Nicht genügend Strom, ungenügend Grünstrom Waldhauser zur Nutzung von Abwärme: „Wir sprechen von vielen Milliarden €“
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Eigentlich könnten bis 2030 alle Wohn- und Büroräume in Frankfurt-Rhein-Main von den rund 60 Bestandsrechenzentren und zukünftigen Neubauten versorgt werden. Aber der weitere Ausbau der kommunalen Energie-Infrastruktur muss vorankommen. Der Sprecher der Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen in Deutschland und Geschäftsführer von Telehouse Deutschland, Béla Waldhauser, steht dazu Rede und Antwort.

Das 'Netzwerk Infrastruktur Rhein-Main' und die unter dem Dach des Eco - Verband der Internetwirtschaft agierende 'Allianz zur Stärkung der digitalen Infrastruktur' hatten zum Hintergrundgespräch auf das Rechenzentrumsgelände an der Kleyerstraße im Frankfurter Gallusviertel geladen: Datacenter sollten vermehrt Grünstrom aus erneuerbaren Quellen beziehen und eine konsequente Abwärmenutzung vorantreiben - wünschen sich alle. Denn Hindernisse gibt es zuhauf.
Wo genau drückt Sie am Datacenter-Hotspot Frankfurt-Rhein-Main der Schuh?
Béla Waldhauser: Ich fange mal mit der Energieversorgung an: Seit mehreren Jahren ist die Co-Location-Branche im Rhein-Main-Gebiet der größte Stromabnehmer. Das bringt auch gewisse Herausforderungen mit sich. Die Geschwindigkeit, in der die digitale Infrastruktur in der Region aufgebaut wird, ist einfach schneller, als es die Energieversorger erwartet haben.
Dazu kommt, dass wir als Branche zu Zeiten des Dotcom-Booms noch ganz am Anfang standen. Diese Technikunternehmen hatten die Versorger um die Jahrtausendwende mit Anfragen überschüttet, die dann nach dem Crash nicht mehr eingelöst wurden.
Im Unterschied zu damals stellen wir als Rechenzentrumsbranche heute reale, nachvollziehbare Anforderungen. Der nachgefragte Strom wird effektiv benötigt und auch abgenommen.
Zuerst muss sichergestellt sein, dass überhaupt genügend Strom in die Region kommt.
Wir sprechen hier erst einmal nur von Strom. Bevor das Thema Grünstrom auf die Tagesordnung gesetzt werden kann, muss zunächst die Frage beantwortet werden, wie überhaupt genügend Strom in die Rhein-Main-Region kommen kann, um die Bedarfe insgesamt zu befriedigen. Nehmen wir als Beispiel die Stadt Dreieich – eine mittelgroße Kommune mit rund 40.000 Einwohnerinnen und Einwohnern vor den Toren Frankfurts. Die Stadtoberen hatten um Rat gefragt, ob es sinnvoll sein könne, in Dreieich ein Rechenzentrum anzusiedeln.
„Wenn ihr ein geeignetes Grundstück mit rund 10.000 Quadratmetern und genügend Strom zur Verfügung habt, wäre das eine solide Geschichte und würde euch auch genügend Gewerbesteuereinnahmen einbringen“, lautete meine Einschätzung damals. Als Pferdefuß dieser Planspiele erwies sich schlussendlich der auf rund 30 Megawatt geschätzte Stromverbrauch pro Jahr.
Zum Vergleich: Die ganze Stadt Dreieich ist mit 30 Megawatt an das Netz angeschlossen. Dieses kleine Beispiel verdeutlicht in etwa die Größenordnung der Herausforderung, vor der mittlere Kommunen stehen, die insgesamt so viel Strom verbrauchen wie heute ein einziges Modul eines modernen Rechenzentrums.
Um die eingangs genannten Ziele auch zu erreichen, kommt man an den beiden Hauptfaktoren nicht vorbei: Wasserkühlung und ein zügiger Aufbau der neuesten Generation Fernwärmenetze. Können Sie diesen zentralen Zusammenhang noch einmal verdeutlichen?
Béla Waldhauser: Nehmen wir einmal unser Telehouse-Rechenzentrum. Wir gehören zwar zu den Großen, aber bei Weitem nicht zu den Größten im Lande. Unser aktueller Strombedarf liegt bei ca 25 Megawatt für den kompletten Campus. Bei einer Auslastung von 50 bis 60 Prozent haben wir einen so hohen Stromverbrauch, dass selbst das zukünftige Wohnquartier „Franky“ auf der gegenüberliegenden Straßenseite (ehemals „Westville“), das von uns mit Abwärme versorgt werden wird, einen Energy Reuse Factor (ERF) von zwei Prozent erreicht.
