Paul Fay vom Energiereferat der Stadt Frankfurt am Main zum Pilotprojekt Westville „Das Heizen mit Datacenter-Abwärme ist auch hierzulande keine Utopie mehr“
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Rechenzentrumsabwärme produktiv zum Heizen ganzer Wohnsiedlungen nutzen – dieses Megathema aus Skandinavien wird mit dem Pilotprojekt „Westville“ jetzt auch in Frankfurt am Main Wirklichkeit. Harald Lutz sprach für DataCenter-Insider mit Paul Fay, dem stellvertretenden Leiter des städtischen Energiereferats über die Strahlungskraft dieses Pilotprojekts und wie man alles noch viel besser machen könnte.

Wie bewertet das Frankfurter Energiereferat das Pilotprojekt Westville der drei beteiligten Partner: Instone als Projektentwickler, das lokale Energieunternehmen Mainova und last, but not least Telelehouse Deutschland / KDDI, das die Abwärme aus seinem Rechenzentrum in der Kleyerstraße zur Verfügung stellt?
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Datacenter-Abwärmenutzung
Das Leuchtturmprojekt Westville soll Frankfurter Energiebedarf senken
Paul Fay: Westville ist ein wirklich großartiges und wichtiges Projekt mit Leuchtturmcharakter. Es zeigt eindrucksvoll auf, dass die Nutzung von Rechenzentrumsabwärme für das Beheizen von Wohnräumen auch in Deutschland möglich ist und nicht nur in Schweden. Das Neubaugebiet an der Kleyerstraße kann aber nur der Wegbereiter für Folgeprojekte sein, die auch unter anderen Rahmenbedingungen funktionieren müssen.
So günstig wie bei Westville wird es im Normalfall nicht sein. Wir haben hier ein Neubaugebiet, und es werden Flächenheizungen eingebaut, die auf einem niedrigen Temperaturniveau arbeiten. Diese Heizungstypen könnten im Prinzip sogar direkt an die Abwärmeleitungen angeschlossen werden, sofern die Temperaturen es hergeben.
Können Sie diesen Punkt noch etwas näher erläutern?
Paul Fay: Nach wie vor sind die Temperaturen der ausgekoppelten Abwärme ein zentrales Problem. Bei umluftgekühlten Rechenzentren bewegen sie sich im Normalfall in einem Bereich von 20 bis 35 Grad. Mit 35 Grad könnte man bei einer Flächenheizung schon sehr viel anfangen.
Bei Westville geht man allerdings noch den Weg, die Abwärme an eine zentrale Heizstation zu liefern und dort mit Wärmepumpen auf ein höheres Temperaturniveau von 70 Grad aufzuheizen. Diese Wärme wird dann in dem Wohngebiet verteilt. Das kostet zum einen viel Geld, und zum anderen wird dabei auch Strom verbraucht – im besten Falle aus regenerativen Energien.
Besser wäre es daher, wenn die Rechner bei Telehouse Deutschland / KDDI und anderswo direkt mit Wasser gekühlt würden. Damit könnte 60 Grad warmes Wasser ausgekoppelt und direkt in das Wohngebiet „hineingeschoben“ werden. Damit wird dann auch die Wärmepumpe überflüssig.
Dennoch sprechen Sie von einem Leuchtturmprojekt für die Stadt Frankfurt am Main, wenn nicht gar für ganz Deutschland?
Paul Fay: Auf jeden Fall. Das Projekt Westville ist aber unter ökonomischen Gesichtspunkten optimiert. 60 Prozent der benötigten Energie stammen aus Rechenzentrumsabwärme und 40 Prozent werden noch einmal als Fernwärme eingespeist, wenn die Heizspitze erreicht ist.
Bei 100 Prozent Abwärme hätte man in dieser Konstellation mehr Wärmepumpen benötigt. Das wäre natürlich teurer gekommen. Die Betreiber wollen zum jetzigen Zeitpunkt die zukünftigen Mieter auch nicht mit Energiekosten überlasten.
