Interview zur Vernetzung im Datacenter Über die Migration von LWL-Netzen
Welchen Herausforderungen müssen Lichtwellenleiter (LWL) im Rechenzentrum genügen? Welche Standards kündigen sich an? Thomas Friedrich von der Viavi Solutions Deutschland GmbH sagt im Gespräch mit DataCenter-Insider, was für Migrationen wichtig ist und wird.
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Geschäfts- und Privatleben sind ohne umfassende Vernetzung nicht mehr denkbar. Und die Datenmengen von Nutzer Endpoints im Web steigen seit Jahren exponentiell. Gleichgültig ob Mobil- oder im Festnetz. Die Geschäftsmodelle der großen Datenbankbetreiber boomen.
All dies wäre ohne hochperformante Backbones auf Basis von Lichtwellenleitern (LWL) und Multiplexverfahren nicht möglich. Entsprechend steigt das Verlangen nach immer höheren Datenraten in Unternehmensnetzen und IT Backbones unaufhörlich. Zwar spielt der Lichtwellenleiter mit seinem gegenüber Kupfer extrem höheren Bandbreite-Längenprodukt seine Vorteile aus, die ständig steigenden Datenmengen führen aber auch hier zu immer neuen Herausforderungen.
Der Ruf nach immer höheren LWL-Übertagungsraten ist allgegenwärtig. Was sind die wichtigsten Treiber dafür?
Thomas Friedrich: Wichtigster Treiber für die ständig steigende Datenflut ist die immer stärkere Mobilität von Daten. Die allgegenwärtige Vernetzung verlangt natürlich nach immer breitbandigeren Backbones mit höchsten Übertragungsraten. Hohe Datenvolumen werden aber auch bei der Datenspiegelung großer Rechenzentren bewegt, bei der Vernetzung von Prozesssteuerungen in der Industrie oder bei Forschungsinstituten, die Rechenzentren (RZ) über das Internet im Parallelbetrieb betreiben.
Daneben gibt es unzählige weitere Gründe. Künstliche Intelligenz, Online-Assistenten wie „Apple Siri“ und „Microsoft Cortana“ oder neue Virtual-Reality-Anwendungen etwa. So steigt das zu übertragene Datenvolumen ständig und verlangt nach immer höheren Datenraten in Backbones, zur Datenbankanbindung und zum Anschluss an Endgeräte. System- und Verkabelungskomponentenhersteller sowie die Anbieter von Mess- und Überwachungslösungen befinden sich daher in einem ständigen Wettlauf um die Bereitstellung und Sicherung von hochbitratigen Übertragungstechnologien für Zugriff, Speicherung, IT oder Backbone.
Wenn ein Unternehmen beziehungsweise ein Rechenzentrum nun auf eine leistungsfähigere Infrastruktur migrieren möchte, was sind die typischen Stolperfallen dabei?
Thomas Friedrich: Die Migrationsschritte werden immer kürzer. Früher hat man auf zehn bis zwanzig Jahre geplant. Heute sind es eher drei bis fünf Jahre. Immer höhere Bitraten in LWL-Backbones führen zur verstärkten Nutzung von Singlemode-Technologie. Aber da die Anschlusskomponenten der Multimode-Faser in Rechenzentren und SAN-Umgebungen günstiger sind als im Singlemodebereich, bleibt auch sie natürlich unverändert aktuell.
Der Stand der Normung berücksichtigt dies mit verschiedenen Möglichkeiten: Multimode-Mehrfasersysteme, WDM auf Multimode, WDM auf Singlemode, seriell 100G auf Singlemode. Wer sich für den einen oder anderen Weg entscheidet, der gerät zwar in keine Falle, aber was sich langfristig durchsetzt, ist heute kaum abzuschätzen.
Eine echte Stolperfalle ist das mangelnde Bewusstsein für die Sauberkeit von Steckverbindern der LWL-Verkabelung. Über 80 Prozent aller Störfälle bei der Migration auf höhere Bitraten beruht auf Verschmutzungen im Verkabelungsumfeld. Abhilfe schafft „IBC“ (Inspect Before Connect), also eine Steckerendflächenanalyse nach IEC 61300-3-35.
