Blauer Engel für Rechenzentren, Teil 2 Knifflig: Kriterien für Verträge und IT-Monitoring
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In einem ersten Artikel zum Thema „Überarbeitung des Blauen Engels für Rechenzentren“ (siehe: Link) ging es vor allem um die Gebäudetechnik. Nun folgt die Fortsetzung. Im Mittelpunkt stehen hier die Gestaltung von Co-Location-Verträgen und das Monitoring.

Der Blaue Engel für Rechenzentren wird renoviert. Nähere Details zum Procedere und dem aktuellen Sondierungsprozess sind im ersten Artikel zum Thema ( „Blauer Engel für Rechenzentren; Kriterien-Überarbeitung für Umweltzertifikat: Sondierungen laufen“) zu finden. In der abschließenden Sitzung der vorgelagerten Sondierung ging es um Vertrags- und Monitoring-Fragen. Aber auch einzelne Probleme aus dem Bereich Gebäudetechnik kamen nochmals und zum Teil mit anderer Akzentuierung zur Sprache.
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Blauer Engel für Rechenzentren
Kriterien-Überarbeitung für Umweltzertifikat: Sondierungen laufen
Gastgeber der Veranstaltung waren wieder das Ökoinstitut Freiburg, das Umweltbundesamt und das Beratungsunternehmen Datacenter Excellence. Ökoinstitut und DCE sind vom UBA mit der Erarbeitung der erneuerten Kriterien für die voraussichtlich ab Anfang Januar 2023 geltende Version des Blauen Engels Rechenzentren beauftragt.
Datacenter-Formenvielfalt erschwert Kriteriendefinition
Auch in dieser Sitzung zeigte sich: Die vielfältigen Formen von Rechenzentren und Betreibermodellen haben teils eine Verantwortungsdiffusion zur Folge. Diese erschwert es, strenge Kriterien zu verabreden, ohne in die Vertragshoheit beispielsweise zwischen Co-Lokation-Betreibern und ihren Kunden einzugreifen.
Genau solche Eingriffe in Geschäftliche, etwa die Rechnungsgestaltung, möchten aber die für die Gestaltung der Kriterien Verantwortlichen für den Blaue Engel nicht (mehr). Trotzdem soll der Blaue Engel eine deutliche Signal- und Lenkungswirkung entfalten. Gleichzeitig soll das Siegel aber attraktiv, das heißt vor allem, nicht zu streng sein. Beidem zugleich gerecht zu werden, gleicht der Quadatur des Kreises.
EE-Zertifikate sind für Blaue-Engel-Rechenzentren tabu
Ein Beispiel dafür ist die Diskussion um die Nutzung Erneuerbarer Energien: Geplant ist, dass zukünftig Zertifikate nicht mehr reichen sollen, um die Vollversorgung mit Erneuerbaren zu dokumentieren. In realiter aber greifen auch anerkannte EE-Lieferanten beispielsweise in der so genannten Dunkelflaute auf konventionellen Strom zurück, um ihre Pflichten zu erfüllen.
Ausschlaggebend soll deshalb in Zukunft die Vertragsgestaltung mit dem Ökostrom-Provider sein. Der darf durchaus bei Versorgungslücken konventionellen Strom nutzen.
Co-Location-betreiber sollen mit Kunden verhandeln
Notorisch schwierig ist die Situation im Fall von Co-Location. Die betreiber legen einerseits Wert auf niedrige PUEs, andererseits haben sie Kunden, die große Flächen mit kompletter Ausstattung buchen, tatsächlich aber die IT erst viel später einbauen.
Hier fordern Ökoinstitut und DCE von den Co-Location-Anbietern, mit ihren Kunden in ernsthafte Verhandlungen über energetisch sinnvollere Gestaltungen einzusteigen, jedenfalls, falls sie einen Blauen Engel wollen.
Extra-PUE für Verfügbarkeitsklasse 4?
