Für photonisch-elektronische Integration prädestiniert VDE: Deutschland muss raus aus der Chip-Falle
Ob die aktuellen Engpässe von Mikro-Elektronik in der Automobilfertigung die Positionspapiere befeuert haben oder die Überlegungen schon lange schwelen – der Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik, kurz VDE, fordert in Deutschland eine Fokussierung auf Mikroelektronik und Photonik beziehungsweise deren Integration. Das seien systemrelevante Schlüsseltechnologien, so die Begründung.
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Die VDE-Positionspapiere „Hidden Champions“ und „Photonisch-elektronische Integration - Schlüsseltechnologie für Kommunikationstechnik und Sensorik" sehen eine große Chance für den Wirtschaftsstandort in der photonisch-elektronischen Integration, wichtig in Zukunftsfeldern wie Kommunikation, Industrie 4.0 und Mobilität. Unter anderem ermöglicht Photonik höchste Datenraten und sei somit die Basistechnologie künftiger Kommunikation.
So heißt es: „Der Chipmangel zeigt die Abhängigkeit vieler Branchen unserer Industrie, aber auch neue Chancen.“ Und weiter: „Die systemrelevante Chipindustrie hat Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft. Die aktuelle Krise in der Autoindustrie zeigt, wie hoch die Abhängigkeit unserer Industrie von Halbleiterherstellern in Asien und USA ist.“
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Großes Potential für den Industriestandort Deutschland/Europa sieht der VDE in der photonisch-elektronischen Integration, dem Zusammenwachsen der Elektronik und Photonik. Denn ohne Photonik, also der optischen Kommunikation, läuft zukünftig weltweit nichts mehr: Durch die intelligente Integration von Elektronik und Photonik sind Anwendungen wie Internet of Things, Industrie 4.0, Autonomes Fahren oder Quantentechnologien überhaupt erst möglich. Die Mikroelektronik benötigt die Photonik in der Prozessortechnologie, der Datenkommunikation und der Sensorik als notwendige Ergänzung. Beide Technologien sind damit systemrelevant für den Wirtschaftsstandort Deutschland und Europa.“
Ziel und Forderung
Ziel müsse es sein, die technologische Souveränität in den beiden Schlüsseltechnologien Mikroelektronik und Photonik zu gewinnen und diese in neue Geschäftsmodelle zu überführen. Für Deutschland und Europa sei insbesondere das Zusammenwachsen der beiden Disziplinen eine große Chance.
So bleibt der Appell an die Politik nicht aus: „Die photonisch-elektronische Integration ist derzeit weltweit im Interimszustand, noch sind alle Karten offen. Wir müssen jetzt mit gezielten Förderprogrammen photonisch-elektronisch integrierte Lösungen für Kommunikation und Sensorik in industriegeführten Verbundvorhaben erforschen und zur Anwendungsreife bringen. Mit einer starken Position in Forschung und Entwicklung stärken wir unsere Industrie und bauen damit unsere derzeit starke Position weiter aus.“
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Zentraler Bestandteil müsse somit eine europäisch abgestimmte Industriepolitik sein, bei deren Definition Deutschland die Vorreiterrolle übernehmen muss, so die Forderung. Deutschland und Europa können ihre technologische Souveränität wiedererlangen - wenn der politische Wille da sei.
Japan macht es vor
Im internationalen Vergleich belege Deutschland in der Photonik nach China, Japan und den USA Platz vier, und diese Position gelte es für die Mikroelektronik zu nutzen. Der verband bemängelt: „Allerdings fehlt es Deutschland und Europa an Weitsicht.“ Er verweist auf das Vorgehen in Japan: „Die Japaner haben einen Fünfjahresplan für fortschrittliche optische Übertragungstechniken ‚EXAT‘ aufgelegt, den sie durchziehen, um ihre starke Position in der der Photonik und Elektronik auszubauen und ihre Industrie fit für die Zukunft zu machen“, sagt Professor Christian Schäffer, Autor des VDE Positionspapiers.
Der VDE fordere deshalb eine abgestimmte Industriestrategie für die Fertigung photonisch-elektronisch integrierter Mikrochips in Europa: „Wichtig ist es jetzt, Halbleiterhersteller für eine Volumenproduktion zu stärken. Deutschlands Industrie ist weltweit führend in der Leistungselektronik und in der Sensorik und verfügt über eine starke Position in der Photonik. Die intelligente Kombination der Schlüsseltechnologien bietet unserer Industrie die Chance, Weltmarktführer zu werden.“
Die Forderung des VDE an die Politik: Bessere steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung, eine angemessene Senkung der bei der Produktion anfallenden hohen Strom- und Wasserkosten, die Sicherstellung von Planungssicherheit von zukünftigen Produktionskosten sowie eine finanzielle Anschubförderung von Produktionsansiedlungen. „Sind wir in der photonisch-elektronischen Integration stark, hat unsere Industrie einen ganz anderen Verhandlungsspielraum auf einem globalisierten Weltmarkt“, so die Empfehlung des VDE, der die geopolitische Lage zunehmend schwieriger einschätzt.
