Datacenter-Betrieb im Krisenmodus Nach dem Lockdown ist vor dem Lockdown und mittendrin. Ein Rückblick.
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Alle haben es gewusst: Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Eine zweite Welle kommt. Und jetzt ist sie da, früher als erhofft. Die Rechenzentren gehören nun, zumindest teilweise zur Kritischen Infrastruktur. Im Frühjahr hat Holger Nicolay vom Datacenter-Betreiber Interxion darüber geschrieben, wie aus seiner Sicht ein hochsicherer Datacenter-Betrieb funktioniert. Jetzt liefert er ein Update.

Vor gut einem halben Jahr hatte die Corona-Pandemie das öffentliche Leben in Deutschland im Griff: Schulen, Kitas und Gaststätten wurden geschlossen, öffentliche Veranstaltungen abgesagt und Kontaktbeschränkungen für die Bevölkerung verhängt. Denn es galt, durch strikte Maßnahmen sicherzustellen, dass die Gesundheit der Bürger und das Gesundheitssystem vor Überlastung geschützt werden. Zeitgleich offenbarte sich mehr denn je die Bedeutung der IT- und Netzwerk-Branche für Homeoffice, Homeschooling sowie das geänderte Freizeitverhalten mit Streaming und Gaming.
Heute, sechs Monate danach, blickt die Co-Location-Branche auf die in der Corona-Pandemie getroffenen Maßnahmen zur Sicherstellung des IT-Betriebs zurück. Auch, oder gerade weil aktuell steigende Corona-Fallzahlen zeigen, dass es in Frankfurter Rechenzentrums-Clustern so schnell keine Rückkehr zur Normalität geben wird.
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Dauereinsatz am Herzen des Internets
Hochsicherer Datacenter-Betrieb während der Krise, notfalls aus dem Feldbett
Woher aber kommt die Relevanz von Rechenzentren für das digitale Gesamtsystem?
Die Relevanz von Rechenzentren
In der öffentlichen Wahrnehmung wird vor allem der Glasfaserausbau als Treiber der Digitalisierung in Deutschland gesehen. Dabei sind die großen Co-Location-Standorte in Frankfurt das eigentliche Rückgrat des Internets. In diesen begannen vor zwanzig Jahren die Telekommunikationsanbieter und Internet-Service-Provider der ersten Stunde, ihre Netze miteinander zu koppeln.
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Thomas King, CTO des DE-CIX, im Interview
Der Deutsche Internet-Austauschknoten - Wo kommt er her? Wo soll er hin?
Der Glasfaserbau in der Bankenmetropole und die Gründung des DE-CIX als Internet-Austauschplattform motivierten daraufhin weitere Netzwerk-Provider, aber auch Internet-Unternehmen wie Ebay, sich in Frankfurter Co-Location-Clustern anzusiedeln. Neben dem Housing von Public Clouds, Video-Conferencing, Gaming- und Streaming-Angeboten sowie Social-Media-Plattformen – den aktuell größten Nachfragern von Co-Location-Kapazitäten – leisten Rechenzentren einen maßgeblichen Beitrag zur Aufrechterhaltung von Telekommunikation, Energie, Gesundheit, Verkehr/Logistik und Sicherheitssystemen.
Die vier größten Frankfurter Provider werden deshalb als Teil der Kritische Infrastrukturen (KRITIS) geführt. Ein Ausfall ihrer Datacenter-Infrastruktur hätte damit weitreichende und einschneidende Folgen für alle Wirtschafts- und Lebensbereiche.
Welche Maßnahmen mussten also im Zuge der Corona-Pandemie ergriffen werden und haben sich diese im Rückblick als wirksam herausgestellt? Und wie konnte sichergestellt werden, dass neben der Hochverfügbarkeit von Strom und Kühlung, auch die Gesundheit für Kunden und Mitarbeiter kompromisslos gewahrt bleibt?
Besondere Herausforderungen
Der physische Betrieb von Rechenzentren beruht maßgeblich auf handwerklichen Tätigkeiten. Zwar kann die Überwachung eines Datacenter-Campus remote erfolgen, doch muss für das Eingreifen bei Störungen – und sei es nur eine defekte Türschließung – Personal vor Ort sein.
Ähnlich verhält es sich mit der Stromversorgung und der Kühlleistung. Der überwiegende Teil der Infrastruktur kann sensorgesteuert überwacht werden. Jegliches Justieren, Warten und Reparieren von Starkstrom-Transformatoren oder mechanischen Pumpen in Kühlsystemen erfordern jedoch die handwerkliche Expertise von Elektronikern und Klimatechnikern vor Ort. Eine Verlagerung aller Mitarbeiter ins Home-Office war und ist deshalb auch unter Pandemie-Bedingungen unmöglich.
Zusätzlich zur Aufrechterhaltung des Rechenzentrumsbetriebs sorgte der Lockdown-Alltag im März für eine erhöhte Nachfrage nach Cloud-, Streaming- und Netzwerkdiensten. So wurden beispielsweise auf dem Interxion-Campus in Frankfurt in den ersten beiden Wochen des Lockdowns mehr Glasfaserverkabelungen implementiert als in den zehn Wochen zuvor. Auch Plattform-Erweiterungen ließen den Bedarf von „Hands & Eyes“-Serviceleistungen, vor allem von Kunden mit selbstauferlegten Reise- und Kontaktbeschränkungen, in die Höhe schnellen.
