Das EU-Projekt Blockwaste Ein Blockchain-Technologie Modell für konsequentes Recycling

Quelle: Pressemitteilung Lars Kruse* |

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Kann eine echte Kreislaufwirtschaft ins Abfallmanagement integriert werden? Im EU-Projekt „Blockwaste“ bearbeiten Forschungsteams von fünf europäischen Hochschulen diese Frage, darunter die Fachhochschule Bielefeld. Eine Schlüsselrolle bei der Suche nach Antworten spielt die Blockchain-Technologie.

Ein Forscherteam macht sich Gedanken, wie sich mithilfe von Blockchain-Verfahren die Kreislaufwirtschaft ankurbeln lässt.
Ein Forscherteam macht sich Gedanken, wie sich mithilfe von Blockchain-Verfahren die Kreislaufwirtschaft ankurbeln lässt.
(Bild: gemeinfrei: RitaE auf Pixabay / Pixabay)

Was wäre, wenn die sorgsam in der gelben Tonne gesammelten Joghurtbecher im Gehäuse eines Notebooks verbaut werden könnten? Und wenn das Notebook dann irgendwann das Zeitliche segnet, würde man den Kunststoff ohne nennenswerten Materialverlust für einen Anorak verwenden, aus dessen Bestandteilen dann irgendwann wieder Joghurtbecher hergestellt werden? Das wäre doch ein wunderbares Szenario – Kreislaufwirtschaft pur.

Die meisten Menschen wissen nicht, was mit dem Müll passiert

Die Realität jedoch sieht anders aus. Rainer Lenz, Professor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Betriebliche Außenwirtschaft an der Fachhochschule (FH) Bielefeld, dazu: „Ein Haushalt, der seine Mülltonne gestern Abend herausgestellt hat, weiß nichts darüber, was mit seinem Müll passiert. Für die meisten Müllproduzenten bleibt völlig im Unklaren, ob das, was sie mühevoll getrennt haben, tatsächlich auf möglichst werterhaltende Weise wiederverwendet wird, geradewegs in eine Verbrennungsanlage wandert oder auf einer Mülldeponie in Übersee landet. Auch die Verantwortlichen der öffentlichen Umweltbetriebe haben in der Regel keine Informationen darüber, was mit den Siedlungsabfällen passiert“, so Lenz weiter. „Das haben unsere Recherchen ergeben.“

Lenz leitet das EU-Forschungsprojekt Blockwaste an der FH Bielefeld. Gemeinsam mit Professor Andreas Uphaus, Bernd Kleinheyer und Leonie Holste untersucht er, wie Abfall mit Unterstützung der Blockchain-Technologie der Weiterverwendung zugeführt und dieser Prozess allen Beteiligten transparent gemacht werden kann.

Der Grundgedanke hierbei: Indem jede Charge Abfall in der Blockchain digital abgebildet und gespeichert wird, kann der Lebenszyklus von Abfallprodukten nachverfolgt werden. Dann erst ließe sich ein zweifelhaftes oder gar rechtswidriges Handeln unterbinden. Zudem könnte bei Produzenten, Händlern und Konsumenten ein stärkeres Bewusstsein für Abfallvermeidung und Recycling geweckt werden.

So funktioniert eine Blockchain

Eine Blockchain ist eine Kette von digitalen Datenblöcken. Block für Block wächst die „Kette“ in dem Zuge, wie sich das erfasste Produkt von Transaktion zu Transaktion verändert. In jedem Block sind verschiedene Daten zusammengefasst.

Bei einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft würde die Datenerhebung nicht erst beim Abfall beginnen, sondern schon viel früher im Produktionsprozess. Verdeckte Kosten und Umweltbelastungen könnten so transparent gemacht werden, weil jeder Materialfluss digital abgebildet werden würde.

