Ökologische Nachhaltigkeit Grün wird Leitthema für Rechenzentren
Bislang war Nachhaltigkeit eher ein Nischenthema für Rechenzentrumsbetreiber. Plötzlich rückt es auch dank geänderten Investorenverhaltens in den Mittelpunkt. Das zeigte sich auf der virtuellen Konferenz „Datacenter Dynamics“ Anfang November.
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Anfang des Jahres verkündete Black Rock, einer der weltweit größten institutionellen Investoren, seine neue Anlagestrategie: Nachhaltigkeit der Unternehmen steht nun im Mittelpunkt, Kohlendioxid-Schleudern werden aussortiert. Das dürfte bei so manchem Manager eine heftige Schrecksekunde ausgelöst haben.
Gleichzeitig haben sich bereits 90 Prozent der 500 größten Unternehmen (Fortune 500) aller Branchen zur rigorosen und nachprüfbaren Reduktion ihrer Kohlendioxid-Ausstöße über die gesamte Lieferkette verpflichtet, darunter IT-Riesen wie Google, Apple und andere. Und das hat Rückwirkungen auf die Rechenzentrumsbranche. Marc Garner, bei General Electric Vice President Power UK und Irland: „Der neue Fokus erfordert ein neues Denken – wir müssen handeln.“
Wie dringlich das Anliegen ist, offenbart eine Studie bei 825 Co-Location-Anbietern (Multi-Tenant Datacenters, MTDC) aus 19 Ländern, die im Auftrag von Schneider Electric von 451 Research durchgeführt wurde (siehe: Artikel „Umfrage von 451 Research und Schneider Electric, Nachhaltigkeit im Rechenzentrum gewinnt an Bedeutung“) . Danach wuchs deren Anschlusskapazität in den fünf Jahren bis 2019 um jährlich 10,2 Prozent. Sie soll bis 2024 um weitere 35,2 Prozent zulegen und dann 32 Gigawatt (GW) erreichen, entsprechend etwa dem Stromverbrauch von ganz Spanien.
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Umfrage von 451 Research und Schneider Electric
Nachhaltigkeit im Rechenzentrum gewinnt an Bedeutung
Kunden wollen Nachhaltigkeit
Die Kunden dieser Co-Location-Anbieter drängen auf Nachhaltigkeit: Kundenwünsche sind mit 50 Prozent der wichtigste Grund für MTDCs, selbst Nachhaltigkeitsprogramme durchzuführen, gefolgt von Resilienz (40 Prozent) und regulatorischen Anforderungen (36 Prozent). 84 Prozent der MTDCs haben inzwischen ein Nachhaltigkeitsprogramm.
In drei Jahren sehen 87 Prozent der Befragten Nachhaltigkeitstehmen als wichtigen oder sehr wichtigen Differenzierungsfaktor im Wettbewerb. Schon heute wollen bei 74 Prozent der befragten MTDCs alle oder die meisten Kunden vertragliche Festlegungen zu Nachhaltigkeitsthemen – weil sich jede Tonne Kohlendioxid, die IT emittiert, und jede Tonne Datacenter-Müll negativ auf die Nachhaltigkeitsbilanz des Kunden auswirken.
Klimawandel beeinflusst die Standortauswahl
Neben Nachhaltigkeitsbestrebungen beeinflusst auch der Schutz vor klimawandelbedingten Schadwirkungen die Technologieauswahl, beispielsweise hinsichtlich Temperaturstabilität und Wasserbedarf, bei 51 Prozent der MTDC-Betreiber, die Auswahl der Standorte (49 Prozent) und die Vorbereitungen auf schweres Wetter (40 Prozent). 38 Prozent der Befragten haben strikte Reporting-Maßstäbe für Kohlendioxid und Energieverbrauch.
24 Prozent der MTDCs verwalten ein eigenes Nachhaltigkeitbudget, 43 Prozent ein Sustainability-Budget für die DC-Infrastruktur und IT. Wichtigste Maßnahmen sind bislang die Modernisierung und Optimierung der Stromverteilungsarchitektur (je 47 Prozent), gefolgt von Aktualisierung/Optimierung der Kühlinfrastruktur (40/36 Prozent).
Kleine Rechenzentren ohne Nachhaltigkeitskontrolle
Doch das Thema ist zukünftig nicht nur für Co-Location-Anbieter und ihre Kunden relevant. „Die kleinen Rechenzentren werden nicht beachtet und tun deshalb nichts“, moniere Andy Lawrence, Executive Director des Uptime-Institute. Die Großen wie Google geben in Sachen Sustainability den Takt vor, und dieser Druck pflanzt sich nur langsam nach unten fort.
Gleichzeitig ist es heute noch recht kompliziert, Nachhaltigkeit über die gesamte Lieferkette („Scope 3“ der erzeugten Kohlendioxidmengen) zu schaffen. Das fängt bei der Frage an, woher die eigene Energie kommt, ob und mit welchen Zertifikaten man den Bezug „nicht-grüner“ Energie kompensiert. Die Wertigkeit unterschiedlicher Kohlendioxid-Zertifikate ist nämlich sehr unterschiedlich. Manche nutzen strengere Maßstäbe, andere weniger strenge.
Auch die Frage, wo Energie erzeugt wird, spielt eine Rolle. Tenor: Wenn deutsche Rechenzentren grüne Energie in Nordeuropa einkauft, um ausschließlich nachhaltig erzeugten Strom zu verwenden, dafür Schweden aber die eigenen Verbräuche teils mit Atomstrom deckt, ist unter dem Strich nichts gewonnen.