Wenn 3.000 Menschen zwei Prozent ERF entsprechen, sind 30.000 Menschen erforderlich, um die (im EnEfG vorgesehenen) 20 Prozent zu erreichen. Das ist im Rahmen eines Nahwärmekonzepts vollkommen unrealistisch. Wir haben schlicht und einfach nicht 30.000 Menschen und mehr in unmittelbarer Nähe, die zudem noch bereit und in der Lage sind unsere Abwärme ab-zunehmen (siehe auch: Abbildung 6).
Wenn wir aber nicht zwei Prozent, sondern zukünftig vielleicht einmal 50 Prozent unserer Abwärme – bei luftgekühlten Servern um die 30 Grad Celsius – abgeben werden, lässt sich das nur über eine Einspeisung auch in die Fernwärmenetze erreichen. Die meisten älteren Fernwärmenetze der zweiten Generation arbeiten in Deutschland aber bei plus/minus 100 Grad.
Die anfallende Abwärme luftgekühlter Systeme von 30 Grad auf 100 Grad aufzuheizen, ist nicht nur teuer, sondern auch in hohem Maße ineffizient. Es stellt sich damit unmittelbar die Frage, ob das ökonomisch und ökologisch überhaupt Sinn macht.
Die Zukunft heißt: wassergekühlte Server, neue Kühlsysteme und Fernwärmenetze der vierten Generation.
Vor diesem Hintergrund ist meine Vision zu verstehen: Ich wünsche mir, dass unsere Kunden verstärkt wassergekühlte Server einbringen. Dann macht es auch Sinn, zukünftig neue Kühlsysteme in die Datacenter einzubauen, die bei wesentlich höheren Temperaturen arbeiten. Last, but not least sind die Kommunen und Wärmenetzbetreiber gefordert, flächendeckend Fernwärmenetze der vierten Generation – so genannte Niedrigtemperatur-Fernwärmenetze – zu verlegen, die mit 60 bis 70 Grad arbeiten.
Die Abwärme der Zukunft wird bei wassergekühlten Servern auf einem Temperaturniveau zwischen 50 und 60 Grad liegen. Dann macht die vollständige Einspeisung der anfallenden Abwärme in die Fernwärmenetze sowohl ökologisch als auch ökonomisch Sinn, und es ist egal, ob der Wärme-Abnehmer auf der anderen Straßenseite gegenüber oder in zehn Kilometer Entfernung angesiedelt ist – Hauptsache, er ist an das Fernwärmenetz angebunden.
Darüber hinaus eröffnen sich mit Fernwärmenetzen 4.0 auch weitergehende Optionen, zum Beispiel die Abwärme anderer Industrien nutzen oder als Prozesswärme verwenden zu können.
Was können vor allem die großen Co-Location-Anbieter in der Region tun, um ihren Kunden den Umstieg von der heute noch gängigen Umluftkühlung auf Wasserkühlung schmackhaft zu machen?
Béla Waldhauser: Wir sprechen das Thema immer mal wieder an, müssen aber keine Aufklärung betreiben. Die meisten unserer Housing-Gäste bringen von vornherein wesentlich mehr Know-how mit, als ich das von Politik und Wirtschaft gewohnt bin. Sie wissen in der Regel genau, was sie tun.
Nehmen wir zum Beispiel die globalen Cloud-Anbieter. Für diese Klientel ist ein Datacenter nichts anderes als eine Fabrik, in der es gilt, die Fabrikationskosten so niedrig wie möglich zu halten. Wenn daher in den Co-Location-Rechenzentren heute noch keine wassergekühlten Server in größerem Umfang eingesetzt werden – es geht hier schließlich um Millionen von Geräten –, liegt das daran, dass die Cloud-Anbieter erst sicher sein wollen, dass alles einwandfrei funktioniert und sich die Wasserkühlung auch weltweit ausrollen lässt.
Darüber hinaus kann die Politik aber Anreize für wassergekühlte Server schaffen. So gilt zum Beispiel der viel diskutierte Industriestrompreis aktuell noch nicht für Rechenzentren, obwohl wir genauso Energie-intensiv sind wie andere Industrien. Warum gibt man den deutlich reduzierten Industriestrompreis nicht für Rechenzentren und deren Kunden, die wassergekühlte Server betreiben?
Das von mir kritisch begleitete neue Energie-Effizienzgesetz wird die Wasserkühlung anschieben. Eine Änderung in letzter Minute besagt, dass ab 1.7.2026 neue Rechenzentren einen PUE-Wert von 1,2 haben müssen. Wir sprechen hier nicht vom Design-PUE, sondern vom „echten“ PUE im Jahresmittel.
Dieser Wert lässt sich mit herkömmlicher Kühlung nur sehr schwer bis gar nicht erreichen. Telehouse plant für sein übernächstes Datacenter, das 2027 auf dem Gelände Kleyerstraße live gehen wird, bereits ein Design nach den neuesten Richtlinien. Dabei gehe ich fest von einem Rechenzentrum für wassergekühlte Server aus.
