Der Bitkom Quantum Summit 2022 lädt ein Qubits & Chips – die Rechner von morgen sind hybrid

Ein Gastbeitrag von Mark Mattingley-Scott* |

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Im Zusammenhang mit Quantencomputern wird oft in Superlativen gesprochen und die maximale Leistungsfähigkeit als Maßstab des aktuellen Fortschritts herangezogen. Doch um Quantencomputing als Technologie im gesellschaftlichen und unternehmerischen Alltag zu etablieren, ist nicht die absolute Leistung entscheidend. Vielmehr sollte die Zweckmäßigkeit für spezielle, kommerziell erfolgreiche Anwendungsszenarien im Mittelpunkt stehen.

Der Branchenverband Bitkom veranstaltet im Mai seinen zweiten „Quantum Summit“. Wie Mark Mattingley-Scott, Chef des Quantencomputer-Pioniers Quantum Brilliance, aufzeigt, geht es verstärkt um Anwendungen.
Der Branchenverband Bitkom veranstaltet im Mai seinen zweiten „Quantum Summit“. Wie Mark Mattingley-Scott, Chef des Quantencomputer-Pioniers Quantum Brilliance, aufzeigt, geht es verstärkt um Anwendungen.
(Bild: Production Perig - stock.adobe.com)

Anfang Februar wurde das Europäische Chips-Gesetz vorgestellt, mit dem sich die EU-Kommission ambitionierte Ziele steckt: Der Anteil der europäischen Halbleiterhersteller an der globalen Produktion von Mikrochips als Grundlage innovativer Produkte und Lösungen soll sich bis 2030 auf 20 Prozent verdoppeln.

Ob Europa eine führende Rolle bei der Entwicklung leistungsstarker Technologien einnehmen wird, hängt dabei zu einem entscheidenden Teil auch von den Fortschritten beim Quantencomputing ab. Gerade Deutschland hat dank seiner herausragenden Forschungsinfrastruktur und dem Top-Know-how seiner Ingenieure die Chance, sich als bevorzugter Produktions- und Entwicklungs-Standort zu etablieren.

So werden in Baden-Württemberg Quantencomputer hergestellt – echtes „Made in Germany“. Die hier produzierten Quantenprozessoren basieren auf Diamanten, was einen Betrieb bei Raumtemperatur ermöglicht und eine Energie-aufwendige Kühlung obsolet macht. Diese Robustheit erweitert die möglichen Anwendungsbereiche massiv und ist Voraussetzung für „Zero Infrastructure Quantum Computing“, bei dem die Technologie praxistauglich „direkt vor Ort“ eingesetzt wird.

Das reicht vom parallelen Betrieb mit klassischen Computern in Rechenzentren über den Einsatz auf mobilen Plattformen bis hin zu Edge Devices, die Quantentechnologie nutzen. Der Fokus liegt darauf, aktuell verwendete CPUs und GPUs im Hinblick auf Größe, Gewicht und Leistung zu übertreffen und Quantencomputing so für die kommerzielle Nutzung interessant zu machen.

Warum hybriden Computersystemen die Zukunft gehört

Klassische Halbleiter werden gemäß dem Moore’schen Gesetz zwar konstant leistungsfähiger, doch alle Rechenoperationen laufen nach wie vor binär ab. Ein Qubit als kleinste Recheneinheit von Quantencomputern kann aber nicht nur die binären Zustände 0 oder 1 annehmen, sondern durch Superposition auch beide gleichzeitig – und alle Zustände dazwischen.

Dank dieser Eigenschaft können Qubits wesentlich mehr Rechenoperationen ausführen als „herkömmliche“, auf dem binären Prinzip basierende Bits. Deswegen wird Quantencomputing völlig neue Grenzen für die Rechenleistung von Computern definieren.

Allerdings gibt es aufgrund der komplexen physikalischen Rahmenbedingungen aktuell noch keine Quantencomputer, deren Berechnungen garantiert komplett fehlerfrei sind. Das macht es nötig, die ausgegebenen Quantenalgorithmen mit klassischen PCs auf eventuelle Fehler zu testen, die durch möglich Störfaktoren verursacht wurden.

Wer diese außergewöhnliche Leistung also nutzen möchte, muss neue Entwurfsmuster – Design Patterns – als methodischen Ansatz für Systeme entwickeln, bei denen Quantencomputer mit „normalen“ Rechnern verbunden und zu „post-klassischen“ hybriden Computern kombiniert werden.

