Durchbruch in der Festkörperphysik für mehr Leistung, weniger Abwärme Mit Dämon-Partikeln zu Raumtemperatur-Supraleitern im Rechenzentrum

Von Anna Kobylinska und Filipe Martins* Lesedauer: 5 min |

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Nach vielen winzigen Mikro-Schritten in Sachen Supraleiter ist Forschern nun ein bahnbrechender Fortschritt gelungen: Mehrere Elektronen könne massenlose Dämon-Partikel formen. Wegen der vielen äußerst positiven Implikationen für die Energiewende, die Energie-Effizienz des Rechenzentrumsbetriebs und nicht zuletzt die Compute-Leistung, hat es das Zeug dazu den technischen Fortschritt wieder in Bewegung zu bringen.

Die Supraleiter, die zu Raumtemeperaturen zur Verfügung stehen, könnten unter anderem Quantencomputern zu großer Verbreitung verhelfen. Außerdem ließen sich Unmengen an Strom einsparen. Und villeicht sehen die Rechenzentren dann wie auf dem Bild aus ....
Die Supraleiter, die zu Raumtemeperaturen zur Verfügung stehen, könnten unter anderem Quantencomputern zu großer Verbreitung verhelfen. Außerdem ließen sich Unmengen an Strom einsparen. Und villeicht sehen die Rechenzentren dann wie auf dem Bild aus ....
(Bild: Ulia Koltyrina - stock.adobe.com)

Die Energiewende braucht Supraleiter, die bei Raumtemperatur funktionieren. Diese bisher unmögliche Forderung dürfte also doch noch in Erfüllung gehen: mit den neu entdeckten Dämon-Partikeln.

Forscher an der Universität Illinois Urbana-Champaign haben unter der Leitung von Professor Peter Abbamonte kürzlich einen wichtigen Durchbruch erzielt. Laut einem Bericht des angesehenen wissenschaftlichen Fachmagazins „Nature“ haben sie die Existenz masseloser Dämon-Partikel nachgewiesen – rund 67 Jahre nachdem ein theoretischer Physiker namens David Pines die Existenz dieser Teilchen postuliert hatte.

„Dämon-Partikel wurden schon lange theoretisch vermutet“, sagt Professor Abbamonte, aber Experimentalphysiker hätten sich nie mit ihnen beschäftigt. „Tatsächlich haben wir nicht einmal danach gesucht,“ gibt der Projektleiter offen zu. Es stellte sich aber heraus, dass „wir genau das Richtige gemacht haben, und wir haben [diese Teilchen] gefunden.“

Diese Dämon-Partikel sollen jetzt den Weg zu raumtemperaturfähigen Supraleitern ebnen. Sie sollen unter anderem eine verlustfreie Energie-Übertragung ermöglichen, die nicht zuletzt verteilten Rechenzentren, aber auch HPCs und Supercomputern zu mehr Performance verhelfen.

Einsatz in den Rechenzentren

Supraleiter sind ein wichtiger Hoffnungsträger unter anderem für den Energiesektor, die Rechenzentrumsbranche, das Quantencomputing, die Telekommunikation und die industrielle Automatisierung. Supraleiter haben keinen elektrischen Widerstand, was bedeutet, dass sie elektrischen Strom ohne Energieverlust leiten können. Dies könnte die Energie-Effizienz von Rechenzentren erheblich steigern und die Betriebskosten senken. Und: Die hohe Leitfähigkeit von Supraleitern könnte die Geschwindigkeit und Effizienz der Datenübertragung verbessern.

Da Supraleiter keinen Widerstand haben, können sie in einem viel kleineren Formfaktor gefertigt werden als herkömmlich leitende Materialien. Dies könnte zu einer weiteren Miniaturisierung von Hardware führen, die eine höhere Systemdichte und mehr Rechenleistung auf kleinerem Raum ermöglichen dürfte. Da Supraleiter keinen Widerstand haben, dürften sich die resultierenden Komponenten durch einen geringeren Verschleiß und damit eine höhere Zuverlässigkeit und längere Lebensdauer auszeichnen.

Darüber hinaus haben Supraleiter auch magnetische Speicheranwendungen, da sie extrem starke Magnetfelder erzeugen können. Auch Quantencomputing könnte aus dieser Eigenschaft einen Nutzen ziehen.

