Ein Quantensprung nach dem anderen Die jüngsten Chip-Innovationen für ein praxistaugliches Quantencomputing
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Seit sich Quantencomputer stets in neuen praktischen Nutzungsszenarien bewähren, hat das Rennen um bezahlbare Quantenchips merklich an Intensität gewonnen. In dieser Disziplin geben auch schon einmal kleine Startups das Tempo vor.

Quantencomputing sei nach dem heutigen Stand noch Jahre oder sogar Jahrzehnte davon entfernt, für einen breiteren Kreis von Nutzern kommerziell zugänglich zu sein – das ist zumindest momentan der Konsens. Die vorherrschende Meinung hält aber Quantencomputing-Startups nicht davon ab, auf Biegen und Brechen, neue Ideen umzusetzen. Dementsprechend entwickelt sich die Quantentechnik von einem Quantensprung zum nächsten - auch im übertragenen Sinne.
Mehr Kohärenz
Forscher der University of New South Wales haben kürzlich (schon wieder) einen bahnbrechenden Durchbruch erzielen können: Sie haben die Kohärenzzeit von Spin-Qubits, den grundlegenden Informationseinheiten von elektronenbasierten Quantenchips, verhundertfacht. Diesem Durchbruch waren die Wissenschaftler schon mehrere Jahrzehnte hinterher.
Die Doktorandin Amanda Seedhouse, die zu der Forschung beigetragen hat, erläutert: „Eine längere Kohärenzzeit bedeutet, dass mehr Zeit zur Verfügung steht, in der die Quanteninformation gespeichert wird – und das ist genau das, was man braucht, wenn man Quantenoperationen durchführt."
Die Kohärenzzeit bestimmt somit, wie lange man alle Operationen in einem Algorithmus oder einer Sequenz durchführen kann, bevor die gesamte Information in den Qubits verloren geht. Je mehr Spins man in Bewegung halten kann, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Informationen während der Berechnungen erhalten bleiben. Wenn die Spin-Qubits aufhören, sich zu drehen, bricht die Berechnung zusammen; die zuvor gespeicherten Werte gehen unwiederbringlich verloren.
Bahnbrechendes Schlag auf Schlag
Ende des vergangenen Jahres hat dasselbe Forschungsteam an der University of New South Wales eine andere technische Herausforderung überwunden, an der andere ebenfalls jahrzehntelang scheiterten. Das Team hat es geschafft, Millionen von Qubits zu manipulieren, ohne übermäßig viel Wärme und Interferenzen zu erzeugen.
Die Lösung hat sich als trivial erwiesen: Anstatt Tausende von winzigen Antennen zur Steuerung von Millionen von Elektronen mit magnetischen Wellen zu konstruieren, hat das Forschungsteam herausbekommen, wie man mit nur einer einzigen Antenne alle Qubits auf dem Chip steuern kann. Die Forscher haben hierzu einen Kristall, den so genannten dielektrischen Resonator, eingesetzt. Mal eben auf einen Schlag konnte das junge Team das Problem des Platzmangels, der Hitze und des Rauschens lösen.
Kontrolle ist gut. Präzise Kontrolle ist noch besser
Die Fähigkeit, Millionen von Qubits mit nur einer einzigen Antenne zu kontrollieren, ist so gesehen ein Quantensprung. Doch in einem lebensechten funktionstüchtigen Quantencomputer muss es gleichzeitig auch noch möglich sein, jeden der Millionen von Qubits einzeln zu manipulieren.
Wenn alle Spin-Qubits mit nahezu der gleichen Frequenz rotieren, haben sie auch die gleichen Werte. Um mit Qubits zu rechnen, muss man sie einzeln ansteuern.
Die leitende Forscherin Ingvild Hansen führt aus: „Zunächst haben wir theoretisch nachgewiesen, dass wir die Kohärenzzeit verbessern können, indem wir die Qubits kontinuierlich rotieren lassen. Wenn wir Qubits kontinuierlich antreiben, können sie Informationen länger speichern. Wir haben gezeigt, dass solche 'aufgedrehten' Qubits Kohärenzzeiten von mehr als 230 Mikrosekunden - 230 Millionstel einer Sekunde - aufweisen“.
