Jetzt kommt Rocky: Open Source im High Performance Computing Aus der Asche von CentOS: das HPC-Linux Rocky
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Seit dem Wegfall des Betriebssystems „CentOS“ stecken viele Nutzer der Linux-Distribution in der Tinte. Mit Red Hats neuer Initiative „CentOS Stream“ ist vielen Betroffenen nicht gedient. Ein HPC-fähiger, Cloud-fester „Red-Hat-Enterprise-Linux“-Ersatz namens „Rocky Linux“ verspricht Abhilfe. Einen innovativen KI/ML-Stack für HPC gibt es gleich mit dazu.

In einer Online-Umfrage der CentOS-Gemeinde unter 1.300 Nutzern der Distribution auf „Reddit“ kam das volle Ausmaß des Problems ans Tageslicht. Die Flucht zu „Debian“ haben gerade einmal 17,1 Prozent ergriffen. Weitere 11 Prozent haben den Sprung auf Ubuntu hinter sich. Einer von zehn hat sich für „OpenSuse“ entschieden.
Die übrigen Umfrageteilnehmer – rund zwei von drei der Befragten (61,7 Prozent um genau zu sein) wollen erst gar nicht auf eine andere Distribution migrieren. Der Aufwand, alle vorhandenen Werkzeuge und Automatisierungseinrichtungen auf einen anderen Paketverwaltungsstil umzustellen, scheint für viele inakzeptabel und nicht unmittelbar gerechtfertigt.
CentOS Linux 8 soll Ende 2021 auslaufen, anstatt wie geplant erst Ende Mai 2029 – ein kleiner Unterschied mit großen Folgen.
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Ersatz für CentOS - Fedora und RHEL als Downstream-Projekt
Downside up: Red Hat stellt CentOS ein
Vom Regen in die Traufe
Das neue Projekt von Red Hat „CentOS Stream“ soll im Unterschied zu CentOS dem Nutzer laufende Updates aufzwingen.
Eine neue Hauptversion von RHEL spaltet sich fortan wie gewohnt von „Fedora“ ab. Von eben dieser Hauptversion von RHEL zweigt sich die jeweils neue Hauptversion von CentOS Stream ab. In den Repos von CentOS Stream erfolgt dann die Entwicklungsarbeit für alle Punkt-Updates von RHEL; diese sind jeweils ein Fork von CentOS Stream, soweit so gut.
Doch während ein Benutzer von RHEL oder Fedora diese Punkt-Updates akzeptieren oder ablehnen kann, möchte Red Hat die Nutzer von CentOS Stream mit jedem Minor-Update automatisch zwangsbeglücken. All die Nutzer, die sich darauf nicht einlassen wollen, suchen jetzt nach Alternativen.
Das langweilige OS
CentOS (Community ENTerprise Operating System) war der bekannteste und meistgenutzte Ableger von Red Hat Enterprise Linux (RHEL). Es begann als ein Build von „CAOS Linux“, einer Distribution von Gregory Kurtzer, aus der Initiative von Lance Davis, Rocky McGaugh und Gregory Kurtzer. 2009 übergab Davis das Projekt an die breitere Gemeinde, die es weiter auf der Basis offizieller RHEL-Quellen aus Red Hats kostenfreier Edition für Entwickler pflegte. Rund fünf Jahre später ging CentOS in die Kontrolle von Red Hat über.
Unter der Obhut von Red Hat ist mit Fedora ein weiterer kostenfreier RHEL-Ableger entstanden. Fedora ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von CentOS. Fedora ist Red Hats Sandkasten zum Ausprobieren neuer Ideen in einer frühen Implementierung. (Das Wort „Fedora“ steht auch im Englischen schlicht und ergreifend für einen Filzhut.)
Die Beliebtheit von CentOS hing mit seiner Vorhersehbarkeit zusammen: ein „langweiliges“ quelloffenes Betriebssystem der Enterprise-Klasse für Web-zentrische Arbeitslasten, mit Langzeitunterstützung durch relevante (sprich: ebenso langweilige) Updates, mit RHEL-Kompatibilität und ohne die prohibitiven Kosten. CentOS fand enormen Zuspruch unter anderem bei vielen Web-Hostern, ungeachtet recht dramatischer Herausforderungen der Governance.
