Die Kältewende O´zapft is! Brunnenwasser & Co.
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Heiß auf leistungsstarke Kühlung? Pssst.. nicht verraten! In seinen Münchener Datencenter „braut“ NTT nach einem Geheimrezept für Geothermie. Das Brunnenwasser macht' s möglich.

Geothermie ist ein Fass ohne Boden, was das Potenzial für „grüne“ Energiegewinnung angeht. Einerseits stellt die Erdwärme eine höchst zuverlässige Energiequelle für die Stromerzeugung dar. Zum anderen besteht für Rechenzentren die Möglichkeit, mit geothermischer Kühlung zu punkten. Eben diesen Weg hat NTT eingeschlagen.
Anbohren, anzapfen, abführen: Kälte-Erzeugung mit Geothermie
Geothermische Kühlung funktioniert nach dem Weinkellerprinzip: Knapp unter der Oberfläche der Erde fällt die Temperatur ins „Bodenlose“ und hält sich hier das ganze Jahr über auf einem beinahe konstanten Niveau. Zugleich braucht ein Rechenzentrum Kühlmöglichkeiten. Wasser ist ein Kühlmittel, zum Beispiel Brunnenwasser. Fließt es durch ein geschlossenes Rohrleitungssystem, genügt bereits ein Temperaturgefälle von ein paar wenigen Grad. Kleine Rechenzentren und Büros mit Rechenbedarf können so über oberflächennahe Geothermie generell das ganze Jahr über die Abwärme aus Serverräumen in das Erdreich abführen.
Wer mit den richtigen Voraussetzungen gesegnet ist, sitzt möglicherweise auf einer Goldgrube. Bei seinem Vorzeigerechenzentrum im Westen des US-Bundesstaates Pennsylvania kann Iron Mountain von eben solchem Glück reden. Das Unternehmen konnte hier für sein geothermisches Kühlsystem ein unterirdisches Wasserreservoir mit einer Fläche von rund 35 Hektar anzapfen.
Die Geothermie-Anlage befindet sich rund 60 Meter unter der Erde in einer ehemaligen Kalksteinmine. Die beachtliche Menge des kühlen Wassers dient als thermaler Backup-Speicher; die Anlage hat eine unbegrenzte Laufzeit. Dies hat wiederum den Einsatz von Pumpen für variablen Durchfluss ermöglicht, die sich durch „eine sehr einfache Konstruktion“ auszeichnen.
Das Rechenzentrum hat eine Stellfläche von 12.000 Quadratmeter, eine Leistungsaufnahme von 15,5 Megawatt (MW) zu 100 Prozent aus regenerativen Energiequellen und einen PUE von 1.3. Das Datencenter ist Teil eines insgesamt 200 Hektar großen unterirdischen Campus. Die günstige geografische Lage relativiert das Resultat.
Kann es auch in Deutschland funktionieren? Offenbar schon. NTT hat es ja vorgemacht.
Erdkälte aus Brunnenwasser
Am Standort in Unterschleißheim nutzt NTT Global Data Centers (früher E-Shelter) Erdkälte – mit viel Erfolg. Hier existiere, „bedingt durch die Nähe zu den Alpen, ein ausreichend mächtiger und kalter Grundwasserstrom“, um Brunnwasserkühlung zu implementieren, enthüllt Dirk Pohl, Head of the Region Germany South bei der Global Data Centers EMEA Division von NTT Ltd., im exklusiven Interview für DataCenter-Insider. Das hätten „geologische Messungen, Probebohrungen und mehrwöchige Pumpversuche im Vorfeld des Rechenzentrumsbaus bestätigt“.
Die NTT-Rechenzentrum MUC könne auf dem auf vier Entnahmestellen für das Grundwasser zurückgreifen; drei der Brunnen dienen zur Versorgung, einer ist als Rückspülbrunnen gedacht. „Von diesen Förderbrunnen wird das Grundwasser in Wärmetauscher geleitet, wo es die Abwärme aus dem Kühlkreislauf des Rechenzentrums aufnimmt“, erläutert Pohl. Zu einer Vermengung des Wassers, also zu einer Verunreinigung des Grundwassers kann es nicht kommen; denn das Grundwasser ist strikt von der eigentlichen Kälteversorgung getrennt und kommt „mit keinem anderen Wasser oder sonstigen Kühlflüssigkeiten in Berührung“.
