Chips made in .... „Auf Sicht steigt der Bedarf an Chips – und Lösungen müssen her“

Ein Gastbeitrag von Technogroup |

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Schon seit rund eineinhalb Jahren sorgt ein anhaltender Chipmangel für Schwierigkeiten in den verschiedensten Branchen. Zunächst waren vor allem Produktionsstätten, die wegen der Covid 19-Pandemie geschlossen wurden, die Hauptursache. Später zeigten sich auch andere Stufen der Lieferketten als anfällig. Fatal ist zudem, dass gleichzeitig die weltweite Nachfrage nach Chips steigt.

(Bild: gemeinfrei: gerd Altmann / Pixabay)

Professor Dr. Hubert Lakner von der TU Dresden und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme (IPMS) hat mit der Technogroup, einem Anbieter für Drittwartung (Third-Party Maintenance / TPM) über die Chipkrise gesprochen. Hier ist die Verschriftlichung des Interviews, mit einer Anpassung für DataCenter-Insider.

Intel-Chef Pat Gelsinger erwartet, dass die Probleme bei den Fertigungskapazitäten und der Verfügbarkeit nötiger Maschinen mindestens bis ins Jahr 2024 reichen werden. Dagegen prophezeit das Marktforschungsinstitut Gartner bereits für 2023 eine Überkapazität in der Chipbranche. Welche Prognose möchten Sie abgeben?

Hubert Lakner: Ich würde mich eher der Meinung von Pat Gelsinger anschließen. Es handelt sich hierbei nicht um ein temporäres Ereignis. Auch wenn sich zwei bis drei Probleme beseitigen lassen, glaube ich nicht, dass wir in ein oder zwei Jahren wieder da sind, wo wir einmal waren. Ich denke, wir benötigen einen Paradigmenwechsel.

Wozu braucht es einen Paradigmenwechsel?

Hubert Lakner: Es gibt bei Chips hohe Zugangsbarrieren: Wer Chips herstellt, muss dafür viel Geld und Know-how aufwenden. Er braucht Designer und andere Experten.

Man hat die Chip-Produktion weltweit konzentriert. Man hat die Fabriken bis zum Anschlag der Auslastung gefahren und sehr lange Herstellungs-Zyklen. Bei neuen, komplizierten Chips sind das tausende Bearbeitungsschritte mit einem Horizont von mehreren Monaten. Das führt dazu, dass man in diesem Prozess nicht schnell mal etwas ändern kann.

Ein Beispiel: Intel plant, bei Magdeburg eine moderne Fabrik zu bauen – aber bis zum ersten Output dauert es noch Jahre. Das liegt auch an den Rahmenbedingungen. Wir haben ja nicht nur eine Chip-Krise, sondern zudem eine Klimakrise und eine Handelskrise, die die Welt in neue Machtblöcke aufteilt.

Was heißt das für die Lieferketten?

Hubert Lakner: Wir müssen Lieferketten neu gestalten. Sie werden zum Teil wieder lokaler, vielleicht mit Komponenten eines europäischen, eines amerikanischen, eines asiatischen Marktes. Aber man kann nicht mehr erwarten, dass dieser freie Austausch über Kontinente hinweg und unabhängig von politischen Systemen funktioniert. Daher erwarte ich eher einen Umbau.

Außerdem bin ich der Auffassung, dass der mittelfristige Bedarf an Chips nicht nachlässt, er wird eklatant steigen. Gründe dafür sind zunehmende Einsatzmöglichkeiten wie die künstliche Intelligenz und Steuerungs- und Regulierungsaufgaben in Fahrzeugen und Maschinen. Es kommen neue Anwendungsgebiete hinzu. Sehr viele Produkte, die früher nicht mikroelektronisch ausgeprägt waren, haben heute eine mikro-nano-elektronische Funktionalität, sind Internet-fähig oder erhalten Kommunikationsfähigkeiten.

Gleichzeitig erleben wir mehr klimabedingte Störungen, sogar vor einiger Zeit in Dresden, als es zu einem zwanzigminütigen Blackout kam. Wenn die Maschinen abrupt stoppen, können Sie alle Waver, die in diesem Moment in der Bearbeitung sind, wegwerfen.

Aber könnte sich die Industrie dagegen überhaupt wappnen?

Hubert Lakner: Unvorhersehbare, systemfremde Ereignisse werden immer eintreten. Anderes lässt sich strukturell und strategisch lösen. Dazu gehören Ansätze wie die geografische Diversifizierung, wie Intels wachsendes Engagement in Europa.

Wir sehen auch, dass taiwanesische Halbleiterhersteller Werke in den USA bauen und überlegen, auch in Europa tätig zu werden. Das sind Beispiele, wie die Produktion wieder etwas regionaler wird, allerdings auf Kontinente bezogen.

Aber was hilft die regionale Produktion in Europa, wenn die Rohstoffabhängigkeit eigentlich eine globale Frage ist?

Professor Dr. Hubert Lakner
Professor Dr. Hubert Lakner ist Professor für optoelektronische Bauelemente und Systeme an der TU Dresden und nicht zuletzt Leiter des Fraunhofer-Instituts für Photonische Mikrosysteme (IPMS).