Laut aktuellen Zahlen von W3Techs.com vom Februar 2021 ist CentOS mit einem Anteil von 15,6 Prozent die drittbeliebteste Linux-Distribution auf Web-Servern hinter Ubuntu und Debian, mit deutlichem Vorsprung vor Red Hat, „Gentoo“, Fedora und Suse.
Für Red Hat allerdings war das kostenfreie CentOS neben RHEL und Fedora das fünfte Rad am Wagen. Doch mit der Abschaffung von CentOS machte sich Red Hat keine Freunde.
Grundsolide und HPC-fähig
Kaum brachte die Gemeinde ihre Empörung über die höchst kontroverse Entscheidung zum Ausdruck, schickte sich Kurtzer an, CentOS mit einer neuen Distribution von Grund auf neu zu erschaffen. Rocky Linux soll all das werden, was CentOS hätte sein müssen. Benannt nach McGaugh, dem inzwischen verstorbenen Mitgründer der CentOS-Gemeinde, bekommt Rocky finanzielle Unterstützung von Ctrl IQ, dem HPC-Startup von Kurtzer.
Das Unternehmen beschreibt sich in seiner Ankündigung als Anbieter eines vollständigen Technologie-Stacks, der „Schlüsselfunktionen von Enterprise-, Hyperscale-, Cloud- und High-Performance-Computing“ integriere.
Rocky Linux stieß in der Community prompt auf positive Resonanz. Aber die Erstellung und Pflege einer Linux-Distribution sind mit einer Menge Arbeit und Kosten verbunden. Selbst CentOS Linux machte das deutlich, als sich das damals noch unabhängige Projekt im Jahre 2014 um die Übernahme durch Red Hat bemühte. Ohne eine robuste Finanzierungsquelle stünden auch für Rocky Linux die Chancen kaum besser.
Doch Kurtzer hat dazu gelernt. Sein Startup hat sich in den letzten Tagen von Januar 4 Millionen Dollar in Serie-A-Finanzierung von OpenDrives Inc. und IAG Capital Partners gesichert. Rocky werde ein Nutznießer der Ressourcen von Ctrl IQ, nicht deren Quelle. Darüber hinaus konnte Rocky neben Ctrl IQ die Cloud-Anbieter AWS und Mattermost als direkte Sponsoren gewinnen. Das Geld ist also da.
Der HPC-Stack von Ctrl IQ
Ctrl IQ verfolgt das Ziel, HPC-, AI/ML- und Analytics-Workloads mit einem einzigen Stack abzudecken. Dieser umfasst die HPC-Container-Plattform „Singularity“, die Provisionierungsplattform für Bare-Metal-Container „Warewulf“, eine Kubernetes-Orchestrierungslsoftware namens „Ctrl IQube“, einen Orchestrierer für wissenschaftliche Arbeitslasten namens „Fuzzball“ und Rocky Linux.
Diese Angebote möchte Ctrl IQ in einem von fünf Bündel für die gängigen Typen von Arbeitslasten verfügbar machen, den so genannten „Ctrl IQ Stacks“. Die erste Version von Rocky Linux soll im März erscheinen. Die Gemeinde erhofft sich davon ein RHEL-kompatibles Linux, das sich nicht ganz so halsbrecherisch wie Fedora verändert und nicht so fürchterlich angestaubt ist wie einst CentOS.
Das Produktspektrum von Ctrl IQ besteht derzeit noch aus vielen Ankündigungen. Anstelle von greifbaren Downloads gibt es auf der Webseite des Anbieters ein Anfrageformular, etwas Dokumentation und das war es dann auch. Die Anschubfinanzierung ist noch zu frisch in Erinnerung.
Einige der Lösungen von Ctrl IQ sind keine heiße Luft; sie „machen“ heiße Luft in den Rechenzentren ihrer Nutzer. Warewulf stieß zum Beispiel beim US-Energieministerium (US DoE) auf so viel Begeisterung, dass es jetzt dort weiterentwickelt und gepflegt. Kurtzer stieg auch gleich zum offiziellen Berater auf.
* Das Autoren-Duo Anna Kobylinska und Filipe Pereia Martins arbeitet für McKinley Denali Inc. (USA).
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