Vor allem die Partei, die in die Anlage investiert und die Abwärme nutzbar macht, muss sich derzeit am Markt noch hart gegen fossile Energieträger wie Gas behaupten. Sie dürfen nicht vergessen: Auf dem derzeitigen Niveau der CO2-Steuer sind die „Fossilen“ zurzeit noch nahezu konkurrenzlos billig. Neben einem aufgeschlossenen Energieserviceunternehmen wie der Mainova gilt es daher für Folgeprojekte auch Investoren zu finden, die einen entsprechenden Weitblick haben.
Bei Westville lassen sich der Projektentwickler Instone und die dahinter stehenden Investoren bewusst darauf ein, dass das Heizen mit Abwärme zurzeit vielleicht noch ein wenig teurer ist als eine fossile Variante. Sie wissen aber genau, dass die CO2-Abgabe von heute 25 Euro pro die Tonne perspektivisch auf mindestens 65 Euro ansteigen wird – und vielleicht noch höher, wenn absehbar wird, dass wir die derzeitigen selbst gesteckten Klimaziele nicht erreichen werden.
Sie haben auch die Mieter angesprochen. Wer bezahlt für die Netzinfrastrukturkosten und das Aufheizen?
Paul Fay: Im Fernwärmegeschäft immer mehrere: Der Bauherr zahlt im besten Falle über einen Baukostenzuschuss die Investition in das Leitungsnetz. Damit bleiben für die Mieter die laufenden Kosten. Darunter fallen zum einen die Energiekosten, die nötig sind, um die Wärme in den Häusern bereitzustellen, und zum andren die Betriebskosten für die technischen Anlagen wie den Strom für die Wärmepumpe, die Wasserumlaufpumpe etc., die Arbeitsstunden, die eine Mainova hineinstecken muss, damit die Heizzentrale liefern kann, usw.
Aber auch die Transportleitungen und die Anlage, die dahinter steht, müssen finanziert werden. Sei es wie im Fall von Westville eine Heizzentrale, die diese 70 Grad liefert, eventuell aber auch nur eine Pumpstation und ein Wärmetauscher, die 30 Grad in das Netz schieben. In diesem Fall entsteht auf Kundenseite eine andere technische Anlage. Diese Netzinfrastrukturkosten liegen bei dem Energieserviceunternehmen, das die Wärme verteilt. Im Falle Westville kommt die Mainova für die Leitungskosten auf und holt sich später einen Teil davon zurück, indem sie von ihren Kunden einen Anschlusskostenbeitrag verlangt.
Dennoch greifen auch bei Westville sicher kostensenkende Förderprogramme, oder?
Paul Fay: Wärmenetze dieser Art können in Deutschland über die Energieförderung des Bundesamts für Ausfuhrkontrolle (BAFA) bezuschusst werden. Das Programm dafür läuft unter dem Titel „Wärmenetze 4.0“. Es stellt allerdings hohe Anforderungen, zum Beispiel die Vorgabe, dass das Wärmenetz überwiegend aus Abwärme oder erneuerbaren Energien gespeist wird.
Immer wieder wird das Argument bemüht, dass Abwärmeprojekte dieser Art nur bei Neubauprojekten kostendeckend durchgeführt werden können. Wie sieht es bei den Bestandsbauten aus, die ja den überwiegenden Anteil der Wohnbebauung stellen?
Paul Fay: Wir sind an einer ganzen Reihe von Projekten dran, bei denen wir gemeinsam mit Partnern versuchen, diese Konzepte auch im Bestand umzusetzen. Das müssen wir auch. In Frankfurt am Main gibt es drei integrierte Stadtentwicklungskonzepte, die wir auch energetisch betreuen. In zwei Gebieten spielt die Abwärmenutzung aus den Rechenzentren eine sehr große Rolle. Da müssen wir noch im Detail sehen, was für ein sehr großes Quartier möglich und sinnvoll ist.