Auch für ältere Bestandsrechenzentren wurde die Messlatte ab 2030 auf einen PUE-Wert von 1,3 gelegt. Das wird dazu führen, dass die Co-Location-Branche ihren Altbestand im Rhein-Main-Gebiet und anderswo in Deutschland bis 2030 weitgehend unverändert ausfahren und danach Tabula rasa machen wird, Das heißt: Abriss, Neubau oder Umbau – je nachdem, was die Gebäudehülle noch hergibt. Das Gleiche gilt übrigens auch für Rechenzentren von Unternehmen und Behörden ab einer gewissen Größe.
Sie sprechen auch vom verstärkten Aufbau neuer Datacenter, die im Gegensatz zu älteren Bestandsrechenzentren „Abwärme-ready“ sind. Warum können ältere Rechenzentren nicht für die Abwärmenutzung fit gemacht werden?
Béla Waldhauser: „Abwärme-ready“ ist nicht gleichbedeutend mit wassergekühlten Servern. Dieser Begriff beinhaltet nur, dass ein Rechenzentrum überhaupt in der Lage ist, Abwärme abzugeben – egal auf welchem Temperaturniveau. Und das ist bei vielen einfach nicht der Fall, hat aber nicht unbedingt etwas mit dem Alter des Rechenzentrums zu tun, sondern vielmehr mit der Kühltechnik.
Nehmen wir z. B. die adiabatische oder auch Verdunstungskühlung, die mit großen Luftmengen arbeitet. Dort ist es sehr komplex und auch teuer, die Abwärme aus der warmen Luft herauszufiltern. Ähnlich stellt sich die Situation bei Verwendung sehr vieler, einzeln verteilter Kühleinheiten dar.
Das sieht bei Rechenzentren mit standardisierten Kühlkreisläufen schon ganz anders aus. Trotz traditioneller Luftkühlung der Server verfügen diese Systeme über einen Kühlwasserkreislauf, aus dem die anfallende Abwärme viel einfacher herausgezogen werden kann. Wirklich relevant für das Thema Abwärme sind – schon allein aufgrund ihrer Größe von zehn Megawatt pro Gebäude und mehr – vor allem Datacenter, die in den vergangenen zehn Jahren gebaut wurden.
Es gibt diverse Leuchtturmprojekte bei den regionalen Energieversorgern. Man denke nur an die geplante Abwärmeversorgung des Neubauquartiers 'Franky' (ehemaliges 'Westville') durch Telehouse an der Kleyerstraße gleich gegenüber und weitere Projekte. Reichen diese Vorhaben und das eingeschlagene Tempo aus, um Ihre Vision in Frankfurt-Rhein-Main zu erreichen?
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Béla Waldhauser: Ich denke, die Energieversorger in der Region Frankfurt/Rhein-Main haben die Zeichen der Zeit mittlerweile sehr gut erkannt. Das Projekt 'Franky' beispielsweise wäre ohne die gute Zusammenarbeit mit dem Energieversorger Mainova nicht umsetzbar gewesen. Auch die anderen wie zum Beispiel Süwag und Syna bewegen sich sehr stark (siehe: Abbildung 5ff). Das Haupthindernis wird vor allem die Gretchenfrage nach der Finanzierung der dringend benötigten neuen Fernwärmenetze 4.0 sein. Hier sprechen wir ja von vielen Milliarden Euro.
Die Stadt Frankfurt am Main arbeitet im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung 2035 bereits am Ausbau der Fernwärmenetze. Die bislang bestehenden 310 Kilometer sollen bei anfallenden Kosten von rund 3 Milliarden Euro jährlich mehr als verdoppelt werden (siehe: beigefügte Folien). Wie schätzen Sie diese und andere Aktivitäten in der Region dazu ein?
Béla Waldhauser: Eine ganz entscheidende Frage wird sein, wie die Kommunen die anstehenden Mammutaufgaben überhaupt gestemmt bekommen. Ohne massive Förderung durch den Bund wird das kaum realistisch möglich sein.
Aber auch die Geschwindigkeit bei der Umsetzung spielt eine entscheidende Rolle. Angesichts der Erfahrung bei der Umsetzung anderer drängender Infrastrukturprojekte wie der Unfähigkeit, die Nord-Süd-Stromtrasse für den Transport der Offshore-Windenergie in den Süden der Republik zu bauen, hege ich insgesamt wenig Hoffnung, dass wir relativ zeitnah in Deutschland zu den dringend benötigten neuen Fernwärmenetzen der vierten Generation kommen werden.
Ich bin mir aber auch ziemlich sicher, dass vor allem die Rechenzentrumsbranche ihren Beitrag leisten wird. Insofern besteht die Möglichkeit, dass wir unsere Abwärme zukünftig verstärkt auch in die Fernwärmenetze einspeisen können — halt nicht so effizient, wie es sinnvoll und nötig wäre.
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