Wie die Branche nach der Krise wieder Halt findet Datacenter im COVID-Fieber: Hoch hinaus aus der Corona-Misere
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Als der Corona-Lockdown die Wirtschaft lahmlegte, ging die globale Gesellschaft online - wie aus heiterem Himmel. Reiseverbot, gesperrte Grenzen, abgesagte Konferenzen, unterbrochene Lieferketten – die letzte Bastion der Normalität schien von außen her betrachtet hinter den geschlossenen Toren von Rechenzentren gebunkert.

Notfallszenarien und Disaster-Recovery-Pläne für Brand, Erdbeben, Atomkraftunglück oder Hochwasser konnten kein Rechenzentrum auf den Lockdown der gesamten Wirtschaft vorbereiten. Rechenzentrumsbetreiber mussten auf Teufel komm raus ihre Notfallpläne überprüfen sowie gegebenenfalls anpassen und auch rein praktische Korrekturmaßnahmen ergreifen: Maskenpflicht, Abstandshaltung, Fernarbeit, Zugangssperren und dergleichen andere.
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Rechenzentren in Deutschland und die Corona-Pandemie
Datacenter zeigen sich der Situation gewachsen
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Dauereinsatz am Herzen des Internets
Hochsicherer Datacenter-Betrieb während der Krise, notfalls aus dem Feldbett
Co-Location-Anbieter wie Equinix haben in Deutschland und anderen Ländern den physischen Zugang zu ihren Rechenzentren auf „Service-kritische Kunden“ beschränkt. Die Anlagen von Equinix waren nur mit einer Sondergenehmigung zugänglich, blieben jedoch ansonsten uneingeschränkt funktionsfähig. Kunden und Partner konnten Remote-Zugriff über Dienste wie Smart Hands, den operativen Support-Service von Equinix für die Fernverwaltung, Geräteinstallation und Fehlerbehebung durch Vor-Ort-Techniker, erlangen.
Massive Bedarfsverschiebungen zwischen Datacenter-Workloads, ein reelles Risiko plötzlicher Ausfälle von Arbeitskräften und damit auch kritischen Kompetenzen, eine Zwangsverzögerung anfallender Behördengänge und dergleichen andere Effekte der Krise haben die betrieblichen Realitäten des Lockdowns für viele Rechenzentren geprägt.
Die geografische Streuung von Datacenter-Facilities erschwerte internationalen Betreibern zeitweilig die Einhaltung der Compliance-Pflichten der verschiedenen Standorte, besonders als sich die regulatorischen Vorgaben im Stundentakt änderten. (Der Co-Location-Platzhirsch Equinix hat rund 200 Rechenzentren weltweit.) Der Zusammenbruch der Lieferketten dünnte den Nachschub aus während der Bedarf an Masken und antiviralen Desinfektionsmitteln außer Rand und Band wuchs.
Bedarfsexplosion in der Krise
Im Kontext der Pandemie hat die Abhängigkeit der Gesellschaft von Technologie plötzlich ihr wahres Gesicht gezeigt. Der Informationshunger der Gesellschaft hatte einen Ansturm auf Online-Medien zur Folge.
Nachdem der erste Schrecken nachgelassen hatte, stieg die Zahl der Telearbeiter im Gleichschritt an; Streaming hatte bald den Unterhaltungswert verloren und wurde plötzlich zu einer unternehmenskritischen Voraussetzung für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. Mit dem stationären Einzelhandel auf Eis kam das Hacker-Paradies E-Commerce – überlastet und unterversorgt – ins Stottern. Alles virtualisiert, alles digitalisiert. Selbst die sozialen Interaktionen liefen plötzlich über Glasfaser ab.
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Umsätze bei IaaS im 1. Quartal 2020
Dank Corona: Cloud-Ausgaben erreichen neues Rekordhoch
Der Zuwachs der Nachfrage an Konnektivität sei kurzfristig „dramatisch“ gewesen, berichten Arthur D. Little und der Branchenverband Eco. Bei Verbrauchern ließe sich eine Steigerung um mehr als 50 Prozent feststellen; die Leistungsanforderungen von Business-Applikationen an die Bandbreite hätten teilweise um 700 Prozent zugelegt.
Zur Neueröffnung der Wirtschaft nehmen nicht mehr „nur“ die globalen Multinationals, sondern auch kleinere Wirtschaftsakteure das Internet als einen Vertriebskanal ins Visier, um den Draht zum Kunden zu finden.
