Integration zwischen Quantencomputing und Hochleistungsrechnen LRZ eröffnet Quantum Integration Center
Bislang beschäftigte sich vor allem die Wissenschaft mit Quantencomputing. Nun eröffnet im Leibniz-Rechenzentrum in Garching das „Quantum Integration Center“ (QIC). Es soll Hochleistungsrechnen und Quantencomputing integrieren. Ziel ist, möglichst bald konkrete Probleme aus Wirtschaft und Industrie bearbeiten zu können.
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Mit der Eröffnung des QIC (Quantum Integration Center) streben Deutschland und Europa in Sachen Quantencomputing voran. „Was wir hier machen, tun weltweit erst sehr wenige, wir sind ganz vorn dabei“, betonte Professor Dieter Kranzlmüller, Leiter des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ) anlässlich einer digitalen Presseveranstaltung am Tag nach der offiziellen Einweihung des QIC.
Denn das QIC soll die vorhandenen Ressourcen für das Hochleistungsrechnen und Quantencomputing so integrieren, dass es für Anwender von außen nicht mehr wahrnehmbar ist, welche Systemressource welchen Teil eines gestellten Problems löst. Die Aufgaben sollen möglichst bald aus der Praxis kommen, nicht mehr nur aus der Wissenschaft.
Quantum Valley in Bayern angestrebt
Der Aufbau des QIC steht im Kontext mit dem bereits Anfang März mit einer Fülle von Partnern (Max-Planck-Gesellschaft, Bayerische Akademie der Wissenschaften, Fraunhofer, TU München, Walter-Meißner-Institut, LMU) gestarteten Projekt „Munich Quantum Valley“. Es soll Bayern und die Münchner Region zu einem Hotspot für Weiterentwicklung und Anwendung der Quantentechnologie machen. Insgesamt stellt der Bund 26,6 Millionen Euro zur Verfügung.
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Ein großer Wurf oder Wasserkopf und Klein-Klein?
Das Munich Quantum Valley ist gegründet
Frisch installiert wurde im Dezember 2020 in Garching als wichtiger Teil der QIC-Initiative eine Quantum Learning Machine (QLM) des deutsch-französischen Integrators Atos – der erste Workshop zur Einweisung in QLM soll im zweiten Quartal stattfinden.
Darauf lässt sich Quantencomputing unabhängig von der genutzten Quanten-Technologie simulieren. Die Lösung ist kompatibel mit den wichtigsten Entwickungsplattformen für Quantenalgorithmen.
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Bis zu 12-mal schneller rechnen
Atos stattet seine Quantum Learning Machine mit GPUs aus
Die Plattformneutralität ist wichtig, denn das technologische Rennen um die praktikabelste Quanten-Technologie und die besten Prozessoren ist noch offen. „QLM funktioniert so ähnlich wie ein Flugsimulator“, erläutert Martin Matzke, Senior Vice President Big Data und Security bei Atos. „Hat man den oft genug benutzt, kann man ein Verkehrsflugzeug fliegen.“
Ist die QPU die GPU der Zukunft?
Die zukünftigen hybriden Systeme aus konventioneller und Quantencomputing-Technik lassen sich zumindest prinzipiell mit aktuellen Systemen vergleichen, in denen GPUs und konventionelle Prozessoren gemeinsam an Problemen rechnen: Algorithmen sollen auch hier automatisch an die dafür bestgeeignete Rechenplattform gehen, die Ergebnisse zusammengeführt werden. Mit dieser Methode lassen sich auch bei Integration von QC und HPC völlig neue Anwendungsklassen erschließen, etwa komplexe Optimierungsaufgaben.
Allerdings werden sich solche Systeme architektonisch von heutigen GPU-Umgebungen unterscheiden. Beispielsweise ist es vorläufig kaum vorstellbar, gleich mehrere Quanten-Verarbeitungseinheiten in ein Gesamtsystem einzubauen. Denn gerade die Skalierung ist beim QC ist herausfordernd.
Die Kühlung der Quantenrechner erfordert zudem mehr Strom und Wasser als konventionelle Technik. Daraus muss insgesamt nicht unbedingt ein rasant erhöhter Energieverbrauch gegenüber der HPC-Umgebung resultieren. Denn konventionelle Rechner würden an typischen Quantenproblemen Jahre oder Jahrzehnte rechnen. Ein QC schafft die Lösung in 100 Sekunden, in denen dann zwar viel Energie verbraucht wird, aber eben nur für kurze Zeit.
BMFT fördert Hybridentwicklung
Für die Integration von Quanten- und HPE-Rechner wurde das vom BMFT geförderte Projekt Digital-analoges Quantencomputing (DAQC) aufgesetzt. Es läuft von 2021 bis 2025. Ziel sei die Integration eines Quantenrechners mit zuerst fünf, dann 20 und schließlich 54 qbits in die vorhandenen HPC-Systeme, erklärte Laura Schulz, Leiterin strategische Entwicklung und Partnerschaften am LRZ.
