Gegenwind für Datacenter im Rhein-Main-Gebiet Anwohner und Verbände fordern: Nachhaltigkeit, Umweltauflagen und städtebauliche Integration
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Die Nachbarn der neuen Rechenzentren im Frankfurter Osten sind keine Gegner von IT und Digitalisierung, stellen aber kritische Fragen zur Raumplanung, Schallschutz, Lichtverschmutzung und Nachhaltigkeit durch die Massierung zahlreicher großer „Klötze“ in so genannten „Clustern“. Es reicht ihnen nicht, wenn die Betreiber ihre Fassaden begrünen und versichern, der Strom für das Rechenzentrum stamme aus erneuerbarer Energie.

Im Rhein-Main-Gebiet schießen Rechenzentren wie Pilze aus dem Boden. Der von ihnen benötige Strom verdoppelt sich in wenigen Jahren. Rechenzentren verdrängen klassische Gewerbetreibende und rücken an Wohngebiete und Grüngürtel heran. Anwohner organisieren sich in Bürgerinitiativen, die Kommunalpolitik will den Bau neuer Rechenzentren reglementieren. Eine Gruppe bürgerschaftlicher Akteure hat sich aufgemacht, die Nachhaltigkeit von Rechenzentren zu hinterfragen.
Als 2018 der erste Hyperscaler in der Friesstraße entstand (Foto), wandten sich zahlreiche Anwohner mit Unterschriftenlisten und Fachfragen an Kreis, Regierungspräsidium und Land. Da von der Politik nachfolgend kaum Druck auf die Betreiber ausgeübt wurde, ihre Planungen der Nachbarschaft und dem Stadtraum anzupassen, gründete sich eine „Bürgerinitiative für gesundes Wohnen und nachhaltiges Gewerbe“.
In Frankfurter Stadt(teil)parlamenten und Ausschüssen ist die Anzahl, das Aussehen und die Standorte neuer Rechenzentren seit 2021 ein ständiges Thema. In einem gemeinsamen Positionspapier haben der BUND Hessen und die Lokale Agenda 21 Offenbach 2021 einen klaren Forderungskatalog für mehr Nachhaltigkeit aufgestellt . Die Frankfurter Grünen forderten 2021 in einen Masterplan mit klaren Auflagen für nachhaltige Rechenzentren, wie mittelfristig verbindliche Abwärmenutzung und Abstandsflächen mit Bäumen zur Wohnbebauung. Auch die hessische Landes- und Umweltpolitik schaut jetzt genauer hin.
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Das Positionspapier von BUND Hessen und Agenda 21 Offenbach
Gegenwind im Datacenter-Happyland frischt auf
Wo kommt der Strom her und welche Einsparpotenziale sind verwirklicht?
Zwar reklamieren viele Betreiber, dass sie für ihre Rechenzentren „grünen Strom“ nutzt. Betrachtet man hiesigen Verhältnisse, wird deutlich, dass die Strommenge von 1,2 Gigawatt (GW), die nach einer Studie des Borderstep Institut (Berlin) im Rhein-Main-Gebiet bis Mitte der 20iger Jahre allein für Rechenzentren benötigt wird, nicht in der Region erzeugt werden kann. Der zusätzliche Strombedarf aus erneuerbaren Quellen durch Rechenzentren im Rhein-Main-Gebiet verlangt also nach einem deutlichen Ausbau der erneuerbaren Energien (Wind, Sonne) in Hessen, sofern nicht viele neue Stromtrassen quer durchs Land gezogen werden sollen.
Ist es aktuell wirklich nachhaltig, „grünen Strom“ allein durch den Ankauf von Zertifikaten nachzuweisen? Politik und Initiativen fordern einen konkreten Strombezugsnachweis. Gleichzeitig soll dafür gesorgt sein, dass Rechenzentren sparsamer betrieben werden können. Als Maßstab dafür sollte ein „PUE-Wert“ gelten, der nahe 1,1 liegt (Das Umweltzeichen des Umweltbundesamts sieht einen PUE-Wert von 1,3 vor).
Wo dürfen Rechenzentren gebaut werden
In Frankfurt besteht die spezifische Situation, dass durch die frühe Verlegung von Glasfasern in den letzten Jahren ein gut nutzbarer Netzknoten (DE-CIX) ausgebaut werden konnte. Da in einigen Gewerbegebieten keine Bebauungspläne existierten, konnte sich hier große Rechenzentrumsbetreiber in so genannten „Clustern“ konzentrieren. Mittlerweile sind 70 bis 80 Rechenzentren in Frankfurt ansässig oder in Bau.
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Die Entstehung des Datacenter-Hotspot in Frankfurt
Data Gravity – ein Phänomen
Die Römerfraktion aus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und VOLT bemüht sich nun, für so genannte „nicht-unternehmenseigene Rechenzentren“ spezielle Eignungsgebiete auf etwa 65 Hektar festzulegen. Die meisten dieser Flächen sind schon mit Rechenzentren bebaut oder von Betreibern aufgekauft worden und größtenteils deckungsgleich mit diesen Clustern.
Was geschieht mit der Abwärme?
Für einen nachhaltigen Betrieb von Rechenzentren in diesen „Eignungsgebieten“ ist nachteilig, dass sie größtenteils auf Peripheriegebiete fallen, also Randlagen, wo meist keine Wärmeabnehmer, etwa Wohngebiete, Schwimmbäder oder auch Gärtnereien, zu finden sind, und es zu den meisten „Clustern“ keinen Fernwärmeanschluss gibt, um nutzbare Wärme abzuführen.