Dann lässt sich die enorme Performanz von Quantencomputern in verschiedenen Szenarien nutzen, um Daten durch Algorithmen, die durch Iteration stetig optimiert werden, genau dort, wo sie entstehen, schneller und präziser zu verarbeiten und Informationen zu verdichten. Der „klassische“ Rechner muss anschließend nur relevante Datensätze verarbeiten. Diese effiziente Auswertung großer Mengen an Daten ist beispielsweise Voraussetzung für einen großflächigen Betrieb autonomer Fahrzeuge und Grundlage für den Aufbau komplexer Monitoring-Systeme, etwa für die Überwachung von Flugräumen und Seewegen oder für die Klimaforschung.

Und das sind nur zwei Beispiele; es gibt noch unzählige weitere Einsatzszenarien. Etablieren sich Design Patterns für diese hybriden Systeme, wird das eine ähnlich revolutionäre Entwicklung auslösen wie die Einführung von kommerziell nutzbaren Metalloxid-Halbleiter-Feldeffekttransistoren als Basis integrierter Schaltkreise und leistungsstarker Mikrochips.

Quantencomputing – Zweckmäßigkeit ist der Schlüssel zum Erfolg

Um die Umsetzung dieser hybriden Systeme voranzutreiben, lohnt sich ein Perspektivwechsel im Hinblick auf den an Quantencomputing angesetzten Leistungsmaßstab. Aktuell ist das vermeintlich relevanteste Merkmal von Quantencomputern ihre absolute Leistungsfähigkeit, im Sinne eines universellen Rechners, der ultrakomplexe Probleme lösen und Berechnungen in kürzester Zeit durchführen kann.

Das ist im breiten Praxiseinsatz in der Industrie, bei Finanzdienstleistungen, im Gesundheitssektor und vielen anderen Branchen aber häufig wenig zielführend. Unternehmen brauchen diese Top-Rechenleistung von Quantencomputern in zweckgerichteter Form, absolut ist sie eher für die Forschung interessant.

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Für einen nutzenorientierten Einsatz sollte deswegen vor allem folgende Frage im Zentrum stehen: „Wie kann ich Quantentechnologie am schnellsten in einen Business Case überführen?“. Ein Computer, der die Rechenkapazität hat, ein mathematisches Jahrhundertproblem zu lösen, ist beeindruckend – und gleichzeitig (fast) ausschließlich für die Wissenschaft relevant. Denn wenn sich diese Leistung nicht für einen konkreten Anwendungsfall in Wirtschaft und Gesellschaft kanalisieren und skalieren lässt, tendiert der praktische Nutzen gegen Null.

Anders gesagt: Es geht nicht darum, sich nur mit bahnbrechender Geschwindigkeit fortzubewegen. Vielmehr gilt es, ein konkretes Ziel zu definieren und dann ein möglichst leistungsstarkes Vehikel zu konstruieren, das einen immer noch wesentlich schneller als bisher – oder überhaupt – ans Ziel bringt.

Zero Infrastructure statt Cloud

Ein weiterer Faktor für die Umsetzbarkeit zweckgerichteter, hybrider Computersysteme ist eine praktikable Betriebsumgebung. Dass Quantencomputer aktuell fast ausschließlich für Forschungszwecke über Cloud-Delivery-Modelle bereitgestellt werden, ließe vermuten, dass diese Technologie nur über die Cloud funktioniert, doch das stimmt nicht. Tatsächlich hat die Nutzung der Cloud mitunter sogar wesentliche Nachteile.

Da sind zum einen mögliche Probleme bei der Konnektivität. Gerade in industriellen Umgebungen gibt es häufig elektromagnetische Störungen durch andere Maschinen und Anlagen. Und auch mit Edge Devices ausgerüstete Fahrzeuge können sich immer wieder in Gebieten ohne Empfang befinden.

Zum anderen bilden viele der Daten, die verarbeitet werden, Kernprozesse der unternehmensweiten Supply Chain ab und sollen oder dürfen nicht in die Cloud. Das gilt insbesondere für hochsensible (Geschäfts-)Daten. Und das sind nur zwei von vielen Beispielen, die zeigen, warum die Quantentechnologie direkt vor Ort und ohne allzu große „Daten-Transportwege“ eingesetzt werden sollte, damit die Vorteile der massiven Rechenleistung nicht direkt wieder verpuffen.

