brennstoffzellen ins Spiel.
Den nächsten Meilenstein möchte Microsoft mit einem Brennstoffzellen-System absolvieren. Jenes drei Megawatt starke Energie-Backup sei mit der Leistung eines Diesel-Generators von „Azure“ vergleichbar.
Die Brennstoff-Strategie der Bundesregierung
Die Bundesregierung plant im Rahmen der Nationalen Wasserstoff-Strategie ein Konjunkturpaket in Höhe von neun Milliarden Euro im Rahmen des Corona-Konjunkturpakets. Eigentlich ist diese Förderung primär für die Automobilindustrie gedacht. Doch die Skaleneffekte bei der Produktion von Autobatterien würden sicherlich auch den Datacenter-Betreibern helfen.
Seit Microsofts ersten Experimenten im Jahre 2018 sind die Kosten für PEM-Brennstoffzellen um 75 Prozent gefallen. Sollte sich der Trend fortsetzen, würden die Anschaffungskosten dieses Energiespeichers in spätestens zwei Jahren Parität mit Diesel-Generatoren erreichen. Pro Rechenzentrum bräuchte Microsoft dann aber auch schätzungsweise so um die 100.000 Kilogramm an Wasserstoff.
Natrium-Ionen-Batterien und ...
Ein Startup namens Natron Energy aus dem kalifornischen Santa Clara möchte mit Natrium-Ionen-Batterien den Markt für Energiespeicher umkrempeln. Das Unternehmen habe Batterien entwickelt, die mit einer zwei- bis fünfmal höheren Spitzenleistung gegenüber Blei-Säure- und Lithium-Ionen-Batterien trumpfen.
Anders als Lithium-Ionen-Batterien, die sich durch eine hohe Energiedichte auszeichnen (in Watt pro Einheit Volumen _oder_ Masse), aber ihre Ladung nur langsam abgeben können, trumpfen Natrium-Ionen-Batterien mit einer hohen volumetrischen Leistungsdichte (in Joule pro Sekunde _und_ Kubikmeter), also mit der Fähigkeit zur schnellen Leistungsabgabe.
Sie lassen sich blitzschnell entladen und können ihre volle Ladeleistung in nur 8 Minuten wieder aufnehmen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Batterien bedarf es zwischen den beiden Vorgängen keinerlei sicherheitsbedingter Zeitpuffer. Auch ein Temperatur-Management-System sei überflüssig, so das Startup.
Lithium-Silizium-Batterien
Siliziumanodenbatterien (also Lithium-Silizium-Batterien, eine Unterkategorie der Lithium-Ionen-Batterien mit einer Silizium-Graphit-Anode) können die bis zu 12-fache Energiedichte konventioneller Lithium-Ionen-Speichermodule halten. Anbieter wie Sila Nanotechnologies adressieren damit vorrangig die Automobilbranche.
Die 1U-Batterie von Natron Energy kann 4 kW Energie in zwei Minuten entladen – optimal, damit im Rechenzentrum ein alternativer Langzeitenergiespeicher wie Brennstoffzellen oder ein Notfallgenerator einspringt.
Da die Leistung der Natrium-Ionen-Batterien nicht degradiert, kann Natron Energy seinen Nutzern eine lange Lebensdauer des Energiespeichers von bis zu 50.000 Ladevorgängen zusichern (also bis zu zehn Mal mehr als im Falle herkömmlicher Lithium-Ionen-Akkus). Bis Jahresende von 2020 möchte das Unternehmen einen 48-HE-Speicher mit einer Leistung von rund 300 kW in einem Standard-IT-Schrank an Rechenzentren und Telekommunikationsanbieter ausliefern.
Battery2030+
Die Forschung an leistungsstarken und umweltfreundlichen Energiespeichertechnologien läuft auch in Europa auf Hochtouren. Im September 2020 startete die europäische Forschungsinitiative „Batterry2030+“ in sieben separaten Projekten. Einer davon ist Spartacus unter der Leitung von Gerhard Domann vom Fraunhofer ISC zur Entwicklung von integrierten Sensoren für fortschrittliches Batterie-Management.