Daher zementiert man die momentane Praxis, dass alle Rechenzentren bis auf wenige Pilotprojekte ihre Wärme nur an die Umgebung abgeben. Bessere räumliche Kombinationen von Rechenzentren und Wärmeverbrauchern wären hier dringend erforderlich, werden aber durch den Frankfurter Weg, Rechenzentren in riesigen „Dataparks“ zu clustern, erschwert.
Im Frankfurter Koalitionsvertrag von 2021 wird statuiert „wir streben an, alle Rechenzentren von Luft- auf Wasserkühlung umzustellen“. Bislang gibt es nur ein Rechenzentrum in Frankfurt, das von Cloud&Heat betrieben wird, das direkt mit Wasserkühlung auf den Prozessoren arbeitet. Da diese Art der Wasserkühlung sehr viel Platz spart und Schallemissionen vermindert, sollte sie in Zukunft politisch und ökonomisch viel stärker gefördert werden.
Erste Schritte zur Wärmenutzung wie das Leuchtturmprojekt von Telehouse und Mainova in Frankfurt, oder das Vorhaben der Energieversorgung Offenbach zusammen mit einer weiteren Konzerngesellschaft der MVV, der Datacenter Group, sind lobenswert.
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Jetzt wird´s ernst
Telehouse liefert Wärme aus dem Rechenzentrum für Wohnquartier „Westville“
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Paul Fay vom Energiereferat der Stadt Frankfurt am Main zum Pilotprojekt Westville
„Das Heizen mit Datacenter-Abwärme ist auch hierzulande keine Utopie mehr“
Auch die Planung und Finanzierung von städtischen Infrastrukturmaßnahmen sollten bei der Planung und Genehmigungen weiterer Rechenzentren in den Blick genommen werden. Es wäre viel gewonnen, wenn ein großes Rechenzentrum am Flughafen oder neben einem Hallenbad stehen würde, das eventuell vom Datacenter-Betreiber zusätzlich finanziert werden würde, und die eigene Abwärme verwerten würde. Bei den Milliardeninvestitionen der Co-Location-Betreiber wäre das gelebte Co-Location von Wärmequelle und Wärmesenke, die direkt der Bevölkerung zugutekommt.
Die Rahmenbedingungen bezüglich Emmissionen
Es ist erstaunlich, dass es in einem fast gänzlich geregelten Staatsgefüge wie der Bundesrepublik Deutschland und seinen Bundesländern keine spezifischen Vorschriften für den Bau von Rechenzentren existieren. Für die Emmissionen der Notstromaggregate von Rechenzentren gilt das Bundesimmessionsschutzgesetz. Dessen 44. BImschV gibt aber den Emissionen der Dieselaggregate nach oben freien Raum. Begrenzt werden die Emissionen allein über die Beeinträchtigung von nahe gelegenen Naturschutzgebieten.
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Die 44. BImSchV und die Anwendung auf Netzersatzanlagen
Neue NEA-Vorschriften legen Rechenzentren lahm?
Zudem hat das Regierungspräsidium Darmstadt in Abstimmung mit den Betreibern und deren Gutachtern ein Verfahren entwickelt, wie man Vorschriften der TA Luft , die eine Gesamtbilanzierung der Belastung durch mehrere benachbarte Anlagen kreativ auslegt. Auf diese Weise ist eine Art 'LEX-Rechenzentren' zu Lasten des Immissionsschutzes entstanden. Durch die Fixierung des Berechnungsmodus auf Einzelanlage können Betreiber, die in Frankfurt Rechenzentren in „Clustern“ konzentrieren, eine Gesamtbeurteilung der ausgedehnten „Dataparks“ umgehen.
In diesem Zusammenhang sind auch die nationalen und internationalen Anhaltswerte für einen umweltfreundlichen Betrieb interessant. Warum sind nur wenige Anlagen nach dem Blauen Engel (Werte des Bundesumweltamtes) zertifiziert? Warum gilt für die Notstromdiesel keine ambitionierteren Vorschriften zur Abgasreinigung, vergleichbar für Autos mit Euronorm 6?
Die Argumentation, dass die Aggregate nur rund 1 Stunde im Monat im Testbetrieb laufen, greift zu kurz. Wenn in einem neues Rechenzentrum 72 Aggregate genehmigt worden sind, und im gleichen Gebiet noch weitere Betreiber ihre Anlagen anfahren, sind die Abgasschwaden über dem „Datapark“ maximal dreckig und nicht nach Euro-Diesel-Norm 6 oder 6b minimiert. Hier gilt es in neue alternative Notstromkonzepte zu investieren, wie es ein in Frankfurt tätiger Konzern anderswo auf der Welt tut, zum Beispiel in Kanada, USA und Singapur. Also wieso geht das nicht auch in Frankfurt?
Die Initiativen, Parteien und Verbände setzen sich ein für wirklich nachhaltigen Betrieb der Rechenzentren mit effizienter Nutzung von Ökostrom aus der Region, sauberer Notstromver-sorgung und weitgehender Nutzung der Abwärme - dann sind einige Reihen von Bäumen vor den Fassaden der Rechenzentren ehrlich und kein Alibi für Energieverschwendung.
* Die Autoren: Kurt Müller vertritt die Initiative 'Lokale Agenda21' in Offenbach am Main. Dr. Werner Neumann vertritt in dieser Angelegenheit die Organisation BUND Landesvorstand Hessen und Dr. Ingo Stürmer die Initiative BI für gesundes Wohnen und nachhaltiges Gewerbe Seckbach.
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