Unkonventionelle Ideen gefragt
Am schwierigsten ist, überhaupt alle indirekten Emissionsquellen in der Lieferkette zu erfassen und dann die Lieferanten - auch die von Datacenter-Leistungen - im Sinn von Nachhaltigkeit zu beeinflussen. Hier, so monierten verschiedene Spezialisten, fehlen Standards, Zertifizierungen, Datacenter-Nachhaltigkeitslabels, die Umsetzung von Best Practices und letzten Endes, wenn dies nichts fruchtet, Regulierung, um Vergleichbarkeit herzustellen.
Patrick Öhlund, CEO von Node Pole, einer schwedischen Entwicklungsgesellschaft für Energie-intensive Vorhaben, etwa Rechenzentren: „Wer zum Beispiel statt Beton Holz für tragende Strukturen außer dem Fundament verwendet, spart ungeheuer viel eingebettetes Kohlendioxid und erhöht zudem die Brandfestigkeit.“
Node Pole hat außerdem das Nachhaltigkeitslabel Fossil Free Data entwickelt. Rechenzentren, die sich das Label ans Revers heften möchten, müssen ihre gesamte Energie aus erneuerbaren Energien beziehen, eine PUE von 1,4 oder besser vorweisen und darf maximal 190 Gramm Kohlendioxid-Äqivalente pro kWh IT-Strom emittieren.
Auch bei der Standortwahl sollte man schon die Nachhaltigkeit im Auge haben. „Wir müssen endlich umdenken und Rechenzentren da bauen, wo Energie in großen Mengen verfügbar ist, und Rechenleistungen dahin verlagern. Bits lassen sich einfach verschicken, Strom nicht“, forderte der Datacenter-Berater Staffan Reveman. Besonders prekär sei dieses Problem in Deutschland, wo in den kommenden Jahren viele zuverlässige Energiequellen abgeschaltet würden, aber nicht ausreichend neue, zuverlässige hinzukämen.
Der Vergleich mit der Luftfahrt hinkt
Derzeit beklagt sich die Recehnzentrumsbranche oft darüber, dass das von ihr emittierte Kohlendioxid stärker kritisiert wird als der derzeit etwa genau so große Einfluss der Luftfahrt. Doch das hat einen sachlichen Grund. Gleich mehrere Experten konstatierten während der DCD, dass in der Luftfahrt heute technische Effizienzpotentiale schon stark ausgeschöpft wären, in der IT aber trotz aller erstaunlichen relativen Leistungssteigerungen längst nicht.
Tenor: Hier ist noch jede Menge Luft nach oben: bei der Auslastung der Server, bei Energie-effizienten Algorithmen, der Mehrfachspeicherung von Daten, bei Verlagerungen der Rechenlast dahin, wo gerade regenerative Energie billig verfügbar ist. Der längere Einsatz von Geräten, höhere Recycling-Quoten und Materialalternativen zu giftigen oder seltenen Stoffen sind weitere notorische Themen, die bislang auf eine durchgreifende Lösung warten.
Wie kann Restwärmenutzung funktionieren?
Auch die Restwärmenutzung gehört in diesen Themenkomplex. Damit befasste sich ein spezielles Panel. Gerade hier gibt es allerdings nicht nur technische, sondern dank bislang schlechter oder fehlender Regulierung beispielsweise hinsichtlich der Verteilung der Anschlusskosten und der steuerlichen Bewertung von Abwärme auch rechtlich-wirtschaftliche Probleme.
„Wir bieten etwas an, was so keiner brauchen kann“, konstatierte Marc Anton, der auf der DCD-Veranstaltung das ISO-Standard-Komitee aus Großbritannien repräsentiert hat. Die Abwärme von Rechenzentren sei nicht warm genug für Heizzwecke. Das erfordere zusätzliche technische Ideen.
Beispielsweise wurde ein Demoprojekt in Großbritannien realisiert, bei dem Datacenter-Abwärme Brennstoffzellen zusätzlich erwärmt, bis die Gesamt-Abwärme 72 Grad Celsius im Sommer und 115 Grad Celsius im Winter erreicht. Das langt für die dortige Fernwärmeanlage für ein ganzes Quartier.
Optimierung und Effizienz gehen weit über PUE hinaus
Dass PUE (Power Usage Effectiveness) kein besonders guter Maßstab für Energie-Effizienz ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Die jüngsten Vorschläge des Umweltbundesamtes gehen in Richtung leistungsorientierter Maßzahlen (Energie pro Leistungseinheit.)
Auch die derzeitige Fokussierung auf die Server-Betriebstemperatur sei nicht sinnvoll, erklärte Jon Summers, leitender Wissenschaftler beim schwedischen Forschungszentrum RISE SICS. „Es gibt einen bestimmten Betriebspunkt, an dem die Energie-Effizienz am besten ist.“
Er bildet den optimalen Kompromiss zwischen Lüfter- und Rechenleistung. Lasse man die Rechner über diesen Punkt hinaus erwärmen, werde zwar nicht deren Arbeitsfähigkeit gefährdet, aber das Rechnen verbrauche mehr Energie als man beim Kühlen einspart.
Fazit der Autorin
Nachhaltigkeit über die PUE hinaus kommt dank des Drucks der Kunden und Finanzinvestoren jetzt als drängendes Thema in der Datacenter-Branche an. Es bedarf einer Mischung aus Best Practises, kluger Regulierung, Zertifizierung und neuer Technologie, um hier baldmöglichst Erfolge zu erzielen.
Auf die versprochenen Einsparungseffekte durch IT in anderen Sektoren zu warten reicht jedenfalls nicht. Zudem muss sich erst zeigen, ob und inwieweit Rebound-Effekte sie neutralisieren.
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