Beim Projekt Westville besteht natürlich eine wunderbare Konstellation: Die Partner sind eng beieinander und sie bauen neu. Diese Pluspunkte gibt es im Bestand nicht. Es werden normale Heizkörper verwendet, und damit muss man irgendwie klarkommen.
Eine Idee für Hauseigentümer oder Wohnungsbaugesellschaften, die ohne fossile Energieträger auskommen wollen, ist in einem Ballungsraum wie Frankfurt beispielsweise die Erdwärme. Daraus ergeben sich unmittelbar Fragen wie: Kann die vorhandene Erdwärme überhaupt genutzt werden oder ist es nicht einfacher, sich an ein in der Nähe liegendes Leitungsnetz anzuschließen, wo lauwarmes Wasser mit 30 Grad durchfließt? Und: Kann man sich daran direkt anschließen, oder wird noch eine Wärmepumpe benötigt?
Noch einmal zurück zur Aufheizproblematik. Immer wieder wird kommuniziert, bei Neubauten werde 65 bis 70 Grad warmes Wasser benötigt, bei Bestandsbauten 90 Grad. Wie steht das Frankfurter Energiereferat dazu?
Paul Fay: Ich denke nicht, dass wir im Bestand überall die 90 Grad brauchen. Mit einer Temperatur von 60 bis 70 Grad kommt man schon ganz gut aus – und die braucht man auch nur am kältesten Tag. Wenn man außerdem bereit ist, sich von einigen Dogmen beim Heizen zu verabschieden, wird es auch möglich, mit den Temperaturen noch weiter herunterzugehen.
Nehmen wir beispielsweise das Thema Nachtabsenkung. Zurzeit führt das noch immer dazu, dass die Gebäude nachts abkühlen und morgens eine Aufheizspitze brauchen. Unter dem Aspekt, dass Abwärme genutzt wird, braucht man so etwas nicht mehr: Das ganze Gebäude kann durchgeheizt werden. Letzten Endes ist die Abwärme aus den Rechenzentren in Deutschland ja kostenlos.
In Skandinavien gibt es sogar eine gewisse Vergütung für die Abwärme. Dort stellen sich die Rahme¬bedingungen aber auch anders, die Strompreise sind geringer usw. Aber auch bei uns haben die Rechenzentrumsbetreiber einen Mehrwert, wenn sie die Abwärme kostenfrei abgeben. In diesem Fall müssen sie sie nicht mehr auf eigene Kosten herunterkühlen, bevor sie in die Umgebung abgelassen wird. Die Betreiber sparen auf jeden Fall die Strommenge, die sie sonst in eine Kältemaschine stecken müssen.
Wie lautet ihr persönliches Resümee?
Paul Fay: Ein Neubaugebiet in dieser Größenordnung mit 1.300 Wohnungen, die zum größten Teil von Rechenzentrumsabwärme versorgt werden, gab es vor Westville in Deutschland noch nicht. Diesen Leuchtturm haben wir gebraucht. Das kann aber für uns nur der Start für weitere Projekte sein, insbesondere im Bestand.
Abwärmekonzepte dieser Art stehen aktuell noch in harter Konkurrenz zu fossilen Energieträgern, und in Zukunft werden sie sich immer mehr gegen Lösungen mit erneuerbaren Energien durchsetzen müssen, die die Hausbesitzer und Wohnungsbaugesellschaften selbst austüfteln.
Rechenzentren könnten in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Wärmewende leisten, wenn sie bestimmte technische Voraussetzungen erfüllen und bei der Standortplanung die Belange der Städte berücksichtigen. Wir haben daher eine freiwillige Selbstverpflichtung mit sieben zentralen Punkten entworfen (siehe: Kasten).
Diese – auch ein klein wenig provokante – Checkliste legen wir immer mal wieder gerne als Folie auf, wenn wir mit Branchenvertretern diskutieren. So könnte es doch eigentlich aussehen, oder?
* * Harald Lutz ist Fachjournalist und Technikredakteur in Frankfurt am Main.
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