Kommentar: „Deutschland hat die Wärmewende um zehn Jahre verschlafen“ Heizen mit dem Internet

Von Eco - Verband der Internetwirtschaft

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„Heizen mit dem Internet“ - so der Titel eines Kommentars des Eco-Verbands - klingt verführerisch angesichts des ausbleibenden russischen Gases und gleich einmal viel griffiger als 'Nutzung der Abwärme aus Rechenzentren", meint aber dasselbe. Doch was sperrig klingt, sperrt sich auch gegen eine rasche Umsetzung - und das liegt nicht an fehlender technischer Innovation.

Viele Rechenzentren könnten Abwärme Stadtteilwärme liefern; es fehlen die Abnehmer beziehungsweise passende Rahmenbedingungen. Bis jetzt ist das Konzept eher ein Rohrkrepierer.
Viele Rechenzentren könnten Abwärme Stadtteilwärme liefern; es fehlen die Abnehmer beziehungsweise passende Rahmenbedingungen. Bis jetzt ist das Konzept eher ein Rohrkrepierer.
(Bild: gemeinfrei: Frank Wassmann / Pixabay)

Würde die von Datacenter erzeugte Wärme konsequent genutzt, könnten Großstädte in Deutschland langfristig CO2-neutral geheizt werden. Erste Prognosen hierfür liefert Frankfurt am Main, Standort von mehr als 60 Rechenzentren und des weltweit größten Internet-Austauschknotens: Bis 2030 könnten hier rein rechnerisch sämtliche Wohn- und Büroräume durch die Abwärmenutzung eine klimaneutrale Wärmezufuhr erhalten.

Gerade angesichts der drohenden Energiekrise, könnte die Abwärmenutzung also eine interessante Alternative zu russischem Gas darstellen. Jüngst forderte auch der Branchenverband Bitkom „Potenzial der Datacenter umgehend nutzen!“ . Nun folgt die Replik der unter dem Dach des Eco Verbands gegründeten Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen in Deutschland zur Energiekrise:

Abwärme von Rechenzentren bietet große Potenziale, aber kurzfristig keine Alternative zu russischem Gas.

Das ist in persona: Béla Waldhauser, Sprecher der Eco Allianz. Er gibt zu bedenken, dass dies kurzfristig nicht sei umsetzbar sei, da Politik und Behörden in Deutschland hier nicht rechtzeitig die entsprechenden Rahmenbedingungen gesetzt hätten. „Die traurige Realität ist: Um den aktuellen Energiebedarf mit Abwärme zu decken, hätte die Bundesregierung zehn Jahre früher ansetzen müssen – Deutschland hat die Wärmewende schlichtweg verschlafen.“

Aber er setzt auch hinzu: „Die Abwärmenutzung von Rechenzentren wird in den kommenden Jahren definitiv zu den Toplösungen zählen, wenn wir Energiekosten und noch dazu CO2 einsparen wollen. Doch selbst wenn die Politik jetzt den Turbogang einlegt und Verfahren beschleunigt, werden wir bis zum nächsten Winter nicht mit mehr Abwärme als Ersatz zu russischem Gas planen können.“

Deutschland hätte mehr und früher in Fernwärmenetze investieren müssen.

Laut Waldhauser hätten Bund, Länder und Kommunen schon sehr viel eher in das Fernwärmenetz investieren müssen. So sei es bei so genannten Wärmenetzsystemen der vierten Generation möglich, Rechenzentren-Abwärme kostengünstig sowie effizient einzubinden und die daraus gewonnene Energie über mehrere Kilometer hinweg an Haushalte und Gewerbeanbieter zu verteilen.

Doch bis dahin sei es in Deutschland noch ein langer Weg: „Die meiste Abwärme verpufft aktuell entweder ungenutzt in der Luft oder wird oft ins Nahwärmenetz eingespeist, kann also nur für Wohn- und Bürokomplexe in der unmittelbaren Nachbarschaft verwendet werden“, so Waldhauser weiter. Noch dazu stamme etwa die Hälfte der Heizungssysteme deutscher Privathaushalte aus dem vergangenen Jahrhundert und sei damit mehr als 20 Jahre alt.

Um zumindest innerhalb der nächsten drei bis vier Jahre eine echte Alternative zu Gas bereitzustellen, fordert Waldhauser von der Politik, dass Betreiber beim Ausbau von Abwärmesystemen mehr gefördert und Genehmigungsprozesse für den Neubau sowie die Modernisierung von Rechenzentren deutlich verschlankt werden.

Der Ruf nach der Politik und nach 'Anreizen" erfolgt nahezu reflexartig: „Die Branche liefert bereits innovative Lösungen, aber es braucht mehr wirtschaftliche Anreize und die nötigen politischen Rahmenbedingungen“, sagt Waldhauser. „Allein für die Baugenehmigung eines Rechenzentrums rechnen wir in Deutschland mit sechs, neun, aber auch manchmal zwölf Monaten. Das ist eindeutig zu lang, wenn wir die Digitalisierung vorantreiben und mit dessen Hebelwirkung gleichzeitig die Klima- und Energiekrise bewältigen wollen.“

Wie Datacenter-Abwärme schon jetzt in großem Stil genutzt werden kann, machen andere europäische Länder wie Dänemark vor: „Dänemark, aber auch andere skandinavische Länder investieren bereits seit Jahrzehnten massiv in das Fernwärmenetz, erneuerbare Energien und in die Nutzung von Abwärme und tragen in der jetzigen Energiekrise die Früchte davon“, sagt Waldhauser. Insbesondere in Skandinavien hätten die jeweiligen Regierungen die Bedeutung von Rechenzentren als digitale Infrastruktur früh erkannt und würden diese entsprechend unterstützen.

Pilotprojekt in Frankfurt

Deutsche Pilotprojekte, wie etwa das aktuelle Bauprojekt Westville im Frankfurter Gallus, bei dem rund 1.300 Mitwohnungen sowie Gewerbe- und Einzelhandelsflächen bis Mitte 2025 ebenfalls zum Teil durch die Abwärme von Rechenzentren abgedeckt werden sollen, seien laut Waldhauser vor allem auf Initiative der Datacenter-Branche entstanden.

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Ein weiteres Positiv-Beispiel innerhalb der Mainmetropole stellt das Cloud-Rechenzentrum in Gebäudekomplex Eurotheum in den Räumen des ehemaligen Rechenzentrums der EZB dar: Mithilfe eines wasserbasierten Direktkühlsystems werden rund 70 Prozent der Abwärme direkt vor Ort zum Beheizen der ansässigen Büro- und Konferenzräume, Hotellerie und Gastronomie genutzt.

Dank der nachhaltigen Technologie spart das Dresdner Unternehmen jährlich etwa 40 Prozent seiner Energiekosten, eine Ersparnis von rund 65.000 Euro geht allein auf die Abwärmenutzung zurück. Zusätzlich werden mehr als 700 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart.

Waldhauser hofft nun, dass die Energiekrise zu einem Umdenken in der Politik führt. Bund, Länder und Kommunen sollten die Potenziale der Digitalisierung bei der Wärmeproduktion für private Haushalte sowie Büros unbedingt nutzen: „Ich wünsche mir, dass Frankfurt hier keine Ausnahme bleibt und die Bundesregierung die Potenziale der Abwärmenutzung erkennt und nachhaltig fördert – auch im Hinblick auf den Klimaschutz. Für die flächendeckende Abwärmenutzung in Deutschland brauchen wir einen langen Atem und der geht weit über die jetzige Legislaturperiode hinaus.“

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