Für die Rechenzentrumsbranche sind die Folgen der Krise mittel- wie auch langfristig nicht von der Hand zu weisen. „All dies wird zu einer stärkeren Netzwerkauslastung und einer stärkeren Nutzung der wesentlichen Infrastrukturen führen, für deren Wartung wir verantwortlich sind", kommentierte Fred Dickerman, Senior Vice President for Management Services at Uptime Institute, in einem Webinar. Dann hat er sich aber korrigiert: „Die Aufrechterhaltung der Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter des Rechenzentrums hat natürlich die oberste Priorität“, und fügte gleich trocken hinzu: „Dies ist wichtig, wenn Unternehmen die Ausfallsicherheit von Rechenzentren sicherstellen möchten.“
Lektion gelernt, Prüfung bestanden
Während die Wirtschaft ihre Wunden leckt, zieht die Datacenter-Branche eine erste Bilanz aus dem ultimativen globalen Stresstest, dem COVID-19-Lockdown. Was hätte man besser machen können? Welche Schlüsse ließen sich aus der Erfahrung für die Zukunft ziehen?
Das Uptime Institute hat in seinem COVID-19-Advisory einige Empfehlungen zusammengetragen (siehe auch: „Pandemic planning and response: A guide for critical infrastructure“ vom Uptime Institute Intelligence Team). Zur Vorbereitung auf das Ungewisse legt das Uptime Institute den Rechenzentrumsbetreibern unter anderem folgende Maßnahmen nahe:
- Kontaktaufnahme zu Anbietern spezialisierter Reinigungs- und Desinfektionsdienste sowie Lieferanten von Schutzmaterial vor Biogefährdungsstoffen;
- Kontrolle und gegebenenfalls das Umrüsten von Frischluftansaugfiltern und Luftfiltern der HLK-Einheit;
- Überprüfen und gegebenenfalls Aufrüsten des VPN-Zugangs;
- Entwicklung von Szenarien mit einer „Bedrohungsmatrix“ zum Umgang mit dem Ausfall von Fachkräften;
- Vorabvereinbarungen mit den zuständigen Behörden zur Einstufung des Rechenzentrums als eine „kritische Einrichtung“ (ähnlich einem Krankenhaus oder einer Polizeistation) und zum Einholen von Sondergenehmigungen zur Beförderung des Personals, sei es zwischen Rechenzentren oder zwischen dem Rechenzentrum und seinen Dienstleistern und Lieferanten, zum Beispiel bei Personalausfall;
- Vorkehrungen für Notunterkünfte samt Lebensmittel- und medizinischer Versorgung für den Fall eines Facility-Lockdowns.
Interne Management-Prozesse sollen diese Maßnahmen unterstützen
Mit dem Lockdown mag der schlimmste Niederschlag von COVID-19 abgewendet sein; eine Rückkehr zur (neuen) Normalität steht offenbar vor der Türe. Viele der Betroffenen stellen sich jetzt verstärkt existentielle Fragen nicht mehr „nur“ medizinischer Natur. Die Frage, wo es jetzt für die deutsche Datacenter-Branche genau lang geht, möchten die Analysten von Arthur D. Little und dem Eco-Verband in ihrer neuesten Studie beantwortet haben.
Wie Phoenix aus der Asche
In der Studie „Die Internetwirtschaft in Deutschland 2020-2025: Auswirkungen der Corona-Krise“ (Vorab-Auszug der Studie) nehmen die Analysten von Arthur D. Little und dem Eco-Verband mögliche Erholungsszenarien der Internet-Wirtschaft, einschließlich Co-Location und der Branche im Allgemeinen, unter die Lupe.
Neben ersten segmentbezogenen Erhebungen, Unternehmensberichten, Pressemeldungen und Forschungsanalysen liegen der Analyse vor allem „mehr als 30 Experten- und Brancheninsider-Gespräche“ zu Grunde, welche die Forscher im April 2020 geführt haben. Gesamtwirtschaftlich stützt sich der Bericht auf Prognosen von IFO und IWF, die unter der Annahme einer Lockerung der Beschränkungen ab Sommer 2020 einen BIP-Einbruch von rund 5 Prozent im Jahre 2020 und eine Erholung in 2021 bis 2022 vorsehen.
Die Corona-Krise habe das Wachstum der Internet-Wirtschaft in 2020 „deutlich eingebremst“, habe jedoch langfristig einen Katalysatoreffekt auf den Ausbau der digitalen Infrastruktur und die Implementierung von digitalen Geschäftsmodellen.