Das gehört zu den Auflagen durch das Wasserwirtschaftsamt, genauso wie die 12 Grad bei der Wasserentnahmeie Temperatur des Grundwassers zwischen den Saug- und Schluckbrunnen in den Wärmetauschern stiege entsprechend den behördlichen Vorgaben um 4 Grad, maximal 7 Grad an.
Würden die Grenzwerte überschritten, zum Beispiel bezüglich der Temperatur - vorsichtshalber misst NTT Global Data Centers auch den Anteil an Chemikalien und das Volumen - würde die Grundwasserentnahme gestoppt und andere Kühlmechanismen müssten übernehmen. Anschließend werde es über einen Schluckbrunnen wieder dem Grundwasserreservoir zugeführt.
Der Kühlprozess an sich würde keine Tests und Reinigungen notwendig machen, da es sich um eine indirekte Kühlung über Wärmetauscher handelte und das Grundwasser mit keinen anderen Substanzen in Berührung käme. Das Unternehmen würde das Grundwasser dennoch auf aggressive Substanzen regelmäßig testen, um auszuschließen, dass es die Wärmetauscher beschädigen könnte.
„Filteranlagen halten Sand oder andere natürliche Schwebteilchen im Grundwasser schon in der Förderanlage zurück“, kommentiert Pohl, „so dass wir die Pumpen, Leitungen und Wärmetauscher vor Beschädigungen oder Abrieb schützen“.
Alle Leitungen seien zudem „mit hochsensiblen Leckagemeldern ausgestattet“. Das Unternehmen würde Druckschwankungen erfassen und auch die Wassermengen an den Saug- und Schluckbrunnen messen, um Abweichungen zu erkennen. Ein Wasserleck ließe sich so „extrem schnell entdecken“. Daraufhin würde sich das System automatisch abschalten und selbständig auf die Kältemaschinen oder freie Kühlung umschalten.
Keine Probleme
Seit der Inbetriebnahme der Anlage und behördlicher Betriebsfreigabe liefe die Grundwasserkühlung jedoch „ohne Probleme“, bestätigt Pohl.
An dem Projekt hätten mehrere spezialisierte Unternehmen eng zusammengearbeitet, darunter ein Ingenieurbüro für Geologie und Hydrologie und ein für Naturschutz, Gewässer und Fischereifragen. Die Bohrungen und Leitungsverlegungen übernahm eine auf Wasser- und Umwelttechnik spezialisierte Firma, die Überwachung der Anlagen ein Ingenieurbüro für Messtechnik und Datenauswertung.
Die Grundwasserkühlung im MUC 2 funktioniere „sehr zuverlässig“ und sei „extrem effizient“, so dass es eigentlich „wenig Ansatzpunkte gibt, etwas anders zu machen“, enthüllt Pohl. Der Spielraum sei in diesem Bereich „ohnehin begrenzt“, da die behördlichen Regelungen, etwa zum Umweltschutz, „völlig zurecht sehr streng“ seien.
Auch in Österreich hat sich die Geothermie als Energiequelle bewährt. Das Rechenzentrum der Raiffeisen-Landesbank Steiermark in Raaba-Grambach nutzt zur Energiegewinnung neben Fotovoltaik auch Erdwärme und kühlt sich nebenbei mit Brunnenwasser.
Kühlung mit Wasser aus der Wiederaufbereitung
Nicht jeder Standort ist mit Grundwasser gesegnet. Da gilt es, tiefer in die Trickkiste zu greifen.
So in Kalifornien. Dort ist das Grundwasser ein knappes Gut und Regenwasser, welches sich zur Kühlung in ein unterirdisches Reservoir einspeisen ließe, eh Mangelware: Die anhaltende Dürre im Westen der Vereinigten Staaten lässt Datacenter-Betreiber leer ausgehen. Die Meerwasseraufbereitung kommt mit einer langen Liste von technischen Problemen und standorttechnischen Einschränkungen.
Notwendigkeit ist die Mutter der Erfindung, heißt es in französischen Sprachgebrauch. Einige Rechenzentrumsbetreiber machten also die Not zur Tugend: Sie bauen auf dem Gelände von Wasserrecycling-Anlagen und zapfen gleich hier an.
