Interview mit dem stellvertretenden Leiter des Frankfurter Energiereferats zu Umweltauflagen für Datacenter „Ich kann die Entscheidung von Amsterdam gut verstehen“
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Der Schock Amsterdam sitzt in der Branche tief. Vorerst für ein Jahr wird es aus energetischen und Umweltgründen keine neuen Rechenzentren in Stadt und Umland dieses bedeutenden europäischen Datacenter-Hotspots geben. Über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Amsterdam und Deutschlands Standort Nr. 1 – Frankfurt am Main – sprach DataCenter-Insider mit dem stellvertretenden Leiter des Frankfurter Energiereferats, Paul Fay.

Ist für Frankfurt am Main in Zukunft Ähnliches wie in den Niederlanden zu befürchten?
Paul Fay: Zunächst einmal kann ich die Entscheidung von Amsterdam gut verstehen. Die Entwicklung und der Neubau von Rechenzentren haben mittlerweile eine Dynamik angenommen, so dass man gar nicht mehr weiß, wann und wo das nächste große Datacenter aufgestellt werden wird. Die Einheiten sind auch größer geworden; das heißt: Die Anforderungen an die Anschlussleistung sind immens gestiegen. In diesem Kontext gibt es zunehmend technische Probleme: Vor allem das Stromnetz muss in der Lage sein, die benötigte Leistung bereitzustellen, die in den Datacenters gebraucht wird.
Eine ähnlich große Aufregung hatten wir schon Anfang der 2000er Jahre als viele Betreiber in Frankfurt am Main neue Standorte aufgemacht haben und die hierfür benötigte Anschlussleistung forderten. Wir haben damals gelernt, dass wird zwar ein neues Rechenzentrum gebaut wird, bis aber die Fläche voll ist und die gesamte Leistung bezogen wird, dauert es eine Weile.
Mittlerweile ist die Dynamik eine völlig andere: Das Gebäude wird hingestellt, und ruckzuck, nach ein paar Wochen oder Monaten, ist es schon voll ausgelastet. Wir haben heute Einzelstandorte, die mehr Strom verbrauchen als eine mittelgroße Stadt.
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Notbremse oder Schikane?
Keine neuen Datacenter mehr! Region Amsterdam verfügt Baustopp
Noch einmal zu Amsterdam. Laut Einschätzung einschlägi¬ger Berater, ist trotz gestiegener Auflagen für die RZ-Branche derzeit für Deutschlands bedeutendsten Rechenzentrumsstandort Frankfurt am Main kein solch drastischer Schritt zu erwarten, oder?
Paul Fay: Ich würde diese Option nicht ausschließen. Aus unserer Sicht ist es durchaus möglich, dass es auch im Rhein-Main-Gebiet in Zukunft einmal ein ähnliches Moratorium geben wird. Auch in Deutschland sollte man versuchen, planungsrechtliche oder gesetzliche Grundlagen zu schaffen, die es einer Stadt ermöglichen, bestimmte Forderungen an die Betreiber großer Rechenzentren zu stellen. Gegebenenfalls macht es auch Sinn, bestimmte Gebiete in der Stadt auszuweisen, wo ein Ausbau weiterhin möglich ist und zum Beispiel gleichzeitig die Abwärme zum Heizen von Neubaugebieten genutzt werden kann..
Wir beobachten aktuell, dass in den angestammten Gewerbegebieten neue Rechenzentren entstehen. Diese Unternehmen sind sehr kapitalkräftig und können saftige Preise für die Grundstücke bezahlen. Damit trägt die Rechenzentrumsbranche dazu bei, andere Gewerbe aus der Stadt verdrängen, die auch Fläche benötigen und sich diese hohen Grundstückpreise nicht leisten können wie Speditionen. Für einen Gewerbequadratmeter wird in der Mainmetropole bereits so viel bezahlt, wie normalerweise beim Bau eines Einfamilienhauses.
Kann man das Stadtgebiet überhaupt noch vom Umland beziehungsweise der Region Rhein-Main trennen?
Paul Fay: Das Energiereferat der Stadt Frankfurt am Main hat natürlich zunächst einmal die Stadt Frankfurt im Fokus. Wir schauen aber selbstverständlich auch über den Tellerrand hinaus. Es ist ja kein Geheimnis mehr: Große Rechenzentren werden mittlerweile auch in Offenbach, Hanau, Kelsterbach und an vielen anderen Standorten in der Region gebaut. Im Prinzip wäre daher der Regionalverband Frankfurt-Rhein-Main ein geeignetes Gremium, die verschiedenen „Player“ in der Region einmal zusammen zu rufen.
Das sind in erster Linie die Stadtplanungsämter, die Netzdienste, die Netzbetreiber, last, but not least das Bundesland Hessen mit seiner Digitalisierungsstrategie. Alle müssen ins Boot kommen, um zu schauen, wie denn ein sinnvoller Datacenter-Ausbau gemeinsam angegangen werden kann.
Dabei muss berücksichtigt werden, dass Stadtplanung erheblich langsamer ist als die Planung eines neuen Rechenzentrums dauert. Bis ein neuer Stadtteil ausgewiesen wird, gehen Jahrzehnte ins Land. Ein neues Datacenter ist mit der Planung und den Genehmigungsprozessen innerhalb von fünf Jahren durch.
Was kann eine Stadt wie Frankfurt am Main von Amsterdam und anderswo lernen?
Paul Fay: Stadt und Umland Amsterdam haben den Rechenzentrumsneubau nicht für alle Zeiten auf Eis gelegt. Sie sprechen sich gleichzeitig für ein gemeinsames Moratorium aller Beteiligten aus, was man überhaupt machen kann, wieder eine Struktur oder Planung für den weiteren Ausbau hin zu bekommen. Das ist zunächst eine starke Botschaft!
Wir sehen große Gemeinsamkeiten zu Frankfurt am Main: Einen Netzengpass haben wir genauso, wie das in Amsterdam der Fall ist. Ein wichtiger Unterschied besteht vor allem darin, dass die verschiedenen „Player“ in der Rhein-Main-Region noch nicht miteinander gesprochen haben.
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Wie kann es in Deutschland in puncto Energie-Effizienz konkret weiter gehen?
Paul Fay: Ich persönlich kann mir das viel zitierte skandinavische Modell auch für Deutschland sehr gut vorstellen: Man baut ein neues Datacenter und entwickelt drum herum einen neuen Stadtteil. Dazwischen ist die Technikzentrale mit Wärmepumpe beziehungsweise Kältemaschine angesiedelt, die an den einen Nutzer Kälte und an den anderen Wärme liefert.
Neueste Rechenzentren kühlen Prozessoren, Speicherbausteine und Grafikkarten sogar direkt mit Wasser und können so Temperaturen von über 60 Grad auskoppeln. Das kann man dann direkt zum Heizen der umliegenden Bebauung verwenden.
* Harald Lutz ist freier Journalist aus Frankfurt am Main.
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