Für jedes dieser „Pakete“ würde ein digitaler Zwilling, ein so genannter Token, erstellt und abgespeichert werden – idealerweise passiert dies automatisiert. Verschiedene Informationen wie Art, Gewicht, Transportweg und Zeit werden dann in einem Datenblock zusammengefasst.

Ein sicheres, transparentes, unveränderbares Verzeichnis

Neben der Erfassung von zahllosen Informationen gibt es einen weiteren zentralen Vorteil der Blockchain: Die Datenketten sind nicht auf einem zentralen Server hinterlegt, sondern verteilt auf eine Vielzahl dezentral vernetzter Rechner der Mitwirkenden einer Blockchain. Auf jedem dieser Knoten ist durch Echtzeitaktualisierung immer dieselbe Datenkette mit denselben komplexen Informationen vorhanden.

Wer einen bereits eingegebenen Datenblock ändern wollte, würde scheitern. Manipulationen sind ausgeschlossen, das System ist sicher, transparent und unveränderbar. Blockchain-Anwendungen werden deshalb beispielsweise für die Finanzwelt, die Energiebranche und die Logistikindustrie entwickelt – und für die Abfallwirtschaft.

Das Projekt Blockwaste läuft seit Oktober 2020 über zwei Jahre. Finanziell gefördert wird es von der EU mit einem Volumen von 287.000 Euro. Neben dem vierköpfigen Team der FH Bielefeld sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der National Technical University of Athens (Griechenland), der Associación Empresarial de Investigación Centro Tecnológico del Marmol, Piedra y Materiales (Spanien), der Saxion University of Applied Sciences (Niederlande) und der Tallinn University of Technology (Estland) beteiligt.

Motivation für Abfallwirtschaftsunternehmen

Die Forschungsteams wollen Abfallwirtschaftsbetrieben Möglichkeiten aufzeigen, wie die Blockchain-Technologie helfen kann, ein nachhaltiges Recycling zu entwickeln. Hierfür haben die Forschungsteams in ihren jeweiligen Ländern bereits den Ist-Zustand der Digitalisierung in den kommunalen Müllbetrieben ermittelt.

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Zurzeit entwickeln die Forscher ein Trainings-Tool für die Unternehmen, das Blockchain-Anwendungen im Bereich des Abfall-Managements von Plastikmüll simuliert. „Wir wollen die Unternehmen auf diese Weise ermuntern, eine Blockchain-Anwendung auf der Grundlage ihrer existierenden Daten auszuprobieren“, definiert Kleinheyer das Ziel. „Die eigene EDV ist für viele kommunale Betriebe aber ein Schlüsselinstrument. Sie umzustellen, weckt Ängste und viele Bedenken. Dazu braucht es Mut, und den wollen wir fördern!“

Nachwuchs für das Management einer Kreislaufwirtschaft

Außerdem fokussieren sich die europäischen Teams auf die Ausbildung an den Hochschulen. Sie haben bereits erhoben, ob und inwieweit die Blockchain-Technologie an den deutschen, griechischen, spanischen, niederländischen und estnischen Hochschulen gelehrt wird. Professor Lenz möchte nun aus der Arbeit an dem Trainings-Tool für die Unternehmen auch ein Werkzeug für seine Vorlesungen entwickeln, mit dem den Studierenden gezeigt werden kann, wie Prozesse bisher und wie sie, beeinflusst von der Blockchain, künftig ablaufen könnten. Darüber hinaus werden interdisziplinäre Curricula und ein Handbuch zum digitalisierten Abfallmanagement konzipiert.

„Am Anfang werden es erst einmal einzelne Module sein, die bei uns in Studiengänge wie Bauingenieurswesen oder Angewandte Informatik integriert werden könnten. Aber am Ende könnte auch die Entwicklung eines dezidierten Studiengangs Digitales Abfallmanagement stehen“, so Professor Uphaus zur Perspektive. „Künftige Absolventen, die ein Know-how mitbringen, das wir mit Blockwaste gerade entwickeln, werden attraktive Arbeitsplätze in der Wirtschaft finden, weil das Thema Nachhaltigkeit immer wichtiger wird“, ergänzt Kleinheyer.