Zwei weitere Beispiele dokumentieren, wie sich Zielkonflikte auf die Datacenter-Effizienz auswirken: Da ist einmal der Wunsch der Branche, die PUE-Vorgaben Rechenzentrumslklassen-spezifisch zu gestalten.
Verschärft werden sollen sie in der neuen Norm ohnehin nicht. Die Datacenter-Branche fordert aber nun für die hochredundanten Architekturen der Verfügbarkeitsklasse 4 andere PUEs als anderswo. Denn die vorgesehenen ließen sich bei solchen Rechenzentren schlicht kaum einhalten, heißt es.
Das bleibt allerdings nicht unwidersprochen. Es gebe sehr wohl inzwischen Technologien, um auch bei Verfügbarkeitsklasse 4 entsprechend niedrige PUEs zu erreichen.
IT-Refurbishing und Sekundärnutzung werden Regel
Für Hardware-Neuanschaffungen werden sich die Regeln wohl ändern: Blaue-Engel-Aspiranten sollen sich einfach nach Geräten umsehen, die den Anforderungen des Blauen Engels für Server respektive Storage entsprechen. Sie finden sich im entsprechenden Leitfaden des UBA.
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Premiere: Der erste „Blauer Engel“ für Server
Ganz neu ist das Kriterium, das die Nachnutzung aussortierten IT-Equipments fordert. Das soll die Lebensdauer von IT-Systemen verlängern und der IT-Abfallberg verkleinern. Auch hier geht es um vertragliche Gestaltungen.
So kann der Betreiber der IT einen Weitergabevertrag mit einer beliebigen Organisation aushandeln. Er kann aber auch Hersteller, Händler oder spezialisierte Dienstleister mit der Abnahme gebrauchter Hardware und deren Wiedervermarktung betrauen.
Das soll möglichst auch für Festplatten gelten. Schließlich, so Ackermann, gebe es inzwischen genügend Softwaremethoden, Daten aus der Harddistk auch ohne deren physische Zerstörung unwiederherstellbar zu eliminieren.
Schließlich werden auch die Anlagen zu den Blauer-Engel-Kriterien überarbeitet. Sie sollen so gestaltet werden, dass die Auditoren möglichst einfach erkennen, ob die Berichte alle wesentlichen Angaben enthalten und die Werte den Kriterien entsprechen.
10 Prozent Auslastung im Referenzmodell?
Ein zweites Beispiel ist das Datacenter-Referenzmodell von DCE. Es sieht drei Rechenzentrumsgrößen und jeweils vier Auslastungsstufen (25, 50, 75 und 100 Prozent bei vollem IT-Hardwareausbau des Datacenter) vor. Nun fragen die Co-Location-Betrieber an, ob man nicht eine fünfte Auslastungsstufe mit zehn Prozent hinzuzufügen könne.
Schließlich dauerte es oft lange, Co-Location-Sites mit IT zu füllen. Allerdings sieht bereits der jetzige Kriterienentwurf Sonderregeln für solche Rechenzentren in der Aufbauphase vor, die den betroffenen anscheinend nicht ausreichen.
Monatlicher Energieverbrauchsbericht für Co-Location-Kunden
Um mehr Energiebewusstsein bei den Co-Location-Kunden zu erzeugen, sollen die Betreiber ihren Kunden monatlich einen Bericht zum eigenen Energieverbrauch, elektrischer Spitzenlast und PUE liefern. Außerdem sollen sie ihre Kunden über Energiesparmöglichkeiten informieren und entsprechende Materialien bereithalten.
Bislang dürfen Co-Location-Betreiber von ihren Kunden so viel Stromkosten verrechnen, wie es deren Verbrauch entspricht. Nun soll der Energiepreis für den Kunden bloß nicht mehr geringer sein als der Einkaufspreis des Co-Location-Anbieters.
Wie letzterer diese Forderung umsetzt, bleibt ihm überlassen. Die gewählte Methode ist Gegenstand des Blauer-Engel-Audits, muss aber nicht veröffentlicht werden.