Das Marktsegment „Network, Infrastructure und Operations“ (Layer 1) profitiere demnach mittel- bis langfristig von der veränderten Nachfragesituation durch den erhöhten Datendurchsatz durch die verstärkte Nachfrage an Bandbreite durch Anwendungen aus dem Bereich Home-Office, E-Commerce und Streaming. Der Trend zu mehr Konnektivität soll sich in absehbarer Zukunft fortsetzen; Netzinfrastrukturen sollen weiterhin ausgebaut und CDNs an Bedeutung gewinnen. Das stärkste Wachstum in diesem Bereich schreiben die Analysten Co-Location-Sites zu.
„Die Corona-Krise hat uns allen gezeigt, wie wichtig digitale Infrastruktur ist und wie viel damit möglich ist“, bemerkte ein Teilnehmer der Befragung. Die Internet-Wirtschaft werde sich demnach in den Jahren 2021 und 2022 „rasch erholen“. Die Analysten sagen dem Sektor eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 11,8 Prozent (CAGR) voraus.
Nicht nur negativ oder positiv
In den meisten Segmenten sollen „gegenläufige Effekte“ auftreten, die sich sowohl negativ als auch positiv auf die Geschäftsentwicklung auswirken. Die massiv gesteigerte Nachfrage nach Unterhaltungs- und Kommunikationsdiensten sowie der massive Anstieg von remote work und die Migration von Unternehmensdaten auf Cloud-Plattformen dürften der Rechenzentrumsbranche zeitlich begrenzt positive Impulse geben und nicht zuletzt auch erhöhte Investitionen unter anderem In die Cyber-Sicherheit vorantreiben.
Kurz- und langfristig positive Auswirkungen auf die Rechenzentrumsbranche erwarten die Analysten infolge von Auslastungssteigerungen in Co-Location und Housing sowie den anhaltenden Trend zur Verlagerung von Infrastruktur in Rechenzentren und zu Cloud-Diensten. Die Adoption von Cloud-Services (IaaS, PaaS, SaaS) soll Unternehmen kurz- und langfristig zusätzliche Flexibilität und Skalierbarkeit bescheren. Die nachhaltige Steigerung von Festnetzdatenvolumen und Upgrade von Breitband-Anschlüssen für Remote-Work und Unterhaltungsdienste sollen zu steigendem Bedarf nach schnellen Zugängen und auch einer positiven Entwicklung bei Festnetzbetreibern führen.
Insgesamt erwarten die Analysten, dass sich viele Bereiche der Internetwirtschaft von dem kurzfristig negativen »Schock« „rasch erholen“ werden.
Dauerhaft negative Auswirkungen der Krise sollen nur in wenigen Bereichen auftreten. Sie seien demnach unter anderem auf die Nachwirkungen der Kostenbremse in direkt betroffenen Branchen wie dem Tourismus und Transport zurückzuführen. „Digitale Geschäftsmodelle in Anwenderindustrien“, darunter jene auf der Basis von Technologien wie Industrielles IoT oder „smarte“ Gebäudetechnik, sollen von der Krise direkt deutlich negativ beeinträchtigt werden, allerdings überwiegend temporär. Ab 2021 soll sich dort auch wieder Wachstum einstellen.
Auf dem Weg zur „Turbo-Digitalisierung“
Digitalisierung und Vernetzung sollen sich in allen Branchen fortsetzen; es sollen neue Infrastrukturen entstehen und neue Geschäftsmodelle Fahrt aufnehmen. „Kleine und mittelständische Unternehmen der Internet-Wirtschaft müssen umdenken und die eigene Positionierung hinterfragen“, beobachtet ein Studienteilnehmer und fragt: „Wie schaffen wir den Spagat aus profitabler Geschäftsentwicklung, Skalierung und Kundennähe und nutzen die sehr konkreten zusätzlichen Wachstumschancen?“.
Während einige Segmente vorrangig von der kurzfristigen Nachfrage profitieren sollen, dürften andere wiederum durch die Veränderungen dauerhaft „positiv geprägt“ werden.
Mit diesen Entwicklungen ginge ein Zuwachs an gesamtökonomischer Bedeutung der Internet-Wirtschaft einhergehen. Bis 2025 seien rund 7 Prozent des deutschen BIP der Internet-Wirtschaft zuzurechnen, urteilen die Analysten von Arthur D. Little und Eco. Heute seien es rund 4,2 Prozent. Als Sponsoren der Studie nennen ihre Herausgeber Huawei, Toplink, Leaseweb und Microsoft.
Das Fazit der Autoren: Nach dem erstmaligen gesamtwirtschaftlichen Schock sollen sich Analysten zufolge in der RZ-Branche langfristig überwiegend positive Effekte einstellen. Die Hebel für die Turbo-Digitalisierung“ sind bereits in Bewegung.
* Das Autorenduo
Anna Kobylinska und Filipe Martins arbeiten für McKinley Denali Inc. (USA).
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