Durch den Zusammenschluss eines Rechenzentrums mit einem Klärwerk entstehen massive Synergien auf mehreren Ebenen des Betriebs. Diese sollen sich unter anderem in einem erheblich reduzierten Energieverbrauch und einer ebenfalls wesentlich geringeren Umweltbelastung beider Facilities niederschlagen.
Das Finden und Nutzen von Synergien
Jon Liberzon, Vice President bei Tomorrow Water, erläutert: „Datencenter brauchen Platz und müssen sich kühlen – und [dazu] brauchen sie Wasser.“ Rechenzentren und Wasseraufbereitungsanlagen würden sich aus seiner Sicht ideal ergänzen. Das Resultat seien „drastische“ Synergien.
Wasseraufbereitungsanlagen können Rechenzentren nebenbei auch mit Strom versorgen: aus Methan, sprich Biogas, einem Nebenprodukt der Wasseraufbereitung.
Klärwerke sind generell seit geraumer Zeit im Geschäft und so verfügen sie über riesige Flächen in erstklassigen Lagen dicht besiedelter Metropolen. Bisher mussten sie ihr Land für geräumige Sedimentationsbecken „provisionieren“. Technologische Innovationen in der Wasseraufbereitung schaffen Abhilfe.
Jugnang in Korea
Das „Proteus“-System der südkoreanischen Muttergesellschaft von Tomorrow Water, BKT, hat in der Vorzeigeimplementierung „Jungnang“ im südkoreanischen Seoul eine um 50 Prozent höhere „Betriebsdichte“ der Abwasserkläranlage erzielt. Mittlerweile soll sich der Fußabdruck eines Klärwerks auf bis zu 85 Prozent schrumpfen und so Platz für den Neubau von Datacenter in der begehrten Lage schaffen – eine „Sektorenkopplung“ der besonderen Art.
Eine Bleibe in der Nähe dicht besiedelter Stadtgebiete ist für Datacenter-Betreiber sicherlich von Interesse. Aber auch das Gegenteil trifft zu: Für den Betrieb ihrer modernen hochverdichteten Anlagen brauchen Abwasser-Rückgewinner gehörig Rechenleistung für die Steuerungs- und Überwachungstechnik sowie Energie-Management-Software und können so gleich zur Auslastung der IT-Systeme beisteuern.
Seit Rechenzentrumsbetreiber geeignete Immobilien vielerorts zunehmend nur mit Mühe und Not finden können und auf den Stromzähler ohnehin schon länger mit Besorgnis schauen, kommt dieser Ansatz wie gerufen. Zum Beispiel an der U.S.-amerikanischen Ostküste im Loudoun County haben die Hyperscaler Microsoft, Google und Amazon die Preise für Baugrundstücke aggressiv nach oben getrieben.
Die Anläufe bei Microsoft
Microsoft hat eine Kläranlage in der Stadt Quincy im U.S.-Bundesstaat Massachusetts als Partner für den Energie- und Wasserkreislauf eines seiner Rechenzentren gewinnen können. Im ersten Anlauf lief das Projekt jedoch gegen die Wand. Die Regulierungsbehörden weigerten sich, die Kopplung der Anlagen abzusegnen, weil Microsoft für die Nutzung des mit Mineralien angereicherten Industriewassers keine Genehmigung hatte.
In den meisten Installationen durchläuft das Nutzwasser vier bis fünf Mal den Rechenzentrumskreislauf, bevor es zurück zur Kläranlage muss; ein Teil verdampft unterwegs. Weicht die chemische Zusammensetzung von den Normen auf, können gravierende Probleme auftreten.
Microsoft wollte dann die Kläranlage auf ein anderes Verfahren umrüsten lassen. Die Stadtverwaltung war einverstanden, sofern Microsoft die Finanzierung zu 100 Prozent übernehmen würde. Der Hyperscaler muss also unter anderem auch die gesamten laufenden Kosten der Wasseraufbereitung in der kommunalen Kläranlage tragen. Das ist gerade keine Bagatelle, denn diese belaufen sich auf mehrere Dutzend Millionen Dollar pro Jahr. Das Plus unterm Strich hat noch angeblich Potenzial für weiteren Ausbau.