Neue Kooperationen fördern den Jobmotor KMU
Zugleich merkt der VDE an, dass Deutschland in der Mikroelektronik gehörig aufholen und den Aufbau eigener Mikroelektronikfertigungen mit einer starken Forschung und Entwicklung sehr viel stärker und engagierter forcieren müsse. Um den Wirtschaftsstandort zu fördern, regen die VDE Experten an, neue Kooperationsmodelle mit den führenden Halbleiterherstellern zu entwickeln. Diese könnten insbesondere den Jobmotor Mittelstand und die Forschungseinrichtungen befähigen, ihre innovativen Entwicklungen auf aktueller Spitzentechnologien aufzusetzen.
Nach Angaben des VDE umfasst die Photonikindustrie in Deutschland etwa 1.000 Firmen mit mehr als 135.000 Mitarbeitern. Zudem befassten sich hierzulande rund 50 Firmen sowie 20 Universitäten und Forschungseinrichtungen mit der optischen Kommunikationstechnik. Die These des VDE: Hier sei noch viel Luft nach oben.
Und lohnen würde es sich: Allein der Markt für Siliziumphotonik-Komponenten wird für das Jahr 2025 auf rund 3,5 Milliarden Dollar geschätzt. Die Die deutsche Photonik-Industrie hatte 2019 einen Umsatz von 37,5 Mrd. Euro.
Der VDE argumentiert, dass beispielsweise würde der Ausbau von Prototyping und Kleinserien-Fertigungskapazitäten die Markteinführung von Forschungsergebnissen beschleunigen könnte. Würden die großen Herausforderungen vor allem in der Mikroelektronik gelöst, seien die Voraussetzungen für eine internationale Führungsrolle in der photonisch-elektronischen Integration hervorragend – gerade in Zukunftsfeldern wie Kommunikation, Industrie 4.0 und Mobilität, in denen Deutschland traditionell tonangebend war und ist.
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Für die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ist die effiziente Informationsverarbeitung, -verteilung und -speicherung ausschlaggebend. Integrierte photonische Transceiver bieten gegenüber elektronischen Transceivern ein enormes Verbesserungspotenzial, was die erreichbare Datenrate, Reichweite, Energie-Effizienz und Kompaktheit angeht. So erlauben integriert-optische Sensoren räumliches Sehen mit besserer Auflösung und zu niedrigeren Kosten als konventionelle Lösungen.
Trotzdem würden häufig Themen nicht von Unternehmen gestartet, sondern erst später ab einer gewissen Reifestufe von diesen aufgegriffen. "Deutschland belegt sehr oft einen Spitzenplatz bei den besten Ideen“, heißt es vom VDE. „Es gelingt jedoch nicht, diese in innovative Produkte umzusetzen.“
Europa habe die Wahl, halbherzig weiterzumachen, oder einen eigenen Masterplan "Electronics for Europe" aufzustellen mit einer abgestimmten Industriepolitik und entsprechenden Anschubfinanzierungen, so der Verband. Dass Deutschland in der Photonik Deutschland zwar nach wie vor oben mitspiele dürfe zu keine Chance werden, die vertan wird.
Ingenieurmangel bremst Forschung aus
Ob Europa seine technologische Souveränität erlangen kann, sei auch abhängig davon, ob genügend Know-how vorhanden ist; denn nur mit Fachkräften seien Innovationen zu erwarten. Und gerade hier müsse dringend nachgebessert werden. Allerdings: Die aktuellen Einschreibezahlen in der Elektro- und Informationstechnik sind rückläufig.
„Im Vergleich zum Vorjahr haben sich laut aktuell gemeldeten Studienanfängerzahlen des Statistischen Bundesamtes 14,5 Prozent weniger Anfänger und Anfängerinnen in das Fach Elektrotechnik und Informationstechnik eingeschrieben. Im Maschinenbau (-9,6 Prozent) und in der Informatik (-4,8 Prozent) waren die Rückgänge nicht so drastisch“, so der VDE.
„Unsere Industrie steuert nach wie vor ungebremst auf einen Expertenmangel zu. Der demographische Wandel - in den nächsten Jahren gehen Tausende von E-Ingenieuren in den Ruhestand -und die digitale Transformation, die durch Corona noch verstärkt wurde, vergrößern die Lücke an Elektroingenieurinnen und -ingenieuren. Daran ändert auch COVID-19 nichts", heißt es vom VDE.
Auch hier mache es Asien, allen voran China, vor: In den Grundschulen werden die Kinder bereits spielerisch an Programmierung und Elektronik herangeführt, währenddessen der Lehrplan in den Grundschulen hierzulande Technik vermissen lasse. Informatik sei auch an den weiterführenden Schulen längst kein Pflichtfach und Technik kein Bestandteil des Lehrplans.
Hinweis: Die beiden VDE-Positionspapiere sind im Verbands-Shop kostenfrei erhältlich.
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