Die 10 Could-do`s für Energie-Unternehmen In Blockchain steckt riesiges Potenzial für die Energiewende

Autor / Redakteur: Gabi Visintin / Ulrike Ostler

Im Energie-Bereich schießen Blockchain-Startups wie Pilze aus dem Boden. Warum die Blockchain-Technologie für die Energiebranche so interessant ist und wo ihre Grenzen liegen, erläutern die beiden Experten von der Business Technology Consulting AG Simon Bartmann und Roland Wilken in einem Interview.

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Peer-to-Peer, verteilte und gesicherte Transaktionen, Smart Contracts… Was macht die Energiebranche?
Peer-to-Peer, verteilte und gesicherte Transaktionen, Smart Contracts… Was macht die Energiebranche?
(Bild: gemeinfrei - geralt/Pixabay / CC0 )

Wilken und Bartmann können erstaunlich viele Beispiele für den Einsatz von Blockchain in Energie-Unternehmen benennen.

Roland Wilken (37) ist Senior Software Engineer beim IT-Beratungsunternehmen BTC AG in Oldenburg. Als Entwickler und Berater war er immer wieder an Projekten in der Energiewirtschaft beteiligt. In den vergangenen Jahren beschäftigte sich der Wirtschaftsinformatiker intensiv mit der Blockchain-Technologie und entwickelte auf Basis von Ethereum einen Prototypen einer Auktionsplattform für Gastransport-Kapazitäten.

Simon Bartmann (32) ist Corporate Business Development Manager und seit 2017 für die Themen strategische Innovation, neue Geschäftsfelder sowie Technologien für die BTC AG zuständig. Daneben ist er Business Mentor für Tech Start Ups und ist Mitbegründer der CVA Corporate Venturing Association. Als Berliner Seriengründer hat Bartmann in den vergangenen zehn Jahren mehrere Start -Ups aufgebaut. Sein größter Erfolg ist das internationale Wearable Brand Nevo bei der er mit Barclays sowie HSBC bereits 2015 an blockchain-basierten Mobile Payment Solutions arbeitete. Außerdem s bekleidete Bartmann den Posten des Interims CTO für Paul Hewitt.

Von Bartmann stammt zudem der zehn-Punkte-Plan „Die 10 Could-do`s für Unternehmen“, die hier im Kasten zusammengefasst ist.

Wie ist der derzeitige Stand in der Energiebranche beim Thema Blockchain-Projekte?

Simon Bartmann: Die Energiebranche hat von Anfang an großes Interesse an der Blockchain-Technologie gezeigt. So gründete sich etwa im Mai 2017 die Energy Web Foundation, um das Anwendungspotenzial der Blockchain zu erforschen und im Juni vergangenen Jahres fanden sich 31 Teilnehmer zur Gründung des Bundesverbands Blockchain zusammen. Auch die ersten Projekte und Machbarkeitsstudien starteten: Vattenfall begann zum Beispiel im vergangenen Jahr ein Projekt, um herauszufinden, wie man Strom ohne einen zentralisierten Markt handeln kann. TenneT, einer der vier Übertragungsnetzbetreiber für Nordwest- bis Südost-Deutschland, und Sonnen sowie Vandebron und IBM testeten in zwei Pilotprojekten ein flexibles und dezentrales Grid-Management, das auch für E-Mobility und Bezahlung relevant werden kann.

Schon im vergangenen Jahr gab es eine ganze Welle an neuen Blockchain-Anwendungen. Ein sehr disruptives Start Up ist WePower aus Estland, das sich auf Blockchain-basierte Finanzierungslösungen für Renewables spezialisiert hat und auch die Procurement Prozesse mittels Smart Energy Contracts fundamental verändern wird. Um alle vernetzten IoT Assets und Teilnehmer zu monetarisieren sowie zu Transaktionen mittels Blockchain Technologie zu befähigen, haben Harald Zapp und Sebastian Gajek das Unternehmen Weeve gegründet und erfolgreich international etabliert.

Vor welchen Herausforderungen stehen Energie-Unternehmen, die sie mit der Blockchain-Technologie bewältigen können?

Simon Bartmann ist Corporate Business Development Manager bei der BTC AG .
Simon Bartmann ist Corporate Business Development Manager bei der BTC AG .
(Bild: BTC AG)

Simon Bartmann: Die klassischen Energie-Unternehmen sind gezwungen, auf die Aktivitäten der vom Venture Capital finanzierten Start Ups zu reagieren. Die Blockchain kann dabei eine extrem wichtige Rolle übernehmen. Sobald die klassischen Energie-Unternehmen die Technologie voll ausnutzen (können) und auch den kulturellen Wandel, der mit dieser Technologie verbunden ist, in die ihre DNA implementieren, sind sie den Anforderungen gewappnet.

Die Blockchain kann zum Beispiel Speichertechnologien, die für die Energiewende eine große Rolle spielen, in dezentrale Energiesysteme einbinden. Sie kann die Balancierung von Angebot und Nachfrage vereinfachen, Ladungen und Abrechnungen im Bereich der Elektromobilität automatisiert durchführen oder die Echtheit von Grünstromzertifikaten belegen.