Mindestabnahmemengen: Notwendig oder Anreiz für Energieverschwendung?
Heiß diskutiert wurden die in vielen Co-LocationVerträgen festgelegten Mindestabnahmemengen an Strom. Die soll es bei Blaue-Engel-Rechenzentren in der Regel nicht geben, außer der Kunde belegt nur ein Rack. Denn, so die Befürworter der Regel, Mindestabnahmemengen animierten zu sinnlosem Mehrverbrauch.
Die Co-Location-Betreiber monieren das: Zu wenig Stromverbrauch des Kunden führe unweigerlich zu einem ruinierten PUE des Rechenzentrums, sobald dieser die gesamte Infrastruktur bereits vorhalten müsse. Zudem sei der Preis bei Unterschreitung der Mindestabnahmemenge geringer als wenn tatsächlich die Mindststrommenge verbraucht worden wäre. Es handele sich also eher um eine Art Sockelbetrag. Wie die Anforderung am Ende aussieht, wird sich zeigen.
Alles kommt auf die IT-Inventarliste
Die bislang schon geforderte IT-Inventarliste wird länger: Sie soll nun sämtliche IT-Systeme enthalten, unabhängig von einer Mindestleistung.
Hinsichtlich der zu dokumentierenden IT-Auslastung respektive der Messung der IT-Last bleibt es bei 20 Prozent im Jahresdurchschnitt, um einen Blauen Engel zu bekommen. Ändern sollen sich aber einzelne Parameter. So fällt die Durchsatzmessung an ausgehenden Netzverbindungen weg.
Neuer Parameter für IT-Auslastung im Gespräch
Für Server sollen die mittlere Auslastung in Prozent pro Monat und ein Mittelwert der Wochenauslastung pro Jahr gemessen werden. In diese Messung sollen mindestens 90 Prozent der vorhandenen Komponenten einbezogen sein.
Zur Berechnung der IT-Last verwendet der Blaue Engel derzeit die ITEU (IT Energy Usage) nach ISO 30134-5. Dieser Wert sei, so Ludwig Ackermann, DCE, allerdings wenig geeignet, unter anderem, da Serverabwürfe undifferenziert eingerechnet würden. Deshalb erwägen Ökoinstitut und DCE nun, einen noch in der Entwicklung befindlichen Parameter, SIEC/SIC (Server Idle Energy Coefficient7Server Idle Coefficient) als Ersatz vorzuschlagen (siehe auch: „Der Server Idle Coefficient und mehr; Nachhaltigkeitsideen für Datacenter aus NL “) Das hätte, so Ackermann, den Vorteil, die Zertifizierung stärker an realen Verbräuchen während des Idlens auszurichten als an Durchschnittsverbräuchen.
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Der Server Idle Coefficient und mehr
Nachhaltigkeitsideen für Datacenter aus NL
Ob die Änderung durchkommt, hängt davon ab, wie weit sich SIEC/SIC in den kommenden Monaten in der Branche als Alternative Anerkennung verschafft. Allgemein zugängliche Web-Quellen zum SIC/SIEC konnte die Autorin bei einer Recherche im Web nicht entdecken.
GPUs in die Auslastungsanforderungen einbeziehen - aber wie?
Eine weitere bislang ungeklärte Frage ist, inwieweit Grafik- und damit auch KI-Prozessoren in die Durchschnittsmessungen einbezogen werden sollen. Hier sammelt das Ökoinstitut zunächst mögliche Indikatoren, wie sie beispielsweise „The Green Grid“ erarbeitet,, ehe eine Entscheidung über das Ob und Wie fällt.
Angesichts der immer weiter anschwellenden Verarbeitung von Daten mit KI-Algorithmen sollte man allerdings von einem glaubwürdigen Blauen Engel erwarten, dass er hier eine Lösung findet. Immerhin: Über das angestrebte Ziel,:dass nicht mehr Server laufen oder angeschafft werden als nötig, waren sich alle Anwesenden einig.
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