Auch veraltete Messtechnik mit zu geringer Grundgenauigkeit, Fehlmessungen durch falsche Referenzierung oder fehlende EF-Kompatibilität (Encircled Flux IEC 61280-4-1 Ed2) des Multimode-Senders bei Dämpfungsmessungen führt oft zu Problemen.
Inkompatible Verkabelungskomponenten machen auch immer wieder Schwierigkeiten, sodass Link-Abnahmemessungen nach einer Migration nicht den gewünschten Erfolg aufzeigen. Mechanische Passungstoleranzen von Steckverbindern oder unterschiedliche Multimode-Kabeltypen sind der Grund dafür.
Welche Rolle spielt die Messtechnik bei der Migration?
Thomas Friedrich: Betrifft eine Migration unternehmenskritische Systeme ist sie ohne abschließende Messungen schlicht fahrlässig. Denn nur sinnvoll genutzte Messtechnik bestätigt die erfolgreiche Durchführung einer Migration. Sie untermauert den wirtschaftlichen Nutzen durch belastbare und reproduzierbare Kennzahlen. Daher sollte es keine Migration ohne eine Abnahmemessung geben.
Da Netze erfahrungsgemäß schrittweise gewachsen und oft schlecht dokumentiert sind, ist eine Bestandsaufnahme im Vorfeld der geplanten Migration immer hilfreich. Wenn keine brauchbaren Qualifizierungsmessungen des Ist-Zustands vor der Migration vorliegen, sind zumindest Stichprobenmessungen sinnvoll. Damit lassen sich Streckenlängen des Ist-Zustands verifizieren und man erhält einen Überblick bezüglich der Dämpfungsverhältnisse und Rückreflexionen vorhandener Strecken.
Welche Bedeutung haben die gängigen Standards und ihre Grenzwerte?
Thomas Friedrich: Standards für die Telekommunikationsinfrastruktur, etwa EIA/TIA 568C, EN 50600-2-4 oder EN 50173-5 im Rechenzentrum, verfügen immer auch über Kenn- beziehungsweise Grenzwerte. Und diese sind messtechnisch zu erfassen (etwa EN 50173-1).
Belegen kann man den Erfolg einer Migration nur dann, wenn dies auch messtechnisch dokumentiert ist. Die physikalischen Kabelparameter der EN Standards genügen aber nicht.
Immer mehr IT-Betreiber fordern Link-Messungen mit aktiven Datensignalen. Sie wollen nicht von der gemessenen Dämpfung auf die Bitrateneignung schließen. Sie wollen die erwünschten Durchsatzraten direkt verifizieren, etwa nach der Methode des RFC-2544 (auch für Fibre Channel adaptiert). Dann muss nicht einfach vorausgesetzt werden, dass die physikalische Abnahmemessung die beabsichtigte Übertragungsperformance garantiert.
Wichtig ist in der Messtechnik auch der Unterschied zwischen der Aussage Rot oder Grün (Go oder NoGo) und dem genauen Messwert mit Toleranzangabe. Es kann fatal sein, die Entfernung zum Grenzwert nicht zu kennen. Die LWL-Stecker Frontflächenanalyse ist ein Beispiel dafür.
Es gibt Mikroskope, die nur Rot oder Grün anzeigen. Ein Stecker kann dann nach IEC-61300-3-35 in der Toleranz liegen, Anzeige Grün, obwohl sich im Mantelbereich (Ferrulen-Zone 2) Schmutzpartikel befinden. Wandert der Schmutzpartikel in den Kernbereich, ist die Steckerqualität nicht mehr erfüllt und der Link kann instabil werden. Hat das Steckermikroskop ein integriertes Display, kann die Verschmutzung erkannt und anschließend beseitigt werden.
Mit welchen Services unterstützen Sie den Kunden bei einer Migration?