Die weitere zentrale Aufgabe wird es sein, die Netze derart umzugestalten, dass eine zunehmende Anzahl von Privathaushalten mit einer geringen installierten Erzeugungsleistung ins System integriert werden kann. Kurzum: Die Energiewende könnte durch Blockchain-Technologien eine neue Dynamik entfalten.

Sie sagen, dass noch nie ein technologischer Meilenstein so disruptiv für die Energiebranche war wie die Blockchain, warum?

Simon Bartmann: Die Blockchain hat enormes Potenzial, Geschäftsmodelle und Marktverhältnisse komplett neu zu definieren. Intermediäre – also zwischen einer Transaktion geschaltete Mittler wie Banken beim Geldaustausch – werden überflüssig. Derzeit erfolgt der Energiehandel über zentrale Strombörsen.

Für Peer-to-Peer-Transaktionen auf dem Strommarkt bietet die Blockchain ein enormes Potenzial, insbesondere wenn sie mit Smart Contracts kombiniert wird. Dabei handelt es sich um automatisierte Verträge, die in dem Moment entstehen, in dem bestimmte – von Anbietern und Nachfragern festgelegte – Bedingungen erfüllt sind. Der Stromhandel über die Blockchain eignet sich besonders gut für den Handel in Nachbarschaftsquartieren. Die Technologie schafft Vertrauen unter Bedingungen, die man ansonsten als unsicher bezeichnen würde. Die Vertrauensbildung ist eine wesentliche Eigenschaft der Blockchain in einem Netz, das zunehmend mit Prosumern bevölkert wird, die dezentral Energie erzeugen, einspeisen und mit ihr handeln wollen.

Die Blockchain in Kombination mit Smart Contracts spielt demnach für die dezentralen erneuerbaren Energien einen bedeutenden Part?

Roland Wilken ist Senior Software Engineer bei der BTC AG.
Roland Wilken ist Senior Software Engineer bei der BTC AG.
(Bild: BTC AG)

Roland Wilken: Ja! In ihrer ersten Ausbaustufe war es die Funktion der Blockchain, manipulationssicher Leistung zu persistieren, also sicherzustellen, dass Bitcoins von A nach B fließen. In der nächsten Generation, mit der wir jetzt arbeiten, wird die Blockchain um Smart Contracts ergänzt. Typisches Beispiel dafür ist Ethereum, das Anwendungslogik in die Blockchain integriert.

„Wenn so und so viel Kilowatt Strom fließen, werden so und so viele Euros bezahlt“, heißt die Logik. Zwar werden die großen Mengen an Strom, die etwa Industriebetriebe benötigen, weiterhin an der Strombörse gehandelt, doch der Stromhandel im Wohngebiet über eine Peer-to-Peer-Verbindung auf Basis der Blockchain steht bereits in den Startlöchern. Der Hausbesitzer mit PV-Anlage tritt dabei als Händler auf und verkauft seine überschüssige Energie zu einem bestimmten Kurs an den Nachbarn – gegebenenfalls auf Basis einer Kryptowährung. Dieser Handel erfolgt automatisiert und dezentral, also nicht mehr vermittelt über den Netzbetreiber.

Der technische Vorteil der Blockchain mit einem integrierten Smart Contract ist, dass Leistungserbringung und Bezahlung miteinander verbunden sind und dafür kein manueller Eingriff mehr notwendig ist. Dadurch können sich beide Vertragspartner sicher sein: Der PV-Besitzer weiß, dass er bezahlt wird, der Abnehmer des Stroms weiß, dass er die Stromlieferung erhält. Alles läuft automatisch, ohne menschliches Zutun.

Gibt es schon funktionierende Einsätze der Blockchain im Energiebereich?

Roland Wilken: Von sich Reden gemacht hat das Brooklyn Microgrid in New York, wo Nachbarn erneuerbare Energie über die Blockchain austauschen. Inzwischen gibt es einige Ableger des Modells. Dabei handelt es sich meist um geschlossene Systeme.

In Deutschland läuft noch kein Modell produktiv. Hinderungsgründe sind oft noch technische Fragen wie zum Beispiel die Anbindung. Gerade im Bereich der Nachbarschaftsbörsen sind die Netze noch nicht genügend automatisiert, um ein Modell flächendeckend abbilden zu können. Auch gibt es noch eine Reihe von ungeklärten rechtlichen Fragestellungen.

In Deutschland ist das Startup Conjoule bekannt. Was gibt es noch für Beispiele, wo die Blockchain heute die Basis für innovative Anwendungen bildet?

Simon Bartmann: Conjoule ging im Mai dieses Jahres in eine weitere Roll-Out-Phase und ermöglicht damit den Stromhandel unter Nachbarn. Im Prosumer-Markt tummeln sich zunehmend mehr Player. Der „War for Prosumers“ ist in vollem Gange.