Dafür soll die Ansteuerlogik der Qbits in den Hochleistungsrechner integriert werden. Weiter braucht man einen gemeinsamen Softwarestack und muss den Quantenanteil ins Datacenter-Design einbeziehen. Denn er stellt ja durch den Betrieb mit sehr tiefen Temperaturen an die Kühlung andere Anforderungen als das übrige System.
Beteiligt ist an dem ehrgeizigen Vorhaben unter anderem das Forschungszentrum Jülich, das daneben eigene Ansätze beim Quantencomputing verfolgt. Weitere Partner sind der Chiphersteller Infineon und das deutsch-finnische Quantencomputing-Startup IQM. Gemeinsam wollen sie Quantenprozessoren co-designen.
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Vorläufiges Ziel: 50 Qubits
IQM soll finnisches Quantencomputersystem liefern
Hybridrechner im LRZ schon 2024?
LRZ-Leiter Kranzlmüller wünscht sich, dass schon in die nächste Generation des LRZ-Hochleistungsrechners ein Anteil Quantencomputing integriert ist. Das wäre 2024/25, denn die HPC-Installationen werden alle sechs bis sieben Jahre modernisiert.
Bei Atos, wo die eigenständige Quantentechnologieentwicklung schon einige Jahre läuft, hat man sich zum Ziel gesetzt, 2023 eine Quantenrechner-Plattform auf den Markt zu bringen. Also gerade rechtzeitig für den anstehenden Technologiewechsel im LRZ.
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Großes Projekttreiben im Quanten-Valley
Viel Geld und viel Innovation im Spiel: Quantentechnologie-Forschung boomt
Für die Zusammenarbeit des Quantensystems mit der HPC-Umgebung arbeiten LRZ-Spezialisten derzeit an Containern für Quantencomputing-Simulationen. Auch ein neues Team, das interessierten Endanwendern helfen wird, mit der Technologie umzugehen, ist im Aufbau. Um die knappen Personalressourcen aufzustocken, fahren an LMU und TU München Ausbildungsinitiativen hoch.
Praxisbeispiele für Quantensimulation
Dass sich Quantencomputing langsam aus den luftigen Höhen der Theorie in die wirtschaftliche Nutzung hinein entwickelt, bestätigt Professor Martin Schulz, Lehrstuhlinhaber für Computerarchitekturen und Parallele Systeme an der TU München sowie Direktor des LRZ: „Wir sehen inzwischen viel Interesse aus den Anwendungswissenschaften.“
Bereits heute simulieren Kunden von Atos am QLM Lösungen für Probleme, die später auf Quantenrechnern ablaufen sollen, berichtet etwa Martin Matzke, Senior Vice President Big Data und Security bei Atos. So arbeite man mit dem französischen Öl- und Tankstellenunternehmen Total an Molekularstrukturen, die Kohlendioxid binden können.
Mit Bayer wird erforscht, ob sich mittels Quantencomputing leichter feststellen lässt, wie mehrere sich überlagernde Krankheiten bei Notfallpatienten zusammenhängen und wo man daher am besten ansetzen kann, um ihnen zu helfen. Und mit einem ungenannten Partner optimiert Atos die Verteilung von Ladesystemen für Elektrofahrzeuge in einem ganzen Land.
Schnittstellen, Nomenklatur und Standards fehlen noch
Jan Goetz, CEO und Mitgründer von ICM, widmet sich im LRZ zum ersten Mal der Integration seines Systemansatzes mit einem Höchstleistungsrecher. Das erste Standalone-IQM-System wird derzeit in Finnland aufgebaut.
„Wir müssen als erstes Schnittstellen, Standards und überhaupt ein gemeinsames Vokabular für die Integration zwischen HPC und Quantencomputing entwickeln“, sagt Goetz. Denn die Begriffswelten der beiden Technologien seien sehr unterschiedlich.
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Mit rund 10 Millionen Euro Förderung
JGU baut Quantencomputer und verbindet ihn mit dem Supercomputer Mogon II
Beim Quantencomputing soll Europa vorn dabei sein
Insgesamt, das betonen alle, sei das Umfeld in diesem frühen Technologiestadium eher kooperativ als wettbewerbsorientiert. Das zeige sich auch an der regen Teilnahme an den monatlichen Treffen der 2019 gegründeten Bavarium Quantum Exchange, einem Kontaktnetz für alle in der Region, die sich mit Quantencomputing befassen. Dort nehmen auch Firmen wie IBM und Fujitsu teil, die ansonsten eher mit Atos oder IQM konkurrieren.
Noch sei der Markt offen, doch das könne sich schnell ändern. Es komme darauf an, wer als erstes eine Killerapplikation realisiere.
Dabei habe man durchaus ein klares Ziel vor Augen: eine führende Rolle für Europa. Das ginge nur mit Kooperation. Atos-Manager Matzke „Wir alle wollen nicht, dass sich die Entwicklungen wie bei der Internet- oder Cloud-Technologie wiederholen, wo Europa wesentliche Beiträge geliefert hat, die wirtschaftlichen Vorteile aber vor allem anderen zugute kommen.“
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