Thomas Friedrich: Viavi Solutions stellt den Kunden nicht nur Labor- und Feldmessgeräte zur Verfügung. Im Rahmen der dibkom (Deutsches Institut für Breitbandkommunikation) führen wir auch LWL-Grundlagenschulungen und Messtechnik-Workshops zur Zertifizierung durch. Daneben bieten wir aber auch kundenspezifische Schulungen für die Abnahme und die Fehlersuche bei Datennetzen aller Art.
In unserem Dienstleistungszentrum bieten wir dem Kunden Messdienstleistungen für alle Fragen der Infrastrukturmessungen, der Performancemessungen sowie der Daten-und Protokollanalyse. Und selbstverständlich gibt es eine permanent verfügbare Hotline. Der Support kann zudem über die Cloud auf das Messgerät eines Kunden zugreifen und bestehende Probleme lösen.
Da in vielen Anwendungen Messgeräte mit gültiger Kalibrierung notwendig sind, bieten wir unter der Bezeichnung ISO-TOP auch eine Hersteller-Kalibrierung. Standard-Kalibrierungen sind ebenfalls möglich. Zusammen mit Rental- und Mietpartnern liefern wir auch Lösungen für den projektabhängigen Einsatz von Messtechnik oder Finanzierungsmodellen. Last but not least kann über den Mietpartner die Messgeräteflotte eines Kunden auch immer auf dem neuesten Stand gehalten werden.
Wagen Sie einen Ausblick. Was kommt nach 100G?
Thomas Friedrich: Viavi bietet schon heute Messtechnik jenseits von 100G Ethernet an. 400G ist ja bereits standardisiert und verfügbar (http://www.ethernetalliance.org/roadmap/). Für den Horizont über 2020 hinaus beratschlagen die einschlägigen Gremien schon über Sinn und Machbarkeit von Schnittstellenraten wie etwa 800G, 1.0TB, 1.6TB, 6.4TB und 10TB. Zur Anpassung an die Einschränkungen der Infrastruktur (Fasern!) muss dann höherstufig moduliert werden (PSM4) oder der Datenstrom wird auf mehrere Fasern aufgeteilt.
Heute übliche Bändchenfaserstecker sind als 8, 12 oder 24 Fasersteckersystem ausgeführt. Aber es gibt auch Versionen für 64 oder 72 Fasern (4*16, 4*18). Verwirrend ist schon heute die Vielzahl neuer Transceiver-Bauformen und -Technologien. Kupfer- und Multimode-Interfaces werden permanent weiterentwickelt. Und Singlemode bleibt der Platzhirsch für große Entfernungen. Aber auch unterhalb von 100G werden neue Ethernet-Raten definiert (25G ETH existiert, 2.5G, 5G und 50G stehen vor der Standardisierung).
Beim Kupferkabel kommt man für 100Gbit auf den RJ-45 Stecker zurück. Die Hersteller beschäftigen sich derzeit aber noch damit, die kapazitiven Störungen bei enger Pin-Belegung in den Griff zu bekommen. In aller Munde sind die Multifiber-Connectoren, weil man damit die Bitrate pro Faser reduzieren kann. Zwar erlebt der MTP/MPO-Stecker derzeit einen Boom, doch ein neuer MXC-Stecker für 1.6 Terabyte über 4*16 Fasern ist bereits definiert. Dieser arbeitet zudem mit Linsentechnologie und verfügt über eine wasser-, schmutz- und fettabweisende Oberfläche.
Wer einen Ausblick in die weitere Zukunft wagt, wird die heute verwendeten Transceiver nicht mehr vorfinden. Zuerst werden die Transceiver näher an den Prozessor/ASIC gebracht. Damit wird wieder der alte Stand erreicht, als es noch keine Hot-Pluggable-Transceiver gab: Der optische Transceiver sitzt auf dem Mainboard, um die bei immer höheren Bitraten notwendigen Retiming-Aufwendungen zu minimieren.
Dies ist möglich, weil physikalische Kupferleitungslängen minimiert werden. Mit dem Thema beschäftigt sich ein Konsortium für Onboard-Optics (COBO). In noch ferner Zukunft ist sogar geplant, die optischen Transceiver direkt in die ASICs zu integrieren. Dann erhält ein ASIC eine Mehrfaser-Anschlussbuchse direkt am Gehäuse.
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