Bildquelle: Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme (IPMS)

Hubert Lakner: Kürzere Wege für die Lieferung von Chips sind nur ein Trend von mehreren. Denn natürlich lässt sich nicht alles komplett lokal beziehen.

Gleichzeitig müssen wir in den internationalen Geflechten gegenseitige Abhängigkeiten und alternative Bezugsquellen schaffen. Keiner sollte einseitig die Lieferung einstellen können, ohne dass es ihm selbst weh tut.

Positiv ist jedenfalls, dass Unternehmen inzwischen alle Ebenen ihrer Lieferketten anschauen und Abhängigkeiten ausfindig machen. Sie suchen nach Second Sources, um auf zwei voneinander unabhängige Lieferanten zurückgreifen zu können. Wir sehen auch, dass einige große Firmen ganze Teams aufbauen, die sich nur diesem Thema widmen.

Welche Rolle spielt der Krieg in der Ukraine? Es heißt, dass dem Markt dadurch produktionsrelevante Rohstoffe und Edelgase verloren gehen.

Hubert Lakner: Ja, gerade wenn Unternehmen nur kleine Mengen bestellen, ist beispielsweise Helium aktuell schwer zu bekommen. Aber die kriegerische Auseinandersetzung schafft einen anderen, noch stärkeren Input, denn Chip-Fabriken sind sehr energiehungrig. Das heißt, es existiert direkt oder indirekt eine Abhängigkeit von Erdgas oder fossilen Energieträgern und der Strompreis spielt eine entscheidende Rolle.

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Ist daher davon auszugehen, dass die Preise für Chip-Abnehmer noch deutlich steigen werden?

Hubert Lakner: Konjunkturbedingt sinkt in manchen Bereichen die Nachfrage aktuell, aber mittelfristig steigen auch die Chip-Preise. Im Prinzip können die Hersteller Chips versteigern.

Es gibt eine Art Hackordnung: Wer viele Chips bestellt oder viele Anlagen einkauft, hat eher eine Chance, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Wer nur wenige Waver bestellt, rutscht in der Prioritätenliste automatisch weiter nach hinten.

Es gibt auch neue Ideen – beispielsweise, dass Halbleiterfirmen an den Gewinnen von Automobilverkäufen partizipieren. Das bedeutet, Geschäftsmodelle werden neu gedacht. Zu Beginn der Corona-Krise hatten die Automobilhersteller ihre Verkaufszahlen etwas reduziert und weniger Chips bestellt. Diese Produktionsslots wurden sofort von anderen belegt. Denn mit der Krise kam eine erhöhte Nachfrage nach Kommunikationstechnologien und nach IT. Und diese Produktions-Slots zurückzuerobern, ist sehr schwer.

Müssten auch Unternehmen, die viel IT-Hardware einsetzen, innovative Wege gehen, um dem Mangel zu begegnen und Planungssicherheit zu bekommen? Ist beispielsweise refurbished Hardware eine sinnvolle Alternative zur Überbrückung?

Hubert Lakner: Solche Dinge sind möglich, genauso wie das Recycling der verbauten Materialien. Das läuft im Grunde wie bei Handys, wo die verbauten seltenen Metalle wiederverwendet werden. Diese Dinge werden kommen und eine Art Downgrading ist ebenfalls vorstellbar. Zum Teil werden solche Vorgehensweisen längst durchexerziert.

Wir haben aber auch technologische Möglichkeiten: Auf modernen Chips haben wir heute den Logikprozessor, die Memory-Komponente, eine Komponente für den Internet-Zugang, gegebenenfalls noch Sensoren und Weiteres. Aber die Komplexität der Chips muss nicht dahin getrieben werden, dass in einem Chip all diese Dinge verarbeitet werden. Sondern dass man verschiedene Chipsorten hat, die sich wie Lego-Steine kombinieren lassen, um die benötigte Funktionalität zu erhalten. Dadurch wäre auch mehr Standardisierung möglich.

Das ist der entgegengesetzte Weg zu dem, den zum Beispiel Apple gegangen ist, immer mehr Funktionen in einem Chip zu konzentrieren.

Hubert Lakner: Alternativ gibt es heute den Weg der Hetero-Integration. Das bedeutet, dass sich Komponenten und Technologien, die schwer miteinander zu kombinieren sind, in einem nachgelagerten Prozess zu einem Gesamtsystem zusammenfügen lassen. Dadurch erhält man eine Art flexiblen Bausatz – je nach Einsatz und Anforderung.

Im Zusammenhang mit der Produktion von integrierten Chips wird meiner Ansicht nach zu wenig über Folgendes gesprochen: Das Packaging, also das Nutzbarmachen der Halbleiterchips in einem Kunststoffgehäuse, ist ein Geschäft, bei dem wir noch viel stärker von asiatischen Anbietern abhängig sind.

Der European Chip Act, der besagt, dass man wieder auf 20 Prozent der Weltproduktion in Europa kommen möchte, behandelt nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass wir auch an das Packaging denken müssen, an die Aufbau- und Verbindungstechnik, mit der wir die Chips in Geräte einbauen können.

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