Der Quantum Summit 2022 des Bitkom

Beim #quantumsummit22 des Bitkom am 11. und 12. Mai 2022 kommen mehr als 1.000 internationale Vordenkerinnen und Vordenker aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Forschung und Gründerszene zusammen.
Beim #quantumsummit22 des Bitkom am 11. und 12. Mai 2022 kommen mehr als 1.000 internationale Vordenkerinnen und Vordenker aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Forschung und Gründerszene zusammen.
(Bild: Bitkom)

Der „Quantum Summit des Bitkom“ findet am 11. und 12. Mai 2022 statt: Die digitale Konferenz bringt mehr als 1.000 internationale Vordenkerinnen und Vordenker aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Forschung und Gründerszene zusammen, um die neuesten Entwicklungen im Quantencomputing zu diskutieren.

Die Konferenz gibt einen holistischen Überblick über den Status quo des Quantencomputing in Deutschland sowie in Europa und zeigt, wie heutige Entscheidungen – politisch, wirtschaftlich und technologisch – die Zukunft der Industrie prägen. Der zweitägige Gipfel bietet neben Vorträgen und Panels auch die Möglichkeit, sich auf der Online-Plattform mit anderen Teilnehmenden direkt auszutauschen.

Wesentlich praxistauglicher für Unternehmen sind deshalb hybride Designs in kleinen Formfaktoren, beispielsweise mit Qubits auf Basis von implantierten Stickstoffatomen in synthetischen Diamantsubstraten (NV-Zentren, von englisch Nitrogen-Vacancy). Sie erbringen die Rechenleistung von Quantencomputern im Sinne von Zero Infrastructure direkt und ohne Umwege dort, wo sie benötigt wird – ohne aufwendige Kryo-Kühlung etwa durch Helium. So lassen sich Quantenrechenner dann beispielsweise direkt als Edge Device in einem autonomen Fahrzeug verbauen.

Alles in allem

Rechner werden künftig nicht mehr nur auf klassischen Halbleitern basieren, sondern als hybride Systeme zusätzlich Quantentechnologie nutzen. Die Entwurfsmuster dieser neuen Computer müssen sich vor allem am praktischen Einsatz für klar definierte Business Cases orientieren und entsprechend speziell konzipiert werden.

Voraussetzung dafür ist eine fortlaufende und konsequente Förderung von Diamant-basierten Quantencomputern, die sich bei Raumtemperatur betreiben und damit unkompliziert einsetzen lassen. Dann kann Quantencomputing sein unglaubliches Potenzial nicht nur in der Wissenschaft entfalten, sondern auch in der Wirtschaft für Quantensprünge sorgen – und Deutschland und Europa eine Vorreiterrolle bei technologischen Innovationen sichern.

*Über den Autor

Dr. Mark Mattingley-Scott ist General Manager EMEA von Quantum Brilliance.
(Bildquelle: Quantum Brilliance)

Dr. Mark Mattingley-Scott hat einen Bachelor of Science mit Joint Honours in Informatik und Elektronik und einen Doktortitel in Philosophie zum Thema "Code Division Multiple Access Local Area Networks" von der Universität Durham, kombiniert mit 36 Jahren Erfahrung in der kommerziellen Nutzung von Technologie und Forschung. Er ist Geschäftsführer der Quantum Brilliance GmbH und GM EMEA von Quantum Brilliance pty LTD.
In diesen Funktionen ist er für den Ausbau des Geschäfts von Quantum Brilliance sowie für alle Aktivitäten in Europa verantwortlich. Zuvor war er Principal bei IBM, wo er sich auf die Identifizierung, Förderung und Entwicklung von technologischen Innovationen spezialisierte, mit einem Hauptaugenmerk auf Big Data Analytics, Neuromorphic Computing und Quantum Computing als Leiter des Quantum Ambassador Programms in EMEA & AP. Derzeit lehrt er Human & Machine Learning und Quantum Computing am Institut für Kognitionswissenschaften der Universität Osnabrück und Quantum Computing am Kirchoff-Institut der Universität Heidelberg. Er ist Mitglied des Vorstands des Instituts für Neue Medien in Frankfurt.

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