Neuorientierung bei Dell Technologies Hinter den Kulissen: Dell verabschiedet sich von VMware

Von Anna Kobylinska und Filipe Pereira Martins* |

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Es pfeifen die Spatzen von den Dächern: Insidern zufolge tüftelt die Chefetage von Dell Technologies an einer Restrukturierung des Konzerns. VMware soll unter den Hammer gehen. Für die betroffenen Anwender steht dabei eine ganze Menge auf dem Spiel. Ein schmerzvoller Abschied auf Raten.

Das Hauptquartier von Dell Technologies befindet sich in Round Rock, Texas, U.S.A.
Das Hauptquartier von Dell Technologies befindet sich in Round Rock, Texas, U.S.A.
(Bild: Dell Technologies)

Nach geltendem Recht muss sich Dell Technologies mit der Restrukturierung der Unternehmensgruppe bis September 2021 Zeit lassen, um nicht eine sonst unmittelbar fällige Steuernachzahlung auszulösen. Denn diese würde einen dicken Strich ziehen durch die Rechnung für die größte freundliche Übernahme der IT-Geschichte.

In der anstehenden Wartezeit möchte Dells Führungsetage offenbar alle Möglichkeiten ausloten. Auch seien bereits Berater zu Wort gekommen.

Nur ob es die betreffenden Steuergesetze am Stichtag überhaupt noch geben wird, weiß bisher so genau keiner. Denn das Ergebnis der US-Präsidentschafts- und -Kongress-Wahlen, die am 3. November des laufenden Jahres stattfinden – konkret also ein Wahlsieg des Demokraten Joe Biden und seiner Partei – würde voraussichtlich eine Steuerreform nach sich ziehen (eine handlungsfähige Mehrheit vorausgesetzt). Eine Steuerreform würde die Karten neu aufmischen. Dell könnte dann möglicherweise mit der Konzernumgestaltung früher loslegen.

Missverhältnis

Das unmittelbares Problem des Dell-Konzerns besteht in der wachsenden Diskrepanz zwischen dem Gesamtmarktwert des Konzerns von rund 45,23 Milliarden Dollar und dem Wert seines 81-prozentigen Anteils an VMware. Rund 48,68 Milliarden an der VMware-Valutierung in Höhe von derzeit 60,1 Milliarden Dollar gehört Dell Technologies.

Das Kerngeschäft von Dell mit Servern und Storage reflektiert sich so aber kaum in der Bewertung durch die Märkte. Hier ist von dem so genannten Konglomeratsabschlag die Rede. Dieser Effekt tritt dann auf, wenn der Marktwert eines Großunternehmens auf Grund fehlender Synergien unterhalb demjenigen der Summe seiner Teile liegt.

Die robuste Profitabilität von VMware vermochte seither zu der anstehenden Abzahlung der enormen Schuldenlast von derzeit 48,4 Milliarden Dollar an langfristigen Verbindlichkeiten bisher kaum einen Beitrag zu leisten. Nicht einmal die Rückkehr von Dell an die Börse Ende 2018 konnte das Wachstum des Kerngeschäfts beflügeln.

Eine (un-)glückliche Ehe von Ungleichen?

Mit dem Kauf von EMC, eines Anbieters von Storage-Lösungen der Enterprise-Klasse, erlangte Dell, einer der bevorzugten Hardware-Lieferanten des Mittelstands, einen 81-prozentigen Anteil an dem Virtualisierungsspezialisten VMware. Die übrigen 19 Prozent werden öffentlich gehandelt.

Dell ließ sich die Übernahme rund 67 Milliarden Dollar kosten. Mehr als zwei Drittel davon, also gut 47 Milliarden Dollar, entfallen auf den „nur“ 81-prozentigen Mehrheitsanteil an VMware, gemessen am Marktwert des VMware-Aktienpakets kurz vor Erhalt des Zuschlags; heute sind es rund 50 Milliarden Dollar.

Die Übernahme ließ die Anwender auf eine Verschmelzung der Produktlinien und Vertriebswege beider Konzerne hoffen und stellte neuartige as-a-Service-Modelle der Bereitstellung von Enterprise-Hardware an breitere Kundenkreise in Aussicht. Denn Produkte aus dem technologischen Erbe von EMC lagen historisch meist deutlich außerhalb der finanziellen Reichweite der Kernzielgruppe von Dell; die Zusammenführung der beiden Portfolios im Rahmen der neuen Konzerngruppe Dell Technologies sollte diese Eintrittsbarrieren aufheben und zur Entstehung neuer Synergie-Effekte beitragen.

Enttäuschungen

Bisher sind die erhofften Vorteile der Übernahme größtenteils ausgeblieben. Die Integration der beiden Produktportfolios lässt ebenfalls auf sich warten. Die Investoren sind unzufrieden.

Die finanziellen Folgen der Akquisition liegen der so entstandenen Unternehmensgruppe immer noch schwer im Magen. Während die Vorteile der Übernahme vorrangig dem EMC-Teil der Unternehmensgruppe zufließen, hält die Stagnation im Kerngeschäft von Dell ungebrochen an. Dell Technologies muss jetzt den profitabelsten Teil der Unternehmensgruppe auslagern: das Wunderkind VMware.

Die Ausgliederung von VMware soll den Aktien beider Unternehmen zu einer Neubewertung verhelfen. Ein Spin-Off könne „sowohl den Aktionären von Dell Technologies als auch denen von VMware zugutekommen“, ließ die Konzernzentrale in Round Rock, Texas, im Juli verlauten. Eine steuerfreie Restrukturierung könne allerdings frühestens im September 2021 stattfinden, teilte das Unternehmen mit.