Zuverlässige Protokolle
Nachdem das Team erst einmal nachgewiesen hatte, dass sich die Kohärenzzeiten solcher pulsierenden Qubits verlängern lassen, bestand die nächste Herausforderung darin, das Protokoll robuster zu machen und zu belegen, dass die global kontrollierten Elektronen auch wirklich einzeln gesteuert werden können. So entstand das Qubit-Protokoll „Smart“ (kurz für „sinusartig moduliert, stets drehend und individualisiert“, im O-Ton: „Sinusoidally Modulated, Always Rotating, and Tailored“).
Anstatt die Qubits im Kreis rotieren zu lassen, haben die Forscher festgestellt, dass man sie doch besser hin und her schwingen kann. Wenn dann nämlich ein elektrisches Feld an ein einzelnes Qubit angelegt wird, um es aus der Resonanz zu stoßen, lässt es sich in einen anderen Zustand versetzen und wird dann trotzdem immer noch im gleichen Rhythmus wie seine Nachbarn pulsieren.
Die Forscherin Amanda Seedhouse vergleicht den Ansatz mit zwei Kindern, die sich auf einem Spielplatz synchron auf zwei Schaukeln schwingen. „Wenn wir einem [der Kinder] einen Schubs geben, können wir die beiden Schaukeln dazu bringen, das Ende ihrer jeweiligen Bögen gleichzeitig an entgegengesetzten Enden zu erreichen, so dass eine der Schaukeln den Wert Null annehmen kann, wenn die andere jetzt eine Eins ist.“
Elegant und einfach
So lässt sich jedes Qubit individuell durch elektrische Impulse steuern, während es magnetisch global kontrolliert wird. Gleichzeitig verlängert sich die Kohärenzzeit, was komplexe Quantenberechnungen möglich macht.
„Wir haben einen einfachen und eleganten Weg aufgezeigt, um alle Qubits gleichzeitig zu kontrollieren, der zudem eine bessere Leistung ermöglicht“, freut sich Dr. Henry Yang, einer der leitenden Forscher des Teams.
Die Wissenschaftler forschen unter der Leitung von Professor Andrew Jurak. Proessor Jurak ist gleichzeitig CEO und Gründer von Diraq, eines Spin-offs der University of New South Wales. Das Unternehmen hat sich der Aufgabe verschrieben, Quantenberechnungen in guter alter Siliziumtechnik zu ermöglichen.
Qubits in Silizium: Diraq
Diraq hantiert mit Spins in Silizium-Quantenpunkten, die für Qubits herhalten. Das in Sydney ansässige Unternehmen ging aus einer zwei Jahrzehnte langen Forschung auf dem Gebiet des Quantencomputing unter Verwendung von Elektronenspins in CMOS-Quantenpunkten hervor.
Die Qubits von Diraq sind kompatibel mit althergebrachten CMOS-Prozessen. So soll es möglich sein, Milliarden von Qubits auf einem einzigen Chip unterzubringen. Für seine siliziumbasierten Qubits kann Diraq auf die Infrastruktur konventioneller Halbleitertechnik und auf ein ausgereiftes Ökosystem von Lösungen zurückgreifen.
Im Gegensatz zu supraleitenden und Ionenfallen-Qubits, die bereits in der Cloud im as-a-Service-Modell ihren Dienst verrichten, sind brauchbare kommerzielle Systeme auf der Basis siliziumbasierter Qubits noch Mangelware. Dafür lassen sie sich viel einfacher skalieren. Das sei eben wichtig. Denn ein brauchbarer Quantencomputer bräuchte mindestens eine Milliarde Qubits.
Die Stoffe, aus denen die Qubits sind
Qubits gibt es wie Sand am Meer. IBM, Google und Rigetti „basteln“ ihre Qubits aus winzigen Drähten, die bei sehr niedrigen Temperaturen – nahe dem absoluten Null – supraleitende Eigenschaften aufweisen. Quantinuum und Ionq erzeugen ihre Qubits aus Ytterbium-Atomen, indem sie jeweils einen äußeren Valenzelektron entfernen, um nur ein Ion übrig zu lassen.
Atom Computing stellt Spin-Qubits für neutrale Atome mit einem Strontium-Isotop her. Dann gibt es Psiquantum mit seinen photonischen Qubits.
Verschränkt statt kohärent: photonische Qubits von PsiQuantum
Während Diraq eine Milliarde Qubits anstrebt, will sich Psiquantum im ersten Schritt mit einer Million fehlertoleranter photonischer Qubits zufriedengeben. Ähnlich wie Diraq greift auch Psiquantum auf die Fertigungsexpertise einer konventionellen Halbleiterschmiede zurück.