In Deutschland kooperiert zum Beispiel TenneT mit Sonnen. Die beiden Unternehmen integrieren gemeinsam dezentrale Batteriespeicher ins Netz. Mithilfe der Blockchain wurde erstmals ein Heimspeicher für Re-Dispatch-Maßnahmen eingesetzt, das heißt, Energie aus der Batterie wurde wieder ins Netz zurückgeführt. Da über die Speicher ein Strompuffer geschaffen wird, ist es auch möglich, den Ausbau von Übertragungsnetzen geringer zu dimensionieren.

Ein weiteres Beispiel ist Grid Singularity, ein Unternehmen aus Österreich, das eine Plattform für DApps (Apps, die auf der Blockchain laufen) anbietet, über die der Netzbetreiber, der Energieerzeuger, der Regulator sowie der Konsument miteinander verbunden sind. So werden alle Stufen der Wertschöpfungskette holistisch bedient.

Smart Contracts innerhalb der Blockchain sind auch für E-Mobility und die Abrechnung von Strom an den Ladesäulen interessant?

Roland Wilken: Die Payment-Systeme der Ladesäulenbetreiber sind heute noch sehr heterogen. Das bremst den flächendeckenden Durchbruch von E-Mobility aus. Der Abrechnungsbereich ist ein großes Feld, in dem die Blockchain-Technologie nicht nur vereinheitlichen, sondern auch automatisieren kann. Dann erübrigt sich auch der Einsatz von Ladekarten und manuellen Bezahlvorgängen. Das Laden und die Bezahlung könnte automatisiert über Smart Contracts abgebildet werden.

So weit sind wir heute leider noch nicht, aber in der Technologie Blockchain steckt riesiges Potenzial für die Energiewende. Auch vollautomatisierte Maut-Systeme könnten auf diese Weise realisiert werden.

Verdrängt die Blockchain andere Techniken?

Roland Wilken: Andere Technologien vollständig verdrängen wird die Blockchain nicht, denn sie ist in den meisten Software-Projekten nur ein Baustein in einer komplexen Gesamt-Architektur. Die Blockchain bietet eine hohe Sicherheit gegen Manipulationen. Dies geht zum einen zu Lasten der Performance und zum anderen lassen sich einmal persistierte Daten nicht mehr ändern oder löschen. Daher sollte man unbedingt berücksichtigen, welche Operationen zeitkritisch sind und gegebenenfalls off-chain abgewickelt werden sollten, beziehungsweise welche Daten nicht unbedingt vor Manipulationen geschützt werden müssen.

In Bezug auf die DSGVO ist zu fragen: Welche Daten müssen gegebenenfalls editier- und/oder löschbar sein? Deshalb benötigen Energiebetriebe zum Beispiel eine herkömmliche Datenbank, in der die Adressdaten und Bonitätsdaten von Frau Mustermann gespeichert werden. Welche Person sich hinter einem Zählpunkt verbirgt, darf nicht in der Blockchain abgespeichert sein. Die DSGVO-Anforderungen kann keine Blockchain abbilden.

Ein Image-Risiko könnte der hohe Stromverbrauch sein, der mit dem Blockchain-Einsatz einhergeht?

Roland Wilken: Dieser Kritikpunkt hat sich schnell in der Öffentlichkeit verbreitet. Jedoch: Der hohe Stromverbrauch hängt mit dem eingesetzten Consensus-Algorithmus der ersten Blockchain-Generation zusammen und nicht mit der Technologie generell. Um beim Proof-of-Work Algorithmus einen neuen Block zu berechnen, muss der Teilnehmer ein kryptografisches Puzzle lösen.

Alle, die an der Aufgabe teilnehmen, laufen gleichzeitig los und der erste, der die Aufgabe löst, wird entlohnt. Das bedeutet: Alle anderen haben unnütz Rechenleistung investiert. Als Energie-Unternehmen sollte man also auf einen alternativen Algorithmus wie Proof-of-Stake oder Proof-of-Authority setzen.

Brauchen Blockchain-Projekte besonderes IT-Wissen?

Roland Wilken: Es ist auf jeden Fall sinnvoll, Experten für die Technologie ins Projekt zu holen, da die Implementierung je nach Blockchain-Technologie unterschiedliche Herausforderungen mit sich bringt, die man kennen sollte. Da die Entwicklungsgeschwindigkeit neuer Technologien wesentlicher höher als bei reifen Technologien ist, ist es sinnvoll einen Ansprechpartner zu haben, der die aktuellen Entwicklungen verfolgt und kennt. Der Reifegrad der Blockchain-Plattformen ist sehr unterschiedlich, manche verfügen über ein sehr gutes Marketing, doch in der Realität fehlt dann doch noch Vieles.

Von der Idee, eine Blockchain selbst zu implementieren, ist auf jeden Fall abzuraten – ähnlich wie auch bei Verschlüsselungsalgorithmen ist hier sehr spezielles Fachwissen erforderlich, sonst könnte sich die die eigene Lösung später zum Desaster entwickeln. Deshalb ist zu empfehlen, auf eine bestehende Blockchain-Technologie zurückzugreifen und auf dieser Basis ein eigenes Netz mit den beteiligten Konsortialpartnern aufzubauen

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