Krisenbewältigung im Spannungsfeld
Von Anfang an war klar, dass die Co-Location-Provider in Frankfurt aufgrund ihrer Systemrelevanz und der erhöhten Nachfrage Lösungen finden mussten, um der Krisensituation gerecht zu werden. Das bedeutete, die Anzahl der in Rechenzentren tätigen Menschen einerseits auf das absolut erforderliche Minimum zu reduzieren, ohne andererseits den operativen Betrieb, inklusive der notwendige Wartungsarbeiten oder Kundenaufträge, einzuschränken. Auch der Zugang der Kunden zum Rechenzentrum musste neu geregelt werden, da der Gesundheitsschutz implementiert und zeitgleich der vertraglich vereinbarte Zutritt mit eigenen Schlüsseln und Key Cards gewährleistet bleiben musste und sollte.
Für die Mitarbeiterplanung bedeutete dies, den Datacenter-Campus in Zonen aufzuteilen, um Begegnungen und damit etwaige Infektionsketten zwischen den technischen Teams zu vermeiden. Die Folgen waren Büroumzüge und die Einrichtung fester Arbeitsbereich-Zuordnungen für die Rumpfmannschaften auf dem Rechenzentrumscampus. Was einfach klingt, erforderte jedoch die durchgängige Disziplin jedes Einzelnen, weil der gewohnte Kontakt zu Teamkollegen wie auch das freie Bewegen auf dem Campus nicht mehr möglich und soziale Einschränkungen, wie der Verzicht auf gemeinsame Pausenzeiten, notwendig waren.
Alle Kunden wurden nachdrücklich gebeten, aufschiebbare Arbeiten zunächst auszusetzen. Zeitgleich wurden die Besucherströme beobachtet und so gelenkt, dass Begegnungen auf dem Rechenzentrumscampus möglichst vermieden wurden oder unter Einhaltung strenger Hygiene-Auflagen (Mund- und Nasenschutz) erfolgten.
Ungewohnt
Dass die Gesundheit der Mitarbeiter und Kunden oberste Priorität hatte, zeigt sich auch an den Investitionen, die in dieser Zeit getätigt wurden: So wurde der Visitor Point, an dem sich Kunden ausweisen und ihre Zugangsberechtigungen geprüft werden, baulich verändert. Neben einer freiwilligen Selbstauskunft kamen dort außerdem berührungslose Fieberthermometer zum Einsatz. Und schließlich wurden nicht nur Desinfektionsmittel, sondern auch mehrere tausend Schutzmasken angeschafft, um Hygieneregeln nicht nur zu kommunizieren, sondern auch nahtlos umsetzen zu können.
Zurückblickend erscheinen derartige Maßnahmen selbstverständlich. Diese wurden jedoch bereits zu einem Zeitpunkt eingeführt, als noch große Unsicherheiten im Hinblick auf das Corona-Virus und seine Verbreitung herrschten.
Um dennoch an alle verfügbaren Informationen zu gelangen und deren schnellstmögliche Umsetzung sicherzustellen, wurde das Krisen-Management-Team von Interxion kurzerhand verdreifacht. Galt dessen Fokus zuvor Bedrohungslagen, wie beispielsweise Bombenentschärfungen oder Schadensfälle durch Umwelteinflüsse, musste es nun in hoher Frequenz die vom Robert-Koch-Institut kommunizierten Lageeinschätzungen und Empfehlungen bewerten, die Umsetzung mit zuvor nicht eingeplanten Finanzmitteln vorantreiben und Schutzmaßnahmen arbeits- und datenschutzrechtlich abwägen. Dazu standen die lokalen Krisenmanagement-Teams täglich im Austausch.
Es bleibt, was funktioniert hat
Die damit verbundenen finanziellen Investitionen und gebundenen personellen Ressourcen waren hoch. Sie trugen aber – zusätzlich zu aller Vorsicht, den zielgenauen Maßnahmen sowie der kontinuierlichen Kommunikation mit Mitarbeitern und Kunden – auch dazu bei, dass der allgemeine Lockdown eben keine operativen Beeinträchtigungen oder Schließungen der Interxion-Rechenzentren für Kunden zur Folge hatte.
Maßnahmen wie Kühltruhen, Lebensmittel und Feldbetten, die auf den Worst Case – eine Abriegelung der Städte Frankfurt und Düsseldorf – ausgerichtet waren, erwiesen sich glücklicherweise als überflüssig. Und auch die Bescheinigung, die Interxion-Techniker als für den Rechenzentrumsbetrieb unabkömmlich und Mitarbeiter eines KRITIS-Unternehmens auswiesen, musste bis dato kaum jemand vorweisen.
Was klar ist: Lockerungen und Rückkehr zum Normalbetrieb sind aus heutiger Sicht nicht zu erwarten. Dafür ist die wirtschaftliche, gesellschaftliche und technische Bedeutung der Frankfurter Co-Location-Rechenzentren und den dort betriebenen digitalen Diensten zu groß.
Viele der damals ergriffenen Maßnahmen haben sich als richtig erwiesen und können heute, bei steigenden Corona-Fallzahlen, routiniert und mit der bereits angeeigneten Expertise wieder eingesetzt und verfeinert werden.
* Über den Autor:
Holger Nicolay ist Business Development Manager bei Interxion: A digital Realty Company in Frankfurt, einem führenden Co-Location-Provider mit 280 Carrier- und Cloud-neutralen Datacenter auf sechs Kontinenten. Sein Fokus sind die Digitale Transformation sowie Connectivity- und Infrastruktur-Konzepte, mit denen Interxion seine Kunden als Infrastrukturpartner und Cloud Exchange Provider bei der Implementierung von hoch-integrierten hybriden Clouds und flexiblen Multi-Cloud-Lösungen unterstützt.
Holger Nicolay ist Diplom-Informatiker (TU) und hat vor Interxion in verschiedenen Sales-, Marketing- und Management-Rollen in der Telekommunikationsbranche gearbeitet. Frühere berufliche Stationen waren die heutige 1&1 Versatel und Colt Technology Services.
* Holger Nicolay ist Business Development Manager bei Interxion.
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