Psiquantum wählte Globalfoundries, einer der drei größten Silizium-Chip-Schmieden der Welt mit eigener Expertise in Silizium-Photonik, als strategischen Partner. Die beiden Unternehmen haben ein einzigartiges Herstellungsverfahren für photonische Quantenchips entwickelt, in dem 300-Millimeter-Wafer mit Tausenden von Einzelphotonenquellen, Einzelphotonendetektoren, Interferometern, Splittern und Phasenschiebern entstehen. In seiner Fabrik in Dresden fertigt GlobalFoundries unter anderem auch fortschrittliche elektronische CMOS-Steuerchips mit je rund 750 Millionen Transistoren.
Photonische Qubits haben aus Sicht der Quanten-Ingenieure gegenüber „materiellen“ Qubits mehrere Vorteile. Photonische Qubits sind mit Glasfasernetzen kompatibel; Photonen lassen sich über bestehende Glasfasertechnik übertragen. Elektromagnetische Interferenzen können Photonen nichts anhaben.
Photonen lassen sich sogar von Wärme nicht beirren; die meisten photonischen Komponenten arbeiten bei Raumtemperatur. Die supraleitenden Quantenphotonen-Detektoren von Psiquantum müssen zwar gekühlt werden, aber sie sind bei einer wesentlich moderatereren Temperatur als supraleitende Qubits funktionsfähig (die ideale Betriebstemperatur ist nämlich rund 100-mal wärmer).
Die Sensibelchen
Die Verwendung von Photonen als Qubits ist eine heikle Angelegenheit. Den Quantenzustand eines einzelnen Photons unter Billionen von Photonen mit unterschiedlichen Frequenzen und Energien zu bestimmen, stellt eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar.
Im Übrigen gibt es zwei Arten von photonischen Qubits: gequetschtes Licht (squeezed light) und einzelne Photonen (single photons). Psiquantum setzt auf Einzelphotonen.
Für den Berechnungsablauf werden Einzelphotonen erzeugt, verschränkt und gemultiplext. Psiquantum verwendet die Dual-Rail-Verschränkung/Codierung. Die verschränkten Photonen stellen die Qubits dar; sie werden miteinander in die so genannten Ressourcenzustände gemultiplext. Fusionsmessungen fungieren dann als Gates – mehr will Psiquantum nicht verraten.
Der Einsatz des so genannten Fusionsnetzwerks soll jedenfalls universelles fehlerkorrigiertes Quantencomputing ermöglichen (Photonic Fusion-based Quantum Computing). Die Qubits selbst müssen möglichst schnell vernichtet werden. Das Problem mit der Kohärenz stellt sich also nicht.
Harte Nüsse
Dafür stellen sich andere Probleme, die nicht weniger schwer zu knacken sind. Da eine Million Qubits auf einen einzigen Chip nicht passen werden, müssen für jeden Quantencomputer mehrere Quantenchips her. Diese Chips werden über optische Fasern miteinander verbunden und durch optische Hochleistungs-Switches miteinander kommunizieren, um die Teleportation und Verschränkung einzelner Photonen zwischen den Chips zu ermöglichen.
Psiquantum soll gemeinsam mit Globalfoundries nahezu alle Herausforderungen auf dem Weg zu einem Quantencomputer überwunden haben. Auf der Zu-Erledigen-Liste gebe es nur noch „den optischen Schalter“, enthüllt Dr. Shadbolt. Diese Vorrichtung müsse erst noch erfunden werden. Denn sie sei ja zwingend erforderlich, um Teleportation und Quantenverschränkung von Einzelphotonen zwischen Chips zu ermöglichen und so die Anzahl von Qubits zu skalieren.
In der Zwischenzeit feiert IBM die Fertigstellung einer Quantenverarbeitungseinheit (QPU) mit 433 Qubits als wegweisend. Die neueste QPU mit dem Codenamen „Osprey“ verfügt über 3,4-mal mehr Qubits als das „Eagle“-Modell von 2021 mit 127 Qubits. Im kommenden Jahr 2023 sollen es dreimal mehr werden.
*Das Autorenduo Anna Kobylinska und Filipe Pereia Martins arbeitet für McKinley Denali Inc. (USA).
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