Startpunkt der Datenerfassung bei den privaten Haushalten

Die Technik könnte heute beim Abfall-Management privater Haushalte eingesetzt werden und sich hier in einem ersten Schritt auf das Müllgewicht konzentrieren: Dafür wäre in jeder Mülltonne ein ID-Chip installiert. Beim Kippen der Mülltonne würde der ID-Chip gelesen und der Müll gewogen.

Diese Daten könnten in der Blockchain festgehalten und für den Haushalt einsehbar sein. Konkret ließe sich so jedem Haushalt zuordnen, wie viel Müll in welchem Zeitraum produziert wurde. [Anm. der Red. Über ein Datenschutzkonzept hat man sich offenbar noch wenig Gedanken gemacht]

Neben der reinen Abfalldokumentation bietet der Blockchain-Einsatz einen weiteren Vorteil: Denkbar wäre ein Belohnungssystem. Lenz: „Wer wenig Müll produziert hat oder diesen akkurat trennt, bekommt Gutschriften, mit denen man zum Beispiel unentgeltlich Straßenbahn fahren, ins Schwimmbad gehen oder Zahlungen vornehmen kann.“ Auch die einmal jährlich anfallende Abfallgebühr, die sich in Deutschland oft nach der Zahl der Personen pro Haushalt richtet, könnte durch ein „Pay as you trash“-System ersetzt werden.

Wettbewerbe zwischen Stadtteilen wären ebenfalls denkbar, um Motivation zu schaffen, das Abfallaufkommen zu reduzieren. „Man muss den Menschen einen handfesten Vorteil bieten, dann wird sich auch eine nachhaltige Veränderung einstellen“, so die Überzeugung von Leonie Holste, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt. „Man sagt ja oft, ‚Ich kaufe jetzt die Zucchini ohne die Plastiktüte!‘ Aber abends am Tablet bestellt man dann bei Amazon irgendetwas, das sechsfach verpackt ist und aus China geschifft kommt. Dieses Konsumentenverhalten hat mit Nachhaltigkeit wenig zu tun.“

Verschlüsselte Datenübermittlung und Smart Contracts

Wichtig bei alledem, um Akzeptanz der Menschen zu gewinnen: „Wir wollen niemanden kontrollieren, und das ist auch nicht nötig, damit eine Blockchain funktioniert, weil die Daten nur verschlüsselt übermittelt werden“, erläutert Lenz. „Man müsste dann lediglich so genannte Smart Contracts implementieren. Das sind Programme, die automatisiert ablaufen und beispielsweise festlegen, welche Gutschrift auf welche Transaktion erfolgt.“

Das Einführen eines entsprechenden Anreizsystems würde langfristig auch bedeuten, dass moderne Technologien wie das Internet of Things (IoT), Künstliche Intelligenz (KI) und die Big-Data-Analyse zusammenwirken. Ein Sprung von Recycling 2.0 auf Recycling 4.0 wäre möglich, so Lenz: „Durch die Vernetzung dieser Technologien könnte sich unser Umgang mit Abfall nachhaltig verändern und unseren CO2-Fußabdruck zumindest in diesem Segment verringern“, so Lenz.

Noch allerdings steht die Entwicklung ganz am Anfang. Kleinheyer: „Um Abfall sinnvoll verwerten zu können, muss man ihn zunächst einmal genau kennen! Die Daten des Mülls und die Transaktionen, die er durchläuft, müssen exakt erhoben, gespeichert und geteilt werden. Die künftige Herausforderung besteht darin, Player zu finden, die vormachen, wie es geht und Kommunikations- und Entscheidungsprozesse so zu gestalten, dass für alle eine Win-win-Situation entsteht.“

* Lars Kruse arbeitet beim Ressort Hochschulkommunikation der Fachhochschule Bielefeld.

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