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Getrennte Freude ist doppelte Freude

Die Märkte scheinen zugestimmt zu haben, denn die Aktie von Dell begann, sich zu erholen.

Dells Führungsetage im texanischen Round Rock hat den größten Teil des letzten Jahrzehnts mit „Corporate Engineering“, also steuerlichen Klimmzügen, verbracht, und ist dabei hart am Wind gesegelt. Ohne die tatkräftige finanzielle Unterstützung der Investoren Silver Lake und MSD Partners wäre Dell höchstwahrscheinlich untergegangen.

Es ging in dieser Zeit auf und ab. Im Jahre 2013 hat sich Dell sogar „zwangsprivatisiert“, um sich ohne den Druck öffentlicher Investoren und weg von dem Blick neugieriger Analysten zu restrukturieren. 2016 orchestrierte das Unternehmen mit dem Kauf von EMC die größte Technologie-Akquisition der IT-Geschichte und kam so in den Besitz der Kontrollbeteiligung an VMware für den steilen Preis einer massiven Schuldenlast gegenüber den EMC-Aktionären.

Was das Unternehmen an Bargeld nicht aufbringen konnte, zahlte es in handlungsfähigen Geschäftsbereichsaktien aus; hierbei handelt es sich um einen so genannten Tracking-Aktienbestand. Diese Aktien sollten die wirtschaftliche Leistung von VMware kontinuierlich und adäquat widerspiegeln (Kürzel: DVMT).

Michael Dell ist der Gründer, Vorsitzender und CEO von Dell Technologies.
Michael Dell ist der Gründer, Vorsitzender und CEO von Dell Technologies.
(Bild: Dell Technologies)

Im Jahr 2018 kehrte Dell an die Börse zurück, indem es den Platz seiner Geschäftsbereichsaktien von VMware nahm. So konnte das Unternehmen um die teure IPO-Prozedur einen Bogen machen. Hierzu musste Dell seiner Mehrheitstochter VMware die Ausschüttung einer Sonderdividende von dem Tracking-Stock entlocken, um eine Handvoll von Aktionären in DVMT zu beschwichtigen.

So entstand das börsennotierte Unternehmen Dell Technologies mit seiner stark diversifizierten Produktpalette, die von PCs über Rechenzentrumshardware, Enterprise-Software bis hin zu Cyber-Sicherheitsprodukten reicht, ein Sammelsurium. VMware ist im Übrigen seit 2019 im Besitz von Pivotal und Carbon Black, eines Anbieters Cloud-nativer Lösungen für Endpoint-Sicherheit. Der rote Faden fehlt.

Ein Abschied auf Raten

Die Produkte und Vertriebsstrategien von Dell und VMware ließen sich miteinander durchaus vereinbaren, nur offenbar blieb der Chefetage kaum die Zeit für übrig. Denn während VMware außer Rand und Band wächst, dümpelt Dells eigenes Kerngeschäft mit Servern und Storage unter der erdrückenden Schuldenlast nur so vor sich hin.

Ein Spin-Off des 81-prozentigen-VMware-Anteils würde Dell mit dem nötigen Bargeld versorgen und die Kreditwürdigkeit des Unternehmens wieder auf ein respektables Investment-Grade-Niveau anheben. Doch aus steuerlichen Gründen ist ein Spin-Off von VMware vor September 2021 nach geltendem Recht nicht sinnvoll durchführbar.

Ein Wachwechsel im Weißen Haus könnte potenziell die Karten neu aufmischen. Doch bis zum Amtsantritt des nächsten Präsidenten am 20. Januar 2021 sind basierend auf historischen Erfahrungswerten keinerlei legislative Schritte zu erwarten. Damit steckt das Unternehmen für ein halbes bis ein ganzes Jahr in der sprichwörtlichen Tinte. In der Zwischenzeit muss die Chefetage einen Weg finden, um die Aktionäre zu besänftigen – je früher, desto besser.

Unternehmensinsidern zufolge machen Gerüchte um eine neue Sonderdividende die Runden. Diesmal würde sie VMware an alle Aktionäre von Dell Technologies einschließlich der eigenen Investoren ausschütten. Diese Dividende liefe auf eine letzte Gebühr hinaus, mit der sich VMware diesmal die Unabhängigkeit vom Mutterkonzern erkaufen könnte.

Der Erlös aus dieser Sonderdividende würde dazu beitragen, die Verbindlichkeiten aus der Übernahme der EMC-Gruppe gegenüber den EMC-Investoren durch Dell zu begleichen. Davon sind ja noch 48,4 Milliarden Dollar übrig. So konnte Dell im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2020 gerade einmal 5,4 Milliarden Dollar zurückzahlen; in diesem Tempo könnte es noch eine Weile dauern.

Das Fazit der Autoren:

Über die Notwendigkeit einer Lösung besteht grundsätzlich Einigkeit. Doch der Teufel steckt in den Details.

Eine Übernahme der übrigen Anteile an VMware durch Dell, also der Minderheitsbeteiligung von 19 Prozent, scheint auf absehbare Zeit ausgeschlossen. Dafür ist nicht nur Dells Finanzdecke zu knapp; auch ein Konzept fehlt völlig. Ein Spin-off von VMware ist offenbar der einzige Weg, auf den sich beide Seiten einlassen würden.

Spannende Zeiten stehen den Aktionären bevor. Die eigentliche Frage besteht darin, ob die Dell-Anwender in Rechenzentren nicht zwischendurch kalte Füße kriegen und sich anderweitig arrangieren. Virtualisierung macht es jedenfalls möglich.

* Das Autorenduo Anna Kobylinska und Filipe Pereira Martins arbeitet für McKinley Denali Inc. (USA).

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