Zu gut, um ohne Fehler zu sein?

Raumtemperaturfähige Supraleiter bedürfen keiner Kühlung, da sie keine Abwärme erzeugen. Sie dürften die Energie-Effizienz von Rechenzentren weiter steigern. Es gibt jedoch auch Herausforderungen.

Supraleitende Materialien mussten bisher auf extrem niedrige Temperaturen gekühlt werden, um ihre supraleitenden Eigenschaften zu bewahren. Sogar die so genannten Hochtemperatursupraleiter sind da keine Ausnahme. Die müssen immerhin auf 77 Grad Kelvin, also minus 196 Grad Celsius, gekühlt werden. Insofern wäre ein raumtemperaturfähiger Supraleiter ein wahrer Durchbruch.

Das schwer fassbare Dämon-Quasiteilchen

Eine der bedeutendsten Entdeckungen der Festkörperphysik besteht darin, dass Elektronen in Feststoffen ihre Individualität verlieren. Elektrische Wechselwirkungen lassen die Elektronen zu kollektiven Einheiten verschmelzen.

Mit ausreichender Energie können diese Gruppen von Elektronen unter bestimmten Bedingungen zusammengesetzte Teilchen bilden, die so genannten Plasmonen. Die Ladung und Masse der Plasmonen bestimmen elektrische Wechselwirkungen der ihnen zugrunde liegenden Einheiten.

Die Masse eines Plasmons ist normalerweise ziemlich groß im Vergleich zu der eines einzelnen Elektrons. Daher ist in der Regel eine erhebliche Menge an Energie erforderlich, um Plasmonen zu erzeugen. Diese Energie ist fast immer zu hoch, um die Entstehung von Plasmonen bei Raumtemperatur zu ermöglichen.

Die Ausnahme ist die Chance

Der theoretische Physiker Professor David Pines hatte eine Ausnahme postuliert:Verfügt ein Feststoff über Elektronen in mehr als einem Energieband, wie es bei vielen Metallen der Fall ist, argumentierte Pines, dürften sich ihre jeweiligen Plasmonen in einem gegenphasigen Muster kombinieren lassen, um ein neues Plasmon zu bilden, das masselos und neutral sein könnte: ein „Dämon“.

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Da diese Quasiteilchen keine Masse aufwiesen, dürften sie sich mit beliebiger Energie herausbilden und zudem bei beliebigen Temperaturen existieren. Diese Annahme hat zu Spekulationen geführt.

Doch Experimentalphysiker sind seither allesamt in eine Sackgasse gelaufen. Einen Nachweis konnte erstmals das Team von Professor Abbamonte erbringen.

Erschwerende Umstände: Masselosigkeit mit elektrischer Neutralität

Die elektrische Neutralität der Dämonen läuft darauf hinaus, dass sie in herkömmlichen Experimenten mit kondensierter Materie keine erkennbare Signatur hinterlassen. „Die überwiegende Mehrheit der Experimente wird mit Licht durchgeführt und misst optische Eigenschaften“, erklärt Professor Abbamonte. Doch die elektrische Neutralität bedeute eben, dass Dämonen nicht mit Licht interagieren würden. „Es war ein völlig anderes Experiment erforderlich,“ rekapituliert Abbamonte. Und: Dieses ganz besondere Experiment war eigentlich nicht beabsichtigt.

Mit 3D-Akustik-Plasmonen in Sr2RuO4 zum Supraleiter-Durchbruch

Abbamonte und sein Team hätten Strontiumruthenat aus einem anderen Grund untersucht: Das Metall ähnelt den sogenannten Hochtemperatursupraleitern (also Materialien, die bei „gerade einmal“ minus 196°C supraleitende Eigenschaften aufweisen), ohne streng genommen einer zu sein. In der Hoffnung, die Zusammenhänge besser zu verstehen, sind sie dann unerwartet auf das neue Phänomen gestoßen.

Konzeptuelle Veranschaulichung der Anregung von Dämon-Partikeln in Strontiumruthenat (Sr2RuO4)
Konzeptuelle Veranschaulichung der Anregung von Dämon-Partikeln in Strontiumruthenat (Sr2RuO4)
(Bild: Magazin Nature)

Hochwertige Proben des Metalls hatte für diese Experimente die Forschungsgruppe um Yoshiteru Maeno, Professor für Physik an der Kyoto-Universität in Japan synthetisiert. Professor Abbamonte und der ehemalige Doktorand Ali Husain konnten dann das Metall mit der so genannten „Elektronenenergieverlustspektroskopie“ (Engisch. momentum-resolved electron energy-loss spectroscopy) untersuchen.