Mit Spannung erwartet: Strom aus Geothermie
Geothermie kann auch Wärme liefern und Strom erzeugen. Im Gegensatz zu der volatilen Stromerzeugung aus Photovoltaik und Windkraft stehe mit der hydrothermalen Geothermie „eine hochverlässliche Energiequelle“ zur Verfügung, urteilt die Geothermie-Allianz Bayern im Schlussbericht zum Forschungsprojekt um das Potenzial der Geothermie im deutschen Energiesystem.
Auch Google ist schon auf den Geschmack gekommen. Der Hyperscaler möchte das Potenzial von Geothermie in einem Pilotprojekt in der Nevada-Wüste ausloten. Der Konzern hat sich hierzu mit dem Startup Fervo Energy zusammengeschlossen, um durch den Einsatz fortschrittlicher Bohr-, faseroptischer Mess- und KI/ML-gestützter Analysetechniken „die nächste Generation von Geothermie“ auf die Beine zu stellen.
Direkt in den Bohrlöchern abgesenkte Glasfaserkabel sollen in Echtzeit präzise Messwerte über den Durchfluss, die Temperatur des Wassers und andere Parameter erfassen, enthüllt Michael Terrell, Director of Energy bei Google. Anhand dieser Daten ließe sich ermitteln, wo die besten Ressourcen gerade vorhanden seien. So könne die KI den Durchfluss von Wasser in verschiedenen Tiefen präzise steuern, um die Energiegewinnung zu maximieren.
Das Potenzial
Schätzungen des US-Energieministeriums zufolge könne Geothermie bis zum Jahre 2050 so um die 120 GW an Leistung bereitstellen können. Googles Pilotprojekt soll gerade einmal so um die 5 MW an stabiler Leistung erzeugen.
Dies entspricht einem winzigen Bruchteil des Energiebedarfs der Las-Vegas-Region von Google, die bereits heute mehrere Hundert Megawatt verschlingt. Die Nutzung geothermischer Energie zur Stromerzeugung kommt im Endeffekt auch der Kühlung zugute, wenn auch möglicherweise über fünf Ecken.
Vielversprechend - auch in Deutschland
Die thermische Nutzung des Grundwassers sei auf die Absorptionswärmepumpe bezogen „sehr vielversprechend“, urteilt ZAE Bayern im Schlussbericht „Biowap. Biomasse betriebenes Wärmepumpen- und Kälteanlagesystem“ vom 28. Februar 2021. Aufgrund der hohen und relativ konstanten Quellentemperatur ließe sich die Wärmepumpe monovalent über die gesamte Heizperiode, also aus einer einzigen Wärmequelle, betreiben, wenn die Ergiebigkeit des Grundwasserleiters gegeben sei und die benötigten Lizenzen vorlägen.
Die größten rechtlichen Hürden träten bei Erdwärmesonden, Grundwasserbrunnen und Gründungspfählen auf. Grundwasser als Wärmequelle sollte direkt genutzt werden, um vom hohen Temperaturniveau zu profitieren, empfiehlt das Schlussbericht.
Doch ein paar Wermutstropfen gibt es auch: Da im Wasser jedoch Mineralien und andere Inhaltsstoffe gelöst seien, die im Brunnen nicht komplett herausgefiltert werden könnten, könne mit der Zeit im Verdampfer möglicherweise zu Verunreinigungen und Ablagerungen kommen. Zudem bestehe erhöhte Korrosionsgefahr durch gelöste Ionen und Sauerstoff im Brunnenwasser, so die Autoren des Schlussberichtes. Sie empfehlen, auf eine entsprechende Zugänglichkeit zur Wartung und Reinigung sowie eine geeignete Materialauswahl zu achten.
In Küstengebieten sei zudem die thermische Nutzung des Meerwassers möglich. Mittels Wärmepumpen ließe sich unter anderem auch See- und Flusswasser thermisch nutzbar machen. Anders als Meerwasser wirke es mangels Salz nicht stark korrosiv, unterliege jedoch starken jahreszeitlichen Schwankungen.
*Das Autoren-Duo Anna Kobylinska und Filipe Pereia Martins arbeitet für McKinley Denali Inc. (USA)
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