Europa soll bei der Entwicklung und Produktion von Energiespeicher der Zukunft die Weltspitze erklettern. Batterien müssten „mehr Energie speichern, eine längere Lebensdauer haben und sicherer und umweltfreundlicher als die heutigen Batterien sein, um den Übergang zu einer klimaneutraleren Gesellschaft zu erleichtern“, so die erklärten Ziele des Dachprojektes Battery2030+.
40,5 Millionen Euro sind aus dem Forschungs- und Innovationsprogramm „Horizont 2020“ in das Vorhaben eingeflossen. Die internationale Zusammenarbeit leitet Professor Kristina Edström von der Universität Uppsala in Schweden.
Über die Forschungsplattform „Celest“ sind unter anderem das Karlsruher Institut für Technologie und die Universität Ulm mit ihrem gemeinsamen Helmholtz-Institut Ulm (kurz: HIU) beteiligt.
Battery2030+ soll nebenbei die Forschungsaktivitäten von „Polis, dem „Post-Lithium Storage Cluster of Excellence“, „verstärken“. Am Exzellenz-Cluster forscht unter anderem Professor Maximilian Fichtner an dem Batterierohstoff Magnesium. Die Technologie verspricht eine leistungsstarke Alternative zu Lithium-basierten Energiespeichern zu werden.
Magnesium ist weniger reaktiv als Lithium und da es beim Aufladen keine Ablagerungen bildet, gilt es als deutlich weniger gefährlich als Lithium. Magnesium ist im Übrigen auch wesentlich günstiger. Magnesium-Batterien eignen sich sowohl für mobile als auch für stationäre Energiespeicher wie jene in Windkraftwerken oder Solarfeldern. Forschern am Exzellenz-Cluster Polis gelang es außer dem, vielversprechende Elektrolyte für Calciumbatterien herzustellen.
„Materiell“ unterschiedlich: Phasenwechselmaterialien als Energiespeicher
Forscher der Dänischen Technischen Universität (DTU) wollen im Rahmen des Projektes „Cool Data“ den Energieverbrauch von Rechenzentren um bis zu 80 Prozent und den CO2-Ausstoß auf Null senken. Künstliche Intelligenz und Phasenwechselmaterialien (PCM) zur Nutzung der entstehenden Datacenter-Abwärme sollen dies ermöglichen.
Bei Phasenwechselmaterialien handelt es sich um chemische Verbindungen mit der Fähigkeit, thermische Energie zu speichern. So lässt sich Energie zeitversetzt und nahezu verlustfrei abrufen.
Das Ziel bestehe darin, ein flexibles thermisches Kühl- und Speichersystem zu entwickeln, welches den Überschuss an erneuerbaren Energien aus Windkraftanlagen und Solarzellen „archivieren“ und bei Bedarf freisetzen könne, erläutert Dominik Franjo Dominkovic, Postdoc bei DTU Compute und Projektmanager des Projekts. So ein System müsste auch in der Lage sein, die überschüssige Abwärme der Rechenzentrumsräume an das Fernwärmenetz zu übergeben. Das Energiesystem eines Rechenzentrums werde so künftig vollständig in das Stromnetz und das Fernwärmesystem integriert, glaubt Dominkovic.
Dominkovic und sein Team fokussieren verstärkt auf die Bedürfnisse von kleinen und mittelgroßen Rechenzentren, also solchen „mit bis zu 500 Servern“. Denn Studien und Analysen aus den Vereinigten Staaten hätten bewiesen, dass in eben diesem Segment ein besonders hoher Nachholbedarf bestehe.
Das Projekt umfasst die Entwicklung von Hardware und einer KI-gestützten Kontrollsoftware für das intelligente Energiespeicher- und Kühlsystem. In der Testphase möchten die Forscher das System in Zusammenarbeit mit einem Fernwärme-Unternehmen und mit einer Fluggesellschaft auf die Probefahrt nehmen. Diese Projektphase soll im Jahr 2023 abgeschlossen werden.
* Das Autorenduo Anna Kobylinska und Filipe Pereira Martins arbeitet für McKinley Denali Inc. (USA).
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