Wie die Forscher im renommierten Journal Nature berichten, verwendeten sie eine unkonventionelle experimentelle Technik, die die elektronischen Zustände eines Materials direkt anregt und es ihnen ermöglicht, die charakteristische Signatur des Dämons im Metall Strontiumruthenat (Sr2RuO4) zu erkennen.

Visualisierung der Ladungsempfindlichkeit von Sr2RuO4 aus RPA (Random Phase Approximation), einem theoretischen Ansatz in der Festkörperphysik zur Berechnung von elektronischen Eigenschaften eines Materials basierend auf der Wechselwirkung zwischen Elektronen und Gittervibrationen (Phononen).
Visualisierung der Ladungsempfindlichkeit von Sr2RuO4 aus RPA (Random Phase Approximation), einem theoretischen Ansatz in der Festkörperphysik zur Berechnung von elektronischen Eigenschaften eines Materials basierend auf der Wechselwirkung zwischen Elektronen und Gittervibrationen (Phononen).
(Bild: Magazin Nature)

Diese relativ ungewöhnliche Technik macht sich die Energie von Elektronen zunutze, die in das Metall geschossen werden, um die Eigenschaften des Metalls „anzufühlen“ und die so gebildeten Plasmonen zu beobachten. Als die Forscher die Daten durchsahen, stießen sie jedoch auf etwas Ungewöhnliches: einen elektronischen Modus ohne Masse (sprich: „masselose Elektronenschwärme“).

Der Begriff „elektronischer Modus ohne Masse“ bezieht sich auf eine kollektive Anregung von Elektronen, die sich so verhält, als hätte sie eine effektive Masse von null. In der Festkörperphysik ist dies ein äußerst faszinierendes und ungewöhnliches Phänomen.

Normalerweise haben Elektronen in einem Material eine effektive Masse, die durch ihre Wechselwirkungen mit dem atomaren Gitter und anderen Elektronen beeinflusst wird. Unter bestimmten Bedingungen können sich diese Wechselwirkungen jedoch so aufheben, dass die kollektive Bewegung der Elektronen den Anschein erweckt, als ob sie keine Masse hätte.

Visualisierung der Ladungsempfindlichkeit von Sr2RuO4 aus RPA (Random Phase Approximation), einem theoretischen Ansatz in der Festkörperphysik zur Berechnung von elektronischen Eigenschaften eines Materials basierend auf der Wechselwirkung zwischen Elektronen und Gittervibrationen (Phononen).
Visualisierung der Ladungsempfindlichkeit von Sr2RuO4 aus RPA (Random Phase Approximation), einem theoretischen Ansatz in der Festkörperphysik zur Berechnung von elektronischen Eigenschaften eines Materials basierend auf der Wechselwirkung zwischen Elektronen und Gittervibrationen (Phononen).
(Bild: Magazin Nature)

„Anfangs hatten wir gar keine Ahnung, was es denn sein könnte,“ erinnert sich Husain, aktuell als Forschungswissenschaftler bei Quantinuum tätig, einem Anbieter von „ Full-stack-Quantencomputing“. Denn Dämon-Partikel seien eine Rarität, stellt er trocken fest.

Als die Möglichkeit frühzeitig ins Gespräch gekommen sei, erinnert sich Husain, hätten die Forscher „herzlich gelacht.“ Als sie dann anfingen, andere Erklärungen auszuschließen, konnten sie sich der Erkenntnis nicht entziehen: Sie haben Dämon-Partikel experimentell nachgewiesen, rund 67 Jahre nach Pines wagemutiger Behauptung.

Aus der Sicht von Professor Abbamonte war es aber keine Glückssache. Er und sein Team hätten eine neuartige, kaum erforschte Messtechnik verwendet. Die Tatsache, dass sie etwas Unerwartetes und Bedeutendes gefunden hätten, sei aus seiner Sicht eben eine Konsequenz davon, dass sie etwas Neues probiert hätten.

*Das Autorenduo Anna Kobylinska und Filipe Pereia Martins arbeiten für